Kapitel 27
Es war bitterkalt, wie in der Antarktis, als die Badezimmertür ruckartig hinter ihm zuschlug. William saß in der Falle, es gab kein Entkommen. Ein jugendlich aussehender, rothaariger Kerl lag lässig in seiner Badewanne und grinste ihn teuflisch an. Sein Gesicht sah abscheulich aus; es war leichenblass und vernarbt, seine roten Haarsträhnen lagen in seinem Gesicht und er starrte ihn mit milchigen Augen bösartig an. Zudem war unübersehbar zu erkennen, dass dem Dämon ein umgedrehtes Kreuz auf die Stirn gebrandmarkt wurde. Das Zeichen des Antichristen, ein gehorsamer Diener und Sklave der Hölle.
Rundherum auf dem gefliesten Boden lagen eingerollte Klapperschlangen, die mit ihren aufgerichteten Schwänzen bedrohlich rasselten und blitzschnell nach dem Neunundfünfzigjährigen schnappten. William schrie erschrocken auf und wich reflexartig zurück, rüttelte an der verschlossenen Tür und trommelte mit seinen Fäusten verzweifelt dagegen. Aber es war zwecklos. Weder Thelma noch seine Freundin Suzanne hörten seine Hilfeschreie und eilten herbei, um ihn zu befreien. Noch nie zuvor hatte William Carter, der Meister des Schreckens, derartige Angst verspürt, wie in diesem Augenblick. Als ihm bewusst wurde, dass seine Stunde jetzt geschlagen hat, drehte er sich mit dem Rücken gegen die verriegelte Badezimmertür, keuchte heftig und blickte entsetzt auf den jungen Kerl, wie er mit seinen spitzen Vampirzähnen fletschte und grässlich kicherte. Augenblicklich konnte er sich an jede Begegnung mit ihm erinnern. Dieses Geschöpf war sein Lebelang um ihn herumgeschlichen, wie ein unausweichlicher Schatten war er ihm gefolgt, selbst in seinen Träumen war er ihm oftmals erschienen. Sein Unterbewusstsein schaltete in der Stunde des Todes die Identität des vermeintlichen Schutzengels frei – das Böse gab sich nun zu erkennen.
Der Engel der Finsternis erhob sich aus der Badewanne, trat heraus, stieg gemächlich über die Klapperschlangen und schritt langsam auf ihn zu. Er war mit einer schwarzen Lederkluft bekleidet und aus seinen Schultern ragten jeweils zwei riesige, schneeweiße eingeschlagene Schwanenflügel hervor. Seine Hände waren die reinsten Klauen. Er hatte silberne, messerscharfe Fingernägel und in seiner Hand hielt er eine Injektionsspritze, die mit einer bräunlichen Flüssigkeit gefüllt war. William zog seinen Revolver aus der Bademanteltasche heraus, zielte auf ihn und drückte ab. Doch obwohl die Waffe mit scharfer Munition geladen war, löste sich kein Schuss. Der Engel schritt unbeirrbar langsam auf ihn zu, hielt die Injektionsspritze fest in seiner Faust und fauchte angriffslustig. Völlig verängstigt drückte William nochmal ab und nochmal, aber der Revolver schoss nicht, als würden sich keine Patronen in der Munitionstrommel befinden. Ihm war zwar bewusst, dass seine Waffe gegen dieses Geschöpf der Hölle höchstwahrscheinlich sowieso nichts ausgerichtet hätte, aber die lauten Schüsse hätten wenigstens die Frauen sowie die Nachbarschaft aus ihrem Schlaf gerissen. Plötzlich schlängelten sich die Klapperschlangen ineinander und verwandelten sich in eine Henkersschlinge. Und im nächsten Moment krabbelten große, dünne schwarze Spinnen aus dem Abfluss des Waschbeckens sowie aus dem Klosett heraus, die sich in schwarze, transparente Gestalten verwandelten, ihn sogleich packten und dabei gruselig knurrten und heulten. William musste entsetzt mitansehen, wie die unheimlichen Schattenwesen ihm die Schlinge um seinen Hals schnürten, dann das Seilende über den Kronleuchter im Badezimmer schleuderten und ihn gemeinsam ruckartig in die Höhe zogen. Schmerzverzehrt kniff er seine Augen zu, versuchte sich mit seinen Händen verzweifelt aus der Schlinge zu befreien und zappelte dabei mit den Beinen.
Der Kronleuchter klimperte.
William Carter wurde wie ein Ganove an einen Galgen aufgeknüpft. Der bösartige Engel packte ihn und umklammerte seine Beine, blickte zu ihm hoch und lachte teuflisch. In seinem Todeskampf vernahm William ächzend, wie der Peiniger ihm die Nadel der Injektionsspritze in seinen Oberschenkel rammte. „Pay the price for your paradies“, sprach der Engel der Finsternis gehässig mit seiner unheimlichen Stimme. Dann drückte er ihm die Flüssigkeit in seinen Körper.
William Carter merkte, wie ihm sogleich schummrig wurde und ihm überkam ein wohliges Gefühl. Er lächelte benommen, während ihm Speichel aus dem Mund floss. Dann vernahm er ein leichtes Krachen und merkte einen stechenden Schmerz in seinem Genick. Ein kurzes, unangenehmes Kribbeln fuhr durch seine Glieder, bevor er zuckend seine Augen schloss und es dunkel um ihn herum wurde.
Chapter 152 -160 aus meinen Memoiren: Die Schlange im Paradies
Irgendwann erwachte ich und fühlte mich unendlich schlapp. Ich war verwundert, denn ich lag mitten im Himmel und wusste nicht, was geschehen war. Es kam mir vor, als würde ich auf einer riesigen Glasscheibe liegen und dahin schweben, denn unter mir entdeckte ich schneeweiße Wolken, die langsam an mir vorbeizogen. Es war ein wundervoller, märchenhafter Anblick, zudem umgab mich eine äußerst angenehme Ruhe.
Zaghaft stand ich auf und blickte mich verwundert um. Ringsherum, oben sowie auch unten, wohin ich auch schaute, war nur der strahlende blaue Himmel zu sehen. Vorsichtig schritt ich voran und mein erster Gedanke war: Der Albtraum ist noch nicht zu Ende, zumal ich immer noch mit dem Nadelstreifenanzug bekleidet war, mit meinem Totengewand. Zwar fühlte ich mich fantastisch wohl, dennoch hielt ich mich für die nächste böse Überraschung mental bereit. Schließlich bemerkte ich, dass ich mich ungewöhnlich leicht fühlte und glaubte, dass nur ein Atemhauch genügen würde, um mich schwerelos durch die Luft segeln zu lassen.
Plötzlich entdeckte ich etwas in der Ferne, etwas, dass mit rasender Geschwindigkeit auf mich zuflog. Zuerst war es nur ein kleines helles Licht, doch allmählich erkannte ich eine Person die auf einen Thron saß und sich mir rasant näherte. Der goldene Thron, dieser mit rotem Samt überzogen und mit funkelnden Edelsteinen bestückt war, darauf eine männliche Person hockte, hielt nur wenige Meter sachte vor mir an.
Diese Person war mit einem weißen Herrenanzug, weißer Unterweste und mit einer weißen Krawatte sowie mit weißen Lackschuhen bekleidet. An der Brusttasche seines Jacketts haftete eine Blume, ein violettes Veilchen.
Dieser Mann war ungefähr mein Jahrgang und sah südländisch aus. Europäisch südländisch. Sein kurzes dunkles Haar war leicht ergraut und streng zurückgekämmt. Vor mir war eine charismatische Person mit einem kantigen Gesicht erschienen. Dieser Herr machte zwar im ersten Augenschein einen souveränen Eindruck, zugleich wirkte er aber auch äußerst autoritär. Er sah wie ein mächtiger Maffia Boss aus und die Art, wie er mich anstarrte, war furchteinflößend.
Auf seiner Schulter hockte ein niedliches Eichhörnchen, dieses er mit Erdnüssen fütterte. Abwechselnd stopfte auch er sich einige hinein. Völlig verdutzt blickte ich zu ihm hinauf. Zwar schien es so, dass ich mich im Himmel befand, aber der liebe Gott war er sicherlich nicht, zumal direkt über der Kopflehne des riesigen Throns ein goldenes L. hervorragte. Ich war verwirrt und klammerte mich an meinem Glauben fest, dass ich nur träumen würde. Der nächstmögliche Schockmoment wird mich sogleich aus dem Schlaf reißen, wie immer, davon war ich überzeugt und hoffte darauf, dass dies jeden Moment geschehen würde.
Eine unbeschreibliche Ehrfurcht übermannte mich, sodass ich unweigerlich vor seinem Thron kniete. Ich traute mich kaum ihn anzublicken. Immer wieder musste ich wegschauen, seinen durchdringenden Blick konnte ich einfach nicht lange erwidern. Ich hatte das merkwürdige Gefühl, dass er über jede Einzelheit meines Lebens Bescheid wusste. Lügen war demnach zwecklos. War er etwa doch der allmächtige Gott, der mir eine Botschaft im Traum übermitteln wollte, fragte ich mich?
Der Mann saß mit übergeschlagenen Beinen auf seinen Thron, fütterte das Eichhörnchen auf seiner Schulter mit Erdnüssen, aß selber welche davon, kaute hastig dabei und starrte mich mit hochgezogenen Augenbrauen an, wartend darauf, dass ich etwas sage.
„W-wo bin ich? Was ist geschehen?“, fragte ich erschöpft. „Wer sind Sie?“
Immer noch starrte er mich wortlos an, kaute nun langsamer und dann brach er endlich das unerträgliche Schweigen.
„Hallo, Mister William Richard Carter. Endlich begegnen wir uns zwei persönlich. Ich sage dir jetzt kurz und schmerzlos, wie es ist … Du bist tot, mein Lieber“, antwortete er kauend und stieg von seinem Thron herunter. Gleichzeitig verwandelte sich das Eichhörnchen in eine Fledermaus und flatterte über meinen Kopf hinweg, woraufhin ich mich erschrocken duckte. Er lächelte und klatschte ein paar Mal in seine Händen (es war ein recht bescheidener Applaus).
„Bravo. Du hast mit meiner Schreibfeder exzellente Arbeit geleistet. Hast Angst verbreitet und so manchen eine schlaflose Nacht beschert. So in etwa hatte ich es mir vorgestellt. Angst zu verbreiten ist die wirkungsvollste Methode, um Respekt zu erlangen und Macht auszuüben. Pflichtest du mir bei?“, fragte er schmunzelnd.
„W-was? I-ich soll tot sein? Nein, niemals! Das kann ich nicht glauben! Ich stehe doch lebendig vor Ihnen. Ich atme sogar und mein Herzschlag kann ich deutlich spüren!“, erwiderte ich aufgebracht.
Daraufhin blickte er mich streng an, dies mir augenblicklich ein mulmiges Gefühl vermittelte, sodass ich mich sogleich dazu entschloss, zu schweigen. Er verschränkte die Hände hinter seinen Rücken und wanderte langsam um mich herum, wobei er mich musterte, während ich vor seinen Füßen kauerte. Seine Schritte hallten, als würde er durch ein riesiges Schloss laufen.
„Alles nur Einbildung, Mister Carter … Alles nur Einbildung“, erklärte er mir mit einem angenehmen, ruhigen Ton, wobei er seine Hände zusammen klappte und sie rieb. „Es wird noch eine Weile dauern bis du endlich begreifst, dass du deinen biologischen Körper unwiderruflich verlassen hast. Aber sei unbesorgt, nur dein irdisches Leben ist vorbei. Wie du siehst, existierst du noch.“
Allmählich fügte sich meine Erinnerung wie ein Puzzle zusammen. Mein Leben erschien mir jetzt nur wie ein Traum gewesen zu sein, daran ich mich mühselig erinnern vermochte.
„Du bist tot, um es auf den Punkt zu bringen, du bist sogar mausetot … Mister Carter. Akzeptiere es.“
Ich erschrak und ließ einen kurzen Schrei los, weil plötzlich unzählige Mäuse um meine Füße wuselten und grässlich piepsten. Nie zuvor hatte ich Angst vor Mäusen gehabt, aber der Anblick dieser regelrechten Herde erschauderte mich. Als er grinsend mit den Fingern schnippte, waren die abertausende Mäuse auf der Stelle tot, blieben regungslos liegen und versickerten langsam im Nichts.
„Doch, doch, du hast dich im Drogenwahn erhängt, jedenfalls glauben es die Menschen. All deine Freunde, deine Bekannten und deine beachtliche Fangemeinde sind der Meinung, dass du dich feige aus dem Leben geschlichen hast.“ Er zuckte mit der Schulter und zog seine Mundwinkel runter. „Depressionen. Depressionen haben dich zu diesem traurigen Entschluss getrieben, glaubt die Menschheit. Du hättest den Tod deiner Ehefrau nicht verkraftet, mutmaßen sie. Du kennst ja das ganze Kasperletheater und weißt, was jetzt abgeht. Wochenlang beherrscht du die Schlagzeilen, weil die Zeitungsärsche im Dreck wühlen und deine pikanten Geheimnisse aufdecken. Sie finden immer was und falls nicht, erfinden sie etwas. Helikopter kreisen zurzeit über deinem Anwesen und filmen, ebenso belagern unzählige Fernsehteams deine Villa und bla-bla-bla. Wirklich tragisch, mein herzliches Beileid. Du hast mein Mitgefühl“, lächelte er. „Ich werde eine Schweigeminute in meinem Königreich veranlassen, zum Gedenken an den ehrenwerten Mister Carter, dem weltberühmten Schriftsteller. Aber das alles spielt keine Rolle mehr, denn ab sofort wirst du nur allein mir dienen. Und das bis in die Ewigkeit. Denn du gehörst – jetzt – mir!“, meinte er bestimmend, wobei er mich mit großen Augen ernst anstarrte.
„Das ist nicht wahr! Ich habe mich niemals erhängt! Niemals! Erst recht nicht unter Drogeneinfluss! Und dass meine Ehefrau hingerichtet wurde, war für mich zwar schwer zu verkraften aber habe es letztendlich akzeptiert! Nicht ein einziges Mal dachte ich an Selbstmord!“, antwortete ich empört. „Ich will jetzt verdammt noch mal wissen, wo ich bin und wer Sie sind!“
„Weißt du etwa immer noch nicht, wer ich bin? Nicht die geringste Vorstellung? Du scheinst mir etwas begriffsstutzig zu sein. Bin ich gar nicht von dir gewohnt. Verlangt Mister Carter etwa, dass ich mich ihm förmlich vorstelle? Mit all den Höflichkeiten, die mir zur Verfügung stehen?“, fragte er zynisch und sah mich dabei gespielt vorwurfsvoll an. Als ich ihn nur schweigend anstarrte, verzog er grinsend seine Miene und wankte mit dem Kopf.
„Glaube mir mein Freund, das möchtest du nicht. Aber ich kann dich beruhigen, denn ich bin nicht der Gott, der dich bestrafen will, so wie es dir deine Mutter immer prophezeite, sondern ich bin der Gott, der dich für deine Dienste gerecht entlohnen wird. Insofern du dich fügst“, betonte er. Dann hielt er seinen Finger auf dem Mund und schwieg einen Augenblick, bevor er fortfuhr.
„Weißt du, ihr Menschleins behauptet ich hätte viele Namen. Alles Quatsch, purer Nonsens, sage ich dir. Ich heiße und bin nur … Lucifer. That`s it“, erklärte er mir mit einem fröhlichen Gesichtsausdruck. „Und doch, es ist leider wahr. Du hast dich im Vollrausch erhängt, Mister William Carter. So lautete zumindest der offizielle Obduktionsbericht der Ärzte. In deiner Blutbahn befand sich eine beachtliche Überdosis Heroin, jeder bekloppte Junkie hätte nach einer Blutspende von dir gelechzt“, behauptete er, wobei ihm ein kurzer Lacher entwich.
Während ich kniend zu ihm hochsah, wankte er schmunzelnd mit dem Kopf.
„Zudem waren deine Arme völlig vernarbt, ein Beweis dafür, dass du jahrelang drogensüchtig warst. Du hast einen wundervollen dramatischen Abgang gemacht, genau nach meinem Geschmack, daran sich die Menschheit immer mit einem Hauch des Schreckens erinnern wird. Jetzt hast du es ihnen bewiesen, wie dunkel deine Seele doch ist, schon immer gewesen war. Todessehnsucht … dieses unheimliche Phänomen fürchten die Menschen und nun haben sie alle Respekt vor dir. Du bist jetzt eine Legende, das ist eine außergewöhnliche Leistung“, meinte er begeistert. „Zitat: Frohlockend wie ein Held vollendet er den Lauf, zum höchsten Himmel kehrt der Herr zurück. Halleluja. Matthäus Evangelium, Psalm blablabla, Vers trallala. Oder stammt es vielleicht sogar aus einem Gesangbuch? Ist jetzt auch scheißegal, denn du gehörst jetzt zu uns und wirst mir bedingungslos gehorchen! Understand, Mister Carter?!“, fauchte er.
„Das-das stimmt doch gar nicht!“, brüllte ich aufgebracht. „Ich habe mit den verfluchten Drogen schon lange nichts mehr zu tun! Das ist eine Lüge! Ich will jetzt verdammt nochmal wissen, was geschehen ist!“
Lucifer blickte mich mit seinen dunklen Augen streng an. Furchen zeichneten sein schmales, markantes Gesicht. Er repräsentierte eine ultimative Respektperson, die schon allerhand erlebt und durchgemacht hatte. Er hätte sich in jedes erdenkliche Wesen vor mir präsentieren können, doch wenn das bereits sein Schafspelz war, um mich nicht unnötig zu verängstigen, damit seine Anwesenheit für mich einigermaßen erträglich war, welch monströses Ungeheuer versuchte er zu verbergen, fragte ich mich? Die genaue Antwort wollte ich im nächsten Augenblick gar nicht mehr wissen.
Einen Moment lang schwieg er, wobei er mich gefährlich anstarrte, bevor er wieder das Wort erhob.
„Augenblick … gaaanz langsam zum Mitschreiben, damit zwischen uns kein Missverständnis entsteht und dadurch eventuell noch unsere frischgebackene Freundschaft darunter leidet. Korrigiere mich bitte, falls ich es falsch verstanden habe. Du bist also der Meinung, ich sage die Unwahrheit? Behauptest du jetzt, ich sei ein Lügner? Glaubst du in der Tat, dass ICH es nötig habe DICH oder sonst irgendeinen dahergelaufenen, bescheuerten Hampelmann anzulügen?“, fragte er zynisch, woraufhin ich ihn nur hilflos anblickte und schwieg. Dabei merkte ich das erste Mal, dass weder mein Herz in meiner Brust schlug, noch das ich vor Aufregung heftig atmete. Ich konnte zwar atmen, musste es aber gar nicht.
„ANTWORTE GEFÄLLIGST!“, brüllte er herrisch, daraufhin ein mächtiger Donnerschlag dröhnte, der Boden auf dem ich stand erzitterte, und die schneeweißen Wolken sich unter uns sogleich in dunkle Gewitterwolken verwandelten. Es rumpelte und blitzte gewaltig, sodass ich unweigerlich meine Arme schützend um meinen Kopf schlang, obwohl das Donnerwetter unter uns stattfand. Sein Zorn war gewaltig und beängstigend, wie ein tobender Hurrikan, der über mich hinweg fegte.
„N-nein … gewiss nicht“, stammelte ich kleinlaut.
Daraufhin lächelte er wieder und die dichten Gewitterwolken unter uns verzogen sich.
„Gut. Da bin ich jetzt aber wirklich erleichtert. Denn es wäre für mich unerträglich, wenn du mich nicht leiden magst“, witzelte er.
Als ich nach einer Weile immer noch auf den Knien kauerte und ihn ängstlich anschaute, streckte er seine Hand aus und wackelte mit den Fingern.
„Na los, Mister Carter, steh schon endlich auf. Ich will dir vernünftig in die Augen schauen“, forderte er mich mit sanfter Stimme auf. Als ich ihn aber immer noch sekundenlang kniend anstarrte, erhob er wieder seine Stimme.
„Steh sofort auf oder ich packe dich am Schopf und reiße dich in die Höhe!“, ermahnte er mich, woraufhin ich sogleich vor ihm stramm stand. Und wieder rumpelte ein gewaltiges Donnern durch den Himmel.
„Ach, William“, seufzte er, „du kannst dir nicht vorstellen, wieviel menschlicher Abschaum tagtäglich an meiner Türe klopft. Ich weiß schon gar nicht mehr wohin mit all dem Gesindel, mit all denen selbst der Allmächtige nicht verzeihen mag und nicht bei sich haben will. Ich verrate dir mal was, William. ICH bin der Leidtragende, weil ich all den menschlichen Müll irgendwie entsorgen muss, während der allmächtige Herr gemütlich in seinen Garten Eden auf einer Liege lümmelt und nur zusieht, wie das Unheil auf Erden sein Unwesen treibt. Das musst du dir mal reinziehen, Willie. Er erschuf einen Lebensraum für seine Lieblinge, also für euch, und sieht dabei einfach nur tatenlos zu, wie ihr sein Werk mutwillig zerstört, als wäret ihr Kinder die begeistert auf Sandburgen trampeln. Wo ist den euer Gott, wenn eine gute Seele einem Unglück zum Opfer fällt? Wo war Gott, als ein kleines Kind verschwand, gequält, missbraucht und ermordet wurde? Wo ist Gott, wenn Schurken sogar in seinem Namen morden? Aber wenn sie bereuen, so wie deine entzückende Ehefrau … ja dann verzeiht er ihnen und ist bereit, sie zu sich aufzunehmen. Findest du das etwa gerecht?“, fragte er mit einem ironischen Unterton.
Ich senkte mein Haupt wie ein Schuljunge, der von seinem Lehrer zurecht gewiesen wurde, und schwieg.
„IST DAS ETWA GERECHT, HABE ICH GEFRAGT!“, brüllte er cholerisch.
Ich spürte wie sich meine Kehle zuschnürte und hatte das Gefühl, dass ich auseinander gerissen werde, innerlich verbrennen würde, während ich plötzlich langsam über ihn schwebte, obwohl er einige Schritte von mir entfernt stand und mich nicht einmal berührte. Seine Fähigkeiten waren enorm, er war unbesiegbar. Nur ein anderer Erzengel oder Gott persönlich könnte ihm die Stirn bieten.
Ich verspürte unerträgliche Schmerzen aber mir gelang es nicht, diese laut auszuschreien. Ich fühlte mich wie in einer heißen Schraubzwinge gequetscht. Nun erlebte ich eine winzige Kostprobe von dem, was mir eventuell bis in alle Ewigkeit blühen würde. Die Sache war ja die, dass ich bereits tot war und weder vor Schmerzen ohnmächtig werden, noch einen erlösenden Tod erwarten konnte. Er hatte die Fähigkeit und die Macht dazu, mein unerträgliches Leid bis in die Unendlichkeit hinauszuzögern. Oder meine Existenz zu vernichten, dies letztendlich mein wirklicher Tod wäre, doch diesen Gefallen würde er sicherlich niemanden leichtfertig gewähren.
„ICH bin gerecht!“, wies er mich zornig zurecht. „Nur ich, sonst niemand! Denn bei mir gibt es keine Gnade! Niemals! Ebenso akzeptiere ich niemals Reue! Bei mir bekommt jeder das, was er verdient! Gnade ist widerlich und ungerecht! Und bereuen ist nur Heuchelei. Vergeltung und Rache ist die einzige Konsequenz für diejenigen, die Dreck am Stecken haben! Auge um Auge, Zahn um Zahn, so steht es geschrieben, so muss es auch geschehen! Eine Alternative gibt es nicht!“, schnauzte er wütend.
Er ließ mich los und ich stürzte. Demütig kniete ich vor ihm und schaute auf seine weißen Lackschuhe. Nun war mir klar geworden, dass ich zwar tot bin, aber er besaß dennoch die Macht mir Schmerzen zuzufügen und mich gar endgültig zu vernichten.
Lucifer neigte seinen Kopf seitlich und blickte zu mir runter auf seine weißen Lackschuhe.
„Nun sei doch kein Angsthase, William. Komm, steh wieder auf. Ich tu dir schon nichts. Ich will dir nur helfen, ich bin doch dein Freund“, sagte er lächelnd.
Als ich ihn eine Weile nur kniend ansah, erhob er wieder seine Stimme, woraufhin ich mich sofort aufrichtete.
„Weißt du, ihr menschlichen Geschöpfe habt ein ganz falsches Bild von mir. Ihr müsst mich eigentlich gar nicht fürchten“, erklärte er mir mit einem unschuldigen Blick, legte seinen Arm freundschaftlich um mich und spazierte mit mir gemeinsam durch den unendlichen Himmel, wobei unsere Schritte hallten.
„Ihr glaubt, ich sei Satan, ihr sagt, ich wäre der Teufel, oder nennt mich wie auch immer. Ihr meint alle, ich sei die Reinkarnation des Bösen, der gemeingefährliche Antichrist, der irgendwann kommen wird um eure Welt zu vernichten.“ – Er rüttelte an meiner Schulter und zog mich kumpelhaft an sich heran – „Dabei seid ihr Menschen, die der allmächtige Herr selbst erschaffen hat, die wahren Teufel. IHR seid das Böse, IHR seid Satan, doch nicht ich!“, betonte er, wobei er mit seinen Händen gestikulierte.
„Bin ich etwa daran schuld, wenn ein kleines unschuldiges Kind entführt, missbraucht und ermordet wird? Was habe ich damit zu tun, wenn ein Unglück geschieht? Bin ich es in der Tat gewesen, der all die unzähligen Kriege angezettelt hatte? Ich soll also für das Übel auf der Welt verantwortlich sein und ihr seid die Unschuldslämmer? Ich bin nur für die Sünde der Welt verantwortlich, denn die Sünde ist göttlich. Du musst verstehen, ich bin die Schlange im Paradies, die euch in Versuchung bringt, um euch auf die Probe zu stellen damit euer Gott endlich einsieht, dass seine Schöpfung ein Reinfall war. Ich bin ganz bestimmt nicht der Teufel, das allgegenwärtige Böse, sondern nur das Gegengewicht der Waage der himmlischen Gerechtigkeit. Und du, mein Freund, du darfst ab sofort daran teilhaben, die Besten für uns zu gewinnen, damit endlich irgendwann wahre Gerechtigkeit und absoluter Frieden im Universum herrscht. Wir werden siegen“, erklärte er überzeugt.
Lucifer blieb stehen, sah mich fröhlich an und breitete seine Arme auseinander. Über uns riss der Himmel auf und ein Höllenfeuer erschien, woraufhin ich aufschrie und mich sofort erschrocken duckte. Abertausende Geschöpfe blickten mich wehleidig an und schrien schmerzvoll auf. Sie jammerten um Erbarmen, flehten um Gnade und beteuerten, dass sie ihre Fehler bereuten. Aber für sie kam jegliche Reue zu spät. Gott hatte sie verlassen und sie in die Finsternis verbannt. Zu ihrer Lebenszeit waren sie unbarmherzig gewesen und hatten ihre Schandtaten nie aufrichtig bereut. Sie waren gefangen und mussten bis in die Ewigkeit unendliche Qualen erleiden. Eine unbeschreibliche Folter, die niemals enden wird. Als Satan seine Hände zusammenklappte, schloss sich zugleich dieses grausame Szenario, zugleich verstummten die wehleidigen Schreie.
„So, mein Freund, nun erläutere ich dir deinen Part. Also, horch gut zu und lausche. Du musst verstehen, es kotzt mich einfach schlichtweg an, dass mir ausschließlich der menschliche Abfall zusteht. Damit gebe ich mich nicht zufrieden. Mein Königreich ist ein anständiges Reich, wir sind eine großartige Legion und ich will mir meine Seelen selbst aussuchen, die für mich arbeiten und wiederum gute Seelen rekrutieren. Schließlich befinden wir uns im Krieg mit den Anderen, schon immer war das so. Je unbescholtener und gütiger die Seele ist, desto interessanter ist sie für mich. Sie sind zwar schwer zu bekehren, aber die meisten halten dafür die schmerzhaftesten Torturen stand, und letztendlich werden sie mir dienen, weil ihre Liebe zu ihrem Verhängnis wird. Genauso wird es auch dir ergehen … andernfalls kann ich dich nicht verwerten und reiße dich in Stücke“, meinte er gleichgültig. „Eure biologische Welt ist nur ein riesen großer Haufen Scheiße, die von bedauerlichen Kreaturen bewohnt und regiert wird. Und irgendwann wird es vorbei sein und ich prophezeie dir, dann wird die andere Seite versuchen meine guten Leute zu bekehren, um sie zu sich zu holen. Das lasse ich nicht zu. Ich lege sehr großen Wert auf Loyalität und verlange von dir, dass du freiwillig, aus tiefster Überzeugung für mich arbeitest. Andernfalls wird es deinen Eltern, deinen Freunden und insbesondre deiner Tochter sehr, sehr schlecht ergehen. Erinnere dich an unseren Vertrag. Vertrag unterzeichnet bedeutet: Vertrag erfüllen!“
Ich war gefangen in der Hölle, weil ich damals in Rumänien einen kuriosen Vertrag unterschrieben hatte, um eine Schreibfeder zu erhalten, die mir Ruhm und Reichtum bescherte. Dummerweise konnte ich damals die Bedingungen nicht entziffern, weil es mit einer fremdartigen Schrift verfasst wurde, diese Schrift ausschließlich Engel verwenden. Mit meinem leichtfertigen Einverständnis hatte ich also nicht nur einen persönlichen Pakt mit dem Teufel geschlossen und mich nach meinen Ableben zum Sklaven der Finsternis verpflichtet, sondern zudem auch meine Eltern, meine Freunde und alle diejenigen in die Hölle verbannt, die mich liebten und mich unterstützten. Aufgrund meines damaligen jugendlichen Leichtsinns und Ungläubigkeit, nur weil ich um jeden Preis ein berühmter Schriftsteller werden wollte, stand nun Satan sogar meine geliebte Tochter zu. Mein Ein und Alles. Verzweifelt fiel ich erneut vor seine weißen Lackschuhe und flehte ihn an, dass er diesmal eine Ausnahme machen und wenigsten meine geliebte Shirley verschonen sollte. Doch er blickte nur kaltherzig auf mich herab.
„William, steh sofort auf oder du lernst mich kennen! Du bist ein auserwählter Anwärter für ein äußerst verantwortliches Amt. Ich bin im Begriff dir uneingeschränkte Macht zu verleihen, dich in den Rang eines Engels zu erheben. Ich weiß aber, dass du dir momentan nicht im Geringsten vorstellen kannst, was dies für dich bedeuten wird. Darum werde ich für deinen Unmut vorerst Verständnis zeigen … aber nur vorerst!“, betonte er mahnend mit erhobenem Zeigefinger. „Heulsusen, wie die anderen drei Kandidaten vor dir, dulde ich in meiner Armee nicht. Du wirst deine Leute nie wiedersehen, begreife das jetzt endlich!“, ermahnte er mich. Da ich ihm sowieso ausgeliefert war, stand ich wieder auf und blickte ihm ausdruckslos in die Augen.
„Ich habe dir doch erklärt, dass ich Leute mit Eier brauche. Eier, verstehst du eigentlich, was ich meine?“, fragte er ernst und hielt mir seine Faust entgegen. Als er seine Hand öffnete, blickte ich auf einen blutverschmierten menschlichen Hoden, der pulsierte. Dieser ekelhafte Anblick war dermaßen erschreckend, sodass ich einen kurzen Schrei losließ und angewidert einige Schritte rückwärtsging. Lucifer lachte, als die Hoden zerplatzten und zwei kuschelige Küken herausschlüpften, die piepsend von seiner Hand sprangen. Entsetzt blickte ich ihn an.
„War nur ein kleiner Scherz, William. Bist du mir jetzt böse?“, fragte er gespielt ernst mit einem unschuldigen Blick.
„N-nein Sir, es ist alles in Ordnung. Aber ich bitte Sie zutiefst … wenn Shirley stirbt, lassen Sie sie bitte, bitte frei.“
Lucifer wankte schmunzelnd mit dem Kopf.
„Willie, Willie, Willie, Willie … ich kann absolut nicht nachvollziehen, weshalb du so an deiner missratenen Tochter hängst. Gib doch zu, diese Kreatur auf Rädern war doch nur lästig, sie ging dir doch voll auf den Sack und hat dir nur Arbeit, Peinlichkeit und Ärger beschert. Sei doch jetzt froh, dass du sie für immer los bist.“
Ich schaute ihn emotionslos an. Auf seine Psychotricks wollte ich nicht weiter reinfallen. Er starrte mich intensiv an und nickte dabei lächelnd.
„Du musst nicht antworten, denn es ist wiedermal die verfluchte Liebe, die auch deinen Verstand verseuchte. Dafür habe ich sogar Verständnis, weil Liebe, genauso wie Gnade und Barmherzigkeit, einfach nur grässlich ist und einem den Verstand raubt. Aber auch dir werde ich dieses hinderliche Gefühl noch austreiben, dafür du mir bald gar dankbar sein wirst. Und zwar schon sehr bald, mein Freund. Verlasse dich darauf, ansonsten kann ich dich nicht gebrauchen, was für dich und vor allem für deine Liebsten äußerst bedauerlich wäre. Denn falls du versagst, so wie deine drei Vorgänger, waren all das Leid und die Schmerzen, die dir noch bevorstehen, bevor ich mich entschließe dir göttliche Fähigkeiten zu verleihen, für dich leider vergebens.“
Er verschränkte seine Hände wieder hinter dem Rücken und wanderte wortlos um mich herum. Und wenn wir uns in die Augen sahen, lächelte er nur. Nach einer Weile starrte ich nur noch vor mich her und dachte an Shirley. Niemals durfte sie diesem Ungeheuer in die Klauen geraten. Dafür würde ich sogar meine Existenz opfern. Leider war auch er allmächtig, jedenfalls in seinem Reich, und vermochte meine Gedanken und Gefühle zu wissen. Nachdem er mich unzählige Male umrundet hatte, brach er endlich das Schweigen.
„Ich weiß, du bist bereit dich zu opfern, nur damit deine Tochter gerettet wird. Deine Einstellung gefällt mir außerordentlich, nur wirst du mir nichts nützen, wenn du dich nicht freiwillig fügst.“
„Doch, das werde ich. Ganz gewiss sogar!“, antwortete ich entschlossen.
„Ja, ja, wenn das mal so einfach wäre … Wenn das mal so einfach wäre, William“, antwortete er. Wieder hielt er einen Moment inne und umkreiste mich, während er seine Hände hinter dem Rücken verschränkt hielt. Angespannt hielt ich unseren Blickkontakt – er lächelte mich nur an.
„Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln. Er weidet mich auf einer grünen Aue und führet mich zum frischen Wasser. Er erquicket meine Seele … bla-bla-bla und so weiter und so fort“, zitierte er aus der Bibel. „Jeder Vater, jede Mutter, ist ein Hirte und das Kind ist das Schaf. Euer Kind war sogar ein ewiges Lamm und ihr habt es noch vor seiner Geburt zum Schlachthof geführt!“, sprach er mit strenger Stimme, woraufhin ich ihn verdutzt anblickte.
„Was soll das bedeuten? Ich war doch ein guter Vater. Ich habe begriffen, Ihnen nichts vormachen zu können. Ja … manchmal war ich mit den Nerven fertig und ja … oftmals hatte ich mir eine gesunde Tochter gewünscht. Aber ich liebe sie trotzdem, so wie sie ist! Egal ob sie krank oder gesund ist!“
Lucifer grinste.
„Da muss ich dir vorweg etwas erklären, mein lieber Willie. Ich bin nicht rechts, ich bin nicht links, sondern ich bin geradeaus. Darum sage ich es dir jetzt mitten ins Gesicht, dass du an allem schuld bist. An allem! Du hattest das Geld, du hattest die Macht. Du bist schuld daran, dass deine Eltern umkamen, denn sie hatten sich im Auto wegen dir mächtig gestritten, bevor sie in den heranfahrenden Truck gekracht waren! Du bist daran schuld, dass deine chinesische Freundin nun irgendwo auf dem Mount Everest tiefgefroren in einem Gletscher liegt, du hättest ihr diese Dummheit ausreden sollen oder zumindest mitgehen müssen, dann wäre sie heute noch am Leben. Du bist außerdem schuld daran, dass deine Frau Kokainsüchtig wurde, völlig abgestürzt ist und letztendlich den armen Lewis Dickson ermordete. Es hätte dir zwar eine Zeit lang Ärger bereitet, wenn du für sie keinen Stoff mehr besorgt hättest, aber letztendlich wäre alles gut geworden und ihr hättet ein glückliches Leben geführt. Deine Penny war eine labile Person, aufbrausend zugleich, dies zugegeben einschüchternd gewesen war. Dennoch hättest du sie in den Griff kriegen können. Aber du hattest dich damals entschieden, zu feiern. Hätte ich genauso gemacht“, zwinkerte er mir lächelnd zu. „Zu sündigen und den Apfel einfach doch zu kosten, ist einfach unwiderstehlich und geil. Stimmt’s mein Freund? “
Er grinste mich an und schwieg eine Weile, bevor er weitersprach.
„Ich will gar nicht ins Detail gehen und über alle deine Lebenssünden zu diskutieren, beispielsweise darüber zu sprechen, dass du in deiner Jugend zu feige warst, einen Mord anzuzeigen. Ich muss dir gestehen, dass auch ich nicht weiß, wie euer lieber Gott solchen Krimskrams beurteilt, aber sicherlich ist dies für ihn nur nebensächlich und würde es verzeihen. Mir geht es aber um etwas ganz anderes, etwas Gravierendes“, sagte er. „Du bist daran schuld, dass deine Tochter ein geistesgestörter Krüppel geworden ist, sage ich dir. Du und deine bekloppte Schlampe seid für das jämmerliche Schicksal eurer Tochter verantwortlich. Was sagst du dazu?“, fragte er mit einem fröhlichen Gesichtsausdruck.
Einen Moment überlegte ich, denn ich wollte ihn nicht erneut provozieren, indem ich ihn als einen Lügner darstellte.
„Sir, nein. Hören Sie mir bitte zu, lassen Sie mich bitte erklären … Shirley kam bereits geistig behindert auf die Welt und zudem erkrankte sie an der Kinderlähmung. Sie wurde 1973 geboren … Die Ärzte konnten damals nichts machen weil … die Medizin war doch noch nicht soweit und …“, stammelte ich.
„Ach, William, hör mit deinem beschissenen Gelaber auf“, fiel er mir plötzlich verärgert ins Wort. „Belästige mich nicht mit Bullshit, bevor ich wieder ausfällig werden muss. Das willst du doch nicht, oder? Die Quacksalber hatten dir die Wahrheit vorenthalten, sie hatten dich allesamt mächtig verarscht, mein Freund. Aus Angst, dass du das Hospital verklagst. Dein Rechtsanwalt George ist bemerkenswert, ich freue mich schon darauf, auch ihn bald begrüßen zu dürfen. Damals warst du schon prominent, das war ein großes Problem für ein staatliches Krankenhaus. Du hattest jahrelang tagtäglich harte Drogen konsumiert und hast gesoffen wie blöd, wie auch deine Schlampe. Die Ärzte hatten es gewusst, dir aber trotzdem diese Wahrheit nicht offenbart.“ Er griff mir ins Gesicht und sah mich gefährlich an, wobei es sich anfühlte, als würde mein Kopf in einer Schraubzwinge stecken.
„Es ist nämlich nicht ratsam sich zu paaren, wenn man mit dem Scheiß verseucht ist. Das ist wie eine Krankheit, da muss man erst abwarten, bis man vollständig gesund ist. Weil, die kleinen Gene feiern nämlich Karneval und spielen, bekloppt wie sie in solch einem Zustand sind, die Reise nach Jerusalem. Dann wandert das eine Gen dahin, das andere Gen dorthin, wo es eigentlich gar nicht hingehört.“ Er breitete seine Arme und schmunzelte. „Und heraus schlüpft ein: Würmchen. Du-bist-schuld. Nur du! Du hast letztendlich das missratene Leben deiner Tochter zu verantworten. Wie schade, denn sie wäre eine wirklich kluge, hübsche Frau geworden. Übrigens“, Lucifer prustete und schüttelte mit dem Kopf, „die Schreibfeder war gar nicht vonnöten. Du wärst auch ohne diese berühmt geworden. Zwar nicht dermaßen beeindruckend rasch, aber du hättest es mit Mühe und den erforderlichen Tiefen letztendlich geschafft“, lächelte er.
Ich war völlig sprachlos, konnte mich nicht mehr auf den Beinen halten und stürzte erneut vor ihm auf die Knie. Ich wollte weinen, aber es ging nicht. Insgeheim hatte ich es später, viele Jahre später, geahnt, dass unser massiver Drogenkonsum den verheerenden Gesundheitszustand unserer Tochter eventuell ausgelöst haben könnte, aber diesen Gedanken hatte ich immer wieder sofort verdrängt. Davon wollte ich nichts wissen, mit dieser Schuld wollte ich nicht leben. Lucifer beugte sich über mich und verhöhnte Shirley, indem er ihr Gebrabbel nachahmte und sich über sie lustig machte. Das gruselige daran war, dass er exakt mit ihrer Stimme sprach: Daddy dumm, Daddy böse.
„Bitte verschonen Sie meine Tochter, ich werde dafür freiwillig für Sie dienen. Das verspreche ich mit meiner Existenz. Aber bitte, bitte verschonen Sie Shirley“, sprach ich resignierend.
Lucifer lächelte.
„William, du gefällst mir“, antwortete er. „Du gefällst mir sogar außerordentlich. Normalerweise lasse ich nicht mit mir feilschen, aber ich muss dir gestehen, dass ich deine Leute hier auch gar nicht bei mir haben will. Insbesondre geht mir deine Mutter ziemlich auf den Sack; ständig quasselt sie von Gott und dieser Barney ist nicht viel besser. Deine Penny ist ebenfalls unausstehlich, die ist ziemlich hartnäckig geworden und zitiert ebenfalls nur noch aus der Bibel. Also, früher hat sie mir besser gefallen. Ebenfalls nervt mich dein bescheuerter Kumpel, der so dämlich war und sich in Vietnam selber in den Kopf geschossen hatte. Oh Mann, der ist vielleicht eine Heulsuse, kann ich dir sagen. Und wenn ich daran denke, dass mir bald diese Kreatur auf Rädern zwischen den Beinen fährt und mich ständig auffordern wird, dass ich mit ihr Mensch-ärgere-Dich-nicht spielen soll, graut es mir. Ich will diese Leute nicht bei mir haben aber auch ich muss mich an unseren Vertrag halten. Ich mache diesmal eine Ausnahme und werde sie alle frei lassen, insofern du dich mir fügst und deine Ausbildung zu einem Engel erfolgreich absolvierst. Du wirst das Leid und die Schmerzen, welche du in jedem Roman deinen Protagonisten zugefügt hast, selbst erleiden. Das wird nicht einfach für dich werden, deine Vorgänger haben kläglich versagt und somit sich, genauso wie ihre Liebsten, für immer und ewig in die Verdammnis verbannt. Was dies bedeutet, muss ich dir sicherlich nicht mehr weiter erläutern. Aber weil ich anständige Seelen wie dich brauche, mache ich diesmal eine Ausnahme und würde auch deine Tochter nicht aufnehmen.“ Er grinste. „Damit du siehst, was für ein netter Kerl ich doch eigentlich bin. Ich hoffe für dich, dass du es durchstehst. Falls nicht, wird besonders deine Tochter büßen, wenn sie hier mit ihrem Stoffhasen angerollt kommt und bescheuert wie sie ist, zuerst nach Marshmallows fragen!“, fauchte er bösartig, wobei seine Augen plötzlich rot glühten.
„So, mein Lieber … los geht’s. Deine Ausbildung wird Lucius Ariel übernehmen … dein Schutzengel. Ihn kennst du ja schon. Jedenfalls kennt er dich sehr gut. Ich gebe dir jetzt einen gut gemeinten Tipp, von Freund zu Freund. Jammer nicht allzu vor Schmerzen, denn er ist etwas sadistisch veranlagt und das törnt ihn an. Lucius ist wirklich ein ganz, ganz böser Junge. Manchmal“, fügte er schmunzelnd hinzu, „ja, manchmal macht er mir wirklich Angst.“
William Carter kauerte immer noch auf seinen Knien und sah zu, wie sich Lucifers Gestalt veränderte. Sein weißer Herrenanzug löste sich langsam auf und ein knabenhafter, nackter Oberkörper kam zum Vorschein. Nun offenbarte Er seine wahre Gestalt. Sein schwarzes Haar wuchs ihm über die Schulter und sein kantiges, von Furchen gezeichnetes Gesicht verwandelte sich in ein makelloses, hübsches jugendliches Antlitz. Er war betörend, voller Anmut, ein Geschöpf, dem kein lebendes Wesen hätte sich entziehen können. Sein Anblick war wundervoll, berauschend wie Heroin und göttlich, zugleich aber auch furchterregend. Bekleidet war Er lediglich mit einer hautengen, schwarzglänzenden Hose und über seinem Haupt leuchtete eine bläuliche Glorie. Der jüngste Erzengel Lucifer, von Gott persönlich erschaffen, streckte seine Arme auseinander. Aus seinen Händen und nackten Füßen floss plötzlich Blut heraus. Seine bläuliche Glorie schimmerte über seinem Haupt. Dann breitete er seine mächtigen Schwanenflügel auseinander.
„Sieh nur hin, William, was sie mir angetan haben!“, schrie er wehleidig mit einer kindlichen Stimme. „Das wirst auch du erleiden, und sie alle werden es uns büßen! Du und ich, wir werden es der anderen Seite heimzahlen!“
Ein furchtbarer Schrei ertönte, als ihn ein mächtiges Höllenfeuer umgab. Lucifer ließ sich von den gewaltigen Flammen verzehren, und lachte dabei. Eine teuflische Kinderlache schrillte, die einem den Atem vor Grauen stocken ließ. William ging einige Schritte zurück und musste entsetzt mitansehen, wie der Erzengel von der Feuerbrunst verbrannte, bis nur noch ein hässlicher Drache vor ihm stand, der mit seinen durchlöcherten Flügeln flatterte. Obwohl William tot war, spürte er die gewaltige Hitze. Lucifers hässliche Fratze fletschte mit seinen gewaltigen, spitzen Zähnen und spie Feuer. William hielt sich schützend die Arme vor seinem Gesicht, und wurde von einer Feuerwalze verschluckt.