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Die Kinder von Brühl 18/Teil 2/Essensmarken und Stoppelfelder/Episode 10/Maries Hühner und der Badetag

Romane/Serien · Erinnerungen
© rosmarin
Episode 10

Der Badetag 

„Das ist aber schön“, freute sich Marie, als sie die Kinder sah. „Da können wir die Deckchen ja gleich fertig sticken“, sagte sie zu Rosi und Jutta. „Und du“, wandte sie sich an Karlchen, „kannst ein wenig in der Werkstatt rumschnuppern. Herr Metzner, also Onkel Metzner, wird sich freuen. “
Herr Metzner hieß mit Vornamen Emil. Doch Marie nannte ihn, wenn sie von oder über ihn sprach, Herr Metzner.
Die Kinder fanden das überaus amüsant. Nach einiger Zeit war Herr Metzner für sie auch nicht mehr Onkel Metzner. Er war der Herr Metzner.
„Wie es sich für einen Sattlermeister gehört“, sagte Else.
Else nannte Herrn Metzner Emil. Bestimmt gefiel ihr der Name. Weil Otto, ihr Vater, mit seinem Zweit – oder Drittnamen auch Emil hieß. Auch Erich Kästners – Emil und die Dedektive – hatten es ihr angetan.
„Das Buch ist aber erst für Kinder ab zwölf Jahre gedacht“, hatte sie gesagt, als Rosi es unbedingt lesen wollte. Daran gab es nichts zu rütteln. Else hatte ihre Grundsätze. So musste das heißbegehrte Buch halt noch eine Weile unnütz hinter dem verschlossenen Bücherschrank stehen. Im Verschlag. Wie Else den Raum vor dem Boden nannte.

So schnell er konnte, flitzte Karlchen über den Flur in den Hof.
Rosi und Jutta nahmen auf dem Sofa aus rotem Plüsch in der guten Stube Platz.
„Ich mache euch schnell einen schönen Kakao“, sagte Marie. „Ihr könnt schon mal anfangen.“
Rosi und Jutta griffen nach den Stickrahmen, die vor ihnen auf dem Tisch lagen, und stickten an ihren Blumendeckchen weiter.
„Ich weiß gar nicht, was wir mit den Deckchen sollen“, flüsterte Rosi.
„Ich auch nicht“, flüsterte Jutta zurück. „Zuhause können wir sie nirgends hinlegen. Mama mag solche nostalgischen Sachen nicht.“
„Vielleicht schenken wir sie Oma“, schlug Rosi vor. „Zu ihr passen sie besser. Das sieht man ja schon an ihren Blusen.“
„Stimmt.“ Jutta senkte ihren Kopf tief über den Stickrahmen. „Die sind auch alle bestickt“, sagte sie nach einer Weile.
Marie kam mit einer Kanne Kakao zurück. „So“, sagte sie. „Der tut euch bestimmt gut.“
Erleichtert legten die Mädchen ihre Stickrahmen neben sich auf das rote Plüschsofa. Dann tranken sie den Kakao aus Mariechens Blümchentassen aus Meißner Porzellan. Um sie herum flatterten die Hühner. Aufgeregt, wie immer, gackerten sie um die Wette. Wie bei ihrem Kennenlernen liefen die Hühner überall herum. Sie flatterten sogar auf den Tisch. Unter die zwei roten Plüschsessel. Auf die antike Kommode. Auf den antiken Schrank. Sogar auf der alten Westminsteruhr hockte ein Huhn.
‚Vielleicht schlafen die Hühner auch in Maries Bett‘, dachte Rosi. ‚Da können die ihre Eier gleich unter der Zudecke ablegen. Da ist es schön weich und warm‘, kicherte sie. „Schlafen die Hühner auch mit in deinem Bett, Tante Metzner?“, fragte Rosi Marie. Sie musste ja wissen, ob ihre Vermutung richtig war.
Ohne zu zögern, erwiderte Marie: „Das kommt schon vor. Aber meistens jagt sie Herr Metzner dann wieder in den Hof. Da fliegen sie dann in den Hühnerstall. Das heißt“, fügte sie hinzu, „wenn die Klappe noch offen ist.“
„Unsere Hühner müssen immer in den Stall“, sagte Jutta. „Und wenn alle Hühner und auch der Hahn drin sind, macht Richard die Klappe zu.“
„Habt ihr auch einen Hahn?“, fragte Rosi.
„Und ob“, lächelte Marie. „Aber der hat nicht viel zu melden.“
Plötzlich schlug die alte Wetminsterstanduhr drei Mal. Das Pendel pendelte bedrohlich hin und her. Und das Huhn, das es sich auf der Uhr gemütlich gemacht hatte, flatterte erschreckt auf den kostbaren Perserteppich. Ziellos hüpfte es durch die ganze Stube. Nur die offene Stubentür fand es nicht.
„Komm her, Luise.“ Marie stand auf. Schnell griff sie nach Luise, die gerade im Begriff war, unter ihrem langen Rock Schutz zu suchen. „Beruhige dich“, sagte Marie zärtlich zu Luise. „Es ist doch nur die Uhr.“
„Wir müssen nach Hause“, sagte Rosi. „Heute ist doch Badetag. Und wir müssen fertig sein, bevor Richard von der Arbeit kommt.“
„Gut.“ Marie begleitete die Kinder zur Haustür. „Karlchen kommt auch gerade zur rechten Zeit“, freute sie sich. „Dann bis morgen, Kinder“, sagte sie fröhlich.

*

„Du bleibst schön hier sitzen.“ Else setzte Bertraud Johanna neben Jutta und Karlchen auf die Couch. „Immer quirlst
du zwischen meinen Beinen herum“, sagte sie. „Und ihr“, wandte sie sich an Jutta und Karlchen, „passt auf sie auf, bist sie dran ist. Das Wasser ist bestimmt bald warm genug. Ich geh nochmal nach oben. Nachschauen, ob Margitta schön schläft.“
Else eilte die Treppe zum Schlafzimmer hinauf. Die Kinder saßen wie die Orgelpfeifen artig auf der Couch. Sie sagten keinen Mucks. Sogar Bertraud Johanna hatte aufgehört zu plappern. Sie starrte fasziniert auf den Fliegenfänger über dem Tisch. An dem klebten noch immer die toten Fliegen. Doch einige zappelten noch.
„Die Fliegen wollen weg“, sagte sie in das Schweigen hinein.
Niemand antwortete ihr. So beobachtete sie weiter die Fliegen an dem Fliegenfänger.
Die Kinder warteten geduldig auf weitere Anweisungen. Es war ja Freitag. Und der Freitag war der Badetag. So war es schon, seit Rosi denken konnte. Nachdenklich holte sie zum wiederholten Mal einen Topf mit heißem Wasser aus der Grude. Vorsichtig goss sie das Wasser in die große Zinkwanne, die auf dem steinernen Fußboden neben der Grude stand. Die Wanne hatten sie und Else schon gestern Abend aus dem Schuppen geholt.
„Die Vorbereitung ist die halbe Arbeit“, war Elses Devise.
Allerdings bestand die Vorbereitung nur darin, die Zinkwanne aus dem Schuppen in die Küche zu befördern.
Rosi stellte den Küchenstuhl neben die Wanne. „Jutta!“, rief sie durch die offene Küchentür, „bring mal bitte die Seife und die Waschlappen aus dem Flur. Und die Badetücher.“
Rosi prüfte die Temperatur des Wasser mit dem Ellenbogen. Das Wasser war, wie es sein sollte. Nicht zu heiß. Nicht zu kalt. Also brauchte sie das Thermometer, das Else für das Wasser für das Baby benutzte, nicht. Die Schüssel, in der Else die kleine Margitta badete und neben der das Thermometer lag, stand sowieso im Schlafzimmer auf dem Marmortisch vor dem großen Spiegel. Den Weg konnte sie sich also sparen. „Das Badewasser ist fertig!“, erinnerte sie Jutta. „Wo bleiben die Badetücher?“
„Bin schon da.“ Jutta reichte Rosi die Badetücher, die Waschlappen, ein Stück Kernseife und eine große Schrubbbürste. „Ich ziehe gleich mal Bertraud Johanna aus“, sagte sie. „Da kann sie gleich wieder rumschreien und das Wasser verschütten. Ist noch welches in der Grude?“
Rosi prüfte, ob im letzten Topf noch genug warmes Wasser war. „Ist noch genug da“, sagte sie. „Wo bleibt denn Mama so lange?“
„Die ist bestimmt wieder eingeschlafen“, vermutete Jutta. „Wie letztens auch.“
Es kam tatsächlich immer öfter vor, dass Else einfach einschlief. Wo sie ging und stand. „So was Dummes“, entschuldigte sie sich dann. „Ich bin fix und fertig.“
Karlchen saß stocksteif auf seinem Platz. „Zieh deine paar Sachen aus“, forderte ihn Rosi auf, „Du weißt doch, dass du zuerst dran bist. Zusammen mit Bertraud Johanna.“
Karlchen rührte sich nicht vom Fleck. Mit großen Augen starrte er trotzig vor sich hin. „Na, mach schon“, wurde Rosi ungeduldig. „Das Wasser wird kalt. Und ich habe keine Lust, im kalten Wasser zu baden.“
„Und ich habe keine Lust, mit Ber
traud Johanna zu baden“, schrie Karlchen los. „Oder mit dir und Jutta! Ihr seid doch Mädchen. Und ich bin schon groß!“
„Hahaha“, lachte Rosi. „So plötzlich? Vorige Woche warst du also noch klein? Und wir waren keine Mädchen? Los, mach schon.“
Jutta verschwand mit Bertraud in der Küche. Karlchen machte keine Anstalten, sich auszuziehen.
Plötzlich stand Else in der Stube. „Was macht ihr denn für einen Lärm“, sagte sie vorwurfsvoll. „ Ihr weckt doch das Baby auf. Und warum bist du noch nicht in der Wanne?“ Schnell ging Else die paar Schritte zur Couch. „Los“, fauchte sie, „ab mit dir. Wir haben nicht alle Zeit der Welt.“
„Er bockt“, sagte Rosi. „Er will nicht mit uns in die Wanne. Weil wir Mädchen sind.“
„Stimmt das?“, fragte Else Karlchen.
Karlchen nickte. Aus seinen großen, blauen Augen kullerten die Tränen.
„Nichts da“, sagte Else, „ich habe keine Zeit für solchen Firlefans. Heute gehst du nochmal mit den anderen in die Wanne. Und nächste Woche …, mal sehen.“
Also war es wie immer. Wie immer jeden Freitag Nachmittag. Nur, dass Karlchen sich diesmal selbst abseifen und mit der großen Familienbürste abschrubben durfte.
Else nahm Bertraud Johanna auf den Arm. Sie trug sie in die Stube und rubbelte sie mit einem Badetuch ab.
„Nacktfrosch im Hemde,
was willst du in der Fremde?“, hörten die Kinder in der Küche Else singen. „Hast kein' Schuh und hast kein' Hos,
hast ein einzig Strümpfel bloß.
Wirst du noch den Strumpf verlier'n,
musst du dir ein Bein erfrier'n.
Geh nur wieder heime;
Mach dich auf die Beine!“
Bertraud Johanna kreischte und lachte vor Vergnügen. „Mach dich auf die Beine, mach dich auf die Beine …“, sang sie fröhlich mit.
„Bertraud Johanna ist jetzt Mamas Goldtöchterchen“, stellte Jutta ironisch fest. Sie stieg zu Karlchen in die Wanne. „Mit uns hat sie das Lied nie gesungen“, sagte sie. „Los, Rosi, komm auch rein. In die Brühe.“
„Brühe ist treffend“, lachte Rosi. „Und wenn mein Dreck dazu kommt, wird aus der Brühe ein brauner Brei. Hahaha.“
Übermütig plumpste Rosi zu Jutta und Karlchen in die Zinkwanne. „Nacktfrosch. Nacktfrösche“, amüsierte sie sich. „Drei Nacktfrösche. Vielleicht kannte Mama das Märchen vom Goldtöchterchen damals noch nicht“, nahm sie den Faden wieder auf. „Aber was die können , können wir auch. Los, singt mit. Wir sind die Goldkinder. Die Goldkinder in der Zinkbadewanne.“
Karlchen hatte ganz vergessen, dass Jutta und Rosi Mädchen waren und trällerte fröhlich mit den Mädchen:
„Hast kein' Schuh und hast kein' Hos,
hast ein einzig Strümpfel bloß.
Wirst du noch den Strumpf verlier'n,
musst du dir ein Bein erfrier'n.
Geh nur wieder heime;
Mach dich auf die Beine!“

„Meine Beine haben kein Wasser mehr“, stellte Rosi erschrocken fest.
„Meine auch nicht.“
„Meine auch nicht.“
Das Badewasser aus der Zinkwanne hatte sich längst seine Bahn über den Steinfußboden auf die Holzdielen in der Stube gesucht. Langsam sickerte es zu Elses Füßen.
„Was ist denn das?“, schrie Else erschrocken auf. „Ihr macht aber auch nur Blödsinn!“ Hastig setzte sie Bertraud Johanna auf die Couch. „Beib hier sitzen. Na die können was erleben.“
Verärgert ging Else die paar Schritte in die Küche. Rosi, Jutta und Karlchen hatten sich in ihre Badetücher gewickelt. Mit gesenkten Blicken standen sie vor Else.
Als Else die Kinder so schuldbewusst sah, konnte sie sich ein Lachen nicht verkneifen. „Steht nicht so rum, wie die armen Sünder“, sagte sie versöhnlich. „Wischt lieber das Wasser in der Stube auf.“ Sie holte den Wischeimer mit den Lappen aus der Ecke hinter der Grude. Energisch stellte sie ihn vor die leere Wanne. „Hier“, sagte sie. „Damit das Holz nicht fault.“
Das war nochmal gut gegangen. Schnell wischten die Kinder die Dielen wieder trocken.

„Schade ist nur, dass ich jetzt nicht mehr in die Wanne kann“, hörten die Kinder Else in der Küche sagen.

***

Fortsetzung folgt
 
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