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DER ROTE MONARCH - ODER VON EINER FREUNDSCHAFT

Nachdenkliches · Kurzgeschichten
Vor ein paar Wochen sah ich zufällig eine Doku auf Arte:
Unter der Schreckensherrschaft des selbsternannten roten Monarchen wurden mehrere Millionen Menschen entweder in Arbeitslager verschleppt oder direkt exekutiert. Egal, ob es sich um Parteigenossen, um sogenannte Volksverräter oder um angebliche Spione handelte.
Weitere 6 Millionen Menschen (grob geschätzt) krepierten wegen der Hungersnöte, weil die eigentlichen Bauern - Kulaken genannt - verbannt und ihre Höfe in volkseigene Betriebe umgewandelt wurden. Weshalb unerklärlicherweise die Produktion von Lebensmitteln stagnierte.
Und ich musste an den Film denken ...
Ist natürlich blöd, die Beschreibung eines Films zu versuchen, der nur einmal in Deutschland gezeigt wurde. Und zwar im ZDF irgendwann um 1986. Ich habe auf die Aufnahmetaste des Videorekorders gedrückt und dadurch Jahrzehnte später einen guten Freund aus dem Osten der Republik kennengelernt. Der suchte nämlich diesen Film über meine Homepage und hatte sich im Gästebuch eingetragen:

23.12.2005 - 22:49 Uhr
Hallo Ingrid,
eigentlich habe ich den Roten Monarchen gesucht. Irgendwie muß er was mit Deiner homepage zu tun haben. Ich habe über den Film zwar nichts gefunden, dafür aber eine gelungene Präsentation.
Ich werde später wieder kommen, jetzt suche ich erst einmal wieder nach meinem Film!
Wolfgang

Wolfgang hatte, dem Himmel sei Dank seine Mail-Adresse angegeben. Ich schrieb ihm zurück und schickte ihm den Roten Monarchen, der sich auf zwei CDs befand.
So lernten wir uns kennen. Und wir haben uns ausgetauscht, ich Wessi - er Ossi. Er hat mir erzählt, was ihn bewegte und ich habe ihm erzählt, was mich bewegte. Und wir stellten fest, dass wir gut zusammenpassten. Wolle war Ingenieur und hatte im Irak etwas aufgebaut. Nein, es waren keine Giftgasanlagen.
Er schickte mir eine CD von einer Gruppe namens Silly, deren Musik ich einfach gut fand. Und später ein wunderschönes Video von den Kaninchen, die sich zwischen den Grenzmauern in Berlin aufhielten. Und die nach der Grenzöffnung ... Ja, vermutlich sind sie gestorben nach der Zerstörung ihrer heimatlichen Insel zwischen den Fronten.
Ich schickte ihm ein Video von „Deine Lakaien“, und er fand es gut. Er schickte mir Fotos von Usedom und Berlin, die ich in meinem blog zeigte. Er hat oft kommentiert dort.
Er schickte mir ein Foto, auf dem er mit drei Freunden zu sehen war. Einer von denen war sein persönlicher Stasi-Spitzel.
Ich glaube, ich konnte ihm nicht viel bieten. Er mir umso mehr. Mir, ein von der Freiheit absolut verwöhntes Kind. Einmal nannte er mich „mein Stern“, aber da war er wohl betrunken.
Unsere Freundschaft währte sieben Jahre. Er hat mir Sachen anvertraut, von denen keiner in seiner Familie etwas wusste. Er war der beste Freund, den ich je hatte. Aber irgendwann meldete er sich nicht mehr. Meine Mails wurden nicht beantwortet. Hatte ich ihn gelangweilt oder gar enttäuscht?
Ein Jahr später fand ich eine Traueranzeige im Netz. Er war tot. Einfach so.
Und ich musste weinen. Ich trauerte lange um ihn und auch jetzt noch kommen mir die Tränen und ich kriege keine Luft mehr, wenn ich an ihn denke.
Rest in Peace! Du konntest russisch ja besser als ich englisch.
Mach's gut, mein Freund. Vielleicht hast du es dort besser, denn auch hier weiß man nicht, wie das alles enden wird.
-*-*-*-*-*-*-
Aber nun zum Film: Nach 1986 herrschte Sendepause, er wurde nie wieder im Fernsehen gezeigt. Man konnte ihn zwar kaufen, aber nur auf englisch, falls er überhaupt verfügbar war.

DER ROTE MONARCH ... Die Vorlage zum Film schuf Yuri Krotkov, ein ehemaliger KGB-Spitzel, der 1963 in den Westen überlief.
Handelt es sich um eine Komödie? Meine subjektive Meinung ist: Den Stoff einfach brutal abzuarbeiten ist sinnlos, irgendwann wehrt sich das Hirn gegen diese Grausamkeiten und meldet sich ab. Aber wenn man Ironie vorschaltet, kann man es vielleicht ertragen.
Aber worum geht es?
Es geht um den Stählernen, es geht um Macht, es geht um Ideologie, es geht um Wahnsinn gepaart mit Ideologie, sei sie rot, braun oder grün oder was auch immer. Es geht immer um die Entmenschlichung des vermeintlichen Gegners.
Die Geschichte wiederholt sich, immer und immer wieder. Na gut, dann also:

Stalin - Generalsekretär des Zentralkomitees der KPdSU seit 1922 - ist im Endstadium seiner Macht. Alle huldigen ihm, vor allem die Schleimer im Politbüro. Auch das gemeine Volk huldigt ihm, doch das ist auch nicht direkt betroffen von den Säuberungen, denn die finden ausschließlich im Politbüro und in der Partei statt.

1.) Schmissige Marschmusik: Die Limousine des Generalsekretärs hält an, alle Autos dahinter stoppen.
Die Politbüromitglieder in den anderen Fahrzeugen haben Angst. Wen wird er als nächstes massakrieren?
Stalin hat sich in ein Dokument vertieft, darin geht es um seinen georgischen Landsmann Beria ... Beria, ein widerlicher Typ, der vorzugsweise junge Rekordsportlerinnen entjungfert und gerne auch das Blut dazu fließen sieht. Er ist ein willfähriger Handlanger Stalins und der beste im Abschlachten von dessen Opfern.
Stalin hält ihm die neueste Beria-Akte vor die Nase - und Beria erblasst.
Doch Stalin grinst grimmig und nimmt sich einen anderen Ordner vor mit den Worten: „Lass uns arbeiten.“ Was soviel heißt wie: „Lass uns andere beseitigen!“

2.) Ein Jugendfreund steht auf der Todesliste. Die Liste ist lang. Jede Woche werden Tausende von „Verrätern“ erschossen oder in die Gulags geschickt, wo sie unter furchtbaren Umständen schwerste Arbeiten verrichten müssen. Viele kommen dabei zu Tode.
Doch dieser eine Name rührt etwas in Stalin auf; er erinnert sich daran, dass dieser Mann ihm einst das Leben rettete und seine Hand will zum Verrecken nicht das Todesurteil unterschreiben.
„Was können die schon groß verbrochen haben“, murmelt er vor sich hin. Ein furchtbarer Kampf findet zwischen seiner Hand und ihm statt. Die Hand gewinnt und unterschreibt das Todesurteil.

3.) Eine ältere Frau findet sich in einem prachtvollen Zimmer wieder - und herein tritt ihr lange verschollener Ehemann. Das Paar ist unfassbar glücklich, es umarmt sich und weint. Es hat sich seit langen Jahren nicht gesehen, weil es in verschiedene Lager gebracht wurde.
„Ich hatte schon eine Ahnung, was passieren könnte, denn sie haben mich in den letzten Wochen rausgefüttert“, sagt die Frau.
Stalin tritt hinzu und der Ehemann erkennt ihn als alten Kameraden.
Die Frau wird in die Gärten geführt, und Stalin macht dem Ehemann ein Angebot: Er soll stellvertretener Außenminister werden mit vielen Privilegien. Der alte Kamerad ist zu Tränen gerührt, er hat immer an Stalin und an die Revolution geglaubt.
Doch dann gesteht ihm dieser zynisch, ein zaristischer Spion gewesen zu sein. Der Kamerad ist geschockt, sein ganzes Lebensbild wird gerade zertrümmert. Aber als er sieht, wie seine Frau draußen von Wachtposten festgehalten wird, bezwingt er seine Trauer und sagt zu.

4.) Stalins Leibwächter ist totaler Anhänger der Revolution. Er will Stalins eh schon unruhigen Schlaf nicht stören, wenn er als Leibwächter seine Wachrunden dreht. Seine Frau strickt ihm daraufhin Pantoffeln, auf denen er lautlos den Schlaf des großen Führers bewachen kann. Leider ist Stalin wach beim Probegang und fühlt sich bedroht durch das leise Anschleichen seines Verehrers.
Beria erpresst dem Angeklagten ein Schuldbekenntnis: Er war ein britischer Spion. Also Erschießung! Trotzdem ist der Verurteilte immer noch bereit, dem großen Führer Stalin alles zu verzeihen. Sogar noch an der Erschießungswand.

5.) MAO kommt zu Besuch ... Das ist ziemlich lustig, weil sich beide besaufen.

6.) Stalin vor dem Grab seiner zweiten Frau, die sich erschossen hat.
Nein, das wird nichts mehr, denn es IST eine Tragödie! Alle lustigen Momente sind weg, daran kann auch der englische Humor nichts ändern.

7.) Das Politbüro macht sich Sorgen. Oder Hoffnungen? Nach mehreren Tagen lässt man die Tür zum Refugium aufbrechen - und findet Stalin sabbernd auf dem Boden liegend vor. Auch in diesem Zustand flößt er allen große Angst ein.
Beria weiß, dass er Stalin nicht lange überleben wird. Er nimmt sich sein Herz bzw. ein Kissen in die Hand und drückt es auf den Kopf des Stählernen. (Das sagt nur der Film oder Mutmaßungen)

8.) Stalins Leichnam wird im Mausoleum von über hunderttausenden Besuchern gesehen und verehrt. Bis er schließlich um 1961 daraus entfernt wurde. Durch Nikita Chruschtschow. Stimmt, das ist der mit dem Schuh.

Im Film werden Jewtuschenkows Worte gesagt:
„Verdoppelt die Wachen, verdreifacht sie vor diesem Grab, damit Stalin für immer begraben ist.“

Tja, es gibt immer Stalins, egal welcher Farbe. Sei es rot, sei es grün, sei es Klima, sei es braun.
 
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Kommentare  

Ein toller Text. Sehr beeindruckend. Ein Stück Geschichte vermischt mit erlebter Vergangenheit. Habe ich gerne gelesen und kurz danach Stalin und Lenin gegooglet. Hoffen wir, dass sich nicht alles wiederholt.
L. G.


Else08 (28.03.2025)

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