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Die Belfast Mission - Kapitel 38

Romane/Serien · Fantastisches
Kapitel 38 – Die Spieluhr



Unterdessen im Goldsmith`s Home & Colonial Fruit Store …

Als Eloise den Krämerladen betrat, klimperte ein Mobile über der Eingangstür. Es war still im Einkaufsladen, sie war die einzige Kundin.
„Guten Tag, Miss Eloise. Wie darf ich Ihnen diesmal behilflich sein?“, begrüßte Mr. Goldsmith Eloise freudig, wobei er anstandshalber seinen Bowler kurz anhob. Er stand mit hochgekrempelten Hemdärmeln hinter der Metzgertheke und trennte grad mit einem Hackbeil Rinderfleisch auseinander. Er legte die Fleischbrocken auf eine Waage und bestückte es mit Metallschildern, darauf die genaue Grammzahl gestanzt war. Um Mr. Goldsmiths Hüfte war eine weiße Schürze gebunden, mit getrocknetem Blut verschmutzt. Man hätte bei seinem Anblick denken können, dass er im Hinterhof sein eigenes Vieh schlachtet. Aber dem war nicht so. Mr. Goldsmith betrieb reinen Handel und erhielt seine Ware ausschließlich von einheimischen Bauern oder direkt vom Händler, die mit dem Schiff angereist kamen und im Hafen von Belfast ankerten.
Mit einer Kopfbewegung forderte er seine Gattin auf, die hinter dem Kassentresen stand, seine Arbeit fortzuführen. Er nahm ein Handtuch und trocknete seine Hände. Seitlich aus seinem Bowler ragten geflochtene Schläfenlocken bis auf seinen Schultern herab und an seinem rechten Auge klemmte ein Monokel.
„Guten Tag, Mister Goldsmith“, erwiderte Eloise fröhlich und schaute sich sogleich verwundert um. Dass Mr. Goldsmith außer Lebensmittel sogar afrikanische Statuen, asiatisches Geschirr und Spielsachen aus aller Welt in seinen Regalen ausstellte und zum Verkauf anbot, war ihr nicht neu. Dafür war sie aber über die reifengroßen Adventskränze und zusammengeschnürten Tannenbäume etwas verwundert, die direkt neben dem Eingang aufgestellt waren. Eloise weitete begeistert ihre Augen, als sie auf einen geschmückten Weihnachtsbaum schaute, dieser direkt neben dem Kassentresen aufgestellt war. Sie faltete ihre Hände und seufzte.
„Das ist aber ein schöner Christbaum, Mister Goldsmith.“ Sogleich schaute sie den Kaufmann fragend an. „Aber Mister Goldsmith, Sie sind doch Jude und feiern gar kein Weihnachten. Und nun steht ein wundervoller, geschmückter Weihnachtsbaum in ihrem Laden. Ihresgleichen muss doch denken, Sie haben sich zum Christentum bekehren lassen“, prustete sie mit der Hand vor ihrem Mund haltend.
Mr. Goldsmith schmunzelte.
„Ganz recht, Miss Eloise. So ist es. Wir Juden feiern keine Weihnachten. Aber ich bin ein Verkäufer und dekoriere mein Geschäft ausschließlich für meine Kunden, damit sie sich beim Einkaufen auch wohlfühlen. Interessieren Sie sich für einen unsere Adventskränze? Sie sind alle von meiner Familie handgearbeitet worden.“
Eloise schüttelte mit dem Kopf.
„Nein danke, Mister Goldsmith. Es sind zwar wundervolle Adventskränze aber meine Familie und ich bestehen darauf, alles Weihnachtliche selber zu basteln.“
Eloise strich zaghaft über einen der Adventskränze. Ihre Augen funkelten und verrieten, dass sie am liebsten doch einen davon kaufen würde. Seufzend biss sie sich auf die Lippe. Dann nahm sie einen Zettel vom Kassentresen und schrieb auf, was sie benötigte. Mr. Goldsmith nickte zuversichtlich, als er ihren Einkaufszettel las und übergab das Schriftstück dann seinen ältesten Sohn, der eine Kippa auf seinem Kopf trug und sich sofort ihren Bastkörbchen schnappte, durch die Gänge zwischen den Regalen marschierte und die aufgelisteten Lebensmittel einpackte.
Plötzlich zogen ein kleines Mädchen und ein zehnjähriger Junge – beide Kinder trugen ebenfalls eine Kippa – an ihrem karierten Schottenrock. „Guten Tag, Miss Eloise“, kicherten sie. Eloise kniete sich, stupste auf ihre Nasen und erwiderte ihre Begrüßung. Mr. Goldsmith klatschte energisch in seine Hände und forderte seine Enkelkinder somit auf, dass sie im Hinterhof spielen gehen sollen. Die Kinder gehorchten und flitzten davon.

„Ich habe etwas Spezielles für Sie, Miss Eloise“, sagte Mr. Goldsmith geheimnisvoll, fasste nach ihren Arm und führte sie zum Kassentresen hinüber.
„Wirklich? Sie haben sicherlich einen neuen Schmöker für mich. Jules Verne? Herman Melville? Moby Dick war einfach verflixt spannend. Und die 20.000 Meilen unter dem Meer von Jules Verne hatten mir und meiner Familie ganz besonders gut gefallen. Aber nun sagen Sie doch bitte endlich, was für ein Buch können Sie mir diesmal empfehlen?“, fragte sie ungeduldig.
Mr. Goldsmith öffnete die Schublade, legte ein ledergebundenes Buch auf den Ladentisch und tätschelte behutsam darauf. Einen Moment hielt er inne, um ihr vorfreudiges Gemüt etwas anzureizen. Er wusste schließlich mit seiner anspruchsvollen Stammkundin umzugehen.
„Leider ist es mir diesmal nicht gelungen, einen brandneuen Jules Verne aufzutreiben. Man hängt noch mit der Übersetzung vom Französischen ins Englische ein wenig nach, verstehen Sie? Aber Miss Eloise, heutzutage liest man doch H. G. Wells. Dieses Exemplar habe ich extra nur für Sie reserviert.“
Mister Goldsmith lächelte, hielt das ledergebundene Buch in seine Hände und überreichte es ihr.
„Das ist aber ein schweres Buch mit sehr vielen Seiten“, raunte sie erstaunt. „Was für eine Geschichte steht denn da drin geschrieben?“

Der dunkelbraune Umschlag bestand aus Rinderleder und der Buchtitel sowie der Name des Schriftstellers waren mit goldenem Garn darauf gestickt worden:
H.G. Wells – The Time Machine.
Eloise runzelte die Stirn.
„Was soll denn das sein, eine Zeitmaschine?“, fragte sie verwundert. Behutsam blätterte sie darin herum und überflog einige Zeilen. Eloise klappte das Buch wieder zusammen und schüttelte naserümpfend mit dem Kopf.
„Ich weiß nicht so recht, Mister Goldsmith. Seien Sie mir bitte nicht böse, weil Sie sich solch eine Mühe für mich gemacht haben. Aber ich kann mir einfach nicht vorstellen, was eine Zeitmaschine überhaupt sein soll und was man damit macht. Solche Geschichten mögen wir nicht, das alles klingt mir doch ein wenig zu utopisch.“
Mr. Goldsmith lächelte.
„Genau dasselbe sagten Sie, als ich Ihnen das Buch von Jules Verne 20.000 Meilen unter dem Meer empfohlen hatte. Ein Unterseeboot, angetrieben mit einer geheimnisvollen Energie, empfanden Sie als … Wie nannten Sie es nochmal?“
„Als verflixten Quatsch“, gab Eloise kleinlaut zu und lächelte dabei verlegen.
„Letztendlich hatte Ihnen und Ihrer Familie der Roman aber sehr zugesagt, wie Sie es mir soeben bestätigt haben“, lächelte der Kaufmann.
Jetzt war das Geschick des Verkäufers gefragt, wenn Eloise bereitwillig war ein Buch zu kaufen, sie aber, wie so oft, die Handlung der Story vorab kritisierte. Sie liebte Literatur mit wissenschaftlichen Hintergründen, vorzugsweise wenn es sich bei den Protagonisten um einen raffinierten Professor oder um einen waghalsigen Schriftsteller handelte, die sich in ein gefährliches Abenteuer stürzten.
Das Science-Fiction-Genre wurde Ende des 19. Jahrhunderts immer populärer und insbesondere bei den jüngeren Lesern stets beliebter. Aber manchmal überschritt so mancher Schriftsteller ihre Fantasiegrenze und Mr. Goldsmith musste, wenn er seiner leseverwöhnten Stammkundin einen Roman verkaufen wollte, mindestens über den Inhalt des Buches informiert sein. Und weil Mr. Goldsmith ein ausgezeichneter Verkäufer war, machte er sich stets die Mühe, einige Kapitel des Romans vorab zu lesen, bevor er insbesondere Eloise seine Empfehlung dafür aussprach.

„Nun stellen Sie sich einmal vor, Sie könnten mit einer Maschine durch die Zeit reisen. Was würden Sie tun?“
Eloise tippte mit dem Finger nachdenklich auf ihren Mund und überlegte. Schließlich zuckte sie ahnungslos mit der Schulter. Mister Goldsmith lächelte.
„Es gibt nur zwei Möglichkeiten, meine Dame. Entweder Sie reisen in die Vergangenheit oder in die Zukunft“, half er ihr freundlich auf die Sprünge.
Wieder zuckte Eloise mit der Schulter.
„Nun, dann würde ich wohl eher in die Zukunft reisen. Was will man schon in der Vergangenheit?“
Mr. Goldsmith lockte mit seinem Zeigefinger ihr Gesicht näher heran. Sie folgte seiner Aufforderung, wobei ihre grünen Augen sich erwartungsvoll weiteten.
„Jetzt stellen Sie sich einmal vor, Miss Eloise, wie die Welt im Jahre 1960 und sogar noch viel später wohl aussehen mag?“, sprach er beinahe flüsternd, sodass es mystisch und geheimnisvoll klang und ihre Neugier sich steigerte. „In diesem Buch werden Sie es erfahren, denn H.G. Wells ist ein wahrer Visionär. Seine Werke sind mit die von Jules Verne ebenbürtig zu vergleichen!“, betonte er.
Das Jahr 1960 klang wahrhaftig wie die totale Zukunft in ihren Ohren. Zwar hatte sich Eloise schon öfters ausgemalt, wie die Welt in 20 Jahren aussehen könnte, aber sich 50 Jahre später vorzustellen, das war eine viel zu lange Zeitspanne. Da kapitulierte ihre rege Fantasie. Soweit hatte sie noch nie gedacht. Jetzt war sie an dem Roman interessiert. Eloise lächelte ihm vergnügt ins Gesicht.
„Herrjemine! Dann bin ich ja schon 71 Jahre alt und eine alte Uroma“, kicherte sie. „Alle Menschen besitzen dann vielleicht ihr eigenes Automobil und fliegen damit sogar durch die Luft rum. Wohnen werden die Menschen bestimmt dann in großen, runden Häusern, die bis zum Himmel ragen, denn von meinem Mann weiß ich, dass …“
Eloise hielt sich sogleich erschrocken die Hand vor dem Mund. Beinahe hätte sie über Ikes Geheimnisse geplaudert. Immer noch hatte sie deutlich die Satellitenfotos im Gedächtnis, wobei Ike ihr aber erklärt hatte, dies seien nur Fotografien eines Miniaturmodels von Städten, die einmal in ferner Zukunft errichtet werden würden. Kuppelstädte. In ferner Zukunft, also möglich im Jahre 1960?

Plötzlich entdeckte sie im Regal hinter dem Kassentresen ein hölzernes Kästchen, welches sogleich ihre Aufmerksamkeit erlangte. Sie reckte ihren Hals und erblickte eine Spieluhr. Sie liebte Spieluhren über alles und um vom Thema abzulenken, bat sie Mr. Goldsmith diese zu zeigen.
Als sie den Sprungdeckel öffnete, erklang eine liebliche Melodie und eine tanzende Ballerina drehte sich permanent im Kreis. Eloise seufzte entzückt. Diese Spieluhr hätte sie gerne gekauft, aber bald war ja Weihnachten und was wäre, wenn Ike ihr am Heiligabend eine Spieluhr zu schenken beabsichtigte? Sicherlich wäre er sehr enttäuscht, wenn sie nachher mit dieser Spieluhr herausspaziert käme, weil seine Überraschung dann missglückt wäre. Das wollte sie keineswegs riskieren, also entschied sie, anderweitig zu handeln.
„Diese Spieluhr wäre in der Tat ein wunderschönes Weihnachtsgeschenk, Miss Eloise“, lenkte Mr. Goldsmith geschickt ein, als er ihre Kaufabsicht witterte, und schob das Buch beiseite. Aber Eloise hatte bereits alle ihre Weihnachtsgeschenke besorgt und fragte ihn höflich, ob er diese Spieluhr für sie bis nach Weihnachten reservieren würde.
„Diese Spieluhr hätte ich gerne für mich selbst. Nach Weihnachten kaufe ich sie ganz bestimmt. Ich verspreche es Ihnen, Mister Goldsmith!“, beteuerte Eloise während sie die Spieluhr begeistert betrachtete.
Mr. Goldsmith nickte.
„Gerne werde ich diese Spieluhr für Sie zurücklegen. Aber bedenken Sie, dass ein Geschenk wahrhaftig vom Herzen kommt, wenn man jemand damit überrascht, was man eigentlich selbst gerne besitzen würde“, sprach er lächelnd und hoffte, dass sie diese Spieluhr jetzt gleich kaufen würde.
Eloise seufzte erneut, während sie mit funkelnden Augen die tanzende Ballerina betrachtete und nach der lieblichen Melodie lauschte. Schwermütig klappte sie den Sprungdeckel zu, schüttelte mit dem Kopf und drückte die Spieluhr Mr. Goldsmith in dessen Hände.
„Dann würde ich sie nur meinem Ehemann schenken wollen. Aber was will der schon mit einer Spieluhr?“, kicherte sie. „Ich denke, dass er sich über die Boxhandschuhe, die ich letztens bei Ihnen gekauft habe, sich eher freuen wird.“

Nachdem Mr. Goldsmith die Spieluhr unter dem Kassentresen verstaut hatte, rechnete er die Lebensmittel in ihrem Bastkörbchen zusammen und verlangte 3,85 irische Pfund. Der Roman: The Time Machine kostete stolze 95 Pence – hauptsächlich wegen des wertvollen ledernen Umschlages –, aber nur für sie würde er einen Rabatt von 5 Pence erlassen, meinte Mr. Goldsmith.
Als Eloise immer noch unentschlossen war und dabei wortlos auf das Buch starrte, griff er in das Bonbonglas und legte drei Dauerlutscher in ihren Korb hinzu, um ihre Entscheidung etwas zu beschleunigen.
Eloise biss leicht auf ihre Lippe. Die kostenlose Lollis waren verführerisch und sie könnte ihren Lieben somit eine Freude machen, weil sie so lange auf sie warten mussten. Der großzügige Preisnachlass von 5 Pence war zudem ihrer Meinung nach ein Schnäppchen.
Noch einmal überlegte sie. Was wird wohl Ike dazu sagen, wenn sie diesmal mit einem Roman ankäme, dessen Story um Zeitreisen handelt? Vielleicht würde er sie auslachen und sie für verrückt erklären. Aber Mr. Goldsmiths Buchempfehlungen hielten bislang immer, was er versprochen hatte.
Eloise kam lächelnd aus dem Krämerladen heraus – ihre Arme umklammerten das ledergebundene Buch. Mr. Goldsmiths Sohn schleppte ihren vollgepackten Bastkorb zum Fuhrwagen und Justin nahm diesen griesgrämig entgegen. „Na endlich“, stöhnte er erleichtert auf.
„Habt ihr lange auf mich gewartet?“, fragte Eloise und strahlte dabei wie der Sonnenschein persönlich. Es entging ihr, dass Ike abgekämpft und außer Atem wirkte, als sie ihn auf dem Pferdewagen hocken sah. Er schob seine Schirmmütze etwas zurück, holte seine Taschenuhr heraus und klappte den Sprungdeckel auf.
„Bloß fast eine Stunde, Liebes. Wie immer. Aber Justin und ich haben uns prächtig amüsiert. Die Zeit verging einfach im Nu. Nicht wahr, Justin?“, fragte er den Bengel und stieß ihn dabei unauffällig an.
Justin blickte griesgrämig drein, verzog seinen Mund und bestätigte missmutig: „Ja, Sir. Wie schnell die Zeit vergeht, sagt ihr Erwachsene doch immer.“
Zur Entschädigung für die lange Wartezeit belohnte Eloise Justin und Ike jeweils mit einem Dauerlutscher, wobei sie stolz bekundete, dass sie die Süßigkeiten geschickt ausgehandelt hätte, um einen neuen Roman zu kaufen. Nun war Justin wieder fröhlich gestimmt. „Mega, das Chillen hat sich wenigstens gelohnt“, flüsterte der Bengel vor sich hin, während er seinen Lolli schleckte.

Abends hockte die Familie wiedermal gemeinsam vor dem knisternden Kamin und hörten Eloise gespannt zu, wie sie in ihrem Schaukelstuhl saß und vorlas. Es war ein anstrengender Tag in der Stadt gewesen und trotz, dass der Roman: The Time Machine spannend begann, gab sich Eloise schon nach dem dritten Kapitel geschlagen. Das Vorlesen hatte ihre letzten Kraftreserven geraubt. Sie war schläfrig geworden.
„Morgen ist ja auch noch ein Tag“, gähnte sie, hielt Ike ihren gespitzten Mund entgegen und verlangte nach einem Gutenachtkuss. „Bleib aber nicht mehr gar so lange wach“, knurrte sie ihm lieblich ins Ohr und schlenderte müde nach oben in die Schlafstube.
Charles war wiedermal mit offenem Mund und verschränkten Armen im Sessel eingeschlafen und schnarchte. Damit Justin nicht wieder protestierte, weil die Langeweile drohte, übernahm Anne das Vorlesen.
Ike entschuldigte sich, verschwand sogleich im Badezimmer und verriegelte die Tür hinter sich. Nachdem er sich ein metallischen Knopf ins Ohr gesteckt und einen Verbindungscode in den Spiegel gesprochen hatte, rauschte es zuerst nur in seiner Ohrmuschel, bevor er Vincenzos Stimme vernahm.
„Hey Junge, schön von dir zu hören. Glückwunsch zu deiner Hochzeit. Und dass es dir gelungen ist, deine Taschenuhr wiederzubeschaffen“, eröffnete Vincenzo das Gespräch freudig. „Die Hochzeit war die richtige Entscheidung gewesen, mein Freund. Das Archiv fügt nun langsam die ursprünglichen Ereignisse wieder zusammen. Die Zukunft der Vergangenheit wird immer deutlicher. Mir liegt Bildmaterial vor, worauf du während eines Festes zu sehen bist. Es ist meines Erachtens der historische Tag des Stapellaufes der Titanic am 31. Mai. Also ist es gewiss, dass dir bis zum Sommer 1911 nichts geschehen wird. Diese Vorhersage darf ich dir laut der Sicherheitszentrale mitteilen.“
Ike berichtete ihm, dass ihm mithilfe von Benjamin Glover die einmalige Gelegenheit ermöglicht wird, die Saboteure aufzuspüren und verlangte von ihm eine Bestätigung, diese Leute töten zu dürfen.
„Ich habe alles genau geplant. Glover wird sich am Hafen mit ihnen treffen, wobei ich bereits auf sie im Hinterhalt warte. Dann schalte ich sie aus, wie ich es damals mit Eric getan habe. Niemals werden sie damit rechnen, dass Bugsy mittlerweile für mich und somit gegen sie arbeitet. Schließlich haben sie ihn mit 40.000 Dollar geködert, was für diesen Kerl ein reines Vermögen ist.“

Vincenzo war damit einverstanden, schließlich stand es nun fest, dass Ike vorerst nichts geschehen würde. Vincenzo wollte grad die Verbindung vorzeitig beenden, um kostspielige Energie zu sparen, aber als Ike herumdruckste, wurde er hellhörig.
„Was ähm … Was soll eigentlich mit Glover geschehen? Ich meine, wir sollten ihn für seinen Dienst irgendwie belohnen. Ich beabsichtige, dieses Treffen einen Tag vor dem Silvestertag zu vereinbaren, also einen Tag bevor er ermordet wird, und werde Bugsy danach sofort zur Flucht verhelfen. Nach Amerika. Somit wird er seinen sicheren Tod entfliehen können.“
„Nein, auf gar keinen Fall wirst du das tun!“, erwiderte Vincenzo energisch. „Das Archiv gibt eindeutig Informationen preis, dass Benjamin Glover am 31. Dezember 1910 gestorben ist. Satellitenfotos zeigen, dass sein Mausoleum auf dem Milltown Friedhof sogar noch im Jahre 2065 existierte. Es ist eine uralte Grabstätte, das bereits seit den Neunzehnhundertsechzigern von der Stadt gepflegt wurde und unter dem Denkmalschutz stand. Wenn man den Burschen einfach nur so verscharrt hätte, wäre es kein Problem gewesen. Dann hätte ich dir diese Genehmigung eventuell erteilt. Aber dieser Gangster wurde in einer beachtlichen Grabstätte beigesetzt, die sogar in einigen Sachbüchern samt Fotografien verzeichnet wurde. Abermillionen von Menschen waren damals dorthin gepilgert, weil man glaubte, dass dieser Bursche ein moderner Robin Hood war, der zwar reiche Leute ausgeraubt, aber die Beute in seinem Wohnviertel verteilt hatte. Es heißt, der Gangster wurde während des Home Rule Bill von der Regierung niedergestreckt. Benjamin Glover wurde nach seinem Tod zu einer wahren Legende. Ich konnte nichts herausfinden, wer dem Kleinganoven so ein ansehnliches Mausoleum errichten ließ. Derjenige muss damals auch die Tatsachen vertuscht haben. Falls du seinen Tod also verhinderst, machst du dich strafbar!“
„Das ist aber ungerecht!“, schimpfte Ike in den Spiegel. „Bugsy arbeitet für mich und beschafft uns die Saboteure! Er handelt also für United Europe und wird zu einer Schlüsselfigur, damit das Zeitkontinuum erhalten bleibt. Glover ist doch erst zwanzig Jahre alt, wir sollten ihn dafür mit dem Leben belohnen! Was zum Teufel ist schon dabei, wenn ein unbedeutender Kerl, der normalerweise gestorben wäre, trotzdem weiterlebt? Hauptsache ist doch, dass wir den TT erledigen!“ Ike atmete einmal schwermütig auf, bevor er fortfuhr, denn er spürte selbst, dass er sich zu vergessen drohte. „Vincenzo … Deine Rechtsanwälte könnten die Anklage gegen mich abwehren und begründen, dass ich nur einen Kronzeugen zu schützen versuchte. Es muss doch eine Möglichkeit geben, Bugsy vor dem sicheren Tod zu schützen!“
Vincenzo aber blieb hartnäckig.
„Vergiss es, Ike! Ein Akteur darf weder gerettet noch getötet werden, so verlangt es das Gesetz. Kein Rechtsanwalt könnte dein Handeln rechtfertigen, sodass ein Richter dich freisprechen würde. Dieser Typ ist und bleibt ein Verbrecher. Wer weiß schon, was er zukünftig in Amerika anstellen würde. Vielleicht würde aus ihm, wenn er sich dort eine Existenz aufbaut, einer der mächtigsten Ganoven aller Zeiten werden? Vielleicht würde er gar berühmter werden als Al Capone, John Dillinger oder Bonny und Clyde? Das darf niemals geschehen!“
Nur noch wenige Sekunden reichten für einen Funkkontakt. Die 40 Sekunden waren fast verstrichen.
„Außerdem werden deine Bemühungen sowieso zwecklos sein. Nach unseren Erfahrungen können wir zwar die vergangenen Ereignisse verändern und wieder richten, aber das Schicksal eines Menschen lässt sich nicht betrügen. Letztendlich wird Benjamin Glover sterben. So oder so. Akzeptiere das!“
Nachdem Vincenzo ihm diese Botschaft energisch verkündet hatte, rauschte der Sender in seiner Ohrmuschel. Ike stützte seine Hände gegen die Kacheln im Badezimmer und blickte starr in den Spiegel.
Was genau meinte er damit, das Schicksal eines Menschen lässt sich nicht betrügen? Er hatte es Bugsy aber versprochen, dass ihm nichts geschehen wird und er sah es nicht ein, ihn stillschweigend in seinen Tod treiben zu lassen. Bugsy war doch kooperativ und gewillt, ihm und somit United Europe zu dienen. Benjamin Glover half doch dabei, wenn auch unwissend, das Zeitkontinuum aufrecht zu halten. Dafür sollte er auch gefälligst mit dem Leben belohnt werden. Ike war bereit die Konsequenzen dafür zu tragen, jedoch nicht tatenlos zusehen, wie Bugsy ein tragisches Lebensende erwartet. Ike war entschlossen, das Treffen mit dem TT und Bugsy auf den 30. Dezember zu vereinbaren, somit könnte er Glovers Tod verhindern, wenn er kurz danach nach Amerika flüchten würde. Ike war es bewusst, dass er dann mit erheblichen Konsequenzen rechnen müsste.


Foto: Zu sehen ist der Gemischtwarenladen in Belfast, den ich in diesem Kapitel erwähne. Die Fotografie entstand 1910 und ist in dem Sachbuch: Die Geburt einer Legende – Die Entstehung der Titanic abgebildet, daraus ich hauptsächlich recherchiert habe.
 
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