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2 Seiten

Großvater tröstet

Nachdenkliches · Kurzgeschichten
Die große Weite der Prärie, erstrahlte im goldenen Licht der Abendsonne und die Adler am Himmel zogen für heute ihre letzten Bahnen. Berauschend schön, diese Leichtigkeit, dieses Schweben durch Raum und Zeit, dieses sich tragen lassen vom warmen aufsteigendem Wind. Dieser Wind war der Atem der Erde, die an diesem, zu Ende gehenden Tag, die Wärme der Sonne hatte danken dürfen. Nun da die Sonne weitergezogen war, um auch anderen Ortes Wärme, Licht und Energie zu spenden, da war es an der Erde und den vielen großen und kleinen Steinen, die empfangene Wärme weiter zu geben. Dieses lautlose Gleiten des Adlers ließ die, von der aufsteigenden Wärme flimmernde Luft, noch majestätischer erscheinen, ja mystisch verklärt wirken. Der Ausblick war so friedlich, so von Harmonie und Anmut getragen, dass der kleine Indiojunge, für genau jene Momente des Glückerlebens, seine Traurigkeit vergessen konnte.
Alle Versuche seiner Eltern und Freunde Diego, an diesem so schweren Tag zu trösten, an dem sein über alles geliebter Großvater beerdigt worden war, waren fehlgeschlagen. Er, der von frühester Kindheit an,
immer für ihn da gewesen war, war nun gegangen. Er hatte ihn so oft an die Hand genommen, hatte ihm die Berge und Täler, die Tiere und Pflanzen gezeigt und erklärt und ihm gelehrt, dass sie alle einander brauchen um leben zu können. Er war es, der ihm diese Liebe für seine Heimat in das Herz gepflanzt hatte und nun hatte er seine letzte Ruhe in dieser, seiner geliebten Erde gefunden. Nun hatte er ihn alleine gelassen, nun konnte er seine einfühlsame, gutmütige tiefe Stimme nicht mehr hören, seine warmen schweren Hände nicht mehr auf seine Schultern legen. Wie nur wie, sollte Diego damit fertig werden? Wie nur wie, könnte er so alleine weiter leben?

Da war sie wieder, diese so schmerzende Traurigkeit, die Diego schon den ganzen Tag nicht loslassen wollte. Tränen rannen über seine Augenlieder, um dann über seine braungebrannten Wangen zu streicheln. Einige dieser Tränen verharrten noch für einen kurzen Augenblick auf den Augenliedern von Diego und wirkten somit wie kleine Glasperlen, durch die er nun zu schauen hatte. Alles sah nun noch verzauberter aus und fast erschrak Diego über das was er nun zu sehen glaubte. Eben noch, war es ein fliegender Adler am Himmel gewesen, der Diego in seinen Bann gezogen hatte, doch nun war es ihm, als sehe er seinen Großvater mit ausgestreckten Armen, dort oben schweben. Er lachte, wie nur ein glückliches Kind zu Lachen vermag, ja Diego konnte ganz genau sehen, wie sehr sich sein Großvater freute, nun endlich über sein geliebtes Land fliegen zu können. Leicht und ohne Kraftanstrengung, getragen von dem warmen Atem der Erde, zog er am Himmel immer wieder seine kreisrunde Bahn. Sehen konnte er nun so gut wie nie zuvor, und Diego spürte wie glücklich ihn das machte. Alle Wünsche, die er je gehabt hatte, waren nun für seinen geliebten Großvater wahr geworden und Diego vermochte ein Lachen auf dem Gesicht erkennen, ja er konnte dieses von Freude erfüllte Lachen sogar hören. Mit lautem Kreischen, brachte sein Großvater immer wieder seine Begeisterung zum Ausdruck und auch Diego ließ sich von dieser ihm so vertrauten Begeisterung einfangen. Ja, die Tränen hatten ihm geholfen, richtig zu sehen, sie hatten ihm die Traurigkeit hinfort gewaschen. Mit einem, aus dem Herzen kommenden Lächeln, sah er dem entschwindenden Adler nach. Mit einem Winken, welches man nur, mit der Gewissheit auf ein Wiedersehen verschenken kann, entließ er nun seinen über alles geliebten Großvater. Er wusste, das er ihn wiedersehen würde. Mit dem Gefühl wieder einmal getröstet worden zu sein, ging er nun heimwärts. Er hatte begriffen, das Leben konnte nun getrost weiter gehen. Der Tod würde ihn und seinen Großvater niemals wirklich trennen können, das zu wissen und zu spüren war ihm der Trost, den er so gebraucht hatte.
 
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Kommentare  

Wunderschön, wunder- wunderschön, die liebevoll gewählten Metaphern und Umschreibungen. Zum Beispiel "...da war es an der Erde und den vielen großen und kleinen Steinen, die Wärme weiterzugeben, die sie zuvor empfangen hatten." Da kommt Stimmung auf. -
Schön finde ich, dass Du es bewusst unterlassen hast, ein Jenseitsszenario mit strahlendem Licht und Engelgestalten aufzubauen. Es bleibt dem Leser überlassen darüber nachzugrübeln, ob das, was Diego gesehen hat, einfach eine Verzerrung durch den Tränenschleier war - oder Realität. Dadurch gleitet die Geschichte nicht ins Süßlich-Verklärte ab wie so viele andere, die das Leben nach dem Tode zum Thema haben.
Ich bin als Leser eine ganz Hartgesottene. Selten passiert es mir, dass ich nach dem Lesen einer Geschichte Wasser in den Augen hab', doch ich gebe zu: Jetzt isses passiert!
5 Punkte und ein tiefer Kratzfuß dazu.


Gwenhwyfar (26.11.2002)

da schliesse ich mich an die Worte von Becci an.
Als meine Oma starb hatte ich es auch schwer...
aber so eine Geschicht hilft und ich sage mir auch, das ich sie wieder sehen werde, sie ist nuch eine Türe neben an, wo ich sie nur nicht erreichen kann.


heidi (23.11.2002)

wunderschön... "Ja, die Tränen hatten ihm geholfen, richtig zu sehen, sie hatten ihm die Traurigkeit hinfort gewaschen." und der letzte satz und ach... ich mag deine bildhafte sprache einfach ;o)

*Becci* (22.11.2002)

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