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4 Seiten

Damals 6.Kapitel

Romane/Serien · Erinnerungen
© axel
6. Kapitel
Es kam wie es kommen musste. August verlor nicht nur alle seine Ländereien, auch schließlich sogar sein herrliches Gutshaus.
Er, seine Frau und sein inzwischen fünfjähriges Kind mussten in eine Kate ziehen, die eigentlich unten ein Stall für Kühe, oben ein mit einer Luke versehener Heuschober gewesen war. Diese Hütte befand sich weit entfernt vom heimischen Dorfe und auf einem recht steilen Hügel. In dem kleinen Tal hatte August noch ein kleines Weideland für Ziegen. Obwohl die Familie wirklich am Hungertuche nagte, brachte es Marlene nicht fertig als Magd bei einem der Großbauern in der Nähe zu arbeiten. Das geschah weniger aus Faulheit, eher aus Furcht ihre Familie zu blamieren, denn wenn eine Frau arbeitete, war das ein sicheres Zeichen dafür, dass der Mann die Familie nicht wirklich ernähren konnte. Es war eine Schande und dies erst recht für eine Adelige. August schien das nicht zu kümmern. Er schlief am Tage seinen Rausch aus und jeden Abend ertränkte er aufs Neue seine tiefe Enttäuschung über die Abgründe des Lebens in jenem Alkohol, den er sich noch vom restlichen Geld hatte kaufen können.
Marlene war trotz aller Vorsicht wegen des schlechten Lebenswandels ihres Gatten zu einer Ausgestoßenen geworden. Wenn sie mal einkaufen ging, tuschelte man im Dorfe über sie und grinste hämisch. Sie wusste dass sie in den Adelskreisen längst dazu verdonnert worden war, nur über den Hintereingang der Villa ihres Bruders, der den gesamten Besitz der Familie geerbt hatte, zu ihrem Vater zu gelangen, wenn sie mal Hilfe brauchte. So peinlich war sie allen inzwischen geworden. Dennoch half man ihr mit Nahrungsmitteln und anderem Wichtigen notdürftig aus, damit sie nicht etwa auf den Gedanken kam, zu arbeiten.
Das kleine Grundstücks der Furths lag zum einen Teil auf einem Hügel und zum anderen in einem Tal, das umkränzt war von einem der dichten dunkelen Tannenwald Ostpreußens. Hier in den Masuren gab es zahlreiche Seen und kleinere Tümpel. Es war alles noch sehr, sehr urwüchsig. Elche schlichen durch den Wald kamen über Lichtungen direkt in die Nähe der Hütte, Füchse waren an der Tagesordnung, sehr zum Leidwesen der kleinen Familie, denn sie besaßen nur ein paar Hühner, die Marlene von ihrem Bruder erhalten hatte. Eines Tages als Marlene wiedermal am Ufer des kleinen Sees die Wäsche ihrer Familie unter Tränen wusch, rappelte sich August auf, spannte Marlenes treuen Trakener vor den Pflug und bereitete Ackerland für ein winziges Weizenfeld vor. Er sagte, er könne seine Familie nicht mehr länger leiden sehen. Der Wallach war jedoch unterernährt, schlecht versorgt und total erschöpft, denn August hatte im Suff, um seine „treuen“ Freunde zu behalten und um wieder mehr Achtung bei ihnen zu erlangen, denn auch sie machten sich inzwischen über ihn lustig, das schon entkräftete Tier für deren Ackerarbeiten mehrmals an sie verliehen.
Und so brach das edele Tier, das ohnehin nicht für solche Ackerarbeiten geeigenet war zusammen und starb in den Armen der schluchzenden Marlene. Sie wurde schließlich zornig beschimpfte August wüst, denn sie wusste ja nicht, dass Alkoholismus und Spielsucht eine schwere Erkankung waren. In diesem Moment fürchtete sie nicht seinen Zorn, nannte ihn den größten Vollidioten aller Zeiten und listete dann auch noch alles Weitere auf, was bei ihm schief gegangen war. August wusste, dass jedes Wort von dem, was sie ihm zischelnd entgegen schleuderte, wahr war, doch seine Wut richtete sich diesmal nicht gegen sich selbst. Er schlug nicht gegen Wände, sondern gegen diese verhasste Frau, die ihm so weh tat, die ihn mit Worten so tief verletzte als hätte sie ein spitzes, langes Messer bei sich, mit dem sie ihm tödliche Wunden zufügen wollte. Er fühlte sich, als befände er sich in höchster Gefahr und von ihr bereits gepackt.
Das war auch der Fall, denn sie hielt ihn nun am Arm fest, weil sie begriffen hatte, wie sehr sie ihn gereizt hatte, um ihn doch noch zu beruhigen. Aber es war zu spät. Er war völlig verzweifelt. Er glaubte an nichts Gutes mehr, nicht einmal mehr am sich selbst. Er war dem Selbstmord nahe. Ein roter Schleier senkte sich über seine Augen, er schüttelte Marlene von sich ab und dann schlug er zu, immer wieder und wieder. Er drosch auf das arme Häuflein Elend ein, auch noch als es blut überströmt am Boden lag. Seine Wut legte sich nicht im Geringsten. Nun lief er sogar zum kleinen Schuppen und schwang wenig später wild schreiend die Axt.
Marlene war für einen kurzen Moment ohnmächtig gewesen, doch nun rappelte sie sich in heller Panik hoch. Entsetzen stand in ihren weit aufgerissenen Augen geschrieben, als sie versuchte auf wackeligen Bein fortzurennen. Sinnloser Weise schrie sie um Hilfe, doch niemand konnte sie in dieser Einsamkeit hören, denn das nächste Gehöft war zwei Tagesreisen von hier entfernt.
In ihrer Verzweiflung taumelte sie irrwitzig ums Haus. August war aber betrunken, denn er hatte vorhin Einiges an Alkohol in sich hinein gekippt, als er seine Frau bei dem toten Pferd hatte hocken sehen, und war deswegen auch nicht gerade schnell. Doch seine Flüche wurden immer lauter.
Das hörte auch die Kleine, die gerade von ihrem Mittagsschläfchen wach geworden war. Noch im Nachthemd stürmte die sechsjährige aus dem Haus und kam gerade in jenem Moment bei den Zweien an, als der Vater mit der Axt ausholte und die Mutter am Boden kauerte und wimmernd um ihr Leben flehte. August hatte in diesem Moment kein Erbarmen mit dieser Frau, die, wie er fand, als ein giftiger Dorn in seinem Fleische saß. „Nein, Papa tue das nicht!“ , rief Erna von weitem und dann warf sie sich noch im letzten Moment zwischen ihre Mutter und ihrem Vater. „Mach` die Mama nicht tot!“ Die Kleine weinte fürchterlich. August hielt die Axt immer noch erhoben, bereit zuzuschlagen. Mit zornesrotem Gesicht starrte er auf das Kind mit den blonden Locken, hinter welchem sich inzwischen Marlene möglichst klein gemacht hatte, um sich zu verstecken. Ja, sie zog die Kleine in ihrer Panik jetzt sogar fest an sich, um sie als Schild zu benutzen. Wusste sie doch, wie sehr August dieses Kind in Wahrheit liebte und dass er noch niemals seine Hand gegen es erhoben hatte. „Lass sie los!“, brüllte August.
Marlene reagierte nicht, stattdessen zitterte sie am ganzen Körper. „Nein“, sprach die Kleine für ihre Mutter und wischte sich die Tränen aus ihrem Gesicht. „ Erst bis du Mama versprochen hast, so etwas …nie ….nie wieder zu tun!“
Er sah in diese großen verweinten Kinderaugen und plötzlich ließ der bärenstarke Kerl die Axt sinken. Ja, er warf sie sogar seit von sich fort, ging in die Knie vor seiner Tochter und stammelte : „ Ja, ich verspreche es. Ich werde es wirklich nie …nie wieder tun! Willst du mir glauben?“
„Ja, ich glaube dir!“, stieß sein Kind gepresst hervor. „ Ich weiß, dass du immer hältst was du versprichst!“ Das war zwar nicht der Fall, aber sie sagte es einfach. Mit festem Blick in sein aufgebrachtes Gesicht, fügte sie noch hinzu: „ Ich glaube an dich, Papa!“ Und dann legte Erna ihre dürren Ärmchen, sie waren dürr, weil sie kaum genug zu essen bekam, um den kräftigen Hals ihres Vaters und drückte ihren kleinen Körper fest an ihn. „Wirklich, du glaubst an mich?“ , fragte er fassungslos. Sie nickte. „Ich liebe dich, Papa !“ Da legte er sein Kinn auf ihr blondes Wuschelhaar und weinte so heftig, wie er das in all den Jahren zuvor noch nie getan hatte. Zögernd näherte sich die Mutter und legte ihre blutverschmierten Arme um die beiden. „Ich liebe euch auch!“, stammelte sie und küsste August mit ihren geschwollenen Lippen.
Von nun an, erhob August nie mehr die Hand gegen seine Frau. Er hielt Wort, weil er wusste, dass seine Tochter an seine Worte glaubte und dass sie ihn lieb hatte. Er spielte nicht mehr um Geld und Besitz, aber das Trinken ließ er nicht sein. Doch wurde es mal allzu zu schlimm, gemahnte ihn die Tochter und er riss sich zusammen. Auf seine Frau hörte er nie.
Erna bekam später auch Einfluss über ihre Mutter und erreichte bei ihr, dass sie August keine Vorwürfe mehr darüber machte, dass er sie nie standesgemäß, soll heißen ihrem Adel entsprechend, hatte verwöhnen können. So war diese Ehe einigermaßen zu ertragen für alle drei.
Jener schreckliche Moment von damals aber hatte Ernas Charakter sehr geprägt. Sie war von da an bereits erwachsen geworden. Eine Sechsjährige hatte in diesem Augenblick erkannt, dass man das Leben selbst in die Hand nehmen, dass man dafür kämpfen kann. Und dass man scharf beobachten sollte. Sie hatte erfasst, dass alle diejenigen, die meinen über andere bestimmen zu können, nicht unbedingt die Klügsten sein müssen. Sie wusste von nun an, dass jeder Mensch sehr wichtig ist für diese Welt und sei er noch so klein und unbedeutend, er sollte niemals von vornherein aufgeben. Nach diesen Grundsätzen richtete sie ihr ganzes zukünftiges Leben aus und reichte dieses Wissen sogar an mich, ihren Enkel weiter.

Vorläufiges Ende der Geschichte über meine Großmutter Erna. Der nächste Teil behandelt die Erlebnisse meines Großvaters Julius
 
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Kommentare  

Ein starkes Kapitel. Hier trifft zu: Die Liebe
versetzt Berge.
Besonders die Liebe eines Kindes. Sehr rührend.
Gruß von


rosmarin (20.05.2023)

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