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3 Seiten

Der ganze Unterschied

Nachdenkliches · Kurzgeschichten
Ein Mensch besteht aus Empfindungen; aus einem Konglomerat aus vielen unterschiedlichen, sich gerne auch widersprechenden Denkmustern, die alle zusammengenommen die Identität einer Person ausmachen. Es sind Kräfte und Gegenkräfte, die einerseits intrinsisch, auch schon ohne Zutun, am Wirken sind und die zusätzlich durch extrinsische Einflüsse noch weiter beeinflusst werden, indem sie äußerliche Reize aufnehmen, diese auf eine spezifische Art verarbeiten und darauf beruhend Resonanzen erklingen lassen.

Dieses ganze Wirken kann durch ein Ich, durch ein Bewusstsein, zumindest im gewissen Rahmen, gesteuert werden. Allerdings kann sich das Ich, das Bewusstsein, auch vollständig von der Wirkung steuern lassen. Beide extreme und gleichzeitig auch viele Couleurs dazwischen sind möglich. Doch in jedem Individuum gibt es auf jeden Fall immer bestimmte Tendenzen. So auch in jedem anderen System.

Systeme entstehen einfach so, ohne irgendein übergeordneter Wille. Und zwar durch das Wirken vieler einzelner Einflüsse, die alle zusammengenommen eine Einheit bilden. Doch das Wesen dieser Einheit kann nicht dadurch verstanden werden, dass es in seine Einzelteile zergliedert wird und die einzelnen Glieder genauer unter die Lupe genommen werden. Denn das Ganze ist stets mehr, als die Summe seiner Teile.

Wir alle sind ein Teil eines Systems. Wir alle spielen stets eine bestimmte Rolle darin. Wir alle beeinflussen das Ganze, schon alleine mit unserer Anwesenheit. Denn schon alleine diese stellt eine Beeinflussung dar; lässt es in irgendeiner Weise reagieren; eine Resonanz entstehen. Und diese Resonanz lässt selbst wieder eine Resonanz entstehen. Und so fort und so fort.

Ein System reagiert im Gesamten gesehen auf einen Einfluss von innen oder von außen entweder positiv oder negativ katalytisch. Erst mit Hilfe dieser Resonanz ist es möglich, bewusst mit einem System zu kommunizieren und mit Hilfe dessen die zukünftigen wahrscheinlichen (!) Reaktionen auf einen bestimmten Reiz vorherzusehen.
Jede einzelne Reaktion ist dabei nur ein Phänomen, das von sich aus nicht wirklich etwas über die Gesamtheit aussagen kann. Jede weitere Reaktion ebenso wenig. Dies gelingt erst einer Anzahl, die statistische Relevanz hat. Und exakt dieser Umstand macht die Statistik zu einem heißumkämpften Feld bei jedwedem Erkenntnisprozess. Man denke dabei nur an den berühmten Satz von Winston Churchill: „Traue keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast.“

Systeme haben ihre ganz eigenen Gesetze. Und es ist möglich, diese ganz ohne Wertung zu beschreiben, weshalb man mit Hilfe dieser Art von Denken Phänomene immer auch objektivieren kann. Zumindest scheinbar, ohne dabei selbst etwas hinzu zu tun.
Doch ist diese Herangehensweise auch menschlich? Verlangt nicht der Mensch geradezu nach einer Emotion? Giert er nicht förmlich nach einer Resonanz, die gerade nicht objektiviert ist? Die menschlich ist? Die selbst etwas hinzu tut? Die einen selbst wieder reagieren lässt? Verlangt es uns nicht danach? Ist es nicht geradezu ein Bedürfnis von uns, weil es uns einerseits an eine Selbstwirksamkeit glauben lässt, und andererseits die einzige Möglichkeit darstellt, etwas über uns selbst zu erfahren? Und ist nicht gerade die Erfahrung einer Selbstwirksamkeit genau das, was uns überhaupt erst selbstbewusst werden lassen kann? Weil wir nur so sehen können, dass unser Tun auch eine Auswirkung auf das Geschehen um uns herum hat?

Die Objektivierung hat seine Vorteile. Doch es sorgt zwangsläufig immer auch für eine Entmenschlichung unserer darauf beruhenden Wirkung; unserer Reaktionen. Menschlich kann nur die emotionale Reaktion sein. Denn sie ist es, die unseren Kern repräsentiert, unseren Mandelkern. Also der Teil unseres Gehirns, der evolutionär zuerst entstanden ist; der in bestimmten Situationen, zum Beispiel in Situationen großer Gefahr, die Regie übernimmt, sowohl über unser Denken, als auch über unser Handeln. Es ist der Teil von uns, der noch sehr stark im Tierreich verhaftet ist; unsere animalische Seite, die zum Beispiel auch im Rahmen unseres sexuellen Verhaltens zu Tage tritt. (Wie groß wohl der Anteil menschlichen aggressiven Verhaltens auf eine Sublimierung unerfüllter sexueller Energien zurückgeht? Die diesbezügliche Relevanz lässt sich wahrscheinlich gar nicht überschätzen.) In diesem Teil von uns gibt es keine Zweifel. Auch keine Vernunft. Dort wird nichts abgewägt, sondern nur gehandelt. Und zwar instinktiv.

Wir sind so sehr den Tieren gleich, dass es geradezu als Anmaßung erscheinen muss, irgendetwas anderes zu behaupten. Dennoch sind wir gleichzeitig wohl doch noch etwas anderes. Denn wir sind Wesen, die in Bezug auf das eigene Selbst eine Vorstellung haben. Eine Fähigkeit also, die man den Tieren und den Pflanzen oftmals abspricht. Wir sind Wesen, die auch planvoll handeln können; die sich in jeder Situation für unterschiedliche Handlungsweisen entscheiden können; die auch eine positivistische Idee von Gut und von Böse haben, also von Moral. Kann zum Beispiel auch ein Baum eine Vorstellung von Moral haben? Diesbezüglich müsste man wohl bei Peter Wohlleben mal nachfragen. Denn wenn dies jemand wissen könnte, dann ja wohl er.

Unstrittig bleibt, dass wir Menschen Tiere sind. Vielleicht nur eine etwas exzentrische Art. Wir haben sowohl tierische Anteile in uns, die tief verankert sind, als auch spezifisch menschliche. Und beides ist untrennbar in uns vereint. Beides kann jederzeit dominieren: Unsere rationale, als auch unsere irrationale Seite. Werden wir aber gerade von einer Seite dominiert, können wir dennoch jederzeit wieder in die andere Richtung umschlagen. Oder wir können auch irgendwo dazwischen liegen. Aber wie es auch sein sollte, mit einer Tendenz werden wir dabei wohl immer behaftet sein. Und wohin die diesbezügliche Reise potentiell geht, bestimmt unsere ganz individuell eingestellte Epigenetik. Eine Einstellung also, für die wir selbst nichts können.

Ganz egal, wie die Epigenetik im Einzelfall auch eingestellt sein mag: Dennoch bleibt uns immer eine Wahl an Handlungsweisen übrig. Nur fällt diese einem Individuum auf Grund der individuellen Einstellung in dadurch vorherbestimmte Richtungen entweder leichter oder schwerer; macht also bestimmte Verhaltensweisen lediglich wahrscheinlicher.

Eine langfristige Änderung der Lebensumstände hat bei einem Individuum immer auch eine Änderung der Einstellungen auf der Ebene der Epigenetik zur Folge.

Die unterschiedliche Erschwernis in Bezug auf die Freiheit unseres Handelns ist der ganze Unterschied, den es zwischen uns gibt. Und so, wie die Epigenetik unser Handeln, unser Empfinden und unser Denken in gewisser Weise, zumindest tendenziell, (vorher)bestimmt, verhält es sich auch mit jedweder menschlichen Kultur. Zumindest im Gesamten gesehen (!).
 
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