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2 Seiten

Die Angst vor den Pyramiden

Nachdenkliches · Kurzgeschichten
Ein sehr schöner Tag. Mit viel Sonne, hohen Temperaturen, aber nicht zu hoch, mit guter Laune, weil im Grunde positiv in die Zukunft blickend, und mit dem Gefühlt, dass man einfach auf dem richtigen Weg ist, weil das, was geplant wurde, umgesetzt wird. Schritt für Schritt. Ein Gefühl, als würde sich ein Teilchen in das andere einfügen. Sollte geopolitisch auch noch so viel los sein; noch so viel im Argen liegen, die kleine Welt, die Lebenswelt; der Alltag bleibt intakt oder fühlt sich zumindest so an. Sollen die Mächtigen ihre mächtig kindischen Spiele doch unter sich austragen. Dabei handelt es sich doch eh, zumindest gefühlt, um eine ganz andere Welt. Kann schon sein, dass sie auf dem gleichen Planeten leben, aber sie könnten sich auch irgendwo ganz anderes befinden. Derart weit weg, es hätte auch der Zwergplanet Pluto sein können. Dies hätte für ihn keinerlei Unterschied gemacht. Die eigene Welt; die eigene kleine Welt, sie ist es, auf die es ihm wirklich ankommt. Alles andere spielt sich für ihn in einem anderen Universum ab, samt anderer Realitäten, Regeln und Gesetzmäßigkeiten. Demnach stellt sich für ihn gar nicht die Frage, ob es nun tatsächlich Paralleluniversen gibt oder nicht. Er benötigt, um sich dies nachzuweisen, weder Berechnungen noch Formeln noch irgendwelche abgefahrenen Theorien aus der Quantenphysik. Sein eigenes unwissenschaftliches und unhinterfragtes Gefühlsleben reicht ihm für den diesbezüglichen Nachweis schon völlig aus. In seiner Welt ist alles in Ordnung. Zumindest gefühlt. Zumindest an diesem Tag. Oder zumindest zu Anfang diesen Tages. Er genießt es einfach, diesen Moment. Im Grunde kann man doch auch nur den Moment genießen. Denn vielleicht ist es sogar noch kleiner, als er es zuvor gedacht hat. Vielleicht kommt es noch nicht einmal auf die Lebenswelt an, und auch nicht auf den Alltag. Sondern viel eher auf das Gefühlsleben im Moment. Und zwar einfach deshalb, weil es sich dabei um eine abgeschlossene Einheit handelt. Sollte nur eine einzige Wahrnehmung, ein einzelner Gedanke oder eine kurze kleine Erinnerung in diesen Moment einfließen, schon droht das Gesamtbild zu kippen; kann es durcheinandergeraten; knüpft es neue Verbindungen und fügt sich nach einer kurzen Phase der Entropie wieder zu einem neuen Gesamtbild zusammen; zu einer neuen Einheit; zu einem neuen Moment. Zu einem Gefühl für eine Situation, das sehr unterschiedlich zu der vorherigen Gefühlslage der Entropie, die immer auch Bewegung ist, oder der der Entropie vorangegangenen Einheit sein kann. Doch auch dabei handelt es sich wieder nur um einen Moment; um einen kurzen Augenblick der nur darauf wartet, sich von einem Impuls von Außen oder von Innen wieder in etwas anderes zu verwandeln. Am besten in etwas ganz anderes. In etwas, das ein größtmöglicher Kontrast zu den vorherigen Zuständen bilden kann, damit so ein Maximum an Wahrnehmbarkeit; auch an Erkenntnis entsteht. Und so taumeln wir von einem Zustand; von einem Moment zum nächsten, über den Tag verteilt, und nehmen auch den gesamten Tag erst in der Retrospektive wieder als eine Einheit wahr. Aber nur dem entsprechend, was an diesem Tag gefühlsmäßig dominant im direkten Vergleich zu den anderen Momenten gewesen war. So geschieht es dann auch mit den Tagen in der Retrospektive zueinander; dann auch mit den Monaten und mit ganzen Jahren. Die Details werden nach und nach immer blasser; sie verschwimmen und teils entschwinden sie auch. Teils für immer, teils können sie mit Anknüpfungspunkten wieder hervorgebracht werden. Doch in den meisten Fällen bleibt jeweils nur ein Gefühl für die Gesamtheit übrig, das ebenso, sollte es nicht erneuert; nicht regelmäßig reaktiviert werden, nach und nach zu verschwimmen; zu entschwinden droht. Und das geschieht dann auch mit dem gesamten Leben eines Menschen innerhalb der Erinnerungen derjenigen, die jeweils gerade da sind. Wird nichts rezipiert bleibt nichts übrig. Selbst das Materielle verschwimmt in der Zeit; geht regelrecht darin unter.
Doch es gibt Ausnahmen. Man denke nur einmal an die Pyramiden. Ein altes ägyptisches Sprichwort lautet: „Alles und jeder hat Angst vor der Zeit. Außer die Pyramiden. Vor ihnen hat die Zeit Angst.“
Rein geistige Inhalte sind wahrscheinlich etwas besser zu konservieren und mit ihnen zusammen auch Menschenleben. Doch ob davon etwas übrig bleibt, hängt sehr stark von der jeweiligen Relevanz des Inhalts ab; vor allem auch, ob es darin um Themen geht, die es vermögen, die Zeit zu überdauern. Ob es um universelles geht, das auch für die nachfolgenden Generationen und Zeitalter in irgendeiner Weise eine Relevanz behält. Wie die Pyramiden.
 
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Ach komm schon, es wird etwas darin überleben.

Ingrid Alias I (27.07.2022)

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