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Begegnungen

Nachdenkliches · Kurzgeschichten · Sommer/Urlaub/Reise
Am Abend des dritten Augustes fuhr ich mit dem Rad zu diesem alten Kriegsbunker hoch. War nicht weit entfernt. Die Kinderstimme habe ich noch wie ein Echo im Ohr. " Komm wir klettern darunter, ja? Nur einmal! Komm!" Mich fröstelte, obwohl es doch der heißeste Sommer seit Jahren war. Vielleicht lag es auch an meinem Sonnenbrand. Die Stimme des Kindes, wahrscheinlich ein Mädchen, war sehr hoch. Als ich gerade in den Anblick der untergehenden Sonne vertieft war, kam sie um die Ecke und schaute mich an. Ihre Augen schienen das ganze Gesichtchen zu beherrschen. So schien es jedenfalls. Groß, rund und neugierig sah sie mich an. "was tust du da?" Ich schaute in die klaren Kinderaugen, die mich wie Sterne anfunkelten. "Ich male das Meer." "Hast du denn so viel Papier?" Ich schmunzelte. Die Worte schlossen auf einen so kleinen, neugierigen und begierig zu wissenden Kindergeist. "nein, soviel Papier habe ich für wahr nicht. Aber ich male ja auch nicht das ganze Meer." Verwirrt starrte mich die Kleine an. "zeigst du mir das Stück vom Meer?" Ich hielt ihr die noch nicht vollständige Zeichnung hin. "Ja, ein Stück vom Meer." Bestätigte das Kind.
Sie drehte sich um und hielt nach irgendwas Ausschau. Dann kletterte sie zu mir herauf und hockte sich neben mich. So saßen wir eine ganze Weile und starrten auf das Meer hinaus. Wie ruhig das Wasser war. Wahrscheinlich würde man es eher mit einem Dinosaurier aufnehmen, als zu behaupten, dass dieses Gewässer harmlos ist. "Wie heißt du?" fragte mich das Geschöpf neben mir.
"Isabelle." Ein Blick über die Schulter und die kleine war aufgesprungen. " Hat mich gefreut deine Bekanntschaft gemacht zu haben, Isabelle!" Mit diesen Worten verschwand dieses sonderbare Kind. "Hey, warte!" Aber unbeirrt blieb sie verschwunden. Ich beendete meine Zeichnung, packte meine Sachen zusammen und fuhr weiter. Wenn man schräg gegenüber des Bunkers in einen kleinen Waldweg einbog, dann gelangte man in einen Wald mit verschlungenen Pf„den. Ich fuhr an einem See vorbei, über dem ein paar Libellen schwirrten. Am Ende des Weges, stand ein Schild, auf dem "Lille Norge" zu lesen war. Was soviel wie kleines Norwegen heißt. Ein Frosch saß auf der Straße und starrte mich mit seinen nackten Augen an. Glitschiger Gefährte, ging es mir durch den Kopf und grinste dabei. "Glaubst du an die verwackelte Sympathie der Welt?"
Verwundert schaute ich zur Seite und gewahr eine alte Frau, die absolut schrullig und zugleich altmodisch und lieb aussah. Sie sah mich mit wasserblauen Schlitzen an, die jedoch schelmisch blinzelten. Sie bewegte sich vom Straßenrand auf mich zu und ich musterte sie durchgehend. Sie trug eine altmodisch, bestickte Reisetasche in der Hand und am Leib hatte sie ein dunkelgrünes Leinenkleid an, das mindestens aus dem sechzehnten Jahrhundert stammen musste. Die hohen Schnürstiefel ließen sie höher erscheinen als sie in Wirklichkeit war. "Und was hältst du nun von der verwackelten Sympathie der Welt?" Ihr Aussehen verwirrte mich mehr, als ihre Frage, so dass ich nicht gleich antwortete. "Hallo!
Kannst du mich hören?" Ich zuckte zusammen. "Ja, selbstverständlich. Verzeihung. Ich war wohl in Gedanken." "Wer ist das nicht?" sagte sie und lächelte mich teils mitleidig, teils verschmitzt an. "Und was ist nun mit der verwackelten Sympathie auf der Welt? Meine Frage." Ich wusste nicht, was die alte Frau von mir hören wollte, also kaute ich ihr etwas von der Sympathie des Lebens vor und wie die Materie die Erde beherrschte und zwar in dem Sinne das das Geschehen, der Stoff ist, der die Welt in Atem hält. Mit geweiteten Augen hörte sie mir bis zum Ende meines Berichts zu und machte einen ganz befriedigten Ausdruck, zumal ich ihre Frage wohl einigermaßen zufrieden stellend beantwortet haben musste. Dann herrschte erst mal sekundenlanges Schweigen, als ein Fasan aufschrie und die Alte, als hätte sie auf das Zeichen, den Schrei, gewartet, sagte mit ausgestreckter Hand, "Oh, entschuldige, ich vergaß mich vorzustellen. Mein Name ist Frau Toke und ich wohne hier. "Und mit diesen Worten deutete sie auf ein nahegelegte Baumgruppe. Doch ich konnte keine Hütte entdecken, die den Wohnsitz der Frau Toke gekennzeichnet hätte. "Verzeihung", sagte ich also ganz höflich, "Wo wohnen sie?" "Na, hier! Da und da und auch dort drüben." Und dabei deutete sie auf die Baumgruppe, einen Bach und eine Wiese. "Ach ich verstehe! Sie wohnen also zwischen Heide und Flur." Sie nickte und strahlte übers ganze Gesicht, als hätte ich etwas nach langer Zeit erst begriffen. "Ja, mein Kind! Möchtest du vielleicht Blaubeeren? ich habe sie aus meinem Garten und sie sind sehr gut. Hier!" Sie hielt mir einen Holzbecher, randvoll mit Blaubeeren gefüllt, hin. Ich nahm mir zwei von den großen Exemplaren und bestätigte das sie wirklich gut seien. Dann verabschiedete ich mich von Frau Toke und fuhr weiter.
In meinem Kopf tanzten die Gedanken Polka. Eigentlich war die Frage über die verwackelte Sympathie der Welt, so absurd und verdreht sie auch klingen mochte, eine ernst zu nehmende Frage gewesen. Mit dieser Frage hatte sie irgendwie eine wichtige These an die Decke gebracht. Jeder normale Mensch würde doch von einer alten schrulligen Frau annehmen, das sie verrückt ist, wenn sie Klamotten aus dem Sechzehnten Jahrhundert trägt und behauptet in der freien Natur zu wohnen. Vielleicht wollte sie die Menschen testen, wie weit sie schon verdorben waren und in wie vielen noch ein Funken Phantasie glimmte, der ihren Verrücktheiten glauben schenkte. Ich freute mich, das ich nicht daran gedacht hatte, dass sie verrückt sei oder es auch nicht ausgesprochen hatte.
Auf meinem Rückweg am Bunker musste ich unwillkürlich an das kleine Mädchen denken. Der Betonkasten aus der Kriegszeit lag nun da, wie ein altersschwaches Ungeheuer, das nur noch Ruhe wollte und nur ab und zu aufrumorte, wenn Menschen in seine Nähe kamen. Eine Möwe kreiste über das Bunkerungeheuer. Auf der anderen Seite des Betonkastens ging es mindestens fünfzehn Meter in die Tiefe.
Als ich wieder aufblickte, sah ich das Kind auf dem Dach des Bunkers. Sein Rotes Haar funkelte in der Abendsonne. Sie winkte mir zu. Dann sprang sie. Für den Bruchteil einer Minute, wie es mir schien, Hielt ich den Atem an und lauschte, ohne zu wissen, auf was. Dann kam Bewegung in mich. Ich sauste den weg am Bunker hinunter in die Dünen und sah gerade noch wie ein Roter Haarschopf hinter einer Düne verschwand. Die abendliche Brise kühlte meine erhitzte Haut. Die Sonne tauchte in einen Farbtopf aus sommerlichen Pastelltönen und die milchigen Streifen am Himmel bildeten mit dem glatten Meer eine Parallele.
Verwirrt griff ich mir an den Hals. Soviel zum Thema Begegnungen, dachte ich, schwang mich auf mein Rad und fuhr zu meiner Hütte zurück.
 
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Kommentare  

Habe nicht kapiert was Du mit der Geschichte ausdrücken willst.
Vielleicht müsste ich ein Träumer und kein Realist sein um Deine Worte zu verstehen.


Wolzenburg-Grubnezlow (24.02.2002)

interessant und traurige zugleich

joern (26.03.2001)

Bingo Bärchen! Eine verwackelte Parabel auf die verwackelte (hübsches Attribut!) Sympathie der Welt - und auf das Leben insgesamt. Neugierig sein als Kind und im Alter: du schreibst von Dir selbst. Das Leben trinken wie eine süße Schokolade, heißes Blech unter den Füßen und sterben vor Ungeduld. Voller Ungeduld habe ich Deine Geschichte gelesen, kein Wort ausgelassen und war gespannt auf das Ende. Eine rosige Parabel, fein, naiv, durchschaubar. Aber bildschön!


Christian du weißt schon (15.03.2001)

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