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4 Seiten

Lichtnetz (Part 9)

Romane/Serien · Fantastisches
© Metevelis
Die Flamme flackerte und wuchs vor seinen Augen und wurde größer. Heiß, zu heiß! Der Riese hielt die Fackel dicht vor sein Gesicht. Er konnte spüren, wie die Hitze seine Haut versengte. Wimmernd drehte er den Kopf weg. Der Riese, sein Folterknecht lachte und hielt die Fackel noch näher an seinen Kopf. Er konnte sie knistern hören. Gleich würde das Feuer ihn verbrennen.

„Genug!“ Herrisch hallte die Stimme seines wahren Peinigers durch das Gewölbe. Er trat aus den Schatten ins Licht. Er war wie immer kostbar gekleidet. Dunkelrote Seide, mit goldenen verschlungenen Stickereien, die im Feuerschein funkelten. Es tat seinen Augen weh.

Die Kleidung war allerdings auch schon das einzige Warme an ihm. Seine Miene schien wie aus Eis geschnitzt. Er lächelte. „Nun, mein Bruder, wie geht es dir heute?“ In seinen dunklen Augen brannte Begierde. Die Begierde ihn leiden zu sehen. Und er hatte gelitten.

„Meine Gäste waren untröstlich, dass du zu dem heutigen Bankett unpässlich warst. Ich hoffe, du fühlst dich besser?“ Seine Worte sollten Mitleid vermitteln, aber sein Tonfall sprühte nur so von Hass.

Seine Hände verschränkte er hinter seinem Rücken, als er nun um seinen Gefangenen herumging und seinen geschundenen Körper prüfend betrachtete. Als hätte ihn das Ergebnis befriedigt, breitete sich nun ein Lächeln auf seinem Gesicht aus. Es erreichte sogar seine Augen.

„Nun, wie ich sehe, bist du noch immer nicht einsichtig geworden. Das ist schade – für dich. Gut für mich. So gibst du mir die Gelegenheit, meine neueste Idee auszuprobieren. Bringt den Honig und meine kleinen Freunde!“, bellte er über die Schulter. Jetzt wurde sein Lächeln geradezu bösartig. Der Gefangene konnte ein Schaudern nicht unterdrücken.

Der verschlagen blickende Gehilfe des Riesen brachte einen Topf Honig, einen Pinsel und eine dicht verschlossenen Kasten. In seinem Gesicht war eine beinahe sadistische Vorfreude zu lesen. Kurze Zeit später hatte er den Körper des Gefangenen dick mit Honig eingestrichen und öffnete den Deckel des Kastens.
Das Gewölbe zitterte bald unter grausigen Schreien.

*****

Svar ließ sofort von Maglian ab, als aufgeregte Rufe seine Aufmerksamkeit auf das Tor lenkten. Er beachtete die Tränen, die aus den Augen Maglians strömten, nicht. Am Tor erkannte er seine Schwester, aber sie saß nicht auf Col. Es war ein fremdartiges Pferd, dass von einem rothaarigen Mädchen aufs Haus zugeführt wurde.

Seine Schwester wirkte seltsam auf ihn. Sie hing leblos am Hals des Pferdes und drohte herunterzufallen. An ihrem Kleid steckte etwas Langes, Dunkles. Ihre Hände hingen kraftlos zu beiden Seiten des Halses herunter. Svar gab Maglian einen Schubs. Sie landete mit aufgeschürften Händen im Staub. Das sah Svar nicht mehr denn er rannte bereits auf Silken zu.

*****
Lyssa zügelte Chanoriel, als mehrere Leute aufgeregt auf sie zurannten. Silken verlor endgültig das Gleichgewicht und rutschte langsam von der Stute. Lyssa ließ hastig die Zügel los und fing Silken gerade noch rechtzeitig auf.

Ein Mann, offensichtlich ein Stallknecht, riss ihr Silken geradezu aus den Armen. Dabei fiel ihm der Hufkratzer aus der Hand und Lyssa vor die Füsse. „Holt den Heiler! Silken ist verletzt!“, schrie er in die Menge. Die stob nun auseinander und ließ Lyssa allein mit ihrer Stute zurück. Fast allein, denn ein junger Mann blieb zurück. Er betrachtete sie abschätzig und misstrauisch.

„Was ist mit Silken passiert? Was habt ihr mit ihr gemacht?“ Er fuhr sich mit der Hand gereizt durch seinen braunen Wuschelkopf, während er sie weiterhin argwöhnisch ansah. Lyssa lächelte ihn beruhigend an. Es wirkte nicht. Die feine Falte zwischen seinen Augenbrauen vertiefte sich.

Lyssa verging das Lächeln. In ihr breitete sich ein Anflug von Ärger aus. Gereizt fuhr sie ihn an: „Ich habe ihr gar nichts getan. Ohne meine Hilfe wäre sie langsam verblutet. Seid froh, dass ich sie gefunden habe.“ Sie merkte, dass sie ihre Stirn gerunzelt hatte und glättete sie schnell wieder. Der junge Mann sah nun etwas verlegen aus.

Von ihm unbemerkt hatte sich ihnen vorsichtig ein Mädchen genähert, einige Jahre jünger als sie selbst In ihren klaren Augen standen Tränen. Sie sagte nichts. Sie musste blinzeln und die Tränen liefen ihr über die vom Weinen fleckigen Wangen. Lyssa war unbewusst gerührt. Die Kleine war wunderschön. Lyssa schien es, als ob sie durch die großen bernsteinfarbenen Augen direkt in die Seele des Mädchens schauen könnte.

Der Regen hatte aufgehört und die aus den Wolken brechende Sonne glänzte auf den rotgoldenen, gelösten Wellen. Ihre warmen Augen waren rot und verquollen, die cremefarbene Haut ihrer Wangen und Nase gerötet, doch das tat ihrer Schönheit keinen Abbruch.

Als der junge Mann, der sich noch nicht vorgestellt hatte, merkte, dass sie etwas über seiner Schulter anstarrte, drehte er sich um. Sein Gesichtsausdruck verdunkelte sich rapide. „Verschwinde!“, schrie er die Kleine an. Sie wich mit tränennassem Gesicht zurück. Als sie stehen blieb, ging er mit erhobener Hand und furchterregend verzerrter Miene auf sie zu. Im Gesicht des Mädchens zuckte es kurz, ein letzter Blick traf Lyssa, dann drehte sie sich um und floh.

Der Junge ließ die Hand fallen, drehte sich um und lächelte sie mit einem scheuen Lächeln an. Lyssa allerdings konnte dieses Lächeln nicht täuschen. In seinen braunen Augen konnte sie noch deutlich den Groll lesen. Sie konnte ihren Ekel nicht unterdrücken. Wie konnte er die Kleine nur so behandeln?

„Beachtet Maglian einfach nicht, Lady...?“ Er sah sie fragend an. „Lyssa. Nur Lyssa. Und wer seid ihr?“ Er zwinkerte ihr zu. Lyssa beachtete es nicht. „Natürlich. Ich habe mich nicht vorgestellt. Mein Name ist Svar. Silken ist meine Schwester. Ich danke Euch, La...Lyssa.“ Er sah zögerlich über seine Schulter zum Haupthaus und dann zu ihr zurück. Lyssa verstand. „Geht nur. Ich werde mich selbst um mein Pferd kümmern und komme dann nach. Ich bleibe allerdings nur solange, bis sicher ist, dass es Silken wieder gut geht.“

*****

Irgendetwas lag schwer auf ihr. Doch als sie ihre Augen öffnen wollte, gelang es ihr nicht. Ihre Lider fühlten sich verklebt an. Sie hob ihre Hände an die Augen. Ihre Finger ertasteten Krusten. Es war Blut. Es sickerte inzwischen von der Stirn in ihre Haare. Schmerzhaft wimmerte sie, als ihre Finger die Wunde berührten.

Ihre Hände tasteten daraufhin nach dem Gewicht auf ihren Beinen. Gleich darauf bildete sich in ihrem Hals ein Kloß. Es war ihr treuer Anor. Sie spürte ihn nicht mehr atmen. Schluchzend streichelte sie seinen Hals, seinen Kopf. Er war tot. Er war ihr ein treuer Gefährte gewesen, durch schwieriges Gelände, durch unwegsames Wetter, fest darauf vertrauend, dass seine Reiterin ihn nicht im Stich lassen würde. Und nun hatte er sie verlassen. Ihr treues, starkes Pferd.

Sie hatte ihn sich als Fohlen ausgesucht, unter der besten Zucht der Wüstennomaden. Oder besser gesagt, er hatte sich sie ausgesucht. Sie musste lächeln. Sie stand damals inmitten von ungestümen Einjährigen, da hatte sie etwas in den Rücken gestupst. Als sie sich umgedreht hatte, stand Anor vor ihr. Sie hatte sich sofort in den Hengst verliebt. Seine dunklen, intelligenten Augen hatten sie unerbittlich angesehen, als wollte er damit sagen, sie müsse ihn nehmen oder sie würde ohne Pferd wieder gehen. Ihre Hand war sofort über sein sandfarbenes Fell geglitten. Ihre Finger hatten mit seiner schwarzen Mähne gespielt, hatten seinen starken Hals berührt, waren zu seiner breiten Kruppe gestrichen und herunter zu den schlanken, schwarzmähnigen Fesseln. Sie musste ihn nehmen oder sie wäre ohne Pferd nach Hause zurückgekehrt.

Sie spürte Feuchtigkeit auf ihren Wangen und dachte, ihre ungeweinten Tränen hätten einen Weg unter ihren verklebten Lidern hervor gefunden. Dann erst merkte sie, dass die Nässe von oben auf ihr Gesicht tropfte. Es regnete.

Nachdem sie erfolglos versucht hatte, Anor von ihren gefühllosen Beinen zu stemmen, blieb sie regungslos liegen und ließ den Regen ihre verklebten Augen rein waschen. Ihre heißen Tränen mischten sich mit dem Regen. In der Nähe hörte Mairi Pferde wiehern.
 
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Kommentare  

Schnelle Szenenwechsel, die mehr Neugier wecken als Infos rüberbringen. Als einzelner Teil möglicherweise für einige Leser schwierig, aber im kompletten Roman sehr passend. Gibt der Geschichte Tempo und Reichhaltigkeit.
5PTS


Stefan Steinmetz (29.05.2003)

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