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4 Seiten

Die weiße Fau vom Schlossberg

Schauriges · Kurzgeschichten
April 1636

Er lehnte an der nassen, kalten Mauer des Turms, blickte hinunter auf die qualmenden Überreste dessen was einmal eine blühende Stadt gewesen war. Einzig die Marienkirche stand noch unbeschadet, sonst überall ein Bild der Zerstörung. Der beizende Qualm wehte bis zu ihm herauf, mit ihm brachte der Wind das Wehklagen und Schreien der Bewohner, die in Panik durch die verwüsteten Gassen zogen, die Reste ihrer Habseligkeiten auf Karren oder auf dem bloßen Rücken in Sicherheit schaffend. Den ganzen Nachmittag schon ging dieser Exodus aus dieser Ruinenstadt, und drüben auf dem Stellberg und auf den Anhöhen des Werrberges konnte er die Kaiserlichen Truppen lagern sehen, und ihre Kanonen mit denen sie die Stadt und und große Teile der Hohenburg in Trümmer gelegt hatten.

Noch immer hatte er das orgelnde Pfeiffen der heranfliegenden Eisenkugeln im Ohr, das Bersten wenn sie in die Mauern schlugen, die Schreie der Vewundeten und der Sterbenden. Der Burghof unten war voller Flüchtlinge, die in den Mauern der Burg Schutz suchten, die Feinde waren erbarmunglos, Rauben, Morden, Brandschatzen und Vergewaltigen in den Dörfern ringsum. In der Burg alles voller Frauen und Kinder, die Männer waren einfach niedergemacht worden. Sie wimmerten vor Angst und Sorge, konnten ihre schreinenden Kinder nicht mehr beruhigen. Der Geruch der vielen Leichen, die hinter dem Marstallgebäude aufgeschichtet lagen vermischte sich mit dem Qualm aus der Stadt und machten das Atmen fast unmöglich. Es gab keine Möglichkeit sie aus der Burg zu schaffen, die Bogenschützen der Kaiserlichen Truppen würden jeden töten der es wagen würde hinauszugehen.

Die Vorräte waren knapp, die Menschen litten Hunger, und vor der Angst das der Feind wieder kommen würde.

Sie würden kommen, das wußte der Türmer. Man hatte es ihm selber gesagt. In der Schänke neben dem Rathaus, und ihm 30 Silbertaler geboten wenn er die Soldaten der Burg nicht alarmieren würde, wenn er die Kaiserlichen Truppen sich den Mauern nähern sehen würde.

Es war ihm auch egal was passierte. Dreißig Taler hin oder her, es war sowieso alles verloren hier oben in der Burg. Die wenigen Soldaten in ihren zerlumpten Kleidern, die noch dem Kommandanten die Treue hielten konnten sich vor Hunger und Erschöpfung kaum noch auf den Beinen halten. Ihm selbst ging es nicht viel besser. Sein Bauch fühlte sich an wie ausgehöhlt, ud es bereitete ihm unsägliche Mühe hier oben auf dem Bergfried zu stehen und das Land ringsum zu beobachten. Die Sonne war beinahe untergegangen, und drüben bei den Feinden brannten unzählige Lagerfeuer.
Ob sie sich schon in dieser Nacht daran machen würden?

Die letzten Tage waren verräterisch still gewesen. Ob sie Wort hielten und ihm 30 Taler gaben oder ihm ebenfalls den Hals durchschnitten, Ihm war es einerlei. Das Horn stand neben ihm an der Brüstung, und er würde es nicht anrühren.

Er dachte sich grimmig das man sie vor dem Angriff aushungern und zermürben wollte. Mit ihren Kanonen hatten sie alle Dächer der Burg zerschossen, wenn es regnete gab es keinen trockenen Ort mehr.
Die Soldaten hockten an der Mauer und dämmerten vor sich hin. Viele von ihnen waren Verwundet, und es gab hier oben keinen Arzt.

Und dann sah er eine Bewegung in der Dämmerug, das Blitzen von Metall im fahlen Schein des Mondes, das leise Knacken der Zweige, als sie sich durch das Unterhoz des Waldes hinauf auf den Schlossberg bewegten. Sie kamen.

Seine Hand berührte das Horn. Er brauchte es nur aufzunehmen und es sich an seine Lippen zu setzen und kräftig hineinzustoßen.
Auf dieses Signal wartend dämmerten die Soldaten vor sich hin, die Angst um ihre nackte existenz würde sie antreiben, und vielleicht würden sie es schaffen den Gegner an der Mauer zurück zu schlagen, wenn sie ihr Leitern anlehnten und heraufstiegen.
Aber nur für wenige Stunden oder Tage würde es ihnen eine Atempause verschaffen, der Feind hatte alles, Männer, Waffen, Nahrung.
Sie hier oben dagegen nichts mehr. Es wr nur eine Frage der Zeit bis von den Leichen aus Krankheiten ausbrechen würden, die die geschwächten und ausgemergelten Menschen schließlich elendig dahinraffen würden, wenn es der Feind nicht vorher schon tat.

Er konnte sie nun immer deutlicher vernehmen. Er hörte das Schnaufen ihres angestrengten Atems, als sie den Berg herauf stiegen, hörte das leise Klirren ihrer Schwerter, Kettenhemden und Äxte. Hörte sie leise miteinander sprechen.

Den Soldaten in der Burg blieb dies verborgen, hinter der dicken Mauer konnten sie es nicht hören.

Schon sah er sie aus dem Wald heraus treten, bis dicht an die Mauer.

Der Türmer ging zurück in seine Stube und verschloss die Tür hinter sich, setzte sich an den Tisch und stütze müde den Kopf in die Hände und harrte der Dinge die da kommen würden. Bald würde es vorbei sein.

Und dann durchzuckte der klagende Laut eines Horns die Stille.
Der Türmer sprang mit einem Satz auf und stürzte aus der Tür.

Mechthild, seine Magd, mit seinem Horn in den Händen auf der Brüstung des Bergfrieds.
Das Rufen der Soldaten in der Burg, das Klirren von Waffen. Schreie und Gebrüll. Geräusche von kräftig aufeinander eindreschenden Schwertern.

Sie hatte die Angreifer bemerkt und entschlossen in das Horn geblasen. Und somit die Burg gerettet.

Warum hatte er es nicht mit hinein genommen?
Statt dessen hatte dieses Weib... Ihn verraten. Ihn um seine Silbertaler gebracht, um das Ende des Grauens, das er nicht mehr ertragen mochte.
Der Zorn stieg ihm in den Kopf. Sie hatte ihn verraten. Die ganze Sache verraten. Dieses törrichte dummer Huhn.

"Weib!" brüllte er sie an, sein Kopf hochrot, die Lippen geschürzt, die Zähne aufeinander gepresst. Der Zorn war wie ein Dorn im Auge.
Die Magd trat erschrocken vor ihm zurück, und er griff sie sich, zerrte sie an die Brüstung des Bergfrieds, hörte das Kampfgetümmel, sah wie die Burgwachen die Leitern der Angreifer von den Mauern wegstießen und die Männer die es noch auf die Zinnen geschafft hatten mit Gebrüll erschlugen oder aufspießten. Der Rest der Angreifer flüchtete sich in den Wald, zerbrochene Leitern und ihre Toten und Verwundeten zurücklassend.

Er ergriff seine Magd, und stieß sie von den Zinnen der Brüstung. Ein gellender Schrei zerris das Kampfgetümmel für einen kurzen Moment, bis sie schließlich in den tiefen (174 m ) Burgbrunnen stürzte, ihr Schrei verstummte als ihr Körper an den grob gehauenen Steinen des Brunnenschachtes zerschmettert wurde.

Der Türmer stand mit kreidebleichem Gesicht oben auf seiner Brüstung und hatte das Horn in den Händen.

"Und der Brunnen ward vergiftet und das Leiden ward groß, da sie nun kein Wasser mehr hatten, ihr Körper war so zerschlagen das man es nicht vermochte sie herauszuholen. Die Burg ward aufgegeben weil das Wasser vergiftet, und der Türmer entging für den Mord und dem Verrat nicht seiner gerechten Strafe."

Und alle 7 Jahre, so erzählt man es sich noch heute, wandelt die Magd als weiße Frau im sanften Licht des Mondes auf den Mauern der Burg hoch oben über der Stadt Homberg - zur Schande und zum Schrecken aller Verräter, die keinen ruhigen Schlaf mehr finden und keinen Frieden.
 
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Kommentare  

Hallo Benjamin,

Deine Geschichte hat viel von dem, was eine gute Sage braucht. Deine Datierung weist auf den 30jährigen Krieg hin, weshalb ich annehmen darf, dass Du ein historisch belegtes Ereignis ausgeschmückt hast.

Ich habe mich erst einmal im Internet über Homberg (Efze) informiert und bin überrascht, wie gut man dort auch heute noch das ausgehende Mittelalter bewundern kann. Und wenn vieles aus der Stadtgeschichte den Einwohnern (Du gehörst doch dazu?) heute noch bekannt ist, spricht das sehr für diese Stadt (und Stadthistoriker Erich Kaiser).

Meine Heimatstadt Görlitz lebt ähnlich mit vielen Sagen aus der Stadtgeschichte. Ich wünsche Dir, dass Du zur Heimatliebe der Homberger mit solchen Sagen wie der "Weißen Frau vom Schlossberg" weiter beitragen kannst.

Viel Erfolg dabei wünscht Dein Namens-Vetter.
http://www.wolfgang-reuter.com/


Wolfgang Reuter (23.09.2006)

so kanns gehen
gute idee
fein umgesetzt
aber am deutsch müssen wir noch ein wenig arbeiten


cronos (11.11.2004)

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