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Der Schrei nach Leben - Kapitel I

Romane/Serien · Trauriges
Stille.
Sie war beruhigend.
Umfangen in ihr badete er in seinen Gedanken und Erinnerungen. Einige davon nur fragmentarisch. Kurze Blitze von Emotionen und Bildern. Andere hingegen in ihrer Klarheit und Ausführlichkeit unerträglich aufdringlich. In gewisser Weise fühlte er sich wohl, wie sich ein Säugling in seinem Bett unter der dicken, weichen Decke, die das Gefühl der Liebe in sich trägt, mit dem die Mutter es zur Ruhe bettet. Auch er wollte ruhen.

Er fühlte sich alt und verbraucht. Am Ende seiner Kraft führ den Widerstand. Den Sinn des Kämpfens um das Weiterleben hatte er schon lange aus den Augen verloren. Die letzten Jahre hatte er versucht seine Existenz durch die von ihm selbst aufgestellte Quintessenz: „Der Sinn des Lebens ist das Leben an sich“ zu rechtfertigen. Doch mehr und mehr konnte er die Erfahrungen, für die zu leben er glaubte, nicht ertragen. Sein alter Schutzmechanismus erfüllte seine Aufgabe besser als je zuvor. Seine Emotionslosigkeit und die innere Leere wurde ihm zusehends zum Verhängnis. Er hatte sich immer weiter von den Menschen entfernt, und war zum Beobachter des seltsamsten Bühnenstücks geworden, dass sich irgendein Geist hätte jemals einfallen lassen können. Durch die Welt gehend verzweifelte er mit zunehmender Intensität an der grauenhaften Fassade. Zu finden waren für ihn nur seelenlose Statisten. Doch des öfteren wurde auch er zum Statisten, wofür er sich, während er sich selbst zusah, hasste. Warum überflutete ihn dieses Gefühl der Einsamkeit. Hatte er doch so viele Zeiten der Losgelöstheit und des Spaßes gehabt. Der Zustand der bedingungs- und grenzenlosen Offenbarung gegenüber einander, wenn er Nächte mit Freuden oder auch nur einem einzelnen, wenn der stoffgewordene freie Geist verbrannt wurde und seine Macht dem Blut übergab, genoss. Die Erinnerungen an seine Freunde blitzten auf und ein Lächeln flog über sein Gesicht. Ihm fiel ein, wie mühsam sein bester Freund bei diversen Räuschen wurde. Eigentlich war er der schlimmste Egomane, der in den Reihen seiner Bekanntschaften zu finden war. Solche Leute verabscheute er normalerweise aber trotz dieser schlechten Eigenschaft war er ein guter Freund mit dem er bis jetzt den meisten Spaß gehabt hatte. Eine Szenerie spielte sich vor seinem inneren Auge ab.
Sie saßen in einer kleinen Holzlaube, die statt dem Fenster in einer Wand nur einen Ausschnitt besaß. Mitten im Winter und am Rand des Waldes saßen sie dort, rauchten und redeten soviel unzusammenhängendes Wirrwarr, dass sie nicht anders konnten, als ständig nur zu lachen.
Es waren entspannte Tage, an denen sich der Stress von Terminen lichtete, und seinem Geist einen Intensivurlaub bescherten. Eine Woge von Traurigkeit überflutete ihn. Er sah sich als Vater eines fünfjährigen Kindes, dem er eine wunderschöne, fruchtbare Kindheit zu bieten versuchte. Er sah sich als Vater, der seinem jugendlichen Nachkommen auf logischer und empirischer Basis nahebrachte, von welchen Substanzen er besser die Hände lassen sollte. Er sah sich ständig darum bemüht, seiner Partnerin jeden Abend nach einem beschissenen Tag zu einem kleinen Urlaub zu machen. Doch diese Gedanken an eine schöne, allzu konstruierte Zukunft wurden jäh durch eine, von einem anderen Ich heraufbeschworene, Regung unterbrochen. Hass.
Waren es doch nur Phantasien. Träume einer Zukunft, die ihm die Gesellschaft nicht gewähren würde. Die Schönheit und der Seelenfrieden, den diese trügerische Hoffung gab löste sich auf, als die perfekte Bühne zerfiel, und wie in einem realen Theater den Blick auf eine Steinwand freigab, die die eines zornigen Gottes war, der ihn für seine Ungläubigkeit strafen wollte, um ihm seine Macht und Existenz vor Augen zu führen. Seine Wut auf dieses gesichtslose Wesen, dass von einigen lakonisch Schicksal, von anderen Gott genannt wurde nahm die Dimensionen an, die seinen Körper zu zerreißen schienen. Er wollte schreien, doch irgendetwas in ihm verwehrte der Kraft dieser Emotion den Weg aus seinem Körper. Allein und wortwörtlich lag ihm die Macht in Händen diese Qualen zu beenden. Er fühlte die scheinbar unbedeutende Leichtigkeit und Fillegranität seines Erlösers, der gleichzeitig sein Henker war und wie ein Schlag ins Gesicht traf ihn die Erkenntnis, dass nur er selbst es war, der sich richtete. Ihn durchfuhr die Furcht tausender Willen. Sie brachten nicht nur Angst mit sich, sondern die Gefühle der Welt. Ihm war, als ob sich sein Geist öffnete, und er all das aufnahm, was alle Menschen auf dem blauen Planeten, der in seiner unvorstellbaren Größe unendlich klein in einem Universum trieb, dessen Gleichgültigkeit für den beschränkten Geist der Menschen eine bösartige Grausamkeit darstellte. Liebe, Hass, Verzweiflung, Hoffnung, Enttäuschung, Wut, Freude, Leid, Beleidigung, Unbedeutsamkeit, Stolz, Euphorie, Verachtung, Glückseeligkeit, Todessehnsucht und sämtliche Anverwandte dieser Regungen überfluteten sein Gehirn, wo sie sich in einem Druck manifestierten, um seinen Schädel zum Zerbersten zu suchen. Er konnte all das nicht mehr ertragen und wollte sich am liebsten das Werkzeug seiner Befreiung in die nächstbeste Ader rammen und dort das, was ihn bei jedem Atemzug das Leben ermöglichte zu seinem Mörder werden zu lassen. Doch war er nicht mehr Herr seines Körpers, der nach Leben schrie, sich seinem Willen entzog und jede Bewegung durch ununterdrückbares Zittern vereitelte.
Die Spritze flog zu Boden und nur Bruchteile der für ihn spürbaren Zeit später sackte der zusammen und landete hart auf dem Parket, den er sich schluchzend zum Grabe wünschte.
Es war vorbei. Der Ritt durch die Hölle hatte ihm jegliche Kraft aus den Knochen entzogen. Sein Geist kehrte in das Zimmer zurück, auf dessen Boden er lag, und sich an der Vertrautheit der Sterne, deren Angesicht ihm der weite Blick aus dem Fenster gewährte, erfreute. Er konnte wieder weinen und er genoss den Fluss der Tränen über sein Gesicht. Sie waren das Geschenk der Götter an die Menschen, als sie sie in die Unwissenheit verstießen.
 
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