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Blau mit Wolken

Nachdenkliches · Kurzgeschichten
Er durfte sich seiner Frau nur noch bis auf 3 Meter nähern, so hatte es das Gericht entschieden. 1x am Monatsende trafen sie sich an der Talstation einer bekannten Sesselbahn, dann fuhr er alleine den Berg hinauf, auf dem sie sich vor einigen Jahren bei einer Après-Ski-Party kennengelernt hatten. Wenn er an der Bergstation ankam, blieb er sitzen, während zur gleichen Zeit seine Ex-Frau unten in der Talstation den Sessel bestieg. Kurz bevor die beiden in der Mitte der Bahn aufeinandertrafen, feuerte sie aus einer Startpistole einen Schuss ab, der bis zur Talstation zu hören war. Dann stellte man die Bahn unverzüglich ab, so war das mit der Betriebsleitung abgesprochen worden. Diese Szene spielte sich jeweils kurz vor der morgendlichen Eröffnung der Bahn ab.

An einem Februarsonntagmorgen sassen sie sich wieder einmal leicht versetzt auf ihren Sesseln gegenüber bei Temperaturen um den Gefrierpunkt herum. Sie schaute mit eisigen Backen nach oben, er nach unten. "Du schuldest mir noch Geld für unseren Sohn", sagte sie. "Ich weiss", sagte er, "und sonst hast du mir nichts zu sagen?" "Der Himmel ist hier speziell blau", sagte sie. "Das war er beim ersten Mal auch gewesen. Warum ist alles nur so gekommen?", fragte er. "Es ist jetzt, wie es ist, und es ist gut so. Aber bis Ende Monat hast Du die Schulden beglichen, sonst ..." Dann nahm sie die Startpistole wieder hervor und feuerte einen Schuss in den Himmel ab. Die Sessel setzten sich wieder in Bewegung, sie fuhr nach oben, er nach unten. Dann kreuzten sie sich in der Mitte der Bahn noch einige Male, ohne dass sie miteinander gesprochen hätten, bis er an der Talstation ausstieg, zum Auto ging und davonfuhr. Sie stieg an der Bergstation aus, ging auf die Sonnenterrasse, setzte sich in einen Liegestuhl und legte eine warme Wolldecke über ihren Körper. Dieser Himmel ist wirklich so blau wie damals, dachte sie, aber damals hatte er keine Wolken gehabt. Und die hatte sie im Laufe der Jahre lieben gelernt.
 
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