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20 Seiten

Imhotep, der Junge aus Heliopolis - Kapitel 16

Romane/Serien · Spannendes
Kapitel 16 – Der Traum des Echnaton


Bevor die Cheops-Pyramide etwa 2600 v. Chr. erbaut wurde, war diese Landschaft nur ein unbewohnbares Wüstengebiet gewesen. Aber seitdem die drei großen Pyramiden aus dem Boden gewachsen waren und die Sphinx in ihrer vollen Farbenpracht über diese Monumente wachte, errichteten nachfolgende Pharaonen, Gaufürste, Tempelpriester, Gelehrte und weitere einflussreiche Persönlichkeiten des Landes ebenfalls dort ihre Grabstätten. Zugleich siedelten immer mehr Menschen dorthin, sodass bereits während Ende des Alten Reichs eine Nekropole (Totenstadt) entstanden war. Arbeit gab es dort zu genüge und diese wurde angemessen entlohnt. Diese Stadt benötigte keinen Namen, denn es genügte zu erwähnen, dass man zur großen Leuchtenden reisen wollte. Später, über zweitausend Jahre später sogar, würde diese Nekropole einmal Gizeh genannt und ein Stadtteil der Metropole Kairo werden.
In der Nekropole lebten überwiegend bodenständige Menschen in Lehmhütten, hauptsächlich waren sie Handwerker, Händler oder gingen ihrer Arbeit als Friedhofswächter nach. Die Friedhofswächter waren meist ausgebildete Söldner, schließlich waren die prunkvollen Gruften sowie Mastabas mit unsagbaren Schätzen gefüllt – der Anblick der Pyramiden versprach weitaus mehr – und Grabräuber waren schon immer organisierte, skrupellose Verbrecher gewesen, die einen Mord billig in Kauf nahmen und von der ägyptischen Streitmacht strafrechtlich verfolgt wurden. Ebenso rentierte es sich, in der Totenstadt eine Taverne mit Pension zu eröffnen, denn jährlich pilgerten abertausende Menschen aus allen Herren Ländern herbei, um die strahlend weißen Pyramiden zu bestaunen, und diese anzubeten. Die Nekropole war zu Tutanchamuns Zeit längst zu einer Pilgerstätte geworden, wobei nebenbei auch emsig Handel betrieben wurde. Pharao Chufu erreichte letztendlich, was er einmal vor sehr, sehr langer Zeit angestrebt hatte: Unsterblichkeit. Nur eines war ihm, wie allen Pharaonen vor und nach ihm niemals gelungen; seine eigene Dynastie für alle Zeiten aufrechtzuerhalten und fortzuführen. Lange bevor Tutanchamun geboren wurde, erschien eines Tages ein junger Krieger vor dem Pharao Echnaton, der Ägyptens Historie sowie das Schicksal der 18. Dynastie entscheidend beeinflusste.

20 Jahre zuvor …

Seit zwei Jahren verehrte das ägyptische Volk ihren neuen Pharao Amenophis IV, der kurz nach seiner Krönung seinen Geburtsnamen ablegte und sich fortan Echnaton nannte. Der ursprünglich vorgesehene Thronfolger, sein jüngerer und einziger Bruder Thotmoses, war zuvor verunglückt und sein Vater Amenophis III lag seitdem von Krankheiten gezeichnet im Sterbebett. Der alte Pharao vermachte seinem geächteten Sohn zwar notgedrungen die Doppelkrone, aber der sterbenskranke König verkündete trotzdem allen Großen des Landes verbissen, dass er insgeheim immer noch der wahre Pharao sei und erteilte Amenhotep, wie er seinen Sohn beharrlich nannte, weiterhin Anweisungen. Aber Echnaton ignorierte stets seine Befehle und waltete nach eigenem Ermessen, schließlich trug er nun die Doppelkrone auf seinem Haupt. Irgendwann war es soweit gewesen, dass Echnaton seinen Vater gemieden und sich bei ihm nicht mehr hatte blicken lassen. Ab jetzt herrschte nur noch Pharao Echnaton, der neue König von Ägypten. Pharao Amenhopis III war nur noch ein Schatten der Vergangenheit.
Echnaton hatte eine Vision von einer neuen Stadt, die bereits auf Skizzen existierte, seitdem er ein Jugendlicher war, welche er selbst entworfen und auf Papyrus gezeichnet hatte. Es war schon immer sein Traum gewesen, eine eigene Stadt zu erbauen, mit einem monumentalen Königspalast. Gewaltig und pompös sollte seine Stadt werden, bestückt mit einem riesigen Tempel, der selbst den monumentalen Amuntempel in Theben in den Schatten stellen sollte. In seiner Stadt würde man nur Reichtum und ein unbeschwertes Leben erwarten, denn die Armut ängstigte ihn und er verabscheute sie. Nun hatte er die Macht dazu errungen, seinen Traum in die Realität umzusetzen und die Bauarbeiten hatten längst begonnen. Seine Traumstadt in der Wüste wuchs wöchentlich empor, aber seine Residenz blieb derweil die Sonnenbarke, weil er den Königspalast in Theben ächtete, weil er die kränkliche Gegenwart seines Vaters verpönte. Audienzen wurden ausschließlich auf dem Bootsdeck sitzend abgehalten, was ranghohen Regierungsbeamten insgeheim widerstrebte, aber sie stillschweigend hinnehmen mussten.
Eje wurde noch am selben Tag der Krönung des Echnaton offiziell zu seinen Gottesvater ernannt. Dies hatte dem Wesir geschmeichelt, denn der alte Pharao hatte all die Jahre keinen Gedanken daran verschwendet, Eje diese Ehre zuzuteilen. Amenhophis III hatte den Wesir nicht einmal zu seinen Vertrauten ernannt.
Endlich erntete Eje die Früchte seiner Loyalität, die er dem Königshaus jahrzehntelang entgegengebracht hatte. Dies bedeutete, dass Eje nun der engste Verbündete des Pharaos war und Echnaton ihm mit diesem Adelstitel königsähnliche Macht verlieh. Über ihm stand allein der Pharao, sonst kein weiteres Lebewesen auf der Erde. Mit dem König Amenophis III ging es sowieso zu Ende, Osiris wachte bereits über sein Sterbebett und es war nur eine Frage der Zeit, wann der Totengott den alten Pharao im Westen begrüßen würde.
Jedoch forderte der Adelstitel Gottesvater seinen Preis. Eje war manchmal monatelang von seiner Familie, seinen zahlreichen Kindern sowie Enkelkindern und von seiner zweiten, dreißig Jahre jüngere Gemahlin Tij getrennt, die er über alles liebte. Der Pharao beanspruchte den Achtundfünfzigjährigen beinahe täglich, zudem verlangte das Amt eines Wesirs gewissenhaft erfüllt zu werden, dem er gezwungenermaßen meistens nachts, wenn alle schliefen, nachging. Manchmal hatte Eje Glück und konnte sich seinen Schriftrollen bereits gegen Nachmittag widmen, dann, wenn Echnaton wieder mal völlig betrunken in seiner Kabine eingepennt war und sich dabei in einem todesähnlichen Zustand befand.
Pharao Echnaton hielt niemals eine Unterredung mit einem Staatsmann, geschweige mit einem Tempelpriester, ohne dass Eje anwesend war, weil er niemandem vertraute. Eje hatte dafür zu sorgen, dass man ihn nicht wie seinen Vater, zu täuschen versuchte, ihn reinlegte, indem die Regierungsbeamten und Priester ihn mit Worten bequatschten, die etwas bedeuteten, was sie eigentlich gar nicht meinten, und den König daraufhin leichtgläubig Schriftrollen unterzeichnen ließen, von dessen Textinhalten er letztendlich gar nicht überzeugt war. Echnaton war stets auf der Hut und verfolgte hartnäckig seine Vision, seine Vision vom Bau einer goldenen Stadt in der Wüste. Außerdem zog er es ernsthaft in Erwägung, den seit Jahrhunderten bestehenden Reichsgott Amun zu stürzen und dafür einen Sonnenkult in Kemet einzuführen. Über die Konsequenzen, dass man ihn daraufhin eventuell verschmähen würde, war er sich im Klaren. Also musste er diese heikle Angelegenheit geschickt angehen. Der Pharao benötigte unbedingt angesehene Prominenz, die sich zu Aton bekennen würde, somit könnte auch letztendlich das Volk überzeugt werden. Vorteilhaft wäre es, wenn gar ein Volksheld seine Ideale unterstützen würde, meinte Echnaton. Und um die verhassten Amunpriester nach und nach zu entmachten, ernannte der neue Pharao Nofretete zur Hohepriesterin des Aton. Aber er selbst würde das Oberhaupt aller Priester sein, hatte der Pharao entschieden. Dieser königliche Beschluss hatte zur damaligen Zeit für äußerste Verwirrung im Komitee und beim Volk gesorgt. Beabsichtigte der Pharao etwa ganz alleine zu herrschen, ohne Kompromisse, so wie es im Alten Reich gewesen war? Jedoch sollte dies erst der Anfang von neuen, traditionellen Regeln sein, die dem ägyptischen Volk und der vornehmen Gesellschaft bevorstehen würden.

Eines Tages brachte Eje, ohne Pharaos Zugeständnis oder ihn zumindest davon in Kenntnis zu setzen, einen jungen Mann mit an Bord der königlichen Barke, die grad einen Zwischenstopp in der oberägyptischen Hafenstadt Beni Hasan machte. Die Baustelle von Amarna war von dort aus nur noch wenige Stunden entfernt.
Eine Leinenbandage war um des jungen Mannes Brust gewickelt. Der Verband presste heilende Kräuter auf seine Wunde, welche ihn beinahe das Leben gekostet hatte. Noch wenige Wochen zuvor hatte dieser junge Bursche bei den Unruhen auf Zypern mitgekämpft, hatte das zwiegespaltene Land im Namen des Pharao verteidigt und war mit wenigen Soldaten wieder erfolgreich nach Peru-nefer zurückgekehrt. Unzählige Laufboten waren durch das Land geeilt und hatten von den glorreichen Taten eines überaus mutigen neunzehnjährigen Soldaten berichtet, der zuvor in einem Fort in der Stadt Elephantine, nahe der nubischen Grenze, stationiert gewesen war. Heldenhafte Geschichten, die von einem einsamen mutigen Krieger handelten, dessen Zuhause lediglich ein Fort war, der stets stolz in die Schlachten zog und wieder siegreich in die Heimat zurückkehrte, liebte und rührte das Volk. Als der Wesir Eje davon erfahren hatte, hatte er dem einfachen Soldaten persönlich am Hafen Peru-nefer die Ehre erwiesen und ihn begrüßt, hatte sich seiner angenommen und ihn näher kennen gelernt. Der Neunzehnjährige war zwar noch ein blutjunger, nichtsdestotrotz ein ernstzunehmender Mann, der Entscheidungen konsequent zu fallen vermochte, wie Eje festgestellt hatte. Der Wesir hatte auf Anhieb Sympathie für den äußerst motivierten Krieger empfunden und hatte ihn, aufgrund seiner herausragenden Kriegsführung auf Zypern, die schlussendlich zum Sieg führte, zu einem Hauptmann befördert. Eje war davon überzeugt, dass diesen Mann eine glorreiche Zukunft erwarten würde. Für den jungen Krieger erfüllte sich ein lang gehegter Traum. Zum einen war ihm eine rasche militärische Karriere gelungen und zum anderen, hatte der mächtigste Staatsmann des Landes ihn in seiner Obhut genommen. Aber was ihn besonders beglückte war, dass der mächtige Eje ihm ermöglichte, sich persönlich dem neuen Pharao vorzustellen.
Eje unterrichtete ihn vorweg, dass der Pharao kein gewöhnlicher König sei und er einiges in seiner Gegenwart unterlassen solle, auch wenn er dies für absurd halten würde. Der Pharao legte auf Begrüßungen keinen besonderen Wert, weshalb tiefe Verbeugungen oder sich gar flach auf den Boden zu legen nicht notwendig war, wenn es sich bei dem Besuch um einen Freund handelte. Außerdem sollte er sich hüten zu erwähnen, dass er Amun verehre. Eje erklärte dem jungen Soldat, dass er ihn beruhigt mit seinem Eigennamen anreden dürfe. Dies war nun wirklich außergewöhnlich, weil es eigentlich nur der Familie gestattet war, den Pharao beim Eigennamen anzureden.
Bevor Eje mit seinem Besucher das Bootsdeck der Sonnenbarke betreten durfte, verlangten Pharaos Leibwächter den Ledergürtel des Hauptmanns, in dessen Scheiden jeweils ein Dolch und ein Kurzschwert steckten. Eje dagegen wurde nicht inspiziert, ein Gottesvater genoss schließlich das uneingeschränkte Vertrauen. Außerdem war Eje bis auf einen Dolch, diesen er sowieso nur um einen Apfel oder eine Orange zu schälen benutzte, nie bewaffnet.
Der fremde blutjunge Hauptmann war verblüfft, als er das Bootsdeck der Sonnenbarke betrat. Das Herrscherpaar saß statt auf ihren Thronen, einfach nur auf einer ausgebreiteten Decke auf dem Dielenboden, mit ihren Rücken ihnen zugewandt. Einige Sklaven schützten das Königspaar mit zusammengeschnürten Palmenblättern vor der prallen Mittagssonne. Außerdem war ein Elfenbeinmensch anwesend. Noch nie zuvor hatte der junge Krieger einen hellhäutigen Mensch gesehen und war über seine Erscheinung überrascht, weil erzählt wurde, dass diese Leute Barbaren wären, lange Haar und Bärte trugen und widerlich stinken würden. Dieser gutaussehende Mann jedoch sah sehr gepflegt aus, war glattrasiert, hatte hellblaue Augen und sein dunkelblondes Haar war streng nach hinten gekämmt. Der erst kürzlich ernannte Schatzmeister Maya nickte dem Krieger zur Begrüßung lächelnd zu, woraufhin der muskelöse Soldat seine Freundlichkeit mit ausdrucksloser Miene erwiderte.
Am Hafen hatten sich zahlreiche Soldaten postiert, um die Anlegestelle der Königsbarke abzuschirmen, weil hunderte Menschen die Pier belagerten. Das Volk wollte unbedingt das neue Königspaar sehen, vor allem wollte jeder unbedingt einen Blick von der Königin Nofretete erhaschen, denn es hieß, dass sie eine außergewöhnlich schöne Frau sei.
Auf dem Haupt der Königin lag eine imposante, zylinderförmige blaue Krone. Ein goldener Diademreif (Stirnband) umsäumte ihren majestätischen Zylinder und auf der Stirnseite glänzte ein Goldanstecker in Form einer Uräusschlange. Um ihren reizvollen Nacken schmiegte sich eine breite Kragenkette, die über ihre Schulter, bis hin zu ihren Brüsten ragte, an der Edelsteine sowie blaue Lapislazuli Steine anhingen und prunkvoll im Sonnenlicht glänzten. Die Königin lag seitlich, hatte ihre Beine leicht angewinkelt und stützte sich dabei mit einem Arm ab. Ein hellblaues Kostüm bedeckte ihre zarte Gestalt und in ihrer Hand hielt sie einen goldenen Weinkelch.
Die Leute erzählten sich im ganzen Land, dass die Große königliche Gemahlin die schönste Frau in Ägypten wäre. Die Schönheit einer Königin wurde zwar generell angepriesen, ob es nun so war oder nicht. Aber Nofretete war tatsächlich so atemberaubend hübsch, dass jeder Mann ihrem Charme verfiel. Es gab sicherlich genügend Männer, die einen Mord für sie begehen würden, wenn sie mit der Königin nur einmal die Nacht verbringen dürften. Aber es wurde auch gemunkelt, dass die Königin möglicherweise gar keine Ägypterin sei. Diese Vermutung beruhte auf ihrer exotischen Erscheinung und ihrem Namen Nofretete, der bedeutete: Die Schöne ist gekommen.

Eje führte seinen muskulösen Freund, von dessen Besuch der exzentrische Pharao nichts ahnte, direkt vor das Herrscherpaar. Eine blaue Mönchskappe überdeckte seinen kahl geschorenen Kopf. Diese blaue Kopfbedeckung war zugleich das Dienstgradabzeichen eines Hauptmannes der ägyptischen Streitkraft. Noch konnte der junge Kerl nur ihre Rücken sehen. Seine Neugierde stieg. Der junge Hauptmann würde sich sogleich selbst davon überzeugen, ob man dem Gerede des Volkes Beachtung schenken sollte, dass die neue Königin wirklich die schönste Frau Ägyptens sei. Trotz dass seine Augen von ihrem wundervollen Nacken nicht ablassen wollten, welcher immerhin schon einiges versprach, blickte er verdutzt auf den Pharao. Er saß im Schneidersitz konzentriert über etliche aufgerollt Papyrusblätter gebeugt und schrieb oder zeichnete etwas.
Echnaton war nur mit einem schlichten, weißen Gewand bekleidet und auf seinem Rückenteil war ein Kreis mit goldenem Garn bestickt worden, aus dem pfeilförmige Strahlen nach unten deuteten. Das war eindeutig das Symbol des Gottes Aton, die Sonne. Sein blau und golden gestreiftes Nemes-Kopftuch leuchtete im Sonnenschein förmlich. Direkt gegenüber der königlichen Gemahlin Nofretete hockte ebenfalls im Schneidersitz, der im Land berühmteste Bildhauer Thutmosis und bemalte, die von der Königin in Auftrag gestellte Büste. Nofretete lag seitlich bewegungslos dar und schaute Thutmosis anmutig an, während er mit einem Pinsel konzentriert das Büsten-Gesicht bemalte, welches er aus Kalkstein und Stuck modelliert hatte. Vor ihm lagen etliche Schälchen mit Farbpulver, geschmolzenem Bienenwachs und ein rundgeschliffener Bergkristall. Dieser sollte als die Iris in das rechte Auge der Büste mit Bienenwachs aufgeklebt werden.
„Verzeiht mir, meine Königin, weil ich nachzufragen wage. Aber weshalb verlangt Hoheit, dass ich lediglich ein Auge lebendig modelliere? Dein linkes Auge würde doch blind und unheimlich wirken, wenn ich darauf keinen Bergkristall anhefte.“
Nofretete schmunzelte.
„Deine Kunstwerke beängstigen mich, mein lieber Thutmosis. Sie sind so lebhaft, so realistisch, sodass es mich beinahe schaudert. Meine Büste ist noch gar nicht fertig und doch, wenn ich sie betrachte glaube ich, in eine Silberschale zu blicken. Ich erwünsche es nicht, dass dein erschaffenes Gebilde den Liebreiz meines Gesichtes übertrifft. Reicht dir diese Antwort?“, fragte sie lieblich schmunzelnd.
Thutmosis lächelte und verneigte sich dankend vor ihr.
„Du hast selbstverständlich wie immer Recht, meine Königin. Aber sei dir gewiss, Herrin, niemals vermögen meine Hände, deine Schönheit zu übertreffen. Höret doch auf mich und lasset mich Euer Kunstantlitz perfektionieren, indem ich ebenfalls das linke Auge anbringe, damit auch die Nachwelt sich an deiner majestätischen Schönheit ergötzen darf. Ich erbitte dich zutiefst, Herrin, lasset mich mein Meisterwerk …“
Ihr zauberhaftes Lächeln entschwand abrupt.
„Du tust gefälligst, was ich sage!“, unterbrach ihn Nofretete sogleich spitz, woraufhin Thutmosis sich wortlos verneigte, bis seine Stirn die Dielen berührte.
„Ich sagte: Nur ein Auge, und ich meinte: Nur ein Auge!“, fauchte die Schöne die gekommen war erbost.

Um Pharao Echnaton herum lagen zahlreiche aufgerollte Papyrusrollen, die von kleinen Götterstatuen beschwert wurden, damit sich die Schriftstücke nicht wieder ineinander rollten. Endlich stand der Hauptmann direkt vor ihnen und konnte ihre Gesichter sehen. Ein wohliger Schauer überkam den jungen Soldat, als er in Nofretetes Antlitz blickte. Ihre Augenlieder waren nicht einmal geschminkt, und dennoch war ihr Gesicht hübscher als ein Gemälde. Lange Wimpern, schmale Lippen und eine schön geformte Nase schmückten ihr anmutiges Gesicht, zudem war ihre dezent bräunliche Haut wenig vom Sonnenlicht strapaziert worden. Sie wirkte sogar beinahe blass. Nur angesehene und wohlhabende Personen achteten peinlichst darauf, dem Schönheitsideal zu folgen und so bleich wie möglich zu bleiben. Nofretete blickte kurz desinteressiert zu ihm hinauf und wandte ihren Blick sogleich wieder dem Bildhauer zu. Einen kleinen Schönheitsfehler hatte der Hauptmann dennoch sofort entdeckt. Ihr linkes Auge schielte etwas. Der Hauptmann vermutete, dass dies bestimmt der Grund sei, weshalb die Königin ihre Büste lediglich mit einem Auge in Auftrag gestellt hatte. Dabei wirkte ihr Silberblick verführerisch und machte ihr Gesicht gar etwas reizvoller, als es ohnehin schon war. Aber Nofretete hasste insgeheim ihren Makel.
Ihre ausgeprägten Wangenknochen und ihre schmalen Lippen verrieten, dass diese bezaubernde Frau von irgendwoher stammte, jedoch niemals aus Ägypten. Der Bildhauer, so dachte der Hauptmann, war zu beneiden, weil er die Königin nach Belieben anstarren durfte. Doch Thutmosis, ein Mann Mitte vierzig, blieb gelassen und bediente sich hin und wieder ungefragt an der Obstschale, was den jungen Hauptmann erneut irritierte. Ein einfacher Künstler wagte es tatsächlich, Obst aus derselben Schale zu essen, welches für das Herrscherpaar von Ägypten serviert wurde? Jedoch wusste er nicht, dass generell die Handwerker und insbesondere die Künstler, insofern sie auch fähige Leute waren und den Pharao zufriedenstellten, einen Sonderstatus genossen und in seiner Gegenwart tun und lassen durften, wie es ihnen beliebte. Was er ebenfalls nicht ahnte und niemals in Erwägung zog; Echnaton bevorzugte gar die Künstler anstatt der Soldaten, selbst wenn ein Krieger noch so tapfer und heldenhaft das Reich verteidigt hatte.
„Thutmosis, was soll die Fragerei mit ihren Augen? Versuchst du etwa, mit deiner Königin zu schäkern?“, sprach Echnaton plötzlich mit kraftvoller Stimme und sein bedrohlicher Gesichtsausdruck machte den Anschein, als hätte der Pharao eine ernstgemeinte Frage gestellt.
Echnaton sprach generell laut, klar und deutlich, ohne Dialekt, dies war ihm angeboren. Genauso wie seine markante Stimme. Zudem war er schwer einzuschätzen und reagierte häufig unberechenbar. Wenn Echnaton also die Stimme erhob, ob er nun missmutig gelaunt war oder nicht, zuckten seine Untertanen erstmal zusammen.
„Dies-dies würde ich mich niemals wagen, Großer Echnaton! Niemals!“, stammelte der Bildhauer. „Ich bin lediglich bestrebt, ausgezeichnete Arbeit abzuliefern, und bin somit gezwungen, der königlichen Gemahlin direkt in ihre Augen zu schauen. Mir ist nur aufgefallen … Ich wollte doch lediglich …“ Thutmosis holte einmal tief Luft. „Echnaton, ich bitte gnädig um dein Verständnis, weil …“
Pharao Echnaton schlug mehrmals mit seiner flachen Hand kräftig auf das Bootsdeck und unterbrach somit seine Rede, während er ihn mit weit geöffneten Augen anstarrte. Sein stechender Blick war ohnehin unheimlich genug, aber mit schwarz geschminkten Augenliedern wirkte der König wie ein Tyrann, furchteinflößend und herrisch. Einen Moment herrschte Stille. Thutmosis neigte seinen Kopf demütig zu Boden und erwartete seine Rüge.
„Dann bist du ein Narr, Thutmosis. Ein wahrhaftiger Narr, weil ich an deiner Stelle es ausnutzen und es versuchen würde, die Königin rumzukriegen“, lachte er sogleich laut in die Runde. „Ich würde mit dieser Schönheit skrupellos schäkern und die Peitschenhiebe billigend in Kauf nehmen.“
„Wie wahr, mein wilder Horus, wie wahr. Du würdest es tun. Du würdest ohnehin mit jeder Frau schäkern. Jedoch würde dieses Miststück auf meinem Befehl in der Krokodilsgrube enden. Und dich würde ich hinterher werfen lassen“, konterte Nofretete schmunzelnd und prostete dem Pharao mit ihrem goldenen Weinkelch zu. Echnaton war über ihre Eifersüchtelei wiedermal verzückt und wollte ihren reizvollen Nacken küssen, doch die Königin zierte sich, stieß ihn beiseite und erhob ihre Stimme.
„Lass das sein! Ich meine es ernst!“, mahnte sie mit erhobenem Zeigefinger. Die aufgelockerte Stimmung drohte zu kippen. Ihr verführerischer Silberblick wirkte nun bedrohlich, wie die Augen eines angriffslustigen Leoparden. Aber der Pharao wusste mit seiner launischen sowie extrem eifersüchtigen Gemahlin umzugehen, zwickte und neckte sie so lange, bis sie wieder vergnügt lächelte.

Der Hauptmann horchte auf und vernahm einen ausgeprägten Akzent in Nofretetes Aussprache. Manchmal fiel es ihr offenbar schwer sich auszudrücken, dann stockte sie beim Reden und gestikulierte mit ihren Händen, bis der Pharao aussprach, was sie letztlich meinte. Diese Frau stammte höchstwahrscheinlich aus Mitanni oder gar aus dem Rattenloch des Hethiter Reiches. Jedenfalls irgendwo aus dieser verfluchten Gegend kam sie rausgekrochen, mutmaßte er. Nur die Götter wussten, wo der Pharao damals als Prinz rumgehurt und sie kennen gelernt hatte. Und sogleich entschwanden seine Bewunderung sowie sein wohliger Schauer, wie auch sein lüsterner Gedanke, ihre nackte Haut an die Seinige zu schmiegen. Dieser Frau wollte er keine weitere Beachtung mehr schenken und er schämte sich sogar, dass ausgerechnet eine Mitanni Hure seine Königin war. Der blutjunge Krieger verabscheute das Großkönigtum Mitanni; er verachtete abgrundtief das Hethiter Reich, er hasste Assyrien und das ganze persische Pack, aber am meisten hasste er zurzeit Nubien: Die Kuschiten.
Echnaton hielt dem Bildhauer plötzlich eine Zeichnung vor das Gesicht.
„Sag mir, Thutmosis, ist es möglich, diese Stadt, erbaut aus Steinblöcken, komplett zu vergolden? Ist das möglich? Wäre das machbar? Eine komplette Stadt zu vergolden, verstehst du?“
Plötzlich meldete sich Eje zu Wort.
„Echnaton entschuldige, dass ich dich zu unterbrechen wage, aber ich muss dir unbedingt Haremhab vorstellen“, funkte der Wesir ungeduldig dazwischen, woraufhin der Pharao ihm aber nur seine flache Hand entgegenstreckte und seinem Gottesvater damit zu verstehen gab, augenblicklich zu schweigen. Dann wühlte der Pharao hektisch durch die Papyrusrollen, die nach und nach durch die Luft wirbelten. Er suchte eine ganz bestimmte Skizze. Wo hatte er sie nur wieder verlegt?
Echnatons Zeichnungen waren immer ausdrucksvoll. Er fügte selbst die Schatten gestrichelt ein, die vom Sonnenlicht auf das eine oder andere Gebäude einfallen würden, selbst wenn es sich dabei nur um einen provisorischen Entwurf handelte. Sein durchdringender Blick verflüchtigte sich, als er fündig wurde. Mit einem zufriedenen Lächeln breitete er eine Papyrusrolle auseinander und zeigte sie stolz umher. Darauf war ein Stadtgebiet in einer Draufsicht von ihm gezeichnet worden und mittendrin ein Gebäudekomplex, welches sein Königspalast darstellte. Außergewöhnlich an diesem Konstruktionsplan war, dass Echnaton von den Flachdächern abließ, obwohl dieses Baukonzept sich seit über tausend Jahren bewährt hatte, und er stattdessen noch nie dagewesene Kuppeldächer einplante. Auf dieser Zeichnung war zu bestaunen, dass eine überdimensionale Halbkugel den quadratischen Palast überdachte und an den Mauerenden vier Türme hochragten, dessen Dächer ebenfalls kuppelförmig ausgestattet werden sollten. Auf der obersten Rundung vom riesigen Kuppeldach des Königspalastes gedachte Echnaton das Sonnensymbol, genauso wie es auf der Rückseite seines Gewandes gestickt war, anzubringen. Das Symbol des Aton.
Echnatons Augen glänzten, als er ihnen sein Konzept präsentierte. Aber die Begeisterung hielt sich bei seinem Gefolge in Grenzen, stattdessen begutachteten sie seine Planung mit Skepsis. Der Schatzmeister Maya zuckte mit seinen Augenbrauen, weil ihm bewusst wurde, dass Pharaos Bauvorhaben die Schatzkammern erheblich belasten würden, woraufhin er die Steuern erhöhen müsste. Bis auf Nofretete. Sie war von seinen Idealen schon immer überzeugt gewesen und klatschte aufgeregt in ihre Hände.
„Wie wundervoll, mein Sonnenkönig, wie wundervoll. Einfach göttlich. Eine Stadt erschaffen aus Gold. Wie ich mich freue“, jauchzte sie fröhlich.
„Was ist nun? Ich höre, Thutmosis. Ist es machbar, eine komplette Stadt, erbaut aus Kalkstein, mit Gold zu verzieren? Wird das Blattgold einem Unwetter und die Sandstürme standhalten? Gib mir rasch Antwort!“, bedrängte ihn der König.
Echnatons Laune wankte ständig hin und her, hoch und runter, manchmal rastete er einfach unbegründet aus und im nächsten Augenblick lachte er wieder teuflisch und schien sich über Nichtigkeiten zu amüsieren. Oftmals wirkte er nachdenklich, ignorierte seine Umwelt und im nächsten Augenblick gab er sich plötzlich wieder kumpelhaft. Nur seiner Nofretete gelang es, ihn wieder zu besänftigen und nur sie konnte ihn im Einklang halten. Sie waren wie die Schöne und das Biest, einen unterschiedlicheren Kontrast zu ihrer Äußerlichkeit war nicht anders zu beschreiben. Jedoch, was ihre Bedürfnisse, Lebensstil und Ansichten anbelangten, waren sie füreinander wie geschaffen. Zudem liebten sie einander aufrichtig, und falls böse Zungen behaupteten, dass die Schöne nur gekommen war, weil sie die Königin von Ägypten werden wollte, sollte man etwas klarstellen: Nofretete und Amenophis IV waren bereits ein Liebespaar gewesen, als sein jüngerer Bruder Thotmoses noch lebte und es damals eigentlich gewiss war, dass Amenhotep lebenslang ein Prinz bleiben würde.
„Verzeiht mir, Großer Echnaton, aber ich bin kein Baumeister. Ich bin sprachlos und wisse dir keinen klugen Ratschlag zu geben. Mein Handwerk ist lediglich die Kunst“, antwortete der Bildhauer Thutmosis.
Es war ratsam, die Sperenzien des Pharaos nicht unbedacht zu befürworten, wenn Eje anwesend war. Echnaton konnte man leicht Flausen in den Kopf setzen, welche er dann manches Mal umzusetzen versuchte und die meist kostspielig waren, was den Pharao aber nicht sonderlich interessierte. Kosten kümmerten Echnaton nicht. Insbesondere brachte ihn Nofretete auf kostspielige Gedanken, woraufhin der Pharao seine Macht walten ließ und ihre Wünsche in die Tat umzusetzen versuchte, damit die Königin zufrieden war und wieder bezaubernd lächelte. Aber dem Staatsmann Eje war es keineswegs gleichgültig, wenn die Schatzkammern Ägyptens von ihm jederzeit beansprucht wurden, und er hatte oftmals seine Schwierigkeiten, dem Pharao seine Hirngespinste wieder auszureden. Nofretete inspirierte den Tagträumer regelrecht und stichelte ihn stets an, Luftschlösser zu errichten.
Echnaton starrte den Bildhauer grinsend an, nickte dabei stetig und wankte mit dem Zeigefinger.
„Klug geantwortet, Thutmosis. Er enthält sich seiner Meinung und behauptet, es nicht zu wissen, bevor er etwas Törichtes sagt. Hätte ich genauso getan, hilft mir jedoch nicht weiter. Was aber nun? Mich dürstet es nach einer Antwort. Könnt oder wollt ihr mich nicht beraten?“
Eje winkte sogleich ab, sowie auch Maya kapitulierend mit dem Kopf schüttelte. Von Architektur hatten die zwei Staatsmänner keinerlei Ahnung. Also schaute der Pharao den Fremden fragend an. Doch Haremhab hockte beharrlich im Schneidersitz und erwiderte seinen stechenden Blick nur mit halb geschlossenen Augenlidern.
„Vermagst du mich vielleicht klug zu beraten, Soldat?“, fragte der König listig.
Der Hauptmann schüttelte nur sachte mit dem Kopf.
„Verzeiht mir, Großer Pharao, aber ich verstehe es nur zu kämpfen“, antwortete Haremhab.
Echnaton nickte stetig, lächelte dabei und stopfte sich eine handvoller Trauben in seinen Mund.
„Nun gut …“, sprach er kauend. „Niemand kann mir angeblich weiterhelfen. Ihr wollt weder Ja noch Nein sagen. Verstehe. Ich werde euch jetzt jemanden vorstellen, der euch zeigt, wie man heutzutage Endscheidungen fällt.“
Echnaton steckte sich zwei Finger in seinen Mund und pfiff so schrill, dass die eingenickten Ruderer sogleich aufschreckten.
„RAHOTEP, EIL DICH FIX ZU MIR!“, rief der König, und selbst wenn der neu ernannte Oberaufseher von Peru-nefer sich grad irgendwo auf dem Hafengelände von Beni Hassan aufgehalten hätte, selbst dann hätte er Majestäts kraftvolle Stimmbänder wie Peitschenhiebe vernommen. Der pummelige Kommandeur der Sonnenbarke weitete aufgeschreckt seine Augen, ließ die Peitsche abrupt fallen und rannte vom Achterdeck die sechzig Meter bis hinüber zur geselligen Runde, so schnell er konnte. Die rasenden Schritte seiner nackten Füße platschten gleichmäßig auf dem Dielenboden nieder und sein speckiger Bauch und seine Brustansätze wabbelten, als er angeflitzt kam. Völlig atemlos kniete er sich vor dem Pharao nieder, der im Schneidersitz hockte, und verneigte sich. Dabei rutschte ihm seine schulterlange, geflochtene Perücke ungeschickt vom Kopf. Echnaton grapschte blitzschnell danach, schleuderte das Haarimitat über Bord und erteilte ihm eine heftige Ohrfeige, sodass Rahotep rückwärts auf seinen Hintern plumpste.
„Richte dich gefälligst auf, wenn ich mit dir rede, Glatzkopf. Glaubst du etwa es entzückt mich, deine hässliche Visage aus nächster Nähe zu betrachten?“
Der König hielt ihm die aufgerollte Zeichnung entgegen, während Rahotep sich rasch erhob.
„Sprich, Rahotep. Würdest du gerne in dieser Stadt nebst deinem Pharao sowie neben allen Großen des Landes, einschließlich neben dem ehrenwerten Eje leben wollen? Ich verspreche dir, selbst die Stadtmauer wird vergoldet sein.“
„Gold?“, fuhr es erstaunt aus ihm heraus, wobei der kahlköpfige Rahotep verdutzt dreinschaute und sich seine Wange rieb.
„Ja, das sagte ich. Eine komplette Stadt aus Gold, die aufleuchten wird, wenn Aton herabschaut. So ermögliche ich dem wahren Gott, dass er in sein Antlitz blicken kann. Glaubst du, dies wäre machbar? Ist dies zu ermöglichen, Steinblöcke mit Blattgold zu verzieren, sodass es auch einen Sandsturm trotzen wird? Los, rede schon! Gib mir gefälligst Antwort!“, fuhr der Pharao ihn ungeduldig an.
Rahotep gierte es nach Gold. Als neu ernannter Hafenmeister und Kommandant der Sonnenbarke, hatte Rahotep es bereits zu etwas gebracht und war eigentlich reich genug. Aber für einen Klumpen Gold und um noch reicher zu werden, dafür würde er sich sogar von einer Horde Ziegenböcke beglücken lassen. In solch einer prunkvollen Stadt, wie der Pharao gedachte, sie zu erschaffen, würde er wahrlich gerne wohnen.
„Gewiss, Großer Echnaton, gewiss. Irgendwie wird es dir gelingen, mein Sonnenkönig“, antwortete Rahotep und nickte dabei hastig, während er seine Hände rieb.
Echnaton blieb im Schneidersitz hocken, breitete seine Arme auseinander und grinste hämisch.
„Hört, hört, Rahotep meint, es sei möglich. Rahotep sagt, es ist machbar, eine komplette Stadt zu vergolden. Nur frage ich mich, ob seine Behauptung auch zuverlässig ist, ob ich seinem klugen Ratschlag auch blind folgen kann.“
Rahoteps lächelnde Mundwinkel sanken allmählich, während er gebeugt vor dem Pharao stand und weiterhin nervös seine Hände knetete.
„Ist Rahotep etwa ein Baumeister? Wenn ja, wie viele Paläste hat er schon errichtet, frage ich mich. Ich hörte, du hast dir in Dahschur eine hübsche Mastaba bauen lassen.“
Rahotep war wieder frohen Mutes, grinste breit über die Backen und nickte.
„Oh ja, mein Sonnenkönig, in der Tat. Meine Mastaba hat mich einiges gekostet, weil sie mit einem unterirdischen, völlig undurchdringlichen Labyrinth ausgestattet wurde. Darin wird einmal meine Mumie samt meinem Vermögen aufbewahrt werden, wenn ich nach Westen gehe“, antwortete Rahotep stolz.
Alle lachten herzhaft auf, am lautesten lachte Echnaton. Selbst der anscheinend emotionslose Haremhab schmunzelte.
„Du bist ein Schwachkopf“, entgegnete ihm Echnaton laut lachend. „Mastabas sind längst überholt und deren Labyrinthe die Spezialitäten aller Grabräuber. Da kannst du dich gleich im Wüstensand mitsamt deinem Vermögen verbuddeln lassen, dann rühren sie wenigstens deinen Leichnam nicht an. Ich prophezeie dir, nachdem deine Grabstätte verschlossen wird, dass man dich noch in derselben Nacht deiner Schätze entledigt und deiner Mumie werden die Grabräuber, aufgrund deiner unsäglichen Dummheit, den Schädel einschlagen, weil du es ihnen zu einfach gemacht hast. Die Grabräuber sind stolze Leute, die mit ihrer Raffinesse und Kühnheit gerne prahlen und nur einem klugen Toten, der seine Gruft bestmöglich verbarrikadiert hatte, die Existenz im Totenreich gönnen. Und auf deine Empfehlung soll ich vertrauen?“
Echnaton wirkte plötzlich erbost, woraufhin die Belustigung aller Anwesenden verstummte.
„Ich würde auf deinem Geheiß eine Stadt mit Blattgold verzieren und letztendlich ruiniert sein, weil gierige Beduine sich nachts über meine Stadt hermachen und von den Mauern abkratzen würden, was die Sandstürme übrig ließen. Auspeitschen sollte ich dich lassen. Hundert Peitschenhiebe mögest du einbüßen, so wahr ich Atons Prophet bin!“, brüllte der König von Ägypten erbost.
Rahotep schluckte, kniete vor dem Pharao nieder, lächelte gezwungen und faltete seine Hände.
„Habt Erbarmen, Großer Pharao. Hoheit weiß doch, dass ich kein Baumeister bin, sondern nur das Handwerk der Zahlen verstehe. Dankbar bin ich für Euren Rat. Ihr habt mir die Augen geöffnet und werde meine Mastaba wieder abreißen lassen. Ich gedenke nun, eine Gruft nahe deiner wundervollen Stadt zu errichten, als Zeichen dafür, dass ich dir und Aton ewig folgen werde. Seid bitte gnädig, Großer Echnaton, und verschont mich vor der Pein“, winselte Rahotep.
Der Pharao blickte ihn regungslos an. Seine geschminkten Augen wirkten, wie immer, finster und unheimlich.
„I-ich habe lediglich meine Meinung geäußert, wie du Pharao es mir befohlen hast“, rechtfertigte sich Rahotep stammelnd.
Zwar hatte Pharao Echnaton bisher noch niemanden auspeitschen lassen, aber wer wusste schon, was in seinen unberechenbaren Gedanken vor sich ging. Außerdem kam dem Pharao des Öfteren zu Ohren, dass Rahotep auch nicht grade zimperlich mit den Sklaven umging und er rasch nach der Peitsche griff. Vielleicht, so dachte Echnaton, sollte man ihn diesbezüglich belehren und ihn spüren lassen, welche schmerzhaften Wunden eine Peitsche zufügen konnte. Dagegen leistete Rahotep aber ausgezeichnete Arbeit und wirtschaftete listig, sodass die monatlichen Einnahmen von Peru-nefer sich stets erhöhten. Das lag daran, dass der Schiffsbau unter seiner Führung rasch voranging und er den Export sowie Import eifrig aufrechterhielt. Diesbezüglich war Rahotep äußerst kompetent und seine Finanzprotokolle waren stets übersichtlich aufgelistet worden. All das tat er Kemet zuliebe, abzüglich dem, was illegal in seine persönliche Schatzkammer wanderte. Überdies kümmerte sich Rahotep gewissenhaft um die Instanthaltung der Königsbarke, inspizierte das Sonnenschiff täglich und ließ selbst die winzigste Schramme augenblicklich reparieren.
Der König packte an seine Stirn und schubste ihn, worauf Rahotep rücklings nieder kippte. Eje schmunzelte und stieß Haremhab freundlich an, der aber weiterhin mit müde wirkenden Augenlidern anteilslos dreinschaute. Rahotep hatte Angst und fürchtete nun, gegeißelt zu werden.
„Du bist ein erbärmlicher Wurm, genauso wie die Anderen. In Wahrheit glaubt ihr gar nicht an den wahren Gott, sondern nur an das Gold. Aber ich werde gnädig sein, falls du dich zu Aton bekennst, und werde dir sogar eine Grabstätte in Achetaton gewähren, in meiner neuen Stadt. Aber ganz weit weg von meiner Gruft, denn ich mag deine missratene Mumie im Tode nicht in meiner Nähe haben“, sagte Echnaton.
Rahotep krabbelte auf allen Vieren vor dem Pharao, legte seinen Kopf demütig vor dessen Füße und beteuerte, dass er ab sofort nur noch Aton anbeten würde. All seinen Freunden, Verwandten und Bekannten, versprach er, würde er empfehlen, fortan dem wahren Gott Aton zu opfern. Er flehte um Gnade und bettelte darum, dass der Pharao ihn vor der Peitsche verschonen sollte. Nach einer Weile ermüdete den Sonnenkönig sein jämmerliches Gestammel und damit Rahotep endlich seinen Mund hielt, packte er seinen Kahlkopf und stopfte ihm eine geschälte Banane in seinen Rachen, bis er mit aufgerissenen Augen würgte. Dann stieß er ihn mit dem Fuß weg.
„Halt endlich deinen Rand und geh mir aus den Augen, du dämlicher Köter. Ab sofort wirst du nur noch Aton huldigen, hörst du?! Ansonsten schicke ich dich samt deiner verfluchten Familie in die Gosse, damit ihr allesamt verhungert! “
Rahotep kaute hastig, verschlang die Banane und nickte demütig.
„Ja, gewiss werde ich Aton huldigen, Großer Pharao!“, antwortete Rahotep kauend.
„Eje, was sagst du dazu? Habe ich dem ehrenwerten Hafenmeister soeben einen Schrecken eingejagt?“, fragte der Pharao, während er beschwipst hin und her wankte.
Echnaton lachte laut und stieß mit der Königin an, wobei ihre goldenen Weinkelche in der Mittagssonne aufblitzten.
„Ohne Zweifel, Echnaton, dies wird ihm eine Lehre sein“, schmunzelte der Wesir. Eje bediente sich aus der Obstschale, schnitt mit einem Dolch zwei saftige Ananasstücke ab und überreichte seinem neuen Freund eines davon. Haremhab dankte es mit einem demütigen Nicken.
Echnaton und Nofretete alberten miteinander und machten sich wiedermal über Rahotep lustig. Sie stießen erneut ihre Kelche zusammen und schlürften Wein, während sie sich einander verliebt anblickten und sich küssten.

Eje lockte die Zofe Bürsa mit dem Zeigefinger energisch herbei und verlangte nach zwei Kelchen gepressten grünen Traubensaft. Bürsa war mit einer türkisfarbenen Burka vollständig verhüllt, sodass man von ihrem Gesicht lediglich ihre dunklen Augen sehen konnte. Sie verneigte sich tief vor Eje und verschwand rückwärtsgehen, um seinen Wunsch umgehend zu erfüllen.
Rahotep lugte verstohlen über die Reling und vergewisserte sich über den Verbleib seiner Perücke, die im Hafenbecken dahintrieb. Er grinste breit über die Backen und nahm Pharaos Humor anstandslos hin.
„Echnaton, darf ich dir dennoch einen gut gemeinten, ehrlichen Ratschlag vortragen?“, ergriff er übermutig das Wort, weil die Heiterkeit des Königspaares ihn überrumpelte und er heilfroh war, von Peitschenhieben verschont geblieben zu sein. Echnaton gab ihm ein Handzeichen, während er mit Nofretete innig knutschte, was bedeutete: Sag, was du zu sagen hast, und verschwinde.
„Mein Großer Pharao, Ihr wisst, ich bin ein Mann, der sehr gut mit Zahlen umgehen kann, und meiner Meinung nach wird Euer Vorhaben, eine Goldstadt zu errichten, äußerst kostspielig werden, gar Eure Schatzkammern erschöpfen.“
Echnaton ließ von den betörenden Lippen seiner Gemahlin ab, und starrte ihn bedrohlich an. Rahotep neigte seinen Kopf seitlich, knetete nervös seine Hände und griente verlegen breit über seine Pausbacken.
„Nun ja“, fuhr er fort, „aus sicherer Quelle habe ich erfahren, dass die Amunpriester über reichliche Goldreserven verfügen, welche ihnen einst Pharao Thutmosis II Amun zu Ehren schenkte. Oh Hoheit, diese Schätze sind gewiss weit aus beachtlicher als die Euren. Mein Vorschlag wäre demnach, es ihnen einfach wegzunehmen, ich meine also, ihr Gold zu beschlagnahmen.“ Rahotep nickte hastig. „Jawohl, Pharao. Beschlagnahmen. Das klingt doch etwas legaler, Großer Echnaton.“
Pharao Echnaton blickte ihm feindselig in die Augen.
„Du wagst es also, mit mir über Finanzen zu debattieren?“
Einen Augenblick herrschte erneut absolutes Stillschweigen. Dies war nun wirklich das Pyramidion aller Dreistigkeiten und verlangte nach einer angemessenen Bestrafung. Der junge Hauptmann schmunzelte, nun würde der Pharao diesem Trottel sicherlich auf der Stelle mit dem Dolch die Kehle durchtrennen. Jedenfalls hätte er es getan, wenn er der Pharao wäre. Aber Echnaton genehmigte sich stattdessen einen kräftigen Schluck Wein, tat dabei einen gelangweilten Wink und befahl: „Haremhab, schmeiß diesen dickwanstigen Popanz über Bord. Ich mag ihn nicht mehr sehen.“
Ohne zu zögern, erhob sich Haremhab, griff Rahotep grob am Nacken und schleuderte ihn gegen die Reling. Rahotep kauerte am Boden und blickte Haremhab ängstlich an. Er ging in die Hocke, umklammerte seinen fettleibigen Oberkörper und packte seine Beine. Und obwohl seine Wunde noch nicht auskuriert war, richtete sich Haremhab mit kraftverzerrtem Gesicht langsam auf, wuchtete Rahotep in die Höhe und warf den Wonneproppen über Bord. Eine beachtliche Wasserfontäne spritzte empor, als der Kommandeur der königlichen Barke fünf Meter tiefer unsanft auf das Wasser aufklatschte. Haremhab kehrte muskelangespannt zurück, setzte sich wieder im Schneidersitz hin und aß unbekümmert seine Ananas, als wäre nichts passiert. Der Pharao und die Königin schauten sich verblüfft an und prusteten.
„Außerordentlich, Haremhab“, sprach Echnaton erstaunt. „Normalerweise benötige ich immer zwei meiner Leibwächter, wenn ich Popanz über Bord werfen lasse.“
Echnaton blickte zu Eje und fragte ihn, ob Rahotep die Wahrheit gesprochen hatte oder ob er nur aufschneiden wollte. Horteten die Amunpriester tatsächlich einen unermesslichen Schatz und ließ sich dieser irgendwie legal beschlagnahmen? Aber Eje zuckte nur mit der Schulter und richtete sein helles Kopftuch. Mit dieser Angelegenheit wollte er nichts zu tun haben. Die Amunpriester zu bezwingen, schien selbst ihm viel zu riskant. Daraufhin schaute der Pharao den Schatzmeister Maya an, der lächelnd nickte aber zugleich verkündete, dass die Tempelpriester es wahrscheinlich nicht zugeben und das Versteck niemals verraten würden. Da müsste man schon einigen hohen Priestern ein Verbrechen anhängen und sie hinrichten lassen müssen, erst dann würde sicherlich einer der Amunpriester irgendwann gesprächig werden. Aber Maya warnte den Pharao sogleich einfühlsam, dass diese drastische Maßnahme sicherlich Folgen mit sich ziehen würde.
Echnaton blickte nachdenklich drein, genehmigte sich abermals einen kräftigen Schluck aus seinem goldenen Weinkelch und schüttelte mit dem Kopf.
„Ich glaube, eine Massenhinrichtung von Amunpriestern wäre in der Tat unklug. Diese verfluchten Amunärsche sind ausgesprochene Sturköpfe und würden sich davon nicht einschüchtern lassen. Niemals würden sie dieses Versteck preisgeben. Ich müsste dutzende von ihnen hinrichten lassen und würde möglicherweise trotzdem nichts erreichen, dies würde nur große Empörung beim Volk auslösen. Ich habe eine bessere Idee. Wenn die Zeit gekommen ist, werde ich alle Amuntempel schließen lassen. Dann kann ich in aller Ruhe ausgiebig nach dem Gold suchen, und werde es finden.“ Echnaton hob seinen Zeigefinger und sprach: „So soll es geschehen!“
Der Pharao blickte den jungen Krieger zufrieden an.
„Sei gegrüßt, Haremhab. Nun wirst du Zeuge werden, wo die Heilige Stadt erbaut wird. Ich werde sie Achet-Aton nennen (der Horizont des Aton). Was sagst du dazu? Wirst auch du Aton huldigen, dem einzigen wahren Gott?“
Haremhab erwiderte seine Frage mit einem kurzen Nicken. Echnaton grinste, prostete ihm mit dem goldenen Kelch zu und schluckte seinen Wein in einem Zuge hinunter.
„Männer, fischt euren Kommandeur wieder aus dem Wasser, bevor er mir noch im Nil ersäuft. Wir wollen ablegen!“, befahl Pharao Echnaton.
 
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