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6 Seiten

Desaster

Spannendes · Kurzgeschichten
"Schatten begleiten uns ein Leben lang. Manchmal gehen sie voran und zeigen uns den Weg. Manchmal verfolgen sie uns und manchmal verstecken sie sich im Dunkeln aber sie sind immer da.
Das Licht vertreibt sie und das Licht erweckt sie. Manchmal spenden sie uns einfach nur etwas Kühle und manchmal erschrecken sie uns fast zu Tode. Manchmal verfolgen sie uns bis in unsere Träume, selbst in der dunkelsten Nacht sind sie dann da und verstecken sich unter dem Bett oder in der dunklen Ecke deines Lebens. Dann sehen wir sie nicht aber sie sind da und am Ende kommen die Schatten und nehmen dich mit in ihr Reich und du wirst selbst zum Schatten – zum Schatten deines Lebens – zum Schatten deiner selbst."


Desaster

Er stand auf dem Parkplatz und schaute hinunter in das graue Tal. Hier oben schien noch die Sonne. Sie schickte ihre letzten Strahlen vom Horizont und sie spiegelten sich in seiner Sonnenbrille. Da unten jedoch, an diesem grausamen Ort, breiteten sich schon die Schatten aus, als wollten sie etwas verstecken und die Dunkelheit darüber ausbreiten.

Er nahm einen letzten Zug von der Zigarette, trat sie aus, stieg in ihren alten Fiesta ein und fuhr die kurvige Strecke hinunter in das Tal der Schatten.
Langsam rollte er durch den kleinen erbärmlichen Ort, der nichts von seinem Schrecken für ihn verloren hatte. Es hatte sich kaum etwas geändert in den letzten 10 Jahren. Da war die kleine Kirche mit ihrem spitzen Turm. Die kleinen Höfe, die alten heruntergekommenen Bauernhäuser. Ab und zu mal ein renoviertes Einfamilienhaus und natürlich der Gasthof. „Zum Adlerhorst“, hier unten im Tal dachte er und schüttelte unmerklich den Kopf. Er stellte den Fiesta davor ab, atmete draußen noch einmal tief durch und öffnete die Tür zum Gasthof. Der schale Geruch nach altem Essen, abgestandenem Rauch und Bier schlug ihm entgegen. Es saßen vielleicht eine Hand voll Menschen an den Tischen und zwei ältere Männer standen an der antiken Theke und tranken ihr Bier. Eine brünette Frau, Anfang zwanzig mit übergroßen Titten schaute ihn misstrauisch über die Theke an.
„Hallo mein Name ist Daniel Babelsmann. Ich habe ein Zimmer reserviert.“ Jetzt schlich sich ein Lächeln in ihr Gesicht. „Oh Hallo, ja natürlich.“ Sie drehte sich um und tippte etwas auf einer Tastatur vor einem alten Siemens Monitor. Sie drehte sich kurz nach rechts und schnappte einen Schlüssel aus einen alten hölzernen Kasten. „Zimmer 18“, sagte sie und reichte ihm den Schlüssel. „Ich kann sie leider nicht begleiten. Ich bin heute Abend alleine hier aber sie müssen nur durch die Tür, die Treppe hoch und dann finden sie es.“ „Ja das ist kein Problem. Ich komme zurecht.“
Das Zimmer war klein, spartanisch eingerichtet, mit einem Bett, einem Schreibtisch mit obligatorischer schrecklich kitschiger Deko, ein kleines hässliches Bad aber mit dem gewünschten Balkon. Er schnappte sich seine Zigaretten und trat raus. Was würde ihn erwarten? Was würde er herausfinden und erreichen nach all den Jahren?

Er träumte von ihr und warf sich hin und her in dem muffelnden Bett. Er hatte sie geliebt aber sie nicht retten können. Er sah ihr Lächeln vor sich und ihr Grab und dann erschreckte ihn ein Klopfen, ein leises Rascheln und ihn überkam die Angst. Wussten sie, dass er da war? Er lauschte in die Dunkelheit. Nichts! Oder doch? Da war ein kaum hörbares Kratzen und dann ganz leise Schritte. Er fing an zu schwitzen und lag wie hypnotisiert und gefesselt auf dem Bett. Die Träume wollten wieder kommen. Diese schrecklichen Träume. Die Ängste und die Schmerzen. NEIN! Das alles war vorbei. Er hatte das alles hinter sich gelassen vor langer, langer Zeit. Er hatte ein neues Leben begonnen und kämpfte sich durch. Die Schatten seiner Vergangenheit wollten ihn zurück. Sie wollten wieder den Schmerz und die Angst verbreiten. Das durfte er nicht zulassen. Warum hatte er sich nur auf diesen Irrsinn eingelassen? Er hätte die Vergangenheit ruhen lassen sollen.
„Beweg dich!“, schrie er sich selbst an. Er fuchtelte mit der rechten Hand nach dem Lichtschalter und das Licht vertrieb die Schatten unter das Bett und in die dunklen Ecken. Da war nichts in seinem Zimmer. Nur er und der schwache Geruch nach Zigaretten. Er setzte sich auf und lauschte wieder. Hatte er sich das alles nur eingebildet? Er ging zum Balkon. Die Straßenlaterne auf der anderen Seite schickte genug Licht, um zu sehen, dass hier nichts war. Auch die Straße vor dem Hof lag seelenleer im Schlaf.
Er ging zur Zimmertür und lauschte wieder. Langsam drehte er den Schlüssel und öffnete die Tür. Er sah nach links und rechts in den Gang, der leer vor ihm lang. Als er die Tür wieder schließen wollte, sah er das Couvert auf dem Boden vor seiner Tür.
Er schaute sich noch einmal um aber da war immer noch niemand. Er schnappte sich den Brief, schloss die Tür und sperrte ab. Seine Hände zitterten und schwitzten, als der das Blatt Papier herauszog und las: „Schön das du wieder da bist!“.
Er wurde bleich im Gesicht und ließ sich auf das Bett sinken. Nein, das konnte nicht sein! Das durfte nicht sein! Sein Herz schlug wie wild und die Gedanken rasten wie ein Schnellzug durch seinen Schädel. Was sollte er tun? Wenn sie wussten, dass er da war, dann wussten sie auch wer der Verräter war. Er musste Heiko warnen. Oder war es schon zu spät oder würde er damit Heiko erst verraten? Wussten sie wirklich von ihm? Verdammt was sollte er tun? Er musste telefonieren und das alles beenden!

Er stand vor dem alten Bauernhof. Heiko war irgendwo im Gebäude, hatten sie gesagt. Ein letzter Zug an der Zigarette. Tief durchatmen, beruhigen und runterkommen.
Vielleicht ging ja alles gut, dachte er sich aber sein Bauchgefühl sagte ihm etwas anderes. Warum hatten sie ihn nicht einfach da rausgeholt? „Wir werden alles unter Kontrolle haben.“, war die Antwort gewesen. „Du bist verkabelt und wir sehen und hören alles was du siehst und hörst.“ Nein er sollte abbrechen. Das konnte alles nicht gutgehen. "Das Desaster nimmt seinen Lauf", schoss es ihm durch den Kopf. Er sah, wie seine Hand sich von ganz alleine hob und an die Haustür klopfte. Ein Summen erklang und er drückte die Tür auf. Drinnen war es dunkel. Kein Licht brannte und die Rollläden waren verschlossen. „Heiko?“, rief er dem Dämmerlicht entgegen. „Komm in die Halle!“, kam die Antwort aus den dunklen Schatten.
Langsam ging er durch den Flur. Vorbei an Küche, Wohnzimmer und Bad. Die Tür zu Halle war offen. Da drin war endlich Licht und verscheuchte die Schatten, die er sich aber sofort wieder zurückwünschte, als er eintrat.
Da standen sie. Lars, Holger und Stefan. Stefan stand hinter Heiko und ein langes glänzendes Messer kratzte dessen Hals blutig.
„Schön dich zu sehen“, sagte Stefan und grinste. Heiko sah ihn angst- und schmerzerfüllt an und die anderen zwei äfften das Grinsen ihres Anführers nach. „Warum so still? Kein Hallo? Kein schön euch wiederzusehen?“
„Ich hatte mir gewünscht euch nie wieder sehen zu müssen! Und jetzt weiß ich auch wieder warum. Ihr seid kranke Spinner, die Menschen getötet haben und bis heute frei herumlaufen.“
Das Grinsen ist Stefans Gesicht war immer noch da aber in seinen Augen glänzte jetzt sein Hass. Sein Hass auf diese Welt und alles was damit zu tun hatte.
„Ach Daniel, was soll das? Du warst mal ein Teil von uns. Wir waren Freunde, Familie aber als es hart auf hart kam, bist du abgehauen.“
Ein maskenhaftes Lachen huschte über Daniels Gesicht. „Feige abgehauen stimmt wohl aber ich war nie ein Teil von euch. Genauso wenig wie sie ein Teil von dir sein wollte. Sie hasste dich und ist lieber gestorben, als ein Teil deiner kranken widerwärtigen Welt zu sein!“
Das Grinsen war jetzt weg und der Hass lag offen in seinem Gesicht, wurde zu einer ekelhaften Maske aus Wut und Irrsinn. Nein es war keine Maske. Das Grinsen war die Maske gewesen und dieser Irrsinn sein wahres Ich.
„Ich habe sie geliebt und du und sie, ihr habt mich betrogen und dafür hat sie ihre Strafe bekommen, so wie du heute endlich deine bekommen wirst sowie dieser kleine miese Verräter hier!“
„Stefan es gibt keinen Ausweg mehr für dich. Das SEK steht draußen bereit und wird euch alle einbuchten. Ihr habt keine Chance zu entkommen. Gib auf! Mach es nicht noch schlimmer!“
„Halt dein dummes Maul! Glaubst du ich wüsste das nicht? Glaubst du, ich wüsste nicht, dass du verkabelt bist? Wir sind vorbereitet und werden allen, die hier rein wollen, einen schönen knalligen Empfang bescheren. Es wird hier niemand lebend rauskommen!“
„Stefan bitte…“ „Nein es ist zu spät und du hast scheinbar vergessen, dass ich zu meinem Wort stehe und du irgendwann für deinen Verrat bezahlen wirst. Wir sind eine Familie, das wirst du nie verstehen. Wir werden hier gemeinsam sterben. Kennst du diesen schönen Spruch, wenn man nicht mehr stolz leben kann, wird es Zeit stolz zu sterben.“

Die Lichter flackerten und die Schatten zuckten zurück aus ihren Verstecken. Er hörte Schritte im Gebäude, laut gerufene Anweisungen und dann das ohrenbetäubende Knallen. Die Wucht der Detonation warf ihn zu Boden. Er landete im Dreck und Staub. Er hob den Kopf und sah zu Stefan, der ungerührt dastand. Der drehte langsam den Kopf zu seinen Kumpanen und nickte. Die beiden liefen los.
„Okay bringen wir es zu Ende Daniel.“ Mit einem Ruck zog er das Messer an Heikos Kehle nach hinten und nach oben. Heikos Augen wurden zu riesigen Kugeln in seinem Gesicht. Durch das Gebrüll, die Detonationen und die Schüsse hörte Daniel das erstickte Gurgeln. Das rote Blut spritzte aus seinem Hals. Seine Hände wollten die Wunde zudrücken aber das Blut spritze durch seine Finger hindurch einfach weiter. Er sackte auf die Knie. Noch einmal ein Röcheln und dann prallte er mit dem Gesicht auf den staubigen Boden.
Stefans irres Grinsen war zurück und er kam langsam auf Daniel zu. Daniel richtete sich auf, bleich und zitternd stand er da und in seinen Augen glänzte nun auch der Hass! Stefan hob das Messer und rannte los. Er hörte immer noch Schüsse und Schreie im Gebäude. Er sah Stefan auf sich zu stürmen, sah das lange glänzende und jetzt rot schimmernde Messer. Er sah den Staub, sah die kleinen roten Bluttropfen, die sich vom Messer lösten und durch die Luft wirbelten. Im letzten Moment sprang er zur Seite. Hinter ihm, neben der Eingangstür zu Halle, hingen Werkzeuge. Eine Axt, eine Säge, eine Mistgabel und andere schöne Dinge, um jemandem weh zu tun oder zu töten. Er rannte darauf zu und in dem Moment stürzte ein Polizist durch die Tür. Er erkannte die Zielperson hinter Daniel und schrie etwas, das nie in Daniels Gehirn ankam. Daniel sah, wie der Polizist schoss, sah wie der Polizist ruckartig vom Boden abhob und dann nach vorne fiel. Er war jetzt neben der Tür, als Lars mit der Schrotflinte hereinstürzte und erschrocken zu Stefan schaute.
Die Zacken der Mistgabel bohrten sich in Lars Kopf und Rücken und drückten ihn wie Mist zu Boden. Daniel zog sie mit einem Ruck aus dem leblosen Körper und schaute zu Stefan. Er blutete aus einer Wunde im Bauch. Der Polizist hatte ihn erwischt aber in seinem Blick war immer noch dieser grenzenlose Hass. „Ja jetzt bringen wir es zu Ende“, sagte Daniel und stürmte los.
Er hörte immer noch Schüsse und Schreie aber nichts davon bewirkte etwas in ihm. Er riss seine neue Waffe hoch und Stefan hob das Messer. Vor seinen Augen traf Stefan ein weiterer Schuss in die rechte Schulter und das Messer flog davon und verteilte weiter seine dunkelroten Tropfen im Staub. Daniel hielt nicht mehr inne. Er stieß zu, sah wie sich die alten rostigen Zacken in Stefans Brust und Bauch bohrten, fühle kurz diesen Widerstand als sie Knochen, Fleisch und Organe durchbohrten, sah Stefans überraschte Augen, sah Blut aus dessen Mund quellen und dann spürte den Schmerz in seinem Rücken und den Druck, der ihn auf Stefan stieß und sie beide zu Boden warf.

Es wurde dunkel um ihn herum. Der ganze Krach, das Wüten, der Irrsinn der letzten Minuten waren weg genauso wie die Schmerzen und der grenzenlose Hass. Die Schatten kamen und nahmen ihn mit in ihr Reich. Es war vorbei. Sein krankes kaputtes Leben und der Mensch, der dafür verantwortlich war, hatte er mitgenommen in die Schatten. Dieser letzte Gedanke ließ ihn mit einem Lächeln zurück.

Der Polizist betrachtete die beiden Leichen vor ihm. Sah die erschreckten und weit aufgerissenen Augen des einen und diesen seltsamen entspannten und fast schon zufriedene Gesichtsausdruck des anderen.
„Was für ein Desaster“, sagte er und ging nach draußen. Er wollte einfach nur noch raus aus dieser Hölle und eine Zigarette rauchen.
 
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