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5 Seiten

Gestrandet - Ein Abschiedsbrief

Fantastisches · Kurzgeschichten
Liebste Sara

Ich weiß nicht recht, wie ich diesen Brief beginnen soll. Wir werden uns wohl nie wiedersehen. Es ist ja nicht einmal sicher, ob du ihn jemals finden wirst, oder was mir überhaupt den Kopf zerbricht, WANN du ihn findest. Bislang hast du ihn jedenfalls nicht gefunden, oder jemand anders. Ich denke schon mal, das du mich drauf angesprochen hättest. Ich werde mich bemühen, den Brief so zu plazieren, das man ihn finden MUSS, nur die Frage ist wann. Es ist noch so verdammt lang hin, bis es soweit ist. Es kann soviel passieren. Meine Hoffnung ist ja, meine kleine, geheime Hoffnung, das du ihn in einigen Tagen nach meinem Verschwinden findest. Ich kenne die Zukunft in groben Zügen, und ich weiß, das es viele Umbrüche geben wird. Alles ist so ausweglos, unkalkulierbar. Ich weiß nicht, ob dieses kleine Dörflein unbeschadet durch den 30 Jährigen Krieg kommt, und der findet in rund 150 Jahren statt. Ich werde dann nicht mehr leben.

Ich vermisse Dich sehr, und ich weiß das du immer etwas gegen dieses Projekt hattest. Du mochtest mich nicht dafür, nanntest mich einmal einen Wahnsinnigen.

Die Farbe des Himmels erinnert mich im Moment stark an das Blau deiner Augen. So ein tiefes, klares Blau, so wie deine Augen strahlen.
Die Luft ist so sauber, so klar und so rein. Es würde dir hier gefallen.

Wenn Du nur bei mir sein könntest. Es ist still hier, ich höre nur die Vögel zwitschern, spüre den Hauch dieser klaren, sauberen Luft über meinen Körper fahren, nur aus der Ferne dringt das Schlagen des Amboss aus der Schmiede zu mir.
Ab und zu wiehert ein Pferd. Du liebst Pferde über alles, und der Bauer hat eines in der Art, wie du es in deiner Kindheit hattest. Du hast es mir einmal auf einem Foto gezeigt.

Du hattest Angst vor unserem Projekt. Du hattest Angst, es könnte die ganze Welt aus den Angeln heben. Alles zerstören. Nun hat es unsere Liebe zerstört. Ich bin hier, und kann mich dir nicht mitteilen, das ich lebe, das es mit verhältnismäßig gut geht. Du denkst wohl, ich hätte einen Unfall gehabt, telefonierst wohl in diesem Augenblick mit den Krankenhäusern in der Umgebung. Warst vielleicht schon bei der Polizei.

DOch ich lebe, und sehne mich so sehr nach dir.
Ich werde dich nie mehr wiedersehen. Das ist es, was mich am meisten schmerzt. Ich wünsche, es hätte nie funktioniert. Ein Berechnungsfehler in der Feldmodulation.

Ich weiß nicht, wie ich mich hier verhalten soll. Jeder Handgriff könnte ein Fehler sein, das Gefüge aus den Angeln heben.

Ich kenne nur die Richtlinien, die wir uns selbst gaben, während wir an diesem Projekt arbeiteten.

Ich liebe Dich so sehr!

Keine Interaktion, nur beobachten. Das beinhaltet auch, das wir nicht einmal mit jemandem sprechen dürfen. Jede Interaktion kann unabsehbare Folgen haben. Man müßte sich mit den Sitten und Gebräuchen der jeweiligen Epoche und Region vertraut machen. Sich entsprechend kleiden. Aber es war alles so spontan, ich wollte nur für fünf Minuten bleiben. Hätte mich jemand gesehen, hätte ich schnell den Rücksprung angetreten. Doch ich bin nun seit Tagen hier.

Ich habe Angst. Man hat mich hier in das Dorf aufgenommen, ich kann bei einem Bauern mitarbeiten, dafür bekomme ich Kost und Unterkunft. Dir würde es gefallen, wie hier Landwirtschaft betrieben wird. Kein Dünger, keine Pestizide. Du legtest immer so großen Wert auf die Natürlichkeit unserer Nahrung, auch wenn mir das Zeug aus dem Reformhaus nicht schmeckte. Hier wird demnächst der Dinkel geerntet, mit Sicheln abgeschnitten und von Hand auf der Tenne ausgedroschen.
Du warst schon immer für ökologischen Landbau. Auch wenn es sehr anstrengend ist. Wenn du jetzt hier wärest, dann könnten wir Hand in Hand durch den Wald laufen, der hier noch ein richtiger Urwald ist. Hier gibt es Eichen, deren Stämme fünf Männer ringsum mit ausgstreckten Armen nicht umfassen können. Hier gibt es unberührte Natur, wie Du sie liebst.

Sara, ich rede von Dir schon in der Vergangenheit, während dir beim Lesen wohl die Tränen über das Gesicht laufen. Ich fühle mich so leer innen drin, so schuldig.

Du hattest recht. Das Projekt ist gewaltig in die Hose gegangen. Vor ein paar Tagen war es abgeschlossen. Die Maschine ging ans Netz und baute ihr Feld auf, das es ermöglichen sollte. Den Traum, den wir alle hatten.
Ich erspare dir die technischen Einzelheiten, aber es hat funktioniert, ja verflucht, es ging. Der Bleiwürfel tauchte tatsächlich eine Stunde später auf dem Projektionsteller auf, so wie es geplant war. Wir haben den Bleiwürfel um eine Stunde vorwärts in die Zeit geschickt. Es hatte geklappt.

Hätte ich nur früher schon auf Dich gehört, es einfach nur im Kreise meiner Kollegen bei den Theoretischen Überlegungen belassen.

Und dann ging es so schnell. Ich wollte es nun selbst ausprobieren. Einmal etwas ursprüngliches tun. Neuland betreten. Nie habe ich mit dir darüber gesprochen, du wärest wohl sehr wütend geworden, hätte ich dir erzählt, das Ich den Versuch wagen wollte, als der Erste Zeitreisende in die Geschichte einzugehen. Meine Kollegen hatten allesamt nicht den Mut dazu gehabt, und ich kann jetzt mit Fug und Recht behaupten, das sie alle richtig gelegen haben mit ihren Entscheidungen. Ich verstand mit einem Male, wie sich Juri Gagarin fühlte, als erster Mensch im Weltall, und Walter Rotenberg als erster Mensch auf dem Mars. Auch sie und zahllose andere Leute, die als Pioniere in ihrem Gebiet in die Geschichte eingingen müssen mutige Menschen gewesen sein. Auch sie müssen es verdrängt (Oder auch nicht) haben, das es eventuell mit großem Risiko verbunden ist.

Vielleicht hättest du den Traum nie verstanden. Es vielleicht als männliches Macho - Gehabe abgetan. Du sagtest, wir wollten Gott spielen. Wenn es in falsche Hände geriete.

Klar, man könnte in die Zukunft reisen bis zu jenem Moment, an dem die Lottozahlen gezogen würden. Man könnte ins Israel im Jahre Null zurück reisen, und Live bei der Geburt Jesus dabei sein. Oder eben bei der Kreuzigung. Zurückreisen und schauen was es mit Stonehenge einst auf sich hatte oder mit den seltsamen Figuren auf der Osterinsel. Oder man könnte den Bau der Pyramiden mitverfolgen.

Die ganzen Rätsel der Vergangenheit lösen. Man weiß ja bis heute noch nicht, wie man es vor 3000 Jahren zustande gebracht hat, all diese tonnenschweren Felsquader geometrisch exakt aufeinander zu schichten.

Es darf nie in falsche Hände geraten, das war uns klar.
In falschen Händen könnte es Chaos stiften. Man könnte es für ideologische oder finanzielle Zwecke missbrauchen.

Das Ganze kosmologische Gefüge würde ins Wanken gerbracht werden.

Du kennst ja auch das Großvater - Paradoxon, das du mir immer vorgehalten hast, als wir noch im Anfang unserer Arbeit waren. Wenn man in die Zeit zurückreist und seinen Opa umbringt, bevor er die Großmutter kennenlernte und somit der Vater oder die Mutter des Zeitreisenden nie geboren werden würde, was aber gleichzeitig ausschließt, das der Protagonist überhaupt diese Zeitreise antreten würde...

Aber das alles habe ich Dir ja schon so oft erklärt. Das wir aufpassen wollen. Nur dieses Eine Mal sollte es stattfinden. Auch wenn es traurig stimmt, das vielleicht Großartigste zu leisten, was Menschliche Hände je vollbrachten, und es im Verborgenen bleiben muss. Zu Groß ist der Schaden, den es anrichten kann.

Doch jetzt ging etwas schief, und ich sitze hier fest. Das Gerät, das mich im Zeitstrom lokalisieren sollte funktioniert nicht.

Es ist ein hochkompliziertes Gerät, und wie es mit solchen immer so ist, sind sie sehr störanfällig. Als ich auf die Projektionsfläche stieg, um meine Reise anzutreten ging es noch. Ich habe es selbst entwickelt und gebaut,und mich darauf verlassen. Es ist ein simpler 30 uF Kondensator, der geplatzt war. Ich habe das Gerät noch mit meinem Taschenmesser aufgeschraubt, und musste nicht lange nach dem Fehlerteufel suchen. Vielleicht durch das Quantenfeld beim Zeitsprung. Eine elektronische Überladung vielleicht, aber auf jeden Fall ein elektronisches Bauteil, welches man in jedem Elektrofachhandel kaufen kann, es kostet lächerliche 15 Cent das Stück. Hier werde ich Zeit meines Lebens keinen 30 uF Kondensator bekommen, nicht für alle Reichtümer dieser Welt.

Vorhin erfuhr ich, das wir das Jahr 1495 schreiben.
Du wirst erst in 525 Jahren geboren werden.
Es macht mich traurig, das es nichts gibt, keinen Ort, an dem Du schon einmal gewesen bist. Nichts was mich an Dich erinnern wird. Gar nichts. Alle Frauen hier haben langes Haar, und ich denke immer an deinen Bubikopf, deine randlose Brille, mit der du noch klüger ausgesehen hast als du es ohnehin schon bist.
Du bist eine fantastische Frau. Ich ertrage Deine Trauer nicht, ich sitze hier und kann nichts tun, ich kann nicht zu Dir, wo ich doch so gern wollte. Du wirst mich für tot erklären lassen irgendwann.

Der Bauer bei dem ich mich verdingt habe könnte einer deiner Vorfahren sein. Jedenfalls hat er deine Augen.
Auch vieles an seiner Art erinnert mich an Dich. Es ist ein einfacher Mann, dafür aber voller Güte und Warmherzigkeit, so wie Du.

Irgendwie erinnert hier alles an dich.

Wenn du geboren wirst, bin ich schon lange tot. Zu Staub zerfallen ruhe ich irgendwo, während du das hier liest. Du wirst mich in 561 Jahren in der Mensa der Universität kennen lernen, wo du damals immer in deiner Mittagspause zum Essen gekommen bist, mich in 572 Jahren um eine Verlobung bitten. Das kam spät, aber wir wußten vorher schon, das wir füreinander bestimmt sind. Mir fehlt der Duft deiner Haare, dieses nach Aprikosen duftende Haar. Hier gibt es nicht einmal Seife. Nie werde ich mehr diesen Duft in der Nase haben.

Ich werde hierbleiben und das Beste machen, und mich auf ewig selbst verfluchen für das was ich getan habe. Ich habe alles abgelegt was fremd für die Menschen hier sein könnte, selbst von deiner Armbanduhr musste ich mich trennen. Es tut mir sehr leid, aber auch dein Foto welches ich immer bei mir trug musste ich vergraben. Findet man es, wird man es für Hexerei halten. Ich hoffe, du verstehst es. Ich habe meine Sachen, die ich am Leibe trug vergraben. Aber ich werde in ruhigen Stunden immer wieder hierher zurück kehren und es hervorholen. Es wird im Laufe der Jahre verblassen, aber in meinem Herzen wirst du nie verblassen. Niemals, Sara, das schwöre ich Dir.

Auch der Kugelschreiber und der Notizblock liegen hier vergraben. Es fiele hier nur auf. Du weißt ja auch, wie abergläubisch ängstlich die Menschen zu dieser Zeit sind. Du weißt von der Inquisition, und wie schrecklich sie im Mittelalter gehaust hat. Ich muss sehr aufpassen, hier nicht aufzufallen. Ich weiß Dinge, die für Dich und mich völlig alltäglich sind, die aber hier ein ganzes Weltbild ins Wanken bringen könnten.

Ich hoffe, du wirst mir eines Tages verzeihen, und vielleicht erfüllt es dich mit stolz, das ich der erste und letzte Zeitreisende bin.



Vergiss mich nicht.
Lebe wohl.

In ewiger Liebe.

Dein Rainer W. Hauprich
 
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Kommentare  

super

 (28.01.2007)

Hallo Benjamin!

geschickt erweckst du das Mitgefühl der Leser für den Protagonisten, auch Spannung hält an und das Interesse bleibt erhalten bis zum Ende. gut geschrieben!
5 Punkte.

Gruß, Heidi StN


Heidi StN (21.10.2003)

Gefällt mir als Idee.
Gefällt mir in der Ausführung.

Aber...überlies es nochmal und schmeisse die Grammatikfehler raus, das stört.
Ansonsten habe ich die Konsequenz der Zeitsprünge nie begriffen. Geht mir hier auch wieder so. Da man doch Zukunftsereignisse, die bereits stattgefunden haben nicht verändern kann, wird ER doch SIE unweigerlich wiedertreffen. In der Mensa, denn er kann doch bis zu diesem Zeitpunkt, nichts mehr durch seine Zeitreise verändern.

Ach erklär mir das doch mal jemand, ich bin zu blöd.
Aber sollte ich Recht haben, dann müssen wir ihn ja nicht bedauern und SIE auch nicht, das Treffen wird in 525 Jahren - oder so - doch erneut stattfinden.
Und jetzt gehe ich meine Gehirnwindungen sortieren, die rasten bei dem Phänomen Zeitsprung immer aus.

Gruss Lies


Lies (11.09.2003)

So traurig...das man am liebsten irgendetwas tun möchte um dem armen Menschen zu helfen. Bei mir hat sich beim Lesen eine Gänsehaut eingestellt, so tief hat mich diese Geschichte berührt.

Metevelis (08.09.2003)

Das Thema Zeitreise mal ganz anders angepackt. Kein KAWUMM!, keine Geschichtsänderung, keine veränderten Seeschlachten...
Einfach nur das traurige Scheitern eines Menschen in der fremden Zeit.
Gut gemacht!


Stefan Steinmetz (31.08.2003)

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