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4 Seiten

Feindschaft

Romane/Serien · Amüsantes/Satirisches
© Isa Belle
Hier ist noch eine wahre Geschichte aus meinem Leben :)

Es ist Donnerstagmorgen und wir haben Doppelstunde Mathe. Ich sitze neben meinen besten Freunden und hinter dem schlimmsten aller unterbelichteten Möchtegern-Macho-Gangster-Idioten unseres Jahrgangs und wahrscheinlich auch des ganzen Landes. Wir sind jetzt seit zwei Jahren in der gleichen Klasse, haben vielleicht annähernd 10 Wörter miteinander gewechselt und bis vor letzter Woche hat uns die ganze Reihe seiner Anhänger noch eiskalt ignoriert. Gut, wir sie auch, weil man sich mit denen nur 5 Minuten im selben Raum aufhalten muss und sie sofort einschätzen kann: Volldepp, Idiot mit großer Klappe, normaler Typ aber viel zu verängstigt, die andern als Feinde zu haben, Ich-Häng-Nur-Mit-Denen-Rum-Weil-Ich-Selbst-Kein-Geld-Für-Kippen-Hab-Gesicht und Unsicherster Macho-Volldepp mit großer Klappe, der kein selbst kein Geld für Kippen hat mit riesiger Angst, seine Freunde könnten sich gegen ihn wenden.
Wir mochten sie also alle nicht, bis sie sich eines Tages umdrehten und mit uns redeten, als wären wir seit Jahren Freunde. Meine wahren Freunde, sozial wie sie sind, waren natürlich total nett zu ihnen und sie schienen sich wirklich mit uns zu verstehen. Es liegt aber in meiner Natur, jedem zu misstrauen. Ganz besonders Leuten mit Baggypants, die Jahre lang spüren lassen, dass sie nichts mit einem zu tun haben wollen und aus heiterem Himmel in einem Anfall von plötzlicher Herzensgüte alle fünf auf einmal beschließen, die abgrundtiefe Dämlichkeit ihres Charakters einzustellen.
In Mathe haben wir den mit Abstand coolsten Lehrer überhaupt, was das für jeden anderen Selbstmordreize auslösende Fach mehr als erträglich, ja sogar lustig macht.
Das heißt, man könnte lachen, wenn nicht in der Reihe vor einem jemand sitzen würde, bei dessen entsetzlich hohem quietschenden Gegacker, bei dem – ich schwöre – jedes Mal mindestens 15 Gehirnzellen absterben, man sich am liebsten die Kugel geben würde.
Gerade flüstert eben dieser seinen Nachbarn etwas zu, worauf er sich zu mir umdreht und mich anstarrt. Ich widme mich demonstrativ der Tafel, irgendwann scheint er dann zu kapieren, dass ich mich weigere, seinen Blick zu erwidern und schaut auch wieder nach vorn. Da glotzt der nächste. Und noch mal einer. Wie ein perfekt eingelaufenes Uhrwerk immer in der richtigen Reihenfolge und niemals zwei gleichzeitig werfen sie mir Blicke zu, bis grade jeder dreimal dran war, denn dann knalle ich meinen Stift mit Wucht auf den Tisch und lege all meinen Hass und eisige Dunkelheit in meine Augen und feuere sie regelrecht auf den eben Glotzenden ab, der prompt rot wird und sich nach vorne dreht. Für wie blöd halten die mich, dass sie denken, ich würde das nicht merken?? Keine Ahnung, was euer Problem ist, aber hoffentlich tut’s ordentlich weh, ihr Feiglinge! Ich spiele einen Moment mit dem Gedanken, eben das zu brüllen, doch da läutet es schon. Ich stürme aufs Mädchenklo um im Spiegel zu checken, ob ich irgendwas im Gesicht habe, aber nein, ich sehe genauso aus wie immer. Ich belasse es dabei, ihnen ein gedankliches „Idioten!“ zu schicken und mache mich auf den Weg zu Sport. Heute fällt Sport aus, aber meine Freundin und ich setzen uns trotzdem auf die Tribüne, um den Auswahlspielen fürs Basketballturnier zuzuschauen. Wir quatschen ein bisschen und merken nicht, dass hinter uns jemand zur Tür hereingekommen ist. Ich bin bei meinem Lieblingsthema: wie blöd und mental instabil die Bekloppten in der Reihe vor uns sind, weil sie jetzt schon rauchen, da merke ich, dass sich jemand neben mich gesetzt hat. Ich beachte diesen jemand nicht obwohl ich dieses peinlich genaue Gefühl habe, dass ich es schon weiß. Dieser Jemand rückt näher an mich und die Rauchfahne verstärkt mein grässliches Gefühl. Plötzlich spüre ich, wie jemand mir den Arm um die Schulter legt, also natürlich drehe ich mich um und blicke – wie könnte es anders sein – in das sarkastische Grinsen des selbsternannten Anführers der Ich-Halte-Mich-Selbst-Für-Unwiderstehlich-Gruppe. Und unverschämt wie er ist, sagt er noch: „Ja sorry, ich muss den hoch lagern.“ Seine Freunde grinsen genauso frech hinter ihm. Ich will irgendwas tun, ihm meine Fingernägel ins Fleisch schlagen, ihm ins Gesicht spucken, ihm ins Ohr kreischen, doch ich hab zu viel Angst davor, dass das Folgen für mich haben könnte, weil immer irgendwas Folgen für mich hat, also löse ich lahm seinen Arm von meiner Schulter, schiebe ihn von mir weg und versuche so unbeteiligt wie es eben möglich ist, wenn man rot wie eine Tomate vor unterdrücktem Zorn und rot wie eine Erdbeere vor Scham ist, mein Gespräch fortzuführen, während seine Gang Gott sei Dank die Turnhalle verlässt. Was um Himmels Willen soll das??
Die fünfte Stunde haben wir auch frei, also suchen meine Freundin und ich uns ein Sofa und ich versuche, was gerade passiert ist mit Hilfe unseres Tratsch zu vergessen. Das fällt aber schwer, weil in diesem Moment der Mega-Angeber und zwei seiner „Jünger“ das Sofa neben uns nehmen und so laut reden, dass wir alles verstehen können. „Mann, wisst ihr wer das dümmste und hässlichste Mädchen der Klasse ist?“, schrie er geradezu und anstatt dabei diejenigen anzusehen, an die die „Frage“ gewiss gerichtet war, schaute er mir direkt in die Augen, sodass es absolut keinen Zweifel gibt, wen er damit wohl meinen würde. Ich versuche, in meinen Blick das hineinzulegen, was ich ihm gerne ins Ohr gebrüllt hätte: „Wirklich?? Weil das grade noch anders ausgeschaut hat und weißt du was du unterbelichtetes kleines Stück unbedeutendes Häufchen Dummheit, ich hasse dich so sehr, dass es wehtut, überhaupt an irgendwas zu denken was im Entferntesten mit dir zu tun hat, ich hasse dich mehr als überhaupt alles andere, ich hasse dich so sehr, dass es schwer ist, im selben Raum mit dir zu sein und gleichzeitig den Drang zu unterdrücken dich zu erstechen! Du bist ein ekliger kleiner schwacher verstellter schwuler Schleimer mit furchtbarem Haarschnitt, hoffentlich kommst du mal ins Krankenhaus wegen deinen Zigaretten, dann besuch ich dich und singe <Celebration>!“ Glücklicherweise hindert mich meine Freundin daran, diese Sachen auszusprechen, indem sie ihren Fotoapparat rausholt und mir Fotos von letztem Sylvester zeigt. Ich bin aber trotzdem noch wütend und bete zu Gott, bitte, setz dich für Gerechtigkeit ein, sei auf meiner Seite, nur dieses eine Mal. Und das ist der Moment, wo ein Lehrer aus dem Nichts auftaucht, genauer, der Lehrer, der Verweise ausstellt und sozusagen ein Radar in sich hat, um Schüler aufzuspüren, die ein Handy haben, der Lehrer, vor dem man sich immer verstecken sollte. Erschrocken versuche ich die Kamera meiner Freundin zu verstecken, aber das ist gar nicht nötig, denn er geht geradewegs auf die Jungs zu. „Was habt ihr da?“ Kleinlaut wie nie, zieht einer nach dem anderen sein Handy, das jeder auffällig mit dem Rücken verdeckt hatte, hervor. Danke, Gott! Ich grinse glücklich vor mich hin, da sagt unser Lehrer: „Oh, das ist ja ein iPod Touch, so eins wollte ich schon immer!“ Ich drehe mich zu meiner Freundin, sodass mich die andern nicht von vorn sehen können und funktioniere meinen Ich-Werde-Ausgefragt-Tanz zu einem Jetzt-Seid-Ihr-Drangekriegt-Tanz um. „Würdest du mal deinen Namen buchstabieren und mir deine Klasse nennen?“ Jetzt kann ich nicht mehr. Ich balle meine Hand so fest zur Faust, dass die Knöchel weiß hervortreten, presse sie mir in den Mund und beiße so hart zu, bis ich Blut schmecke, aber es macht mir nichts aus. Als er fertig ist mit buchstabieren, sagt er in piepsiger Klein-Jungen-Stimme: „Aber ich brauche das Handy, ich hab Fußballtraining und meine Mutter weiß dann nicht, wann sie mich abholen soll!“ Ich spüre, wie Tränen mein Gesicht runter laufen während meine Freundin mir einredet, mich zu Hause zu freuen, aber jetzt einzukriegen.
Das klingt gehässig und schadenfroh, aber das war einer der glücklichsten Momente seit langem.
 
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Kommentare  

Eine sehr spannende, eine sehr lebensnahe Geschichte. Von diesen Macho-Typen gibt es leider viel zu viel.
LG. Michael


Michael Brushwood (10.03.2011)

Schöner lebendiger Schreibstil. Man ist ganz auf der Seite deiner Protagonistin, lebt ganz mit ihr mit. Sehr mitreißend geschrieben.

Jochen (15.02.2011)

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