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4 Seiten

Die blöde Katze

Nachdenkliches · Kurzgeschichten
Katzen sind seltsame Tiere. Menschen aber manchmal auch. So wie Roswita, auch genannt Rosie. Sie kommt mit Menschen eigentlich ganz gut zurecht, solange sie mit ihnen nichts zu tun haben muss. Denn sie erträgt sie im direkten Kontakt nicht, oder zumindest nur sehr schwer. Dennoch hat sie Sehnsucht nach ihnen. Und hat sie doch einmal Kontakt mit einem Menschen, tut sie alles dafür, um diesen wieder loszuwerden. Gehen die Menschen dann konsequenter Weise fort, und meiden sie sie von da an, was ja eigentlich in der Natur der Sache liegt, dann wünscht sie sich nichts sehnlicher, als dass diese Menschen wieder zu ihr zurückkommen. Aber nur, um sie dann wieder zu vergraulen, weil sie sie einfach nicht ertragen kann.
Sie durchschaut die Menschen ganz gut. Das ist vielleicht auch Teil des Problems. Der andere Teil des Problems ist, dass sie sich mit ihrer Meinung über die anderen Menschen einfach nicht zurückhalten kann. Zumindest nicht auf Dauer. Denn in der ersten Stunde gelingt ihr das in den meisten Fällen eigentlich ganz gut.
Mit solch einer Konstitution werden die sozialen Kontakte natürlich mit der Zeit nach und nach tendenziell eher geringer. Denn die Zusammenkünfte mit Rosie werden für Außenstehende, die nur mal so zum Kaffeeklatsch vorbeikommen wollten, schnell sehr anstrengend, wenn sie nach kurzer Zeit zu hören bekommen, was sie ihrer Meinung nach alles sind. Wer will schon wirklich ständig vor die Nase gehalten bekommen, wie man tatsächlich ist, oder zumindest: für was man gehalten wird? Die Wenigsten. Und am wenigsten von allen Rosie selbst. Die Meisten wollen so gesehen werden, wie sie sich selber sehen. Andere Sichtweisen irritieren da doch nur. Das ist doch verständlich, oder etwa nicht?
Ein Schlag in Form einer „Wahrheit“ gegen eine Person provoziert stets einen ähnlich gearteten Gegenschlag gegen die eigene Person. Auch dies liegt in der Natur der Sache. Und je nachdem wie vernünftig eine der beteiligten Parteien ist, kann ein so entstandener Konflikt in Einzelfällen sehr weit getrieben werden.
Es dürfte nicht erstaunlich sein, dass sich zweimal oder gar dreimal überlegt wird, ob man zu einem Kaffeeklatsch zu Rosie kommt, oder ob man ihr, trifft man sie zufällig einmal im Supermarkt, was in einem kleinen Dorf, in dem sie lebt, ja durchaus mal vorkommen kann, auch nur „Hallo“ sagt, weil stets mit der Angst verbunden, man könnte zu einem ihrer berüchtigten Teepartys eingeladen werden.
Rosie hat eine Katze. Sie hat ihr keinen Namen gegebene. Sie nennt sie meist einfach nur „Katze“, höchstens mal mit einem Adjektiv verbunden, wie etwa „Du blöde Katze“. Persönlicher wird die Aussprache zwischen Rosie und ihrem Haustier eigentlich nicht. Noch nicht einmal in der Vorweihnachtszeit, wenn sich mal wieder niemand bei ihr hat blicken lassen oder sich bei ihr auch nur gemeldet hat. Erst zu Heiligabend und dann höchstens noch am ersten und am zweiten Weihnachtstag kommt mal einer der Verwandtschaften bei ihr vorbei. Dabei wird aber penibel darauf geachtet, dass der Aufenthalt bei ihr so kurzgehalten wird, wie möglich. Denn sobald die erste Stunde überschritten ist, fängt es an, für alle Beteiligten kritisch zu werden; fängt der ein oder andere der Besucher an, ständig auf die Uhr zu sehen oder nervös mit seinem Fuß zu wackeln. Geht es dann wider Erwarten in die zweite Stunde, ohne dass etwas geschehen ist, wird die Stimmung noch aufgeladener, weil es in dieser Phase nicht mehr nur darum geht, ob etwas beginnt, sondern nur noch, wer dieses Jahr das Opfer sein wird. Deshalb verabschieden sich in der zweiten Stunde die meisten der Gäste recht schnell und kurzangebunden, und es bleiben nur noch die hartgesottensten von ihnen übrig oder die, die was erleben wollen; die aus irgendeinem Grund den Thrill suchen.
Rosie und die Menschen ganz allgemein sind einfach nicht füreinander geschaffen. Eigentlich auch nicht Rosie und ihre Katze, die sie regelmäßig beschimpft, ja geradezu in aller Regelmäßigkeit mit Hasstiraden übersät. Nun sind Katzen aber, gelinde gesagt, eigentümliche Wesen, die bei dem ein oder anderen Tierpsychologen sicherlich schon Stirnrunzeln verursacht haben könnten. Denn werden Katzen von ihren Besitzern gut behandelt, werden sie sehr schnell arrogant und überheblich; fangen an, nur ganz bestimmtes Katzenfutter zu fressen; kommen und gehen, wann immer sie es wollen, und zeigen ihren Besitzern ganz allgemein ganz offensichtlich, wer im Haushalt das Sagen hat. Wenn man Glück hat, wird man von ihnen im eigenen zu Hause akzeptiert. Wenn man Pech hat, wird man es nicht, und Katzen zeigen es, indem sie in ihrem Verhalten und in ihren Gewohnheiten immer exzentrischer werden und man mehr als nur einmal mit einem verächtlichen Blick versehen wird, betritt das Katzengetier die eigene Bude. Katzenbesitzer, die so mit ihren Tieren umgehen, verstehen dann bei diesen Reaktionen ihres geliebten Tieres in der Regel die Welt nicht mehr; verstehen einfach nicht, weshalb ihre eigene Katze sich so zu ihnen verhält, wo sie sie doch von vorne bis hinten verwöhnen. Dies hat zur Folge, dass sie die Streicheleinheiten noch weiter steigern; dass sie ihren Katzen immer besseres Futter kaufen; dass sie alles nur Erdenkliche tun, um ihrer Katze das Leben so angenehm wie nur irgend möglich zu machen. Und das alles mit dem Effekt, dass sich die Katze noch arroganter und noch seltsamer aufführt, kurz: in ihrem Verhalten noch exzentrischer wird. Auch dieser Prozess kann sehr weit getrieben werden, bis in die absurdesten Höhen hinauf, die sich noch nicht einmal ein Camus als Möglichkeit des Seins hätte vorstellen können.
Rosie hingegen hat ihre Katze noch nie verwöhnt. Lehnt die Katze ein Futter ab, das sie ihr gekauft hat und vorgesetzt hat, dann wird die Katze angeschrien und beschimpft, wie blöd sie doch ist, und vor allem auch wie unnötig. Dies hat nun bei der Katze seltsamerweise einen umgekehrten Effekt, als es bei den „echten“ Katzenliebhabern der Fall ist. Sie versteht nicht, weshalb sie so behandelt wird und wird neugierig, was dahinterstecken könnte. Und um dies herauszufinden, wird sie nur umso anhänglicher und verschmuster und uneitler und weniger anspruchsvoll in Bezug auf ihr Futter. Vielleicht fängt sie sogar an, proaktiv ihr eigenes Essen in Form von Mäusen, Vögeln oder gar Ratten zu fangen, und das alles umso mehr, je schlechter sie behandelt wird. Und damit kommt die Katze paradoxerweise dem ursprünglichen Wesen ihrer eigenen Existenz viel näher, als es je bei den „echten“ Katzenliebhabern der Fall sein könnte.
Rosie ist von den Reaktionen ihrer Katze auf ihr Verhalten ihr gegenüber keineswegs irritiert. Denn sie hält zwar, wie es bei den meisten Menschen der Fall ist, und mit der Bezeichnung „meiste Menschen“ sind eigentlich alle Menschen gemeint, auch ihre eigene Katze nicht aus, unter anderem deshalb, weil sie auch diese ganz genau durchschaut und ihr Wissen über sie einfach nicht im Stande ist, für sich zu behalten, oder anders ausgedrückt: unfähig ist, auch ihr gegenüber ihre Contenance zu wahren. Doch selbst ihrer Katze gegenüber hat sie eine tieferliegende Sehnsucht nach Nähe und Kontakt, gar nach Zärtlichkeiten. Und weil ihre Katze nach den erfolgten Hasstiraden, die Rosie ihr regelmäßig erteilt, eben nicht das Weite sucht und nicht, wie es bei der Verwandtschaft der Fall ist, nur strikt zeitlich begrenzt zu Besuch kommt, wenn es mal unbedingt notwendig ist, wie etwa zu Weihnachten, sie dadurch sogar umgekehrt noch anhänglicher wird. Eben deshalb ist dies auch die einzige Beziehung zu einem anderen Lebewesen; die einzige Verbindung, die bisher längerfristig im Leben von Rosie funktioniert hat, wenn auch auf seltsame und manchmal irritierende Weise. Zum Beispiel, wenn die Bettdecke von Rosie ihr mal wieder zu knapp ist, und sie deshalb ihre Beine nicht bedecken kann und sich plötzlich, gerade als es ihr unangenehm kalt an den Füßen zu werden beginnt, sich ihre Katze mit ihrem weichen Fell exakt dorthin schlafen legt, wo es ihr zu kalt ist. Und dann sogar wieder zurückkommt, wenn sie von Rosie unter Schimpftiraden einfach so weggetreten wurde.
Es scheint, als habe diese Katze einen sechsten Sinn für die Bedürfnisse ihrer Besitzerin. Was vielleicht sogar tatsächlich stimmt.
Eine seltsame Beziehung, ohne Frage. Doch denkt man ein wenig länger darüber nach, könnte man dann nicht auf den Gedanken kommen, dass derartige oder ganz ähnliche Beziehungen auch zwischen den Menschen vorkommen können, und das vielleicht gar nicht mal so selten?
 
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