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Die Belfast Mission - Kapitel 05

Romane/Serien · Fantastisches
Kapitel 05 – Der Sonderauftrag

An Bord befand sich immer noch der unbekannte Zeitreisender, der sich als ein Schiffsoffizier ausgab und Kapitän Smith vormachte, dass er von der Reederei White Star Line als Ersatzoffizier eingeteilt wurde, weil Mr. Murdoch angeblich verhindert sei. Nun erfuhr Agent Henry, dass der Erste Schiffsoffizier ermordet wurde. Aber noch war diese erschreckende Neuigkeit nicht publik geworden.
„Wir holen Murdoch einfach wieder zurück, wir werden seinen Mord vereiteln. Schick einen von den neuen Schleusern in die Vergangenheit. Minus zwei Stunden, das müsste reichen. Er soll sich dann in das South Western Hotel begeben, Murdochs Suite ausfindig machen und seinen Mörder zuvorkommen, indem er ihn liquidiert. Dann soll er Murdoch schleunigst hierher zum Hafen bringen. Bestätige das bitte, Thomas!“
Wieder vergingen einige Sekunden bevor Henry eine Antwort hörte. Die Funkverbindung verschlechterte sich zunehmend, weil der Satellit, der das Geschehen beobachtete sowie die Kommunikation aufrecht hielt, bald hinter der Erdkrümmung verschwinden würde.
„Ich weiß nicht recht, Henry. Überlege dir das nochmal. Wer von den Grünschnäbeln soll bitteschön diesen Job erledigen? Die haben doch keinen blassen Schimmer wie man mit der neuen Schnellfeuerwaffe EM23, geschweige denn mit einem Beamer umgeht. Die Jungs sind doch Schleuser. Außerdem hat keiner von ihnen schon jemanden getötet. Das Risiko ist zu hoch, lass mich das erledigen!“
„Negativ, Thomas. Du bist der Einsatzleiter, du hast von deiner Position aus den Überblick und musst unsere Agenten dirigieren. Ich würde es ja selbst erledigen, aber ich bin von viel zu vielen Akteuren umgeben. Ich kann hier nirgendwo unbemerkt ein Zeitfenster installieren“, meinte Henry.
Gudimard öffnete ein Etui und holte die darin liegende Nickelbrille heraus. In wenigen Sekunden zoomte er sich den Treffpunkt heran und begutachtete die zwei jungen Herren neben Thomas. Er schmunzelte.
„Dieser großmäulige Schönling aus dem Centrum soll das erledigen. Von dem habe ich schon einiges gehört. Die Schusswaffe wird wohl nicht das Problem sein und den Beamer kannst du für ihn vorprogrammieren, so dass er höchstens zwei, drei Knöpfe bedienen muss. Hast du mitgehört, Ike?“
Zuerst rauschte die Verbindung nur, doch dann meldete sich Ike van Broek mit gefasster Stimme zu Wort.
„Klar, Henry. Das gutaussehende Großmaul hat verstanden. Ich schalte diesen Mistkerl einfach aus. Du kannst auf mich hundertprozentig zählen. Der Auftrag ist so gut wie erledigt.“
„Sehr schön, Ike. Genau das wollte ich von dir hören“, antwortete Henry. „Over.“

Zwischenzeitlich wurde die fremde Person, die sich als ein Schiffsoffizier ausgab, von Matrosen in eine Kajüte abgeführt. Kapitän E.J. Smith, ein Mann, der eine Sicherheit wie ein Fels in der Brandung ausstrahlte, betrat gemächlich die Kommandobrücke. Sofort nahmen der Steuermann sowie alle anwesenden Schiffsoffiziere achtungsvoll Stellung an und salutierten. In knapp fünfzehn Minuten sollte die Titanic ablegen aber Kapitän Smith ordnete seinem Zweiten Offizier Charles Lightoller an, den Direktor der White Star Line Bruce Ismay, der ebenfalls an Bord anwesend war, darüber zu informieren, dass er auf der Kommandobrücke dringend erwünscht wird. Außerdem sollte zur White Star Line nach Liverpool telegraphiert werden, bezüglich einer Stellungnahme und Bestätigung für die Stellvertretung Murdochs, wie dieser fremde Schiffsoffizier behauptet. Kapitän Smith blickte mürrisch auf die Uhr und kraulte sich nachdenklich seinen weißen Bart. Er spürte, dass irgendetwas nicht stimmte. Schließlich war Mr. Murdoch ein äußerst zuverlässiger Mann und selbst wenn er erkrankt wäre, hätte der sich sogar notgedrungen mit Krücken auf das Schiff geschleppt, um sich persönlich zu entschuldigen. Wie dem auch sei. Bis zur vollständigen Klärung dieser Angelegenheit sollte der Anker auf dem Grund des Hafens liegen bleiben.

Agent Thomas überreichte derweil Ike unauffällig eine silberne Schusswaffe mit einem aufgeschraubten Schalldämpfer. Sie drehten sich mit dem Gesicht der Abfertigungshalle zu, damit Thomas seinen Agentenanwärter mit dieser Waffe vertraut machen konnte, ohne dabei neugierige Blicke zu ernten.
„Also Ike, hör gut zu. Das ist das neue Modell EM23, eine elektromagnetische Schnellfeuerwaffe. Du kannst die Munition für deinen Gebrauch beliebig auswählen, indem du das Magazin herausnimmst und auf die LCD-Leuchte tippst. Grün bedeutet, dass sie mit Betäubungsmunition geladen ist. Wir müssen aber davon ausgehen, dass der TT eine magnetische Schutzweste trägt und die Betäubungsgeschosse deswegen unwirksam sind. Verwende also die gelb leuchtende Munition. Diese entsprechen einem Kaliber eines Neun-Millimeter-Geschosses. Tödlich. Wir müssen jetzt unbedingt fehlerfrei arbeiten, also wirst du ihn ausschalten müssen. Traust du dir einen Kill überhaupt schon zu?“, fragte der zweiundfünfzigjährige Agent Thomas skeptisch.
„Na klar, Thomas. Mein Angebot mit dem Scharfschützengewehr besteht immer noch“, entgegnete Ike lässig. „Sag mal, was bedeutet eigentlich TT?“
„Gewöhne dich an die Agentensprache. TT ist das Kürzel für Time Thieves. Und die Menschen in der vergangenen Welt nennen wir Akteure. Kapito? Also, schieß ihm einfach in den Kopf, und die Sache hat sich trotz Schutzweste erledigt. Sorge dich nicht um die Projektile. Diese bestehen aus einem Material, was sich innerhalb wenige Sekunden nach dem Einschlag selbstständig auflösen. Die Spurensicherung des Southampton Police Department wird demnach kein Geschoss auffinden, falls es ein Durchschuss sein sollte.“
Beide drehten sich dem Schiff wieder zu.
„Und was ist mit dem roten Lämpchen?“, fragte Ike.
Thomas schüttelte unauffällig mit dem Kopf, während er den Ozeandampfer weiterhin im Augenschein behielt.
„Lass das sein, das ist wirklich nicht notwendig. Diese Geschosse sind explosiv, sobald sie auf einen harten Widerstand einschlagen. Du sollst schließlich keinen Elefanten erlegen. Außerdem würde die Gefahr bestehen, dass das Hotelzimmer demoliert wird“, sagte er. „Wir haben zurzeit keine Ahnung, wer Murdochs Mörder ist. Wer weiß, vielleicht ist es gar dein bester Freund. Ist alles schon vorgekommen. Sei also auf alles gefasst und führe die Sache einfach nur aus. Zögere keinesfalls, sondern schicke diesen Mistkerl zur Hölle, wer auch immer er sein mag. Du musst jetzt töten, egal was passiert. William Murdoch ist ein Hauptakteur, der bis zu seinem geschichtlichen Tod auf Teufel komm raus geschützt werden muss!“

Agent Thomas und Schleuser Ike drehten sich erneut um. Der Einsatzleiter griff in seine Jackentasche und überreichte ihm ein Handgerät, was einer Fernbedienung ähnelte. Das Display zeigte verworrene Zahlencodes und fremdartige mathematische Symbole an. Agent Thomas erklärte die wichtigsten Bedienungsknöpfe.
„Wahrscheinlich kennst du dieses Gerät nur aus dem theoretischen Unterricht. Das ist ein Transmitter, damit öffnet man ein Zeitfenster, um in die Vergangenheit und wieder zurück ins Centrum zu reisen. Wir nennen es Beamer. Du hast dich zu einem Schleuser ausbilden lassen und bist eigentlich gar nicht dazu befugt, einen Beamer zu benutzen.“
„Ich weiß schon, wie man mit einem Transmitter umzugehen hat. Im Simulator war ich der Beste und hatte alles unter Kontrolle…“
Agent Thomas unterbrach ihn, indem er genervt zum Himmel blickte und aufstöhnte. Schon wieder so ein selbstgerechter Agentenanwärter aus dem Centrum der glaubt, bereits alles zu wissen, dachte er sich.
„Halt endlich deine Klappe und hör mir einfach nur zu, wenn du nicht versehentlich in die Steinzeit teleportiert werden willst und verwundert feststellst: Ups, das war ja der falsche Knopf, und wie kommt man jetzt wieder zurück in die Gegenwart?“
Ikes selbstsicheres Lächeln entschwand. Er versprach ab sofort, kommentarlos seine Anweisungen anzunehmen. Agent Thomas deutete auf eine rote Taste.
„Hiermit installierst du ein Zeitfenster und gelangst in die Vergangenheit. Die Koordinaten und die genaue Uhrzeit habe ich schon einprogrammiert. Nachdem du diesen Kerl ausgeschaltet hast, aktivierst du mit derselben Taste ein anderes Zeitfenster, was dich wieder zurück in die Gegenwart, in das Centrum zum Checkpoint teleportieren wird. Die Zeitfenster werden nicht sichtbar sein, höchstens wirst du ein rechteckiges Flimmern wahrnehmen, ähnlich wie bei einem erhitzten Asphalt. Aber darauf sollte man sich nicht verlassen. Außerdem ist das Zeitfenster nicht größer als ein genormter Türrahmen, also merke dir die Stelle genau, wo du es installierst. Soweit verstanden?“
Ike presste die Lippen zusammen und nickte.
„Und damit … “ – Thomas deutete mit dem Finger auf eine grüne Taste – „beseitigst du alle biologischen Substanzen, wie beispielsweise Blut und Knochensplitter. Halte die Taste gedrückt und scanne die Blutlache, danach wird sie sich auflösen. Und dann verschwindest du mit der Leiche durch das Zeitfenster, woraufhin ihr am Checkpoint im Centrum erscheinen werdet.“
Thomas schaute auf die Uhr und programmierte weitere Daten in den Beamer ein.
„Noch etwas, Ike …“ Der Einsatzleiter blickte ihm scharf in die Augen und hielt ihm dabei mahnend den Zeigefinger vor die Nase. „Egal was passiert, sogar wenn du scheiterst und der TT dir entwischt. Kehre keinesfalls vor 12:00 Uhr hierher zurück, ansonsten besteht die Gefahr, dass du dir selbst über dem Weg läufst. Dein Pendant und du würdet sofort kollabieren, sobald ihr euch erblickt, zu Boden fallen und nur noch epileptisch rumzucken. Ich habe so etwas schon einmal erlebt, das ist kein schöner Anblick und zudem sind du und dein anderes Ich für immer verloren. Da gibt es keine Rettung mehr!“, ermahnte ihn Thomas. „Sei auf der Hut, möglich ist auch, dass sich weitere Personen um Murdochs Ableben bemühen werden. Lass ihn also keinesfalls alleine zum Hafen gehen. Murdoch ist ein Hauptakteur, vergiss das nicht!“
Als Ike sich gerade eilig aufmachen wollte, zog ihn Thomas abrupt zurück.
„Und noch etwas. Unternimm ja nichts Törichtes. Wir sind hier im konservativen England, also grüß die Herrschaften und unterlasse vor allem die Turteleien mit den Damen. Ike, konzentriere dich ganz auf deinen Auftrag!“
„Klar, habe verstanden, Thomas. Ich begebe mich jetzt in das Ocean Terminal, suche die öffentliche Toilette auf und installiere hinter der verschlossenen Tür ein Zeitfenster. Alles wird easy, alles ist obama. Wir sehen uns dann später im Centrum“, zwinkerte Ike ihm zu.
Thomas war der Auffassung, der Neue sei äußerst entspannt und könnte die Dinge zum Positiven regeln. Dennoch gab er ihm sicherheitshalber mit auf dem Weg, er solle es bitte nicht vermasseln.

Es war mittlerweile 11: 52 Uhr. Obwohl Ike nun im Besitz eines Beamers war und er damit normalerweise Verspätungen stets verhindern konnte, plagte ihn trotzdem ein enormer Zeitdruck. Dabei war dies nur reine Kopfsache, an die sich jeder zeitreisende Agentenanwärter erst einmal gewöhnen musste. Mit zügigen Schritten eilte er dem Haupteingang zum Ocean Terminals zu, verzweifelt suchend nach einer öffentlichen Toilette, obwohl ihn der Harndrang keineswegs dazu trieb, um zwei Stunden in die Vergangenheit zu reisen.
Sein geöffneter hellgrauer Mantel flatterte sachte. Er zwängte sich durch staunende Menschen, heranfahrenden Automobilen der Millionäre, bepackten Pferdewagen und drängelnden Emigranten hindurch. Plötzlich stand ihm ein Herr mit einem Zylinderhut genau im Weg, der begeistert hinauf auf das gigantische, gerundete Achterdeck schaute, worauf in weißer Schrift: TITANIC LIVERPOOL geschrieben stand. Ike packte dem Mann beherzt an seine Schultern und schob ihn bestimmend zur Seite, und ging einfach wortlos an ihm vorbei.
„Hey, Sie … Momentmal! Was erlauben Sie sich, mein Herr?!“, empörte dieser sich daraufhin.
„Sorry Mister, ich hab`s sehr eilig“, entschuldigte sich Ike, ohne ihn dabei anzublicken und lief unermüdlich weiter. Im nächsten Moment der Unachtsamkeit stieß er mit einer jungen, großgewachsenen Frau zusammen, die sich gerade über ihr Handgepäck bückte und darin scheinbar etwas suchte. In der Eile streifte er mit seinem Bein ihren Hintern, dennoch war dieser Rempler heftig genug, um sie vorwärts umstürzen zu lassen.
Die junge Frau kauerte mit allen Vieren auf dem Boden und schaute ihm empört hinterher. Ike ging einfach weiter denn er hatte dieses Ungeschick scheinbar nicht bemerkt.
„Pardon Monsieur, dass ich Sie angerempelt habe!“, schrie sie ihm daraufhin verärgert zu, während sie sich wieder aufrappelte. Wieder schaute Ike hinter sich und hob als Zeichen seines Bedauerns lediglich die Hand, marschierte aber eilig weiter.
Als ihre Blicke sich in diesem Augenblick kreuzten, bemerkte er, dass die rothaarige Frau mit dem reifengroßen Hut ihn verdutzt anschaute, genauso wie der junge Mann mit dem Zylinderhut, mit dem schulterlangen blonden Haar, der neben ihr stand und ebenfalls sichtlich irritiert wirkte.
„Jean“, sagte die Frau überrascht mit einem ausgeprägten französischen Akzent auf Englisch, „ ist das etwa nicht die komische Kerl, mit die ich vorhin im Hotel gestoßen bin?“
„Oui, Cherie. Er ist es. Wie kann er urplötzlich hier am Hafen sein, wenn wir uns eben noch im Hotel begegnet sind?“
Das französische Ehepaar blickte sich konfus an.

Es war nun bereits 11.55 Uhr. Henry war nervös. Äußerst nervös. Schiffsoffizier Murdoch war immer noch nicht erschienen. War Ike etwa erfolglos? Dann müsste die Mission tatsächlich abgebrochen werden und nochmals beginnen. Das würde für die Regierung von United Europe hundert Milliarden von Euros kosten und Henry müsste sich rechtfertigen, was in Teufelsnamen er sich dabei gedacht hatte, einen derart wichtigen Sonderauftrag einem völlig unerfahrenen Neuling anzuvertrauen.
Henry lief auf dem Promenadendeck bugvorwärts die Stahltreppe entgegen, die hoch zum Oberdeck führte. Plötzlich wurde er von einem eilenden Schiffsoffizier angerempelt und stieß dabei gegen die Bordwand.
„Verzeihung, Sir. Entschuldigen Sie vielmals …“, rief der Uniformierte ihm atemlos hinterher und zwang sich hastig weiter durch die umherstehenden Passagiere hindurch. Mit schnellen Schritten rannte der Schiffsoffizier die Stahltreppe hinauf, wobei Henry einen kurzen Blick auf sein Gesicht erhaschte. Dieser hinterließ einen gehetzten und verschwitzten Eindruck, aber dennoch sah er fabelhaft aus. Fabelhaft, weil er lebendig war. Freudig meldete Henry sich bei der Einsatzleitung.
„An alle, Ike war erfolgreich! Murdoch ist eben an mir vorbei geflitzt und befindet sich jetzt auf der Kommandobrücke beim Kapitän!“
„Bestätigt! Ich sehe ihn!“, meldete sich Agent Dave vom Bugdeck. Ein weiterer Agent meldete sich ebenfalls über Funk: „Wir haben die zwei Matrosen und unsere Zielperson für eine Minute betäubt. Der TT ist jetzt in unserer Gewahrsam und hat die Handschellen anbekommen. Wir sind für den Exit bereit!“
„Sehr gut. Installiert sofort eure Zeitfenster und dann … Haut ab! Wir sehen uns in einer Minute am Checkpoint wieder. Ich bleibe noch einen Augenblick auf der Titanic, bis zur beinahe Kollision mit der RMS New York. Dieses Ereignis will ich mir nicht entgehen lassen. Sehr gute Arbeit, Männer. Over“, sprach Henry in sein Mikrofon.

Das Signalhorn der Titanic hupte dreimal hintereinander, wobei dichter schwarzer Qualm aus allen Schornsteinen herausschoss. Dumpfe Widerhalle, welche durch Mark und Bein gingen und die Fensterscheiben leicht erzittern ließen, dröhnten über das Hafengebiet von Southampton hinweg. Wie bei einem Startschuss eines Pferderennens begannen die Passagiere und Leute, die am Kai standen, zu jubeln und zu winken an. Abertausende Taschentücher wedelten, wie bunte flatternde Schmetterlinge, und unzählige Blumensträuße flogen gegen den mächtigen schwarzen Schiffsrumpf der Titanic und landeten auf dem Boden der Anlegestelle oder im Hafenbecken. Die tonnenschweren Ketten ratterten, als die Anker gelichtet wurden und die Schiffsschrauben wirbelten zuerst nur sachte, dann immer stärker das Hafenwasser auf. Schruppende und schnaufende Geräusche machte es - das Hafenwasser sprudelte mächtig auf-, als sich der Ozeanriese langsam von der Pier entfernte. Die Titanic wurde von vier Schlepper-Booten mühselig von der Anlegestelle gezogen.
Henry beobachtete andächtig die winkenden Menschen, die dem Schiff im tosenden Applaus: Lebewohl und Gott sei mit euch allen, wünschten, und schlenderte dann äußerst erleichtert die Treppe hoch zur Kommandobrücke hinauf.
Der Direktor der Reederei White Star Line, Bruce Ismay, stieg mit kurzen, schnellen Schritten herunter und Henry vernahm, wie er sich empörte, weil es einem unbekannten Offizier tatsächlich gelungen war, die wachhabenden Matrosen zu überrumpeln und dieser obendrein spurlos getürmt sei. Griesgrämig stolzierte er grußlos an Henry vorbei. Dennoch, Ismay war zufrieden, so viel stand fest, denn seine Titanic konnte trotz alledem wie geplant pünktlich um zwölf Uhr mittags ablegen.

Henry hielt sich am Treppengeländer fest und schaute zur Kommandobrücke hinauf. Dort oben stand William Murdoch. Ihre Blicke trafen sich.
„Mister Murdoch, alles in Ordnung mit Ihnen? Sie sehen so abgekämpft aus“, bemerkte Henry scheinheilig und tat überrascht. Murdoch stieg zögernd die Treppe hinab, in seinen Augen spiegelte sich Unsicherheit und immer noch verspürte er Angst. Er verdeckte seine aufgeschürften Striemen am Hals mit einem Schal.
„Darf ich fragen, was Sie hier zu suchen haben? Diese Treppe führt direkt zur Kommandobrücke und der Zutritt ist für Passagiere ohne Erlaubnis vom Kapitän strengstens untersagt!“, gab er ihm unmissverständlich mit einem Befehlston zu verstehen, aber Henry erwiderte dies nur mit einem unschuldigen Lächeln. Offizier William Murdoch blieb vorsichtshalber stehen und musterte ihn mit einem scharfen Blick.
„Wer sind Sie? Sind Sie etwa auch ein holländischer Geheimagent?“, fragte er ihn argwöhnisch.
„Holländischer Geheimagent?“, entgegnete Henry dem Schiffsoffizier verwundert. „Aber nein, Sir, keinesfalls. Ich bin ein ganz normaler Passagier. Außerdem bin ich sowieso ein Belgier, Monsieur.“
Murdoch stieg weiter langsam die Treppe hinab, bis er direkt vor Henry stand. Argwöhnisch blickte er ihm in die Augen.
„Dann entschuldigen Sie … Sir.“
„Ach, das macht doch nix, Mister Murdoch. Aber da ich Sie grad antreffe … Zufällig würde mich tatsächlich die Kommandobrücke interessieren und in Ihrer Begleitung könnten wir doch…“
„Ausgeschlossen“, unterbrach ihn Murdoch hartnäckig und umfasste mit seinen Händen das Geländer, um ihm den Weg nach oben zur Kommandobrücke zu versperren. „Der Zutritt für Passagiere zur Brücke ist strengstens untersagt!“
„Dann bin ich sehr beruhigt, Mister Murdoch und hoffe, dass Sie weiterhin so beharrlich reagieren und Unbefugten keinesfalls Zutritt zur Kommandobrücke gewähren werden“, lächelte er.
Henry verabschiedete sich bei dem Schiffsoffizier, indem er kurz seinen Bowler anhob, und ging dann langsam und fröhlich pfeifend davon. Murdoch jedoch reagierte nicht auf seine freundliche Geste sondern beobachtete ihn weiterhin skeptisch. Als Agent Henry kurz davor war, zwischen den winkenden Passagieren zu verschwinden, drehte er sich noch einmal zu ihm um und fragte höflich: „Mister Murdoch, wo bitte geht es hier zur nächsten Toilette?“
 
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