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2 Seiten

...und sie sind doch gefährlich...

Nachdenkliches · Kurzgeschichten
Gerade als er sich bis zu den Ellenbogen in so einen Tisch mit Billigangeboten gewühlt hatte horte er den Schreckensruf, der durch das Kaufhaus gellte: „ Die Schlange ist los. In der Zooabteilung ist die Schlange ausgebrochen!“

Eiskalt durchfuhr es ihn. „Was denn für eine Schlange?“, fragte er die neben ihm in der Wühlarbeit einhaltende Dame.

„Weiß nich“, erwiderte die Dame und besah sich nebenher ein Paket Herrensocken. „Wahrscheinlich die Brillenschlange, die sie heute ausstellen wollten.“ Aber das hörte er nur noch zum Teil weil er bereits auf dem Weg zur Zooabteilung war. Mit ihm war fast die gesamte Kundschaft unterwegs um zum Ort des Schreckens zu gelangen.

„Die müssen doch des Teufels sein. Wenn alle zur Zooabteilung wollen, dann behindern sie doch diejenigen welche die Schlange wieder einfangen wollen“, dachte er so bei sich indem er sich seinen Weg weiter durch das Gewühl bahnte. Gut, er wollte auch dort hin, aber das war schließlich etwas anderes. Er hatte ein Interesse an solchen Begebenheiten. Bei den meisten anderen Leuten war es wahrscheinlich nur pure Neugier.

Je näher er der Zooabteilung kam, desto schwieriger war das Durchkommen. Aber er schaffte es und nun konnte er alles genau überblicken. Die Situation hatte sich zugespitzt. Ein Kind war in Gefahr! Das vielleicht vierjährige Mädchen saß auf dem Fußboden vor den Aquarien. Nicht weit von dem Kind entfernt lag die Schlange. Es war wirklich eine Kobra. Keiner wusste wie sie aus ihrem Terrarium hatte herauskommen können. Jetzt jedenfalls war sie draußen, in heller Aufregung durch das Gewimmel in dem Laden und eine ernsthafte Gefahr für das kleine Mädchen.

Unser Zuschauer überlegte nicht lange. Langsam schob er sich in Richtung Ladentisch. So, geschafft. Er atmete auf. Sein alter Standort war zwar viel näher an der Schlange, aber eben das wollte er nicht. Er war nicht ganz gesund und ob er einen Schlangenbiss, Serum hin – Serum her, überstehen würde, das wusste man schließlich nicht. Und außerdem: was sollte er denn tun? Mit Schlangen hatte er ja gar keine Erfahrung. Nee, nee, da war es hier schon sicherer.

Als er noch so in Gedanken war drängte sich ein dunkelhäutiger, hagerer Mann an unserem Beobachter vorbei und dann ging alles ganz schnell. Der offensichtliche Ausländer riss die Ladenkasse vom Tisch, sprang mit einem Riesensatz auf die Kobra zu und zerschmetterte deren Kopf. Fast gleichzeitig riss er das Kind vom Boden und warf sich mit dem Mädchen zurück. Er prallte an ein Regal von dem ein leeres Aquarium herabfiel. Eine der Scherben schlitzte den Handrücken des Ausländers auf. Er schien es nicht zu merken.

Unser immer noch stiller Zuschauer bemerkte mit Verwunderung, dass das Blut, welches aus der Wunde des Asylanten, denn das es sich nur um einen solchen handeln konnte war ja wohl jedem klar, auf den Boden tropfte, rot war wie sein eigenes. Dann kam die Polizei.

Die beiden uniformierten verschafften sich kurz und knapp einen Überblick über die Lage: Die Kasse lag demoliert auf dem Fußboden. Ein Regal war umgestürzt. Ware war beschädigt. Der Boden vor dem Regal war blutbeschmiert. Ein dunkelhäutiger Mann lag da herum, hatte ein blondes Kind umklammert, welches ganz offensichtlich nicht zu ihm gehörte und blutete. Hier musste nicht erst lange gefragt werden. Die Situation verlangte nach Handlung. Einer der beiden Polizisten ging auf den Ausländer zu. Er nahm ihm das Kind ab und gab es seinem Kollegen. Dann drehte er dem Mann die Arme auf den Rücken und ließ die Handschellen klicken. „Schweinerei“, dachte er, „jetzt hab‘ ich mir mit seinem Blut auch noch die Uniform eingesaut.

Als die Polizisten den Asylanten in ihren Wagen transportierten gingen die Umstehenden langsam auseinander. Die junge Mutter, die immer wieder zu dem Dunkelhäutigen durchdringen wollte war erfolgreich abgewehrt worden.

„Wenn das nun jeder machen wollte“, dachte unser Zuschauer, „man kann doch nicht einfach zu uns kommen und eine Ladeneinrichtung demolieren“.

Professor Apu Nahasa Pima Petilon sah aus dem Fenster seines Hauses im gepflegten Villenvorort von Neu Delhi und dachte an die Zeit seiner Gastprofessur im fernen Europa und daran wie er festgenommen worden war weil er einem kleinen Mädchen das Leben gerettet hatte. Die breite Narbe auf seinem Handrücken schmerzte noch manchmal. Vielleicht wenn die Wunde gleich versorgt worden wäre... Aber da war ja anderes zu tun gewesen nachdem er zweimal die Treppe hinabgefallen war in der Polizeiwache. Als man dann seine Identität festgestellt hatte, war der Polizeipräsident persönlich gekommen um sich bei ihm zu entschuldigen. Immerhin... Trotzdem fand Professor Apu Nahasa sein Heimatland nun viel schöner als Europa.
 
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Kommentare  

Oh! Diese Geschichte stellt die Vorurteile der Gesellschaft sehr gut dar. Nicht jeder Dunkelhäutige ist gleich ein Asylant oder gar ein ausländischer Verbrecher. Das Thema wurde gut aufgearbeitet. (Allein der Titel ist schon doppeldeutig...)

SabineB (Jurorin) (01.09.2001)

Hi Marco, richtig, Ausländerfeindlichkeit, Vorverurteilung, Voreingenommenheit gegenüber Ausländern... das zu zeigen war das Anliegen dieser Story. Mag sein, dass die Spannung ein wenig zu kurz kam, das war aber eigentlich auch sekundär. Obwohl, das gebe ich zu, eine Story immer über eine gewisse Spannung verfügen sollte. Ich fand sie spannend genug. Es ist kein Krimi - oder vielleicht doch?? ;o)

Wilfred P. Teiser (31.08.2001)

Ausländerfeindlichkeit?! Kommt da ein bißchen rüber, habe ich das Gefühl. Egal. Die Situation scheint ja gut geschildert, aber irgendwie kam da nicht so die Spannung auf, die man eigentlich erwartet, bei solchen Geschichten. Schade.

Marco Frohberger (11.08.2001)

'Er hatte ein Interesse an solchen Begebenheiten. Bei den meisten anderen Leuten war es wahrscheinlich nur pure Neugier. '
herrlich...
Gut aufgebaute Geschichte, gern gelesen...
Gruß
Christine



christine (04.08.2001)

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