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Das neue Berlin

Kurzgeschichten · Erinnerungen
"Wieviel kostet die?" "Zehn Mark." "Pro Stück?" Er nickt. Ich reiche ihm 50 Mark, nehme mein Wechselgeld und das Twen Belegexemplar mit dem Mädchen, das wie eine Nixe am Wasser sitzt. Der Junge neben mir meint, das sähe aber gar nicht wie ein Jugendmagazin aus. Der Verkäufer meint "Ist es aber."

Ich gehe weiter. Am nächsten Stand kaufe ich ein Buch von 1953 - Das Lehrbuch für den Kraftfahrer. Als ich vom Tisch zurücktrete, zum Alten Stadttor hin, sehe ich einige Meter vor mir eine junge Frau. Mit schwarzen Stiefeletten deren Sohle über den Schuhrand gezogen ist. Und einem schwarzen Mantel mit Pelzbesatz, unter dem sie eine schwarz glänzende Hose trägt. Club wear - wie sie dieses Jahr Mode ist.

Und doch haben diese Schuhe, diese Hose an ihr etwas Besonderes. Ohne Eile bewegt sie sich zwischen den Ständen vorwärts. Leicht und federnd. Selbstbewußt.

Ich folge ihr über die Spreebrücke auf die andere Seite des Marktes. Es ist der erste warme Tag dieses Jahr. Sonnig. Mit Zuversicht. Ein Tag, der einem das Gefühl gibt, da zu sein, wo man hin will.

Rechts von uns spielt ein Mann, zusammengekauert, auf einem fremden Instrument leise seine Melodie. Die Sonne scheint ihm ins Gesicht. Wie damals, denke ich. Freue mich über meine Begleiterin. Habe das Gefühl, auch ihr gefällt die Musik.

Gemeinsam schlendern wir durch die Stände auf dieser Seite der Spree. Die Händler bauen Ihre Tische ab. Routiniert. Zufrieden, wie es scheint. Ich habe die Hände tief in den Hosentaschen. Im Nacken spüre ich den Kragen des Jackets. Und fühle mich wohl. Das erste Mal in dieser Woche.

Meine Begleiterin ist ein paar Schritte voraus. Ihr Art, sich zu bewegen, gefällt mir sehr. Ihr Gang ist natürlich und irgendwie zärtlich. Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, denke ich.

Am Ende des Flohmarkts folgt sie ohne zu zögern weiter der Straße des 17. Juni. Ich folge ihr. Durch parkende Autos. Kindern ausweichend, die Fangen spielen. In einer Pfütze spiegelt sich der Himmel. Glasscherben liegen herum.

Ich gehe auf dem Bordstein. Balanciere um Auospiegel herum. Sie wirft ihre Haare zurück. Setzt eine braune Mütze auf. Sie ist einfach umwerfend.

Aber warum? Weil ihr Gang so selbstverständlich ist? So zielstrebig? So vollkommen effizient auf ihr Vorwärtskommen ausgerichtet? Weil sie keine Tasche hat, keinen Schal? Weil sie schön ist? Ist sie schön?

Wir kommen zum Ernst-Reuter-Platz. Sie bleibt an der Bordsteinkannte des Kreisverkehrs stehen. Über ihr am Ende der Bismarkstraße steht die Sonne. Kitsch pur. Ich schaue hinein und schließe die Augen.

Ich sehe, wie ein schwarzer Mercedes aus dem Kreisverkehr ausschert. Auf sie zufährt. Dann seine Fahrt verlangsamt. Direkt vor ihr zum Stehen kommt. Die Hintertür öffnet. Sie tritt auf die Straße. Steigt ein. Schließt die Tür. Der Wagen beschleunigt. Reit sich in den Verkehr ein. Biegt rechts in die Marchstraße ab.

Ich öffne die Augen. Der erste Buchstabe des Kennzeichens ist ein F.

Ich blicke auf die gegenüberliegende Seite des Platzes. Dort steht eine Reihe von Fahnen. In gleichmäßigem Abständen. Ausgerichtet von Ost nach West. Alle Fanen sind gleich, rot und mit einen weißen Schriftzug. Es dauer etwas. Ich lese "Das neue Berlin".

Ich überquere den Platz, gehe zur Tankstelle in der Bismarkstraße und kaufe mir zwei Dosen Bier.

 
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Kommentare  

das sind für mich 5 punkte, wegen dem frankfurter kennzeichen.

Jonatan Schenk (20.03.2007)

Ein Voyeur hat's schwör :-)
Kurz, aber ein netter Moment.
Ein Berliner


gast (05.02.2005)

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