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Nackte Angst

Aktuelles und Alltägliches · Kurzgeschichten
Immer wieder drehte er sich nach seinem Verfolger um. Er lief jetzt schon eine Viertelstunde durch den einsamen Stadtteil. Er wusste, dass es keine ‘ruhige’ Gegend war, die er sich für seinen Spaziergang ausgesucht hatte. Eigentlich wollte er ja auch gar nicht spazieren gehen, aber er konnte doch nicht immer nur im Haus bleiben. Ja, er hätte vielleicht am Tag hinausgehen sollen, aber eigentlich war es ja noch Tag. Nachmittags um fünf. Aber es war eben auch Dezember und in dieser Jahreszeit ist es nachmittags eben schon sehr früh dunkel. Es war ja bisher auch alles gut gegangen. Man hörte zwar immer wieder von Überfällen, aber dafür hatte er sich extra einen Zehnmarkschein eingesteckt. Hieß es nicht, dass sie einen in Ruhe ließen wenn sie nur irgendetwas fanden? Richtig gefährlich war es doch nur wenn man überfallen wurde und man hatte kein Geld bei sich. Das machte die Gauner wütend und dann wurden sie unberechenbar. Man brauchte also eigentlich nur ruhig stehen bleiben und sich das Geld abnehmen lassen. Ja, und nun war das eben doch alles nur Theorie...

Wieder sah er hinter sich den Verfolger. Es war nur einer. Allerdings schien es ein ziemlich kräftiger junger Mann zu sein. Er hatte schon wieder aufgeholt. Jetzt gestikulierte er mit den Armen und rief irgendwas. Kurt Müller konnte sich schon vorstellen was der zu rufen hatte. Er hätte eben gleich stehen bleiben und sich ausrauben lassen sollen. Er hatte sich das alles auch viel einfacher vorgestellt. Jetzt, wo er den Verfolger hinter sich hatte, erinnerte er sich plötzlich an seine aktive Zeit als Geher. Er war zu seiner Zeit ein As im Gehen. Walking nannten sie es jetzt. Die Zeit als Geher kam ihm jetzt zugute. Er nahm es noch mit fast jedem auf. Wahrscheinlich hatte er auch gegen diesen Gangster hinter sich eine gute Chance.

Wieder blickte er sich um. Der Kerl war noch immer hinter ihm. Jedes Mal wenn Kurt sich umdrehte, fing der hinter ihm an wie wild mit den langen Armen zu fuchteln. „Wie eine Windmühle“, dachte Kurt bei sich und fiel wieder in Trab. Der Verfolger schien aber auch ganz schön bei Kondition zu sein. Er kam näher. Langsam zwar, aber immerhin. Kurt packte wieder die Angst. Warum war er auch nicht stehen geblieben als der Verbrecher hinter ihm noch nicht so wütend war und nur Kurts Geld wollte. Jetzt hatte Kurt wahrscheinlich nur noch die Wahl zu fliehen oder umgebracht zu werden. Zumindest würde er wohl zusammengeschlagen. Kurt fühlte wie sein Herz hämmerte. Trotz der winterlichen Kälte war er schweißgebadet. Das kam nicht von dem anstrengenden Lauf. Das war die nackte Angst...

Kurt war inzwischen in eine Gegend gekommen die er nicht kannte. Es war zwar noch der Stadtteil in dem er wohnte, aber diesen Teil kannte er nicht. Viele leerstehende, abbruchreife Häuser. Er musste sehen, dass er hier wieder weg kam. Er wollte nur noch nach Hause. Angstgeschüttelt bog er in die nächste Straße ein. Er suchte gar nicht erst nach einem Versteck. Er wusste, wenn er sich versteckte würde ihn sein Verfolger finden. Und was dann passierte wollte er sich lieber gar nicht erst ausmalen. Der Mann hinter ihm war jetzt noch näher herangekommen. Kurt rannte weiter. Dann ging alles ganz schnell. Die Straße war auf einmal zu Ende. Kurt war in eine Sackgasse geraten. Der Verfolger kam heran. Kurt presste sich an die Wand des nächsten Hauses. Dann stand die hünenhafte Gestalt des Verfolgers vor ihm und streckte Kurt die Hand entgegen. Irgendetwas hielt er Kurt vor das Gesicht. War es eine Pistole? Oder ein Messer? Kurt war vor Angst fast blind.

„Mann oh Mann“, hörte Kurt wie durch ein Tuch, „Sie könn’ vielleicht renn’. Hier! Hamse verloren“. Der Verfolger hatte Kurts Geldbörse mit dem Zehnmarkschein in der Hand...
 
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Kommentare  

Ich habe zwar mit einer überraschenden Pointe gerechnet, aber DAMIT nicht!
Cool!!!


Stefan Steinmetz (14.01.2003)

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