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Die Belfast Mission - Kapitel 17

Romane/Serien · Fantastisches
Kapitel 17 – Ankunft der Auswanderer

Schon seit Tagen herrschte eine klirrende Kälte und nun rieselten sogar die ersten Schneeflocken herunter, trotzdem hatte Eloise die Haustüre sowie alle Fenster sperrangelweit geöffnet. Mit einem Putzlappen gewappnet huschte sie umher, lugte kritisch in allen Ecken und hinter den Schränken nach neu gesponnenen Spinnenweben, obwohl sie diese bereits am vorigen Tag beseitigt hatte. Sie eilte zum Schlafbereich der Owens hinüber, warf vorher noch einen Blick auf die Standuhr und biss sich leicht auf die Lippe.
„Herrjemine. Schon fünf nach Zehn. Wenn man doch nur die Zeit zurückdrehen könnte. Onkel Charles müsste jeden Augenblick eintreffen.“
Die getrennten Schlafzimmer der Eheleute Owen hatte sie längst ordentlich hergerichtet und obwohl diese bisher nie bewohnt wurden, hatte Eloise trotzdem auch dort stets penibel auf Sauberkeit geachtet. Nicht ein einziges Staubkörnchen lag auf den Nachttischen sowie auf dem verschnörkelten Eichenschrank; selbst die Gardinen hatte sie jeden Samstagnachmittag gewaschen. Behutsam strich sie abermals über die Bettbezüge, neigte ihren Kopf seitlich und begutachtete die Schlafstätten.
„So, jetzt ist es recht.“ Noch einmal tätschelte Eloise auf die Kopfkissen, bevor sie nebenan in das gemeinsame Badezimmer huschte.
Die Kachelfliesen glänzten im Lampenlicht, trotzdem blickte sie skeptisch umher, hauchte eine Kachel an und polierte diese mit dem Ärmel. Genauso gründlich kontrollierte sie den Spiegel sowie das Waschbecken nach Wasserflecken und als Eloise endgültig überzeugt war, dass alles seine Ordnung hatte und absolut sauber war, schnappte sie sich einen Besen und begann den Dielenboden in der Küche nochmals zu fegen. Laika trabte unbekümmert von draußen in die Küchenstube hinein, blieb mittendrin stehen und schüttelte sich kräftig die Schneeflocken aus ihrem borstigen Fell. Wasserspritzer flogen in der sauberen Küchenstube umher, da scheuchte Eloise den Hund mit dem Besen verärgert wieder hinaus.
„Gehst du aber ganz schnell wieder ab! Immer rein und raus, raus und wieder rein und ständig Dreck herbei gebracht. Genauso wie dein Herrchen. Los, mach dich weg und bleib gefälligst draußen!“, giftete sie Laika an. Reumütig legte der Schäferhund seine Lauscher an und schlenderte jauchzend hinaus in die Kälte. Ein Hundeleben ist eben nicht immer ein Zuckerschlecken.

Bitterkalt war dieser Dezembermorgen, bitterkalt und obendrein windig. Vereinzelnd schwebten dicke Schneeflocken herab. Eloise blies sichtbare Atemluft heraus. Gegenüber von McEnreys Bauernhof drangen Tierlaute herüber. Einige Ziegen hatten sich am angrenzenden Holzzaun herangewagt und meckerten. Sie lief andächtig im Hof herum, betrachtete den Pferdestall und überblickte dann die sachte verschneiten Ackerfelder. Aber die Familie Owen war nirgends zu sehen.
„Brrr … Wie verflixt kalt“, murmelte Eloise vor sich hin, die nur ihre grüne Strickjacke anhatte.
Fröstelnd rieb sie sich ihre Arme, ging wieder hinein und zündete drei Kerzen des Adventskranzes an. Während Eloise die Treppenstufen hinaufstieg, die zu ihren und Ikes Schlafgemach führten, überschaute sie von oben herab den gesamten Küchenbereich.
Es war ruhig. Nur der Wind und das dezente Ticken der Standuhr aus der Wohnstube waren zu hören. Eloise verharrte kurzweilig. Ihre Finger krallten in das Holzgeländer während sie wehmütig hinunterblickte. Sie seufzte. Ihre Augen wurden wässrig und als ihr eine Träne über die Wange rann, schämte sie sich beinahe dafür und wischte sie sogleich wieder weg.
Eloise besann sich. Ikes Onkel, Charles Owen, war nun mal der rechtmäßige Besitzer dieses Hauses und hatte das alleinige Wohnrecht. So lautete die Abmachung. Sie und Ike waren lediglich die Gäste, obgleich ihre Hände dieses Heim erschaffen hatten. Ike hatte schließlich mehrmals darauf hingewiesen; wenn Onkel Charles mit seiner Familie eintrifft, wird er das Haus übernehmen aber gewährt ihnen ein weiteres Jahr dort zu wohnen. Insgeheim sah sie ja ein, dass sie keinerlei Anspruch auf dieses Haus hatte. Sobald Ike eine angemessene Bleibe in Belfast oder wo auch immer er sich niederlassen mochte gefunden hätte, würde Charles Owen seinen Neffen für die harte Arbeit entlohnen. So lautete die Vereinbarung. Ob Ike Eloise dann überhaupt mitnehmen würde, daran hegte sie nicht die geringsten Zweifel. Schließlich versicherte er ihr ständig, dass auch er sie lieben würde. Jedoch über eine Hochzeitsabsicht hatten beide bislang nicht gesprochen, obwohl sich Eloise nach solch einem Gespräch sehnte.
Eloise versuchte ihre Melancholie zu verdrängen und überlegte verbissen, was noch zu tun wäre. „Oh verflixt, beinahe hätte ich die Hühner vergessen“, raunte sie erschrocken. Rasch zog sie ihren gestrickten Überzieher über, verdeckte ihr Haar mit einem Kopftuch und eilte hinaus zum Gehege, um die Hühner zu füttern.

Mittlerweile hatten sich die mausgrauen Wolken über der Provinz Ulster verdichtet. Ein eisiger Wind stürmte sporadisch durchs Land und wirbelte dabei die Schneeflocken umher, die sich erst auf dem Boden sammelten und einen zarten weißen Teppich bildeten, und schließlich wieder davon geweht wurden. Die Landschaft sah aus, als wäre sie mit Puderzucker bestäubt worden. Das eingezäunte Gehege wackelte, als Eloise es hinter sich rasch schloss.
„Das hättest du gerne“, lächelte sie Laika an. „Hühnerschenkel zum Frühstück. Nein, nein, mein Fräulein. Du bleibst schön draußen.“
Laika wedelte mit dem Schwanz während ihr Frauchen die gackernden Hühner mit Weizen und Maisschrot füttere. Es schneite nun etwas stärker. Wieder wehte eine Windböe herbei, als Eloise plötzlich Pferdewiehern vernahm. Sie reckte ihren Hals und blickte über den Hof.
Ein Pferdegespann, auf dessen Fuhrwagen etliche Seekisten und Koffer gestapelt waren, näherte sich langsam McEnreys Grundstück. Sie erkannte drei Personen, wobei es sich offensichtlich um ein Kind handelte, welches oben auf einer Überseekiste hockte. Eloise hielt sich die Hand über ihre Stirn. Entweder erwartete der Bauer McEnrey ebenfalls Besuch oder es waren die Owens, die ihr eigenes, noch nie gesehenes Grundstück verwechselten, dachte sie sich.
Eine in Wolldecken eingehüllte Person erhob sich und anhand des unübersehbaren Hutes und weiten Rockes, konnte es sich nur um eine Frau handeln. Kurz entschlossen winkte Eloise den Fremden beherzt zu. Einen Augenblick stand die Frau mit dem reifengroßen Hut einfach nur unbeweglich da, wie eine Statue. Sie blickte dann abwechselnd vom Bauernhof hinüber zu Eloise, hob daraufhin ebenfalls ihre Hand und winkte zaghaft zurück. Der Mann neben ihr hatte anscheinend seine Last, die Pferde zu einer Kehrtwendung zu bewegen. Er stieg vom Fuhrwagen herunter, packte die Zügel und führte das Pferdegespann zurück zum südlichen Holztor.
Laika spitzte die Lauscher, knurrte nervös und beobachtete die Fremdlinge, wie sie das Grundstück betraten. Eloise stieg aus dem Hühnergehege und kniete zu ihr herab.
„Schön brav sein, Laika. Das ist nur Onkel Charles“, flüsterte sie und versuchte die aufgebrachte Hündin mit Streicheleinheiten zu beruhigen. Der Junge, der oben auf den Seekisten hockte, blickte unentwegt hinauf zum rauchenden Schornstein.

Eloise war sehr überrascht als das Ehepaar direkt vor ihr stand. Ikes Onkel hatte sie sich wahrlich größer vorgestellt, stattdessen war es seine adrette Ehefrau, die beinahe einen halben Kopf größer war als der dickliche, griesgrämig drein schauende Mann, dessen Halbglatze sich unter einer Melone verbarg. Zudem gelang es ihr nicht auf Anhieb, wenigstens verwandtschaftliche Gesichtszüge zu erkennen. Dieser untersetzte Typ hatte augenscheinlich gar nichts mit Ike gemeinsam. Charles Owen machte auf sie den Eindruck, dass er wenig erfreut sei, weshalb Eloise sich gegenüber der Familie ungewohnt schüchtern verhielt. Außerdem schätzte sie seine Ehefrau augenscheinlich für eine hochnäsige Lady ein, die regelmäßigen Kontakt zur gehobenen Gesellschaft pflegte. Typische Stadtleute eben, die gewöhnlich spießig auftraten und meinten, etwas Besseres zu sein. Eloise knickste des Anstandes wegen.
„Willkommen Zuhause, Mister und Misses Owen. Mein Name ist Eloise O’Brian. I-ich bin die Verlobte von Ike“, begrüßte sie schüchtern.
Eloise blickte das Ehepaar erwartungsvoll an, weil sie augenblicklich mit einer herzhaften Umarmung rechnete. Aber nichts dergleichen geschah.
„Ähm … Also … Na ja, wir sind eigentlich noch gar nicht verlobt“, sagte sie und errötete prompt. „Aber so gut wie“, schoss es ihr sogleich aus dem Mund heraus und lächelte dabei verlegen.
Die Frau neigte ihren Kopf seitlich, lächelte freundlich zurück, breitete ihre Arme und umarmte sie zaghaft, als wäre sie eine Porzellanpuppe. Behutsam tätschelte sie gegen ihren Rücken.
„Aber nicht doch, Eloise“, sagte sie. „Das ist mein Mann Charles, ich bin Anne und das ist Justin, unser Sohn.“ Sie zeigte auf den Jungen, der immer noch auf der Überseekiste hockte und weiterhin erstaunt zum rauchenden Schornstein schaute.

Anne blickte die junge Frau fasziniert an. Eine leibhaftige Akteurin stand vor ihr, ein Mensch aus der Vergangenheit. Sie hatte bislang noch nie eine Reise in die vergangene Welt unternommen und war noch nie einem Akteur begegnet. Der geflochtene Zopf hing Eloise seitlich über die Brust und ihr langer Schottenrock ragte bis zu ihren nagelneuen, braunen Winterstiefeln mit Absätzen.
Niemals zuvor hatte Anne in ein Sommersprossengesicht geblickt, welches obendrein die pure Heiterkeit ausstrahlte. Sorgen schienen ihr einfach fremd zu sein und obwohl es in dieser Zeitepoche an technischen Gerätschaften noch gehörig mangelte, die den Alltag erleichtern würden, schien sie trotzdem rundum glücklich zu sein. Charles räusperte sich und versuchte sich gediegen auszudrücken. Immerhin hatte er zuvor ebenfalls noch nie mit einem Akteur kommuniziert. Wie redet man eigentlich in der vergangenen Welt, fragte er sich.
„Ähm … Seid gegrüßt gnädiges Fräulein. Ich habe von meinen Neffen erfahren, Ihr seid eine ausgezeichnete Magd und beherrscht hervorragende Kochkünste, wovon ich mich gerne überzeugen würde, wenn Ihr erlaubt.“
Seine strahlendweißen Zähne blitzten hervor, als er sie anlächelte.
„Wie redest du denn mit mir, Onkel Charles? Ich bin doch nicht die Königin Victoria“, kicherte sie. Eloise bekreuzigte sich sogleich. „Der HERR sei ihrer Seele gnädig“, dann fuhr sie fort. „Selbstverständlich bin ich eine verflixt gute Köchin, Onkel Charles“, antwortete sie keck und war im Moment glücklich darüber, dass dieser griesgrämige Mann wenigstens eine freundliche Geste zeigte. „Ich habe ganz viele Plätzchen gebacken und werde uns sogleich Tee aufbrühen. Nun kommt doch erst mal herein.“
Aber Charles verschränkte seine Arme und blickte sie wieder missmutig an.
„Wo ist er? Wo verdammt noch mal ist mein Neffe? Es war ausgemacht, dass er uns persönlich empfängt!“, herrschte Charles sie sogleich an.
„Ike? Er-er arbeitet doch noch, Onkel Charles. Auf der Werft.“
„Und wann kommt er zurück?“
„Ike übernimmt diese Woche gerade die Früh- und Mittagsschicht und kommt dann meistens gegen acht Uhr abends nach Hause. Neuerdings trinkt er aber vorher noch ein Bier, mit seinen Arbeitskollegen, dann wird es immer etwas später“, antwortete sie eingeschüchtert. „Nun kommt doch endlich erst einmal in die warme Stube herein.“
Anne ging voraus und stieß dabei mit ihrem geblümten Damenhut, der mit einer Schleife um ihr Kinn gebunden war, gegen den Türrahmen, worauf dieser ihr prompt vom Haupt rutschte. Erschrocken tastete Anne an ihre Zopfschnecke, die ihr die TTA-Kosmetiker geduldig frisiert hatten. Sie atmete erleichtert auf. Ihrer Frisur war nichts passiert. Nur der große Hut wurde ihr vom Kopf gestoßen und lag nun gegen ihren Rücken.
Eloise erstarrte und hielt die Luft an. Jetzt bloß nicht lachen, dachte sie, aber als Anne plötzlich herzhaft loslachte, konnte auch sie sich nicht mehr beherrschen und hielt prustend ihre Hand vor dem Mund.
„Wie ungeschickt von mir“, sagte Anne lächelnd. „Diese komischen Hüte konnte ich noch nie ausstehen. Würdest du mir vielleicht mit einem schlichten Rock und Oberteil, so wie du es trägst, aushelfen? Was weiß ich, wo meine bequemen Klamotten nun in welcher Kiste verstaut sind, aber ich muss augenblicklich raus aus diesem engen, unbequemen Korsett unter meinem Kleid. Das zwickt und drückt ja fürchterlich.“
Eloise war erleichtert. Anne schien doch keine von diesen hochnäsigen Stadtweibern zu sein, wie sie es zuerst befürchtet hatte.

Nachdem der zwölfjährige Justin vom Fuhrwagen herunter gehüpft war, handelte er sich von Charles sogleich eine Rüge ein, weil er sich bei ihm flüsternd zu erkundigen wagte, weshalb das gemauerte Ding oben auf dem Dach rauchen würde, und wozu es eigentlich nützlich wäre. Brennt es etwa im Haus?
„Halt deinen Mund. Keine dämlichen Fragen hatten wir ausgemacht!“, zischte er ihn leise an. Justin verdrehte genervt die Augen und schnitt hinter seinem Rücken freche Grimassen. Dann zupfte an seiner Mutters Rockzipfel und starrte dabei Eloise an.
„Du, Mutz“, flüsterte der Junge, „gehört die Frau zu unserem Schleuserteam oder ist die etwa eine Akteurin? Die hat ja rote Haare und lauter Punkte im Gesicht.“
„Psst! Ja, mein Schatz. Eloise ist eine Akteurin. Verhalte dich bitte unauffällig, so wie wir es besprochen haben.“
„Okay Mutz“, nickte Justin. „Wie cool ist das denn? Bei uns wohnt eine waschechte Akteurin“, raunte er leise begeistert vor sich hin, wobei er Eloise unentwegt anglotzte.
Charles beschloss allererst die Fassade und das Dach zu begutachten, danach die Räumlichkeiten, und wandte sich von ihnen ab. Er nahm einen Stock, lief gemächlich um das Haus herum und klopfte damit sporadisch gegen das Mauerwerk. Manchmal stampfte er seinen Fuß fest in den Boden und trat leicht gegen das Fundament, und immer wieder musterte er kritisch das Dach sowie die Regenrinne. Plötzlich entdeckte er das Hühnergehege, kniff seine Augen und betrachtete es feindselig. Er spuckte auf den Boden. „Stinktiere, wie abartig!“
Laika folgte dem Eindringling unauffällig hinterher und jedes Mal wenn Charles sich dem Hund zuwandte, knurrte er ihn bedrohlich an.
„Verschwinde, du Mistviech!“, fauchte Charles zornig.
Der Schäferhund fletschte seine Zähne und bellte aggressiv, aber Charles kehrte dem Hund unbekümmert wieder den Rücken zu, verschränkte die Arme nach hinten und klopfte mit dem Holzstock nachdenklich gegen seinen Rücken. Laika folgte ihm mit einem gewissen Abstand hinterher.
Charles inspizierte während seines Rundganges hauptsächlich das Fundament und die Dachziegeln, überprüfte mit einem Maßband hier und da sogar penibel die Fugenbreite des Mauerwerks, pochte mit der Faust gegen jede Fensterscheibe und strich prüfend über die lackierten Holzrahmen. Nachdenklich zupfte er an seinen Schnauzbart, als er die hölzerne Regentonne erblickte und überlegte, weshalb dieses Ding dort herumstand und wofür es nützlich sei.

Unterdessen führte Eloise stolz Mutter und Sohn aus der Zukunft im Haus herum. Sie packte einfach ihre Hände und zog sie beherzt in die warme Wohnzimmerstube hinein und präsentierte ihnen stolz den Kamin, darin grade ein Feuer knisterte. Auch dort waren immer noch alle Fenster geöffnet.
„Mutz, was stinkt denn hier so?“, platzte es plötzlich aus Justin heraus, wobei er angewidert sein Gesicht verzog. Anne stockte der Atem und erstarrte, wogegen Eloise ihn nur verblüfft ansah.
„Bäh, wie abartig das hier stinkt!“, bekundete Justin naserümpfend. Eloise zog die Augenbrauen zusammen, hielt ihre Nase hoch und versuchte irgendeinen Gestank wahrzunehmen.
„Komisch, ich riech nix.“
„Aber Hallo, hier stinkt es abscheulich!“, quengelte Justin und kniff sich die Nase zu. Anne blickte Eloise etwas beschämt an und lächelte gezwungen.
„Aber Schatz, das ist sicherlich nur die gute Landluft, die zugegeben etwas speziell riecht und gewöhnungsbedürftig ist.“
Eloise lachte, beugte sich runter und blickte dem Jungen in die Augen.
„Ach so, jetzt verstehe ich, kleiner Mann. Ihr Stadtleute seid es ja nicht gewohnt. Das, was du riechst, sind bloß die Kühe, Schafe, die Schweine und alle anderen Tiere von Mister McEnrey. Nachher werde ich dir die Tiere zeigen, wenn du magst. Warte aber nur mal ab, wenn Mister McEnrey im Frühjahr die Felder mit Gülle düngt. DAS wird dann stinken“, grinste sie.
„Gülle?“, fragte Justin verwundert. „Was`n das für`n Zeug?“
„Oh, nichts Besonderes, junger Mann. Gülle ist nur die Kacka und Pipi von all den Tieren“, erklärte sie Justin und wuschelte ihm durchs Haar.
„Was? Dann wird es hier nach Pisse und Scheiße stinken? Wie abscheulich ist das denn?“, antwortete der Zwölfjährige angewidert.

Die Frauen schienen sich auf Anhieb zu mögen. Eloise führte die staunende Lady im ganzen Haus herum, wobei sie ihre Hand nicht losließ und Anne in jedes Zimmer regelrecht hineinwirbelte. Anne tippelte ihr nach, hielt sich manchmal die Hand vor dem Mund und jauchzte erstaunt. Solche altertümliche Räumlichkeiten hatte sie bisher nur im Internet betrachten können und war nicht sonderlich begeistert gewesen. Nun erschien ihr alles so unbeschreiblich gemütlich, ganz anders als in ihren sterilen Apartments, darin sie seit ihrer Geburt leben musste.
Justin trottete den Frauen gelangweilt hinterher, hielt sich dabei aber weiterhin die Nase zu.
„Puh, was stinkt das hier überall. Mega abscheulich. Ich glaube, ich will wieder zurück nach Hause.“
Die Frau aus der Zukunft hatte vergleichbares nie zuvor real gesehen und man hätte bei ihrem Anblick meinen können, sie betrachtete grad ein prunkvolles Schloss. Eloise erläuterte ihr begeistert, wie die Holzböden geschliffen und mit Firnis versiegelt und die Innenwände verputzt wurden. Dann blickte sie nach oben, breitete ihre Arme auseinander, schlug übermütig eine Pirouette und bekundete stolz, dass Ike und sie gemeinsam diese und alle anderen Holzdecken selbst gezimmert hatten, genauso wie die Böden.
„Wir haben jeden Tag, nachdem Ike von der Arbeit kam, bis spät in die Nacht hart gearbeitet. Ike hatte in dieser Zeit immer nur wenige Stunden schlafen können“, erklärte sie.
Aufgrund ihres ausgeprägten irischen Akzents und weil Eloise obendrein schnell und aufgeregt sprach, musste Anne öfters nachfragen, jedoch verstand sie deutlich, dass Ike sogar an die Holzöfen sowie Gasversorgung gedacht hatte. Elektrische Leitungen hatte er zudem ebenfalls verlegt, denn in jedem Raum leuchteten die Lampen, wie Anne es verwundert feststellte. Sogar die Nachtischlampen in allen Schlafstuben waren eingeschaltet, obwohl dies nun wirklich nicht notwendig war, auch wenn dieser Vormittag grau und etwas düster war.
„Weshalb brennt hier überall das Licht? Eloise, das ist doch unnötiger Stromverbrauch. Über das Jahr gesehen, entstehen dadurch immense Kosten“, erklärte sie.
Eloise stutzte und blickte sie entgeistert an.
„Du redest ja genauso wie Ike. Ich verstehe euch nicht. Was soll das schon großartig kosten? Der elektrische Strom kommt doch völlig umsonst aus dem Aggregat draußen im Hof. Ike ist doch derjenige, der ständig mit dem Geld verschwenderisch umgeht, aber wehe dem ich vergesse das Licht im Badezimmer auszuschalten, dann meckert er mit mir rum.“ Sie zuckte mit der Schulter. „Ist mir aber völlig wurscht. Sobald Ike weg ist, schalte ich alle Lampen wieder an. Die leuchten doch so schön. Weshalb haben wir denn Lampen? Nur der Dunkelheit wegen? Du musst wissen, dass ich mir schon immer meine eigene Elektrizität gewünscht hatte und nun habe ich sie endlich.“ Eloise lächelte vergnügt und faltete ihre Hände. „Ich lasse immer alle Lichter an, weil es so verflixt schön ist, wenn alles hell leuchtet.“
Ohne weitere Diskussion präsentierte Eloise ihr stolz die Küchenzeile, welche Ike selbst entworfen und angefertigt hatte. Diese stach besonders hervor, denn die Konstruktion erinnerte etwas an eine Küchenzeile aus dem Jahr 1970. Zudem wurde sie aus massivem Eichenholz angefertigt, was zu jener Zeit tatsächlich nur gut betuchte Leute sich hätten leisten können.
„Ike hat diese Küchenzeile selbst entworfen. Sieht verflixt schick aus, nicht wahr? Ich selbst war auch völlig erstaunt“, meinte Eloise begeistert. Sie drehte am Herdknauf, woraufhin deutlich ein Zischen zu hören war, und kicherte vergnügt. „Horch mal, Anne“, sagte sie, wobei sie ihren Finger in die Höhe hielt. „Der Herd geht sogar mit Gas. Wir müssen also nicht, wie es die meisten Dorfbewohner machen müssen, in einem Kessel über dem Kamin kochen.“
Anne weitete entsetzt ihre Augen, hielt dezent die Hand vor ihre Nase sowie Mund und ging langsam einige Schritte zurück.
„Ach, Gasleitungen wurden hier auf dem Land also auch schon verlegt. Ausgezeichnet“, bemerkte sie, nachdem sie Eloise gebeten hatte, das Gas wieder unverzüglich abzustellen. Sie war sich nicht sicher, ob Gas eine tödliche CM-Krankheit auslösen könnte. Eloise aber zuckte abermals nur mit der Schulter.
„Keine Ahnung, wie Ike das wieder gedeichselt hat. Ist ja auch egal. Hauptsache wir haben Gas und alles funktioniert, richtig?“
Gasleitungen wurden noch nicht in allen Dörfern verlegt. Dies sollte noch einige Jahre dauern. Zu jener Zeit war man dankbar, wenn wenigstens elektrisches Licht und fließend Warmwasser durch Wasserboiler im Haushalt vorhanden waren. Üblich kochte man in den Dörfern zu jeder Jahreszeit gemeinsam mit einem großen Kessel draußen beim Lagerfeuer oder drinnen am Kamin. Der Herd funktionierte eigentlich gar nicht mit Gas, sondern elektrisch, wie alles in dem Haus. Zwar zischte und es roch nach Gas, als Eloise den Herdknauf betätigte, jedoch strömte lediglich harmlose Luft heraus. Selbst das modifizierte Stromaggregat, das auch Bauer McEnrey mit Elektrizität versorgte, wurde statt mit Diesel, elektrisch betrieben. Ike musste lediglich nach Bedarf einen Akku in die spezielle Vorrichtung stecken, und das Aggregat brummte, erzeugte imitierte Abgase und produzierte die nötige Elektrizität. Aber er wurde darauf hingewiesen, sparsam mit den Akkus umzugehen, um unnötige Kosten einzusparen.
Der Bauer McEnrey tankte also wöchentlich, wie vereinbart, den Tankbehälter des Stromaggregates mit Diesel auf, kümmerte sich überdies um das notwendige Motoröl und Ike zapfte den wertvollen Diesel sowie das Öl heimlich wieder ab, füllte den wertvollen Kraftstoff dann in speziellen Tanks um, diese er im Keller installiert hatte und wenn diese gefüllt waren, wurde der Sprit in ein Jahrhundert transferiert, wo diese andere Agenten dringend benötigten. All dies waren nebensächliche Aufgaben, die Schleuser zusätzlich erledigen mussten; wertvolle Ressourcen aus der vergangenen Welt irgendwie abzuzweigen und zu bunkern.

Eloise zeigte dem Jungen stolz seine Schlafstätte.
„Sieh nur, Justin. Dein Bettbezug habe ich selbst entworfen und genäht.“
Justin aber rümpfte die Nase, als er die unzählig kleinen Teddybär Gesichter auf seinem Kopfkissen sowie Bettdecke erblickte, die Eloise liebevoll drauf gestickt hatte. Damit war sie wochenlang beschäftigt gewesen.
„Teddyfratzen … Mega uncool.“, dachte sich Justin insgeheim und lächelte gezwungen. „D-danke Eloise, so ein wunderschönes Bett habe ich mir schon immer gewünscht“, flunkerte er, setzte sich auf sein Bett und blickte betrübt zum Boden. Aber immerhin fühlte sich die schwere Bettdecke total gemütlich an, wie der Junge es feststellte.
„Weißt du was wir noch haben, unten im Keller? Das errätst du aber nie“, quiekte Eloise aufgeregt und noch bevor Anne überhaupt eine Vermutung aussprechen konnte, antwortete sie euphorisch: „Einen Eisschrank. Stell dir das mal vor, Anne. Darin kann man Fleisch und Gemüse monatelang, Ike behauptet sogar, jahrelang aufbewahren, ohne dass es verdirbt. Aber Ike übertreibt oftmals“, winkte sie ab. „Ich schmeiß immer alles heimlich weg, was älter als drei Monate ist, weil es ganz bestimmt verdorben ist, sobald es auftaut.“
Anne wollte daraufhin gerade Einspruch erheben und sie über die Haltbarkeit tiefgefrorene Lebensmittel aufklären, aber Eloise redete ohne Punkt und Komma einfach munter weiter. „Trotzdem, wer kann schon von sich behaupten, einen Eisschrank zu besitzen? Sicher doch nur ein Millionär, oder etwa nicht? Ike hat gesagt, dass er den Eisschrank von Harland & Wolff geschenkt bekommen hat, weil sie diesen wegschmeißen wollten, weil er nicht mehr richtig funktionierte. Aber er hat das Ding wieder repariert und nun geht alles einwandfrei.“
Sogleich packte sie Anne am Arm und führte sie eilig die Treppenstufen hinauf, um ihr die obere Etage zu präsentieren, welche unübersehbar ihr eigener Bereich war.
Überall standen Topfpflanzen und Blumenvasen herum, darin hauptsächlich Rosen steckten, welche Ike ihr täglich mitgebracht hatte. Eloise zeigte ihr bedenkenlos all ihre privaten Räumlichkeiten, als wenn die fremde Frau ihre eigene Verwandte wäre, die sie bereits seit ihrer Kindheit kannte und ihr absolut vertrauen könnte.

Erstaunt sah sich Anne in ihrem Schlafzimmer um. Der verzierte Mahagonispiegeltisch, über dem ein Kruzifix hing und auf dem verschnörkelten Tisch ein eingerahmtes Bild von der Heiligen Jungfrau Maria stand, betörte sie und berührte diesen sanft mit ihren Fingerspitzen.
„Grundgütiger“, nuschelte Anne vor sich hin, aber hielt dabei ihr Faszination im Zaum. „In diesem makellosen Zustand ist dieser Schrein etliche Milliarden Euros wert. So was kann man in United Europe eigentlich nur in einem Museum bestaunen.“
Dann schaute sie verblüfft auf das auffällige Gemälde, welches über dem breiten Ehebett hing, und bei diesem Anblick entwich ihr ein unbeherrschter Seufzer heraus, worauf sie sich sofort die Hand vor dem Mund hielt.
„Unfassbar, das ist ja ein originaler Picasso. Unglaublich!“, sprach sie erstaunt.
„Wie? Ach so, das komische Bild mit dem bunten Mann, der irgendwie zwei Gesichter hat“, winkte Eloise desinteressiert ab. „Ike hat es billig auf dem Wochenmarkt in der Stadt gekauft. Er war sogar ganz erpicht darauf, es zu erwerben und meinte, dieser Picasso werde einmal gewiss ein großer Künstler werden und irgendwann seien seine Gemälde sehr wertvoll. Genauso wie das Bild in der Wohnstube. Dieser Maler heißt aber Moneten, oder so ähnlich. Was weiß ich. Ich kann doch kein Französisch. Ich versteh davon nicht viel. Genau genommen verstehe ich von seinem Firlefanz gar nix. Aber wenn er es sagt …“ Eloise zuckte nur mit ihrer Schulter und blickte sie quietschvergnügt an.
„Wie bitte? Unten im Wohnzimmer hängt ein originales Gemälde von Claude Monet?“, fuhr es ungläubig aus Anne heraus. Daraufhin setzte sie sich seufzend auf das Ehebett und stellte überrascht fest, dass die Matratze nicht wie erwartet quietschte, stattdessen gluckerte es verdächtig und sie wurde sachte umhergeschunkelt. Eloise zog das Bettlaken zurück und zeigte ihr eine blaue Kautschukmatratze.
„Ike hat da Wasser reingemacht. Verrückt, nicht wahr? Dachte ich auch zuerst, aber darauf schläft man wirklich verflixt himmlisch.“ Sie hielt ihren Finger auf die Lippen und flüsterte: „Pschschscht … All diese Dinge, der Eisschrank, diese Matratze und die ganzen Cremes, Shampoos und Lotion, wie Ike es immer nennt, werden auf Queens Island hergestellt. Es ist nämlich gar nicht wahr, dass Harland & Wolff ausschließlich Schiffe bauen, sondern sie entwickeln zudem heimlich technische Geräte und Medikamente jeglicher Art. Und weil Ike ein Vorarbeiter ist, darf er immer die neuste Erfindung mit nach Hause nehmen, um sie zu testen. Aber ich soll das niemanden verraten oder es gar jemanden zeigen, hat er gesagt. Also … Pschschscht. Das muss unter uns bleiben. Verrate mich bitte nicht!“, flüsterte sie energisch und blickte Anne dabei ernst an.
Anne schaute auf den Mahagonitisch, der mit einem ovalen Spiegel bestückt war. Erst jetzt nahm sie die weißen Tuben wahr, darauf das blaue Emblem der TTA abgebildet waren. Ike hatte sie ausgiebig mit Sonnencreme gegen ihre empfindliche Haut, sowie Haarshampoo und allerlei Hautcremen ausgestattet, die offensichtlich aus seinem Medikit stammen.
„Ike sagt zwar immer, ich darf mir nur einmal in der Woche mit dem Shampoo die Haare waschen, das würde völlig ausreichen, aber ich wasche mir damit trotzdem jeden Tag meine Haare, wenn er weg ist. Weil, es riecht doch so gut.“ Eloise seufzte und blickte sie sehnsüchtig an. „Ach, Anne. Irgendwann, wenn er um meine Hand bittet, sage ich auf der Stelle: JA!“

Während Anne sich entkleidete, nun unbekümmert splitternackt vor ihr stand, blickte Eloise sie mit großen Augen an und schluckte. Ihr Bauch war schlank und ihre nackten Brüste sowie ihr Hintern waren knackig straff. Solch einen makellosen schlanken Körper hatte sie zuvor noch nie bei einer älteren Dame gesehen. Und dass sich Anne vor ihr einfach entblößte, empfand sie als sehr mutig. Sie selbst hätte sich dies nie getraut, obwohl mit Neunzehn ihr nackter Körper ohne weiteres hätte konkurrieren können.
„Sag mal, Anne … Wie alt bist du eigentlich, wenn ich fragen darf?“
„Neununddreißig“, antwortete sie arglos, als sie in einen von Eloises geflickten Rock schlüpfte. „Wie angenehm, endlich bequeme Klamotten“, raunte Anne.
„Was? Neununddreißig? Du bist also schon fast vierzig Jahre alt?“, platzte es Eloise völlig überrascht heraus. „So alt bist du schon? Ich dachte, du bist höchstens so alt wie Ike. Mit Neununddreißig ist man doch schon längst Großmutter, hat graue Haare und man ist dick. Entschuldige Anne, aber ich kann das nicht glauben. Du flunkerst doch nur. Sag, wie alt bist du wirklich?“
Anne blickte sie seitlich an und schmunzelte, während sie sich gemächlich anzog.
„Ich bin wirklich neun Jahre älter als Ike. Ich danke dir für dieses Kompliment, Eloise. Gib mir bitte noch eine Bluse von dir. Zwar bist du kleiner als ich, dennoch scheinen wir die gleiche Konfektionsgröße zu haben. Du schneiderst wundervoll.“
Nun war Eloise völlig konfus.
„Ja aber, weshalb empfindest du es als ein Kompliment, jung auszusehen? Verstehe ich nicht. Leider bin ich erst zwanzig aber wünschte, die Leute würden denken ich sei schon viel älter, also mindestens fünfundzwanzig oder so. Man wird doch nur ernst genommen, wenn man alt ist.“
Plötzlich betrat Charles, ohne anzuklopfen, einfach das Schlafzimmer. Er war sichtlich erbost und motzte Eloise sogleich an.
„Was erlaubt ihr euch bloß, mir solch eine Bruchbude zu hinterlassen? Ich habe etliche kaputte Dachziegel gesehen, die Fensterrahmen sind stümperhaft gestrichen worden und einige Mörtelfugen entsprechen absolut nicht der Norm! Außerdem ist der Gestank des Nachbarn unerträglich. Da hättet ihr das Haus auch gleich direkt neben einer Kloake bauen können!“, giftete er.
Justin nickte: „Ja Mann, hier stinkst barbarisch!“
„Und überhaupt … Weshalb befindet sich die Toilette außerhalb des Hauses? Toilette kann man das gar nicht bezeichnen, sondern eher als ein verdammtes Plumpsklo! Soll ich mir etwa jetzt im Winter beim Kacken die Hoden verkühlen? Ist es das, was mein großartiger Neffe anstrebt? Ich bin doch kein Eskimo, dem Kälte nichts ausmacht. Außerdem muss augenblicklich dieses stinkende Federvieh samt Gehege verschwinden! Und dieser Wolf, oder was auch immer das ist, wird ebenfalls abgeschafft! Der läuft mir ständig hinterher und bedroht mich!“

„Hallo, jemand Zuhause? Liebes schau nur, was ich uns allen mitgebracht habe!“, rief Ike, der mit einem geschlagenen Tannenbaum auf dem Küchenboden mehrmals aufstampfte. Als Eloise seine Stimme vernahm, sprang sie sofort vom Bett auf, stürmte die Treppe hinunter und stürzte sich überglücklich in seine Arme.
„Du bist ja heute so früh da“, seufzte sie, ohne eine Erklärung dafür von ihm zu erwarten.
Ike hatte sich entschlossen, frühzeitig Feierabend zu machen, um seine vermeintliche Familie zu empfangen. Dabei hatte er seinen wichtigsten Arbeiter und neu gewonnenen Freund, Bob McMurphy, als stellvertretender Vorarbeiter ernannt.
Charles lächelte, breitete seine Arme aus und umarmte seinen angeblichen Neffen. Sowie auch Anne, die Ike vorher ebenfalls noch nie gesehen hatte, spielte auch sie ihre Theaterrolle hervorragend, sodass Eloise nicht annähernd Verdacht schöpfte. Nur der zwölfjährige Justin verhielt sich zurückhaltend, als er seinen falschen Verwandten die Hand schütteln musste.
„Schau nur Justin, was Ike uns mitgebracht hat. Einen Weihnachtsbaum!“
Eloise fasste ihm beherzt an die Schulter und blickte ihm vergnügt ins Gesicht, woraufhin der Junge kurz zusammenzuckte. „Komm mit, ich zeige dir mein Pferd und Mister McEnreys Tiere. Mein Pferd heißt Lukas und danach werden wir gemeinsam den Christbaum schmücken. Wie findest du das, Justin?“
„Au ja!“, antwortete er begeistert.

Während Ike und Charles miteinander diskutierten, schlenderte Anne zum Fenster, lugte zwischen den Gardinen und beobachtete Eloise dabei, wie sie Justins Hand nahm und sie gemeinsam zum Pferdestall rannten. Eloise und Justin schienen sich zu mögen, denn sie plauderten angeregt und lachten miteinander. Anne atmete schwermütig auf, ihre Augen wurden wässrig als sie rührend zusah, wie unbefangen die junge Frau aus der Vergangenheit mit ihrem Sohn umging und sie offensichtlich sofort sein Vertrauen eroberte. Dies war äußerst selten, denn der introvertierte Junge mied in seiner Heimat United Europe jeden menschlichen Kontakt – sein bester Freund hieß bislang Piet-A210, ein Haushaltsroboter. Sogar mit gleichaltrigen Kindern wollte er nie spielen, stattdessen hatte er sich täglich in sein eigenes Apartment verschanzt und sich ausschließlich mit Online-Games beschäftigt. Doch nun schien der Bengel in der Gegenwart einer Akteurin aufzublühen. Eloise tollte mit dem Jungen herum; sie führte ihn zum Bauernhof und zeigte ihm die Tiere, wobei Justin bald feststellte, dass der Gestank des Landes eigentlich doch gar nicht so übel roch. Es roch nach freier Natur, es roch nach dem wirklichen Leben.
„Mein Sohn lebt wieder. Die vergangene Welt wird seine Zukunft werden“, raunte Anne erfreut und wischte sich die Freudentränen von ihren Wangen.

Foto: „Der abstrakte Gentlemen“ von Pablo Picasso.
 
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