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Wühltischträume

Nachdenkliches · Kurzgeschichten
Weil ich in letzter Zeit schlecht schlief und immer wieder vom gleichen Alptraum aufwachte, beschloss ich mir einen Traum zu kaufen.
Diesmal sollte es ein richtig guter sein, nicht wieder so ein schlecht produzierter Traum aus dem Wühltisch eines Supermarktes.

Gleich nach der Arbeit fuhr ich in das Einkaufszentrum und steuerte die Fachabteilung für Träume an.
Ich musste kurz warten, ehe einer der Beratungstische frei wurde.
Zögernd setze ich mich an den Tisch und blickte in das wunderschöne Gesicht einer Traumverkäuferin.
„Frau Henschel“ stand auf dem Ansteckschild an ihrer Bluse.
„Guten Tag, was kann ich für sie tun?“
„Ähm“ räusperte ich mich.
„Ich möchte einen Traum kaufen, mit allem Pipapo.“
„Da müssen sie schon etwas konkreter werden.“
Sie blätterte in einem Katalog und schob ihn mir aufgeschlagen zu.
„Hier finden sie die verschiedenen Hauptkategorien. Dazu können sie einzelne Elemente hinzu buchen.“

Ich überflog die Liste und tippte auf die zweite Spalte.

„Erotik soll mit drin sein.“ sagte ich etwas verlegen.
„Ich brauch erst mal eine Hauptkategorie“ sagte sie.
Ich überflog die andere Liste und sagte: „Individualtraum“.
„Individualträume werden speziell für sie angefertigt, das würde dann wesentlich mehr kosten und die Lieferzeit beträgt mindestens acht Wochen.“
„Wie viel würde denn einer kosten?“ fragte ich vorsichtig.
„Je nach Umfang und Dauer und je nachdem, ob es ein Serientraum oder ein einmaliger Traum sein soll, liegen wir bei einem Einstiegsspreis von 42.000€.“
Ich erschrak, ich besaß nicht annähernd soviel Geld.
„Ok, dann lieber doch was anderes“ sagte ich schnell.
„Ich kann ihnen unseren günstigen Urlaubstraum empfehlen, der ist gerade im Angebot. 599€.“
„Ist das der günstigste Traum?“ fragte ich?
„Im Moment, ja“ antwortete sie fast bedauerlich.
„Dann nehm ich den. Und ich will Erotik dazu buchen.“
„Das würde dann 200€ Aufschlag kosten.“
Damit war meine ganze Kohle für den Rest des Monats aufgebraucht.
„Ok, das nehm ich. Kann ich den Traum gleich mitnehmen?“
„Nein, die Lieferzeit beträgt zirka drei Tage.“
„Naja, kann man nichts machen. Ich nehm ihn trotzdem.“
„Zahlen sie mit Karte?“

Tatsächlich war drei Tage später ein fetter Umschlag im Briefkasten.
Ich überflog die beigelegte Anleitung. Man sollte vorher keinen Alkohol trinken und möglichst vor Mitternacht ins Bett gehen. Die Plastikbox mit dem Traum sollte man in Kopfnähe neben dem Bett platzieren. Gegen 22 Uhr ging ich ins Bett.
„Achtung, mit dem Abreißen der Aktivierungslasche erlischt ihr Umtauschrecht!“ stand auf der roten Pappmanschette am oberen Rand der Box.
Ich riss die Lasche heraus und legte die Box auf den Nachtisch.
Kurze Zeit später musste ich eingeschlafen sein.
Die Enttäuschung war riesengroß. Hätte ich bloß vor dem Kauf die Beschreibung durchgelesen.
Der Traum war in Mono und schwarz-weiß, die Insel, das Meer und auch die leicht bekleideten Tänzer.
Und die waren bestenfalls zwei Minuten zu sehen!
Der Traum wurde alle fünf Minuten durch Werbung in Farbe und Stereo unterbrochen.
Selbst beim Traum wird man beschissen, dachte ich ärgerlich.
Da hatte ich schon bessere Wühltischträume für 39,95€ aus dem Discounter geträumt!
So schlecht gelaunt, war ich noch nie zur Arbeit gegangen.

„Hast wohl schlecht geträumt?“ fragte mein Kollege.
Ich habe mir jetzt vorgenommen, auf einen richtigen Traum zu sparen.

Auch wenn man nicht reich ist, darf man doch einen richtigen Traum haben, oder?
 
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Kommentare  

Liebe Ingrid,
danke für deinen Kommentar.
Ja, das stimmt. Alpträume kosten nur den Schlaf, gute sind teuer, zumindest die Umsetzung ;)


AndreaSam15 (14.04.2020)

Is klar, gute Träume sind teuer, Alpträume sind umsonst. Also spare nicht für einen guten Traum. Was ich damit sagen will: Hab mich köstlich amüsiert, liebe Andrea!

Ingrid Alias I (12.04.2020)

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