"Diese Welt ist wie eine riesige Toilette, die immer voller mit stinkenden Fäkalien wird, den Menschen. Doch von Zeit zu Zeit zieht Mutter Natur die Spülung, um wenigstens etwas davon in der Kanalisation verschwinden zu lassen" - unbekannter Webautor, 26.12.2004
Achtung: Solltest Du von der Tsunami 2004 betroffen sein und dich durch pietätlose Darstellungen gestört sehen, rate ich vom Lesen dieser Geschichte ab. Dieser Text enthält Passagen mit extremer Gewaltdarstellung und versucht, die Denkweisen eines Menschen nachzuempfinden, den seine Umgebung derart negativ beeinflußt hat, daß er zu dem wurde, was man gemeinhin als "Psychopathen" bezeichnet. In keiner Weise dienen die im Text geschilderten ethischen Vorstellungen und Handlungsweisen als Vorbild für die Realität. Es ist eine Gruselgeschichte, keine Handlungsanleitung für die Wirklichkeit! Alle in der Geschichte vorkommenden Personen, Orte und Handlungen sind frei erfunden; Ähnlichkeiten mit der Realität sind rein zufällig.
Kapitel 1: Erwachen
Kapitel 2: Déjà Vu
Kapitel 3: Konsequenzen
-------------------------------------------------------
Kapitel 1: Erwachen
Unendliche Schwärze hüllt mich ein. Geborgenheit, in ihrer Wärme nur jäh unterbrochen von zwischendurch auftretenden, pochenden Schmerzen. Ich schwebe, wie in einem Raum ohne Grenzen, wie in einem warmen Bad. Ein angenehmes Rauschen herrscht im Hintergrund vor. Die Ewigkeit könnte ich in dieser wärmenden Nacht verbringen. Wenn da nicht der Schmerz wäre. Ich spüre außerdem, wie es an einem Teil meines Körpers immer heißer wird. Also bewege ich mich, um der Hitze zu entkommen. Doch die Bewegung lässt nur kurz das Gefühl der Hitze verschwinden. Ich fühle die Reibung von Sand unter mir. Am Rande warm, unter mir feucht und kühl. Plötzlich wieder die Schmerzen. Sie sind am Kopf, an der Seite über dem Ohr. Die Bewegung lässt den Schmerz aufbrennen. Jetzt erst bemerke ich etwas, was mir noch die ganze Zeit über ein komisches Gefühl bereitet hatte: Es liegt ein süßlicher, fauliger Geruch in meiner Nase.
Endlich öffne ich die Augen, die ich geschlossen hatte, so lange ich mich erinnern kann. Ich sehe den weißen Sand, in dem ich liege und dessen Helligkeit im Sonnenlicht meine Augen blendet. Mit großer Mühe hebe ich den Kopf an und blicke etwas weiter. Der Sand geht weiter, in ihm sehe ich Bretter und Tücher herum liegen. Etwas weiter liegt etwas Weißliches, das ich zunächst nur unscharf erkenne. Ich muss meine Augen anstrengen, um etwas zu sehen. Es ist ein Mann im mittleren Alter, offenbar recht korpulent, mit einer verrutschten Badehose bekleidet. Seine Haut ist seltsam bleich, an anderen Stellen violett. Dann schaffe ich es, meinen Blick nach oben zu richten. Leuchtend grün erscheinen die Wipfel der Palmen, eine ganze Front von Palmen und auch Bäumen kann ich jetzt ausmachen. Während die eine Seite offenbar in einen Wald hinein führt, ist über der anderen der strahlend blaue Himmel. Wieder schmerzt mein Kopf, dieses Mal bin ich mit der schmerzenden Stelle an den Sand gekommen. Als ich mich beruhige, fällt mein Blick auf einen Baum. In einer Astgabel hängt etwas, was leicht im Wind baumelt. Es ist auch weißlich, aber dünn und hat auch eine grell rot gemusterte Hose an. "Dies muss ein Mensch sein", denke ich, "aber in völlig unnatürlicher Haltung". Ich beobachte den Körper eine Weile und bemerke dann mit Verwunderung, dass es sich wohl um einen Toten handeln muss. Aber wie kommt der da hin, gut drei Meter über dem Boden, und warum nimmt ihn da niemand runter? Jetzt erkenne ich immer mehr, dass der Boden, auf dem ich liege, mit Unrat übersät ist: Bretter, herum geworfene Tücher, Äste, Plastikteile aller Art.
Langsam schaffe ich es, mich aufzurichten. Ich stütze meinen Oberkörper mit dem ausgestreckten Arm ab und sehe mich von meiner etwas höheren Warte um. Ich erkenne, dass ich an einem Strand bin, die Sonne scheint, der Himmel ist blau und rund zehn Meter entfernt rauscht das tief blaue Meer. Die Dinge, die ich sehe, kommen mir entfernt bekannt vor, aber ich habe nicht die geringste Ahnung, was vor meinem Erwachen passiert war, wo ich her kam, was überhaupt alles diesen Minuten meines Lebens voraus gegangen ist. Ja, Sand, Sonne, Palmen, das kann ich aus meinem Bewusstsein abrufen, aber eine Geschichte oder eine Herkunft, an so etwas habe ich nicht die geringste Erinnerung. Ich sehe mich um und den Strand entlang. überall liegt Unrat herum, Liegestühle, Koffer, Gebilde aus Holzbrettern. Einige Palmen sind entwurzelt und liegen quer über den Strand. Und überall zwischen dem Unrat sehe ich Menschen herum liegen, so, wie den dicken Mann neben mir. Doch alles ist unheimlich, es gibt nur Stille außer dem Rauschen des Meeres. Dieser komische, süßliche Geruch liegt in der Luft. Und keiner von den Menschen bewegt sich. Mit allergrößter Mühe schaffe ich es, mich auf meine Beine zu stellen. Ich torkele wie ein Betrunkener herum, als ich zu gehen versuche. Trunkenheit kenne ich, das dämmerige, schwindelige Gefühl und die Übelkeit, auch wenn ich mich nicht erinnern kann, wann ich jemals betrunken gewesen war. Nach wenigen Metern stolpere ich genau über den dicken Mann, den ich sofort beim Aufwachen gesehen habe. Ich falle über ihn und lande auf einer schwabbeligen und kühlen Masse, seinem Körper. Doch er zeigt keine Reaktion, keine Verwunderung, keine Wut. Er liegt mit dem Gesicht im Sand und regt sich nicht. Als ich ihn anstoße, wabbelt nur sein Fett. Keine Regung mehr. Dafür verstärkt sich der unangenehme Geruch in meiner Nase, als ich mich zu ihm herunter beuge. Ich sehe: Der Mann ist tot, genau so, wie der in dem Baum. Nur eine fette, verblichene und teilweise verfärbte Leiche. Ich sehe wieder um mich und bemerke überall um mich herum die regungslosen Körper von Menschen. Manche wie schlafend, andere, zu grotesken Posen verdreht, auf dem Boden liegend. Als ich einen genauen Blick ins Wasser werfe, sehe ich auch dort Körper schwimmen, mit denen die Wellen ihr Spiel treiben. Einige sind in Badehosen und Bikinis, andere sind ganz oder teilweise nackt. Ein paar Meter weiter liegt eine Frau in den mittleren Jahren, die Haut leicht gebräunt. Sie hängt mit dem Rücken auf den Resten eines Holzgestells, auf das sie offenbar irgendwie gelegt, oder eher geworfen, wurde. Ihr Kopf hängt herunter, die Zunge schräg heraus. Ihre nackten Brüste baumeln schräg von ihrem Oberkörper herunter. Ich denke daran, dass mich solche Frauen eigentlich sexuell erregen, aber der Anblick nimmt mir doch jegliche Erregung gleich wieder weg. Auf ihrem Leib tummeln sich einige Fliegen, dicke, schillernde Brummer. Und auch hier wird wieder der süßliche Geruch stärker, sobald ich in ihre Nähe komme.
Ich gehe langsam den Strand entlang. So weit ich sehen kann, ist es auch in der Entfernung nicht anders. überall weißer Sand, darauf verteilt, Schutt, Unrat und Leichen. Ich gehe ein Stück in den Wald hinter dem Strand. Noch mehr Unrat liegt herum, der sich offenbar zwischen den Bäumen und Palmen verfangen hat. Ich gehe weiter, dort hin, wo der Wald lichter ist. An einigen Stellen sind auf dem Boden große, harte Rechtecke. Beton markiert diese Rechtecke, deren Funktion mir auf den ersten Blick nicht bewusst wird. Als ich weiter gehe, sehe ich auf einigen Reste von Mauern und Holzwänden. Aber es sind nur Reste, ansonsten liegt hier nur etwas mehr Müll herum. Ich trete auf einen großen, dunkelgrünen Textilsack am Boden und wundere mich über die weiche, schwere Masse darin. Dann schaue ich genauer hin und erkenne, dass aus dem Sack ein menschlicher Kopf heraus ragt. Ein Mann mit langen, strubbeligen Haaren und Vollbart liegt offenbar darin. Sein Schädel und sein Gesicht sind zur Seite hin eingedrückt, so, als seien sie eingeschlagen worden. "Nur ein Platz, wo deine Leiche faulen wird...", geht es mir durch den Kopf, eine Erinnerung aus einer fernen, mir nicht bekannten Zeit. Dann, noch etwas weiter, sehe ich Autos. Ja, Autos, oder das, was von ihnen übrig ist. Mehrere liegen auf einem Haufen, verbeult und umgeworfen, gegen eine Baumgruppe gedrückt. Eines ist gar in die niedrigen Kronen der Büsche befördert worden. Noch immer herrscht Totenstille, und ich ahne, dass sich dies auch so bald nicht ändern wird. Das mulmige Gefühl in meinem Magen hatte sich über die letzte halbe Stunde, als ich herum lief, verstärkt, meine Wunde am Kopf schmerzte ab und zu mit fiesem Pochen. Jetzt scheint mir gleich der Mageninhalt hoch zu kommen. Ich stütze mich mit der Hand gegen eine Palme und halte den Mund nach unten. Doch das erwartete Übergeben kommt nicht. Ich gehe weiter, mit einem speiüblen Gefühl im Magen. Dann halte ich wieder inne und sehe am Boden eine tote, dicke Frau liegen. Ein abgebrochener Ast hat ihr teilweise die Haut vom Leib gerissen, als sie offensichtlich durch die Gegend geschleudert wurde, und so sehe ich den geöffneten Körper vor mir, die Speckrollen und Gedärme, während ihre losen Brüste, von der Haut gehalten, seitlich aufeinander gefaltet sind. Da schlägt mir wieder dieser widerliche, süße Geruch mit voller Stärke in die Nase, und ich muss mich übergeben. Es schießt wie bei einer kleinen Explosion aus mir heraus und bespritzt den Boden und den zerschundenen Körper der Frau. Fliegen schwirren in die Luft. Auch ich selbst bekomme etwas ab. Erstmals denke ich meine Kleidung am Körper. Ich habe ein T-Shirt und Bermudashorts an, dazu leichte Strandsandalen. Alles fühlt sich etwas feucht und klamm an. Doch jetzt landen Spritzer von Erbrochenem darauf. Nach mehrmaligem Reihern beruhigt sich mein Magen endlich, ich fühle mich leer, aber die Übelkeit lässt auch nach. In der Folge entscheide ich mich, wieder zum Strand zu gehen.
Ich habe den Eindruck, dass die vielen Toten und die Trümmer nicht normal sind, aber die Erinnerung an mein Leben reicht gerade einmal eine Dreiviertelstunde zurück, und so kann ich das Bild, welches sich mir hier bietet, gar nicht richtig beurteilen. Ich will ins Meer gehen, um das Erbrochene abzuwaschen und meinen Mund etwas auszuspülen. Als ich von oben auf die große, blaue Fläche zu gehe, steigt in mir ein unheimliches Gefühl auf, das einer fernen, aber gewaltigen Bedrohung, die ich nicht zuzuordnen vermag. Ich muss mich regelrecht überwinden, in das flache Wasser am Strand zu gehen, so, als ob hier etwas Unheimliches, Monströses lauerte. Die Stelle ist weit entfernt von treibenden Leichen, und so spüle ich mir mit dem salzigen Wasser das restliche Erbrochene aus dem Mund und wasche das T-Shirt ab. In der Hitze der Sonne packt mich plötzlich die Müdigkeit, und so lege ich mich hinter dem Strand zwischen den Palmen an einer freien Stelle hin.
Stunden später, wie viele, kann ich nicht sagen, komme ich wieder zu mir. Es ist mittlerweile dunkel geworden, und nur der Mond spendet etwas Licht in der Einöde. Grillen zirpen und der Wind rauscht leicht in den Bäumen. Ich laufe im fahlen Licht den Strand entlang und genieße das schwache Mondlicht, das die Palmen, das Meer und die Toten in kühlem, kaum wahrnehmbarem Schein schimmern lässt. Etwas sagt mir, dass ich das, was hier geschehen ist, grauenhaft finden sollte, aber aus unerklärlichem Grund macht sich in mir ein Gefühl der Freude und des Triumphes breit. Nicht deswegen, weil ich hier alleine am Leben bin, sondern deshalb, weil hier so viele Menschen tot herum liegen. Die vielen Leichen erfüllen mich nicht mit Grauen, sondern mit Befriedigung. Sie sind entkleidet, entstellt, in den komischsten Posen. Ich denke daran, wie sie vielleicht einst lebend herum liefen, und mich überkommen Abscheu und Hass, unergründbar, weshalb. Ich fange an, zum Spaß gegen die leblosen Körper zu treten. Der dumpfe Klang und die Erschütterung in der Fleischmasse machen mir Freude. Ich greife an die nackte Haut der Leichen, ziehe sie an den Haaren, kneife in ihre Hinterteile. Es kommt mir vor, als wären Tyrannen, die mich mein Leben lang unterdrückt haben, endlich gestürzt worden und lägen nun, mir hilflos ausgeliefert, am Boden. Das fahle Mondlicht verleiht ihrer hellen Haut eine Schönheit wie die von weißem Alabaster. Durch meinen Kopf spielt Musik, wie aus einer fernen Zeit: "Ich lieb es, wenn der Tag vergeht, in einem letzten Spiel des Abendrots, wenn der Mond sich über die Hügel erhebt und Dunkelheit die Leichenberge verdeckt". Etwas entfernt, im Wasser, sehe ich einen Körper treiben, ein Mädchen oder eine junge Frau. Die Musik spielt weiter in meinem Kopf: "Ich liebe die Wanderungen bei Nacht, wenn der Nebel sich auf die Toten legt, wenn die Qual ihrer Fratzen das Dunkel tilgt und nur der Wind ihren Gestank mit sich trägt." Erinnerungen aus unbekannter Zeit ziehen diese Zeilen an die Oberfläche meines Bewusstseins, weil die Wirklichkeit hier dieser Musik entspricht. Ich ziehe mich bis auf die Unterhose aus und springe ins flache Wasser, ziehe sie vom Ufer weg, bis dahin, wo man gerade noch stehen kann. Dann nehme ich ihren Körper in den Arm, drücke ihn an mich und murmele eine leise Walzer-Melodie vor mich hin. Dazu versuche ich mit ihr zu tanzen. Einmal links herum, einmal rechts herum. Ihr Kopf mit den langen, braunen Haaren fällt zur Seite, nur ihren Körper kann ich halten. Es kommt mir vor wie etwas vollkommen Neues, mit einer Frau so nahe beieinander zu sein. Ich merke, dass mir dies schon immer gefehlt hatte. Doch zugleich verspüre ich Hass und Verachtung gegenüber diesem Wesen, die nur dadurch gezügelt werden, dass sie leblos und ohne Regung meinem Willen folgt. Dann öffne ich ihren Mund ein Stück, und schon schlägt mir wieder jener süßliche Verwesungsgeruch entgegen, der hier stets so unangenehm in der Luft hängt. Die ganze Zeit war mir kaum noch übel, doch jetzt kommt es mir wieder hoch. Mit Schwindelgefühl gehe ich hoch zum Strand und setze mich hin. Nach einiger Zeit ist mir wieder besser, und ich ziehe meine Kleidung wieder an. Langsam gehe ich weiter, der Palmenwald hinter dem Strand ist ganz licht, dazwischen sind leere Flächen, mit Trümmern und Abfall übersät. Es liegen mehr Leichen herum als dort, wo ich aufgewacht war. Irgendwie erfüllt mich dieser Abschnitt des Strandes mit Abscheu, ich habe keine Ahnung, weshalb. Ich gehe zwischen den Leichen herum und blicke in ihre Gesichter. Etliche mit einem arroganten Ausdruck darauf, ältere, tätowierte Männer mit Goldketten, junge Muskelprotze, und Frauen, die reine Sexbomben gewesen sein mochten, bevor der Tod sie hier ereilte. Dann blicke ich auf einen Körper, der in mir einen Schock auslöst. Es ist eine junge Frau mit langen, blonden Haaren, dicken, prallen Brüsten in einem knallengen Top und runden Hüften. Ihre Schminke ist selbst noch im Mondlicht zu erkennen, ebenso, wie ihr arroganter und verächtlicher Gesichtsausdruck. Bilder tauchen vor meinem inneren Auge auf, wie sie mit höhnischem Lachen auf mich zeigt und junge Männer mich dabei in der Runde herum schubsen. Wie sie mir höhnisch einen Kussmund macht und Kerle mir dabei Bier über den Kopf schütten und laut lachen. Es ist keine Halluzination, kein Fieberwahn, sondern etwas, das ich wirklich erlebt habe. Die Erinnerung muss ein Fragment aus der Zeit vor meinem Erwachen sein, dessen bin ich mir sicher. Ich erinnere mich an ihr weißes Top mit den dicken Brüsten, mit dem sie einst die Partykönigin war.
Genau das selbe Top, in dem sie jetzt leblos am Boden liegt. Nur, dass es jetzt etwas verschmutzt ist. Sie hat aber noch viel von ihrer Schönheit behalten, genug, um sie attraktiv zu finden. Doch jetzt hat sie nicht mehr die stolze und arrogante Unnahbarkeit. Sie kann mich nicht mehr verhöhnen und mit ihren Freunden fertig machen! Neugierig greife ich an die pralle Brust, die unter ihrem Top wogt. Ein merklicher Leichengeruch geht auch von ihr aus. Ich habe die einmalige Gelegenheit, ihrer habhaft zu werden! Schon am nächsten Tag, wenn die Sonne in den Himmel steigt und die Hitze über den Sand wabert, würde ihr Gestank unerträglich sein. Wenn ich etwas von ihr will, muss ich mich beeilen! Ich zerre sie an den langen Haaren über den Sand und setze sie auf den flachen Boden. Von hinten packe ich um ihren Brustkorb vorne an ihre Weiblichkeit. Verfluchte Schlampe, die mich fertig gemacht hat! Fotze! Jetzt wird es den endgültigen Sieg über sie und ihre arrogante Boshaftigkeit geben! Ich fingere zwischen ihren Beinen, schiebe ihren Rock beiseite, es fühlt sich kühl und feucht an. Dann werfe ich sie auf den Rücken und sehe ihre Brüste im Mondschein wackeln. Mit den Händen fahre ich über ihren Oberkörper, der sich ganz kühl anfühlt. Ich komme mir vor, als hätte ich Wochen lang weder Sex noch Selbstbefriedigung gehabt, und so lege ich mich auf sie und drücke meinen Körper an ihren. Ich sehe ihr Gesicht an, meide aber eine zu große Nähe zu ihrem Mund, damit mir nicht der Todesgeruch wieder Übelkeit einflößt. Dann öffne ich erst langsam die Knöpfe ihres Tops, bis ich es ihr schließlich vom Leib reiße. Wieder klingt wie von Ferne Musik in meinem Kopf: "Rudolph, the red nosed reindeer, had a very shiny nose..." Diese Musik ist untrennbar mit den herauf dämmernden Bildern verbunden, wie sie mich auf der Party zu ihrem höhnischen Lachen herum schubsen und mit Bier übergießen. Aus der Ohnmacht, die aus diesen Erinnerungen herüber schwebt, wird blinde Wut, und so reiße ich ihr den Rock mit aller Gewalt vom Leib und versuche, in sie einzudringen. Doch die Todesstarre macht ihren Schoß undurchdringlich. Ich nehme einen umher liegenden Strandstuhl und stoße das Stuhlbein in ihren Unterleib. Ihr Körper wackelt unter dem Rammen mit dem Stuhl. Endlich ist der Weg frei, und ich dringe in ihren kaum feuchten, kühlen Leib ein. Ich würge sie, als wollte ich sie ein zweites Mal töten. Meinen Unterleib schlage ich regelrecht gegen sie, so dass ihre ganze runde Weiblichkeit wackelt. Immer wieder haue ich mit den Fäusten in ihr regloses Gesicht. Endlich bringen mich Wut und Erregung zum Ziel, ich ergieße mich in die kühle, leblose Fleischmasse. Hasserfüllt blicke ich die Tyrannin an, die in mir so schlimme Gefühle hervor rief. Endlich ist die Königin der Nacht gestürzt! Ich trete ihr noch auf den Oberleib und schaffe es, ihr etwas Haut abzureißen und dann noch das Gesicht zu entstellen. Nun ist ihre Schönheit endgültig dahin!
Tief befriedigt gehe ich am Strand entlang. Die Wunde am Kopf tut nur noch ein wenig weh, aber etwas Übelkeit bleibt mir. Gleichzeitig stellt sich bei mir ein Hochgefühl ein, so, als ob sich hier eine ultimative Erfüllung bewahrheiten sollte. Wie ein apokalyptischer Messias laufe ich über die Masse der Körper im Sand. Langsam hält die Kühle der Nacht Einzug am Leichenstrand, und ich beschließe, mir ein geeignetes Lager zu suchen. Noch ein Mal gehe ich ans Ufer und lasse die Wellen an meinen Füßen spielen. Kaum zuvor konnte man so viele Sterne am Himmel sehen, die Sichel des Mondes schimmert im Wasser des Meeres. Es ist für mich einer jener Momente, wo ich mir wünsche, dass sie nie vergehen mögen. Ich schaue mich um und sehe in einiger Entfernung Rauch und roten Feuerschein am Himmel. Also etwas, wonach ich auch am morgigen Tag noch schauen kann.
--------------------------------------------------------------------------------
Kapitel 2: Déjà Vu
Am nächsten Tag werde ich wieder von der warmen Sonne geweckt. Ich raffe mich auf, wasche mich kurz mit Meerwasser und gehe dann den Strand entlang. In der Ferne sehe ich die Rauchwolken aufsteigen, dieses Mal grau und schwarz. Was mag dort wohl sein? Langsam gehe ich, über Trümmer und leblose Körper steigend, in stiller Einsamkeit den Strand entlang. Der Todesgeruch von den Leichen scheint sich mit jeder Minute des Tages zu steigern. Doch ich gehe weiter den Strand entlang und bemerke, dass hier immer weniger Tote herum liegen. Einen knappen Kilometer etwa gehe ich, ohne irgend welche verwesenden Körper zu finden. Dann komme ich an eine Stelle, wo der Palmenwald auf einer größeren Fläche gelichtet ist. Wieder liegen Trümmer und Leichen herum, doch sehen die Menschen hier etwas anders aus als dort, wo ich vorher war: Schwarze Haare, eine etwas dunklere Haut. Mehrere Boote liegen zerschmettert herum, einige am Strand, andere halb versunken im Meer. Und ein weiteres kann ich gar landeinwärts erkennen, in der Krone eines niedrigen Baumes! Wieder gehe ich durch die verwüstete Fläche, der Gestank der Toten wird beißend und abartig. Trümmer und einfache Gebrauchsgegenstände liegen herum, aber keine Strandstühle oder Handtücher. Die Menschen, die ich finde, haben Alltagskleidung an, keine Badesachen. Ich sehe Männer, teilweise von Holzbalken und Ziegelsteinen erschlagen, die offenbar in den letzten Momenten ihres Lebens mit harter Arbeit beschäftigt waren. Etwas weiter sehe ich eine dickliche Frau am Boden, mit ihrem Baby auf dem Rücken. Die fetten, bunt schillernden Fliegen krabbeln und schwirren in Massen auf ihnen herum. Ihre Haut beginnt schon, sich in Flecken abzupellen, so dass die Verwesung freie Bahn ins Innere der Körper bekommt. Etwas weiter liegt noch eine Frau. Ich berühre ihren Arm mit der Fußspitze, und schon reißt ihre Haut ein und lässt das Fleisch zum Vorschein kommen. Ich denke über diese große Ernte des Todes nach. Doch der Hass und das Triumphgefühl sind nicht mehr so stark wie vorher. Irgendwie lösen die dunkelhäutigen, in Alltagskleidung gehüllten Menschen bei mir nicht den Hass aus, wie die hellhäutigen in Badesachen, aufgemotzter Freizeitkleidung, mit Goldschmuck und edlen Handtaschen. Noch immer kann ich mich nicht erinnern, wie ich hier her kam und was vor meinem Erwachen passiert war. Nur ein paar einzelne Fragmente, wie das mit der Frau am Strand, kommen durch. Wer bin ich überhaupt? Menschen haben üblicher Weise Namen, aber ich erinnere mich nicht an meinen.
Langsam verlasse ich den Ort, wo diese Menschen ihr Ende gefunden haben. Ich versuche, nicht mehr auf die Leichen zu treten, nachdem zwei Male dabei die Haut aufgerissen war und ich mit den Füßen in faulendem Fleisch und Innereien versank. Im hinteren Teil der Fläche hat sich salziges Wasser in einem See gesammelt, in dem neben allerlei Unrat auch etliche Kadaver treiben. Auf dem Wasser schwimmt eine Schmierschicht, wie von Öl. Ich gehe an dem See vorbei, hin zu den Bäumen und Palmen. Ein Blick zurück offenbart den wunderbaren Anblick des blauen Himmels und des Meeres, davor die Berge aus Schutt und Leichen. Etwas abseits vom Strand gehe ich durch den Palmenwald nahe der Küste. An einigen Stellen ist der Boden von fließendem Wasser zu tiefen Gräben aufgerissen, entwurzelte Bäume und Palmen liegen kreuz und quer umher. Wieder sehe ich einen Toten, dieses Mal einen einheimischen Jungen, der mit dem Hals in einer Astgabel hängt. Stunde um Stunde gehe ich weiter, immer neuen Leichen begegnend, aber keinem lebenden Menschen. Dann ist wieder eine dieser Freiflächen da, wo vor allem hellhäutige Tote liegen. Ich freue mich über das Schicksal ihrer Verwesung, am Anblick ihrer verfärbten, faulenden Haut. Die fetten, schwabbeligen Figuren in Badekleidung, Nackte, denen die Kleider vom Leibe gerissen wurden, Leichen im Meer, mit denen die Wellen ihr Spiel treiben. Ich sehe einen jungen Kerl mit Muskeln und aggressivem Gesichtsausdruck am Boden, der in mir unangenehme Erinnerungen weckt. Gedanken von Erniedrigung und Gewalt, der ich hilflos ausgeliefert war, schießen durch meinen Kopf, und Hass schlägt hoch. Ich hole mit dem Fuß aus und trete krachend gegen seinen Schädel. Seine angefaulte Gesichtshaut löst sich ab und klatscht in den Sand. Dann trete ich gegen seinen Bauch, und mit einem einzigen Tritt wird seine Bauchdecke weg gerissen und sein Innerstes frei gelegt. Bestialischer Gestank schlägt mir entgegen, dennoch empfinde ich Befriedigung. Weiter treibe ich mit den Leichen mein Spiel. Einer Frau ziehe ich mit der Hand an ihrer Brust, und in der Tat kann ich sie mit einem Ruck abziehen, so dass nur ein klaffendes Loch an ihrer Stelle zurück bleibt. Verfluchtes Pack! Ich weiß nicht, warum, aber ich hasse die Menschen wie die Pest! Einem toten Mann, der seitlich auf dem Boden liegt, schiebe ich einen Stock in sein Hinterteil und trete dann so lange dagegen, bis er zum Bauch wieder heraus kommt.
Nach einer Weile sehe ich wieder die Rauchwolken am Himmel und merke, dass ich ihnen schon bedeutend näher gekommen bin. Zwischendurch halte ich inne, um Kraft zu tanken. Meine Übelkeit ist jetzt schon weitestgehend verschwunden, allerdings steigt sie bei zu starkem Leichengeruch immer wieder in mir auf. Dann sehe ich an der Küste eine große Fläche, einen guten Kilometer im Durchmesser, die auf irgend eine Weise leer geräumt und dafür mit Unrat überdeckt wurde. Es gibt Reste von Steinmauern, Boote, Autos, alle zertrümmert und durcheinander gewirbelt. Erstmals seit meinem Erwachen sehe ich lebende Menschen herum laufen. Doch sie machen eher den Eindruck wandelnder Leichen. Die Sonne hat sich mittlerweile in Richtung Untergang geneigt und taucht die Szenerie in ein unheimliches, orangefarbenes Licht. Die Menschen bewegen sich langsam, mit schleppenden Bewegungen. Und sie schleppen auch: Tote, die sie auf den Rücken geladen, an Stangen fest gebunden oder auf übrig gebliebene Karren geladen haben. Wie Ameisen an einem Bau zieht eine Karawane mit Toten hin zum hinteren Rand des Bereiches, während andere nach draußen gehen, um neuen Nachschub zu holen. Am eindrucksvollsten ist der Anblick am Rand, wo die Karawanen sich hin bewegen: Ganze Reihen von riesigen Scheiterhaufen sind aufgetürmt und stehen in Flammen. Darauf liegen Körper, die allmählich schwarz verschrumpeln und zerfallen. Neben den Scheiterhaufen türmen sich Leichenberge auf, die darauf warten, verbrannt zu werden. Doch das Schauerlichste ist die Geräuschkulisse, die sich verstärkt, je näher ich den Feuerstellen komme. Ein Weinen und Wehklagen liegt in der Luft, wie ich es mir in meinen schlimmsten Alpträumen nicht vorstellen könnte. Wieder geht die merkwürdig bekannte Musik aus unbekannter Zeit durch meinen Kopf: "Mein Blick ist getrübt so nah bei den Flammen dass ich kaum noch etwas erkenne, vor den Toren der Stadt gellen Schreie durch die Nacht, so grell, so schmerzerfüllt, dass der Wind sie trägt, bis hier her, wo meine Seele gefriert".
Die Sonne ist mittlerweile verschwunden, der nachleuchtende Himmel ein großartiges Spiel aus grünen, gelben, blauen und violetten Farben, in das die Rauchsäulen und der orangene Schein der Leichenfeuer hinein steigen. Weinen und Jammern erfüllen die Luft, jene, die keine Leichen tragen, stehen, laufen um die Feuer herum und weinen. Ein kleines Mädchen von vielleicht drei, vier Jahren versucht, gegen die Hitze anzurennen und schreit in Richtung des Feuers, offenbar nach seinen Eltern. Der Rauch steigt nicht immer sofort auf, und so ist zeitweise der ganze Brandplatz in Rauch gehüllt. Die Musik spielt weiter in meinem Kopf: "Die Leichen brannten mit den anderen, die Asche im Wind ist, was von ihnen blieb". Ich sehe Menschen gehen, in gebücktem Gang die Straße entlang, sie entladen die Last des Todes auf den Leichenbergen, die mittlerweile die Größe kleiner Häuser erreicht haben. Die Musik in meinem Kopf hört nicht auf zu spielen: "Gott weilt nicht länger unter uns Menschen, hier zeigt sich, wo seine Macht versagt. Einzig Sterben und Grauen und Furcht sind die neuen Herren, deren Macht ungebrochen und stark". Es hatte sich damit irgend etwas in meinem Kopf festgesetzt, was nun schaurige Wirklichkeit geworden war. Doch ich weiß nicht mehr, was. Gott, was ist das? Ein Fantasiewesen, an das die Kinder zu glauben lernen, doch aus meinen Gedanken ist er getilgt. Der Himmel ist mittlerweile nur noch dunkelblau, die Flammen geben fast das einzige Licht. Die Leichensammler hören nach und nach mit ihrer Arbeit auf und setzen sich auf den Boden, während die anderen Menschen weiter weinen und klagen. "Nur der Tod ist besser als ein Leben hier!", denke ich, aber ich bin erschöpft und lege mich deshalb zwischen den Trümmern schlafen.
Der beißende Geruch des Todes und des verbrannten Fleisches liegt auch während des Schlafes in meiner Nase. Ich spüre wieder die Wunde an meinem Kopf, und es stellen sich Träume ein, surreal, Fieberträume. Sie haben gar keinen wirklichen Gegenstand, ich fühle mich nur verfolgt und will ständig weg rennen. Etwas drückt und wühlt in meinem Kopf, und ich kann ihm nicht entkommen, welche grotesken Bilder mein Gehirn auch immer in der Nacht vor mein Auge zaubert. Als ich erwache, fühle ich mich noch immer erschöpft und ausgelaugt. Draußen hat wieder die unaufhörliche Arbeit der Leichensammler begonnen, Rauch und Geruch verbrannten Fleisches steigen auch in den frischen, blauen Himmel des neuen Tages. In seinem Licht kann ich auch wieder den Unterschied zwischen den Menschen feststellen, den ich in der Abenddämmerung kaum wahr genommen habe: Die hellhäutigen Menschen mit ihren bunten Kleidungsstücken und die dunklen Einheimischen. Nach ein paar Stunden fährt ein klappriger Bus über die Reste der Straße hin zu dem Platz mit den Leichenfeuern. Weiße Männer mit gebügelten Hemden und Brillen laufen mit wichtigem Blick heraus. Einige Menschen rennen auf sie zu und schreien sie flehentlich an. Doch die Männer gehen schnurstracks weiter und schieben die Menschen bei Seite. Sie schauen sich auf dem Platz mit den Leichenfeuern um und beginnen, jene Menschen mit heller Haut und bunter Kleidung aufzusuchen und in Richtung des Busses zu schicken. Leise Gespräche sind zu hören, die Leute wirken apathisch und können kaum sprechen. Die Männer klopfen ihnen auf die Schulter und helfen ihnen dann, aufzustehen und in Richtung des Busses zu gehen. Ein merkwürdiger Selektionsvorgang findet vor meinen Augen statt, die Auserwählten schleichen durch das Szenario aus Weinen und Wehklagen, durch Rauch, Gestank und gebrochene Menschen hinweg.
Nun, nach einiger Zeit, stehen sie auch vor mir. "Hello, where are you from?", fragen sie mich. Die englische Sprache kann ich noch sprechen und verstehen, keine Ahnung, woher. "Don't know", ist meine einfache Antwort, denn ich habe meine Vergangenheit verloren. Ich ahne, dass es eine geben musste, aber ich kann mich nicht mehr daran erinnern. Nur Fragmente sind mir in den Sinn gekommen, zu wenig, um wirklich ein Bild meiner Vergangenheit abzugeben. "Come on, go to the bus, we bring you to the hospital. You're lucky to be alive!" , entgegnet mir der grauhaarige Mann mit dem hell blauen Hemd und der Hornbrille, während die anderen im Halbkreis um mich herum stehen. Dann nimmt er mich bei der Hand und zieht mich in stehende Position. Ich schaue mich um. Auf irgend eine Weise ist mir diese Landschaft aus Tod, Verwesung und Trauer vertraut geworden, in den wenigen Stunden, in denen ich hier umher wandele. Ich verstehe, dass ich jetzt hier weg muss, in eine Welt, die ich nicht kenne. Apathisch stehe ich auf, ein anderer Mann nimmt mich an die Hand und führt mich in Richtung Bus. Wehmütig blicke ich auf die Körper im Feuer der Scheiterhaufen. Schon viele Leichen sind mittlerweile verbrannt, und die brennenden Holzscheite und Bretter sind durchsetzt mit verkohlten Knochen. Mein Blick fährt über die Trümmerwüste, die vernichteten Reste der Gebrauchsgegenstände, die Menschen, die elendig zwischen all der Vernichtung hocken. Nun sind die Todesfeuer hinter mir, und ich stehe auf der mit Trümmern übersäten Straße an der Eingangstür des Fahrzeuges. Von drinnen kommt kühler Wind, eine Klimaanlage kämpft mit der Tropenhitze und bläst kalte und verbrauchte Luft ins Innere des Busses. Ich gehe durch den Gang in der Mitte und komme schließlich an einen leeren Sitzplatz, an dem ich mich alleine hin setzen kann. Erschöpft lehne ich mich zurück und warte, bis noch weitere Leute eingestiegen sind und am Ende der Bus ganz voll ist. Auch auf den Platz direkt neben mir setzt sich jemand, eine brünette Frau mittleren Alters mit blauem Oberteil, auf den verschlissenen Sitzbezug. Ihre dunkle Sonnenbrille hat sie noch irgendwie gerettet.
Endlich werden die Türen geschlossen, laut röhrt der Motor auf, der Fahrer wendet in ein paar Zügen und fährt dann die Straße zurück ins Landesinnere. Während die Trümmerwüste meinen Augen entschwindet und wir zunehmend durch Gebiete fahren, in denen Häuser und Hütten am Straßenrand stehen und Menschen unbekümmert herum laufen, sehe ich mich im Inneren des Busses um, schaue auf die Menschen. Und mein Unbehagen, mein Hass von vorher kommt wieder hoch. Ich denke an diese Menschen, stelle sie mir als arrogante Horde vor, die mich mit Verachtung behandelt, über mich lacht. Ist das nur eine Fantasie? Oder ist es ... vielleicht ... Erinnerung? Noch schweigen die meisten im Bus, aber schon haben vorne zwei Frauen, eine noch ganz jung, die andere in den mittleren Jahren, zu quatschen angefangen. Ich kann ihre Sprache nicht verstehen, aber ich verstehe einen Namen: Robert. Sofort nehmen die Stimmen einen höhnischen Ton an, ein geiferndes, boshaftes Gekicher erhebt sich ein paar Reihen vor mir im Bus. Ich höre, dass sie sich über den unbekannten Mann lustig machen, das merke ich, obwohl ich ihre Worte nicht kenne. Die Bilder vom Strand, wo ich aufwachte, der Verwesungsgeruch, die Leichen im Sand, all dies geht mir wieder durch den Kopf, verbunden mit einem Glücksgefühl, dass sich aus der Wut und Verachtung gegen die Menschen hier im Bus, besonders die beiden Frauen, speist.
Dann kommen in meinem Kopf wieder die Bilder aus unbekannter Zeit hoch, wieder mit der Frau, die ich mir am Strand zu Willen gemacht habe. Ich sehe einen brechend vollen Raum, erinnere mich an den Geruch von Alkohol und Tabakrauch. Im Hintergrund sind weitere Frauen und Männer, die wie die Leute im Bus aussehen, aber ausgelassen und fröhlich. Musik spielt dazu in meinem Kopf: "Jingle bells, jingle bells, jingle all the way...", laut, aus Boxen. Die Decke ist mit goldenen Sternen geschmückt, im Hintergrund steht ein großer Tannenbaum mit elektrischem Licht und roten Kugeln. Die Frau vom Strand, jene bösartige Königin der Nacht, zeigt mit dem Finger auf mich und bricht in prustendem Lachen aus, mit ihr die Leute im Hintergrund. Doch in den Gedanken konzentriere ich mich nicht mehr auf sie, sondern auf die anderen Leute. Viele sehen so aus wie die im Bus, und das Gefühl der Verhöhnung und der Demütigung packt mich jetzt wieder, aufgrund dieser dunklen Fantasie. Hasserfüllt sehe ich die Menschen um mich herum an, ich fände es viel besser, wenn sie auch als Leichen am Strand faulen, aufgedunsen im Meer treiben oder auf den Scheiterhaufen verbrennen würden. Ich weiß nicht was, aber etwas Großartiges muss es gewesen sein, das diese Scheusale von Menschen in rauen Massen zu willenlosen Leichen ohne jedes Demütigungspotential gemacht hatte. Laut und höhnisch kreischen die Frauen vor mir und klatschen sich in die Hände. Dann übermannt mich auf ein Mal wieder die Müdigkeit, und ich schlafe im Bus ein.
Wieder einige Zeit später stößt mich meine Nachbarin an, und ich merke, dass der Bus angehalten hat. Wir steigen aus und stehen, zwischen vielen anderen Bussen, vor einem großen Gebäude, einem Krankenhaus, wie ich richtig vermute. Drinnen herrschen Heulen und Wehklagen, die Patienten liegen in überfüllten Zimmern, auf den Fluren und am Boden. Sie haben aufgequollene Wunden, etlichen ist die Haut aufgerissen, und das rohe Fleisch liegt frei. Dunkle Flecken von Prellungen überdecken ihre Körper, nicht wenigen fehlen Gliedmaßen. Man kann kaum erkennen, ob sie abgerissen oder hier amputiert wurden. Personal in grünen Kitteln läuft hektisch durch die Gänge, wohl wissend, dass es vielen hier nicht mehr helfen kann. Eine dunkle Frau im Kittel weist mich in eine Schlange, die durch den ganzen Gang geht. "Wo soll ich hin gehen?", rutscht es mir aus dem Mund. Da nimmt mich die Frau wieder am Arm aus der Schlange und sagt: "Deutsch? Gehen zu Deutsch Doktor!" Ich verstehe es nur ansatzweise, weiß aber, dass ich gemeint bin. Sie ruft auch den anderen in der Schlange das Gleiche zu, und schon gehen einige zu ihr hin, so dass wir zusammen, der Schwester hinterher, in Richtung Kellertreppe gehen. "Unten Deutsch Doktor", versucht uns die Krankenschwester zu erzählen.
Kurz danach stehe ich im Keller des Krankenhauses, in einer schon viel kürzeren Schlange. Nach sieben anderen Leuten bin ich an der Reihe. Der Arzt, ein Mann mit blonden Haaren und einer dünnen, goldfarbenen Brille fragt mich nach Namen und Herkunft. Ich kann ihm darauf nicht antworten, sage nur, dass ich am Strand unten aufgewacht bin, zwischen all den Toten. Er untersucht meinen Körper, an dem nur relativ wenige blaue Flecken zu finden sind. Dann kommt er an meinen Kopf und fingert an der Stelle herum, an der es mir immer weh tat. Wieder kommt der Schmerz. Der Arzt macht ein sorgenvolles Geräusch und ordert mich zu einer schnellen Untersuchung. Weil aber hier alles überlastet ist und mir keine akute Lebensgefahr droht, soll ich so schnell wie möglich zu Hause empfangen werden. "Nach Hause, wo ist das?" stammele ich leise vor mich hin. Der Arzt spricht in ein Diktiergerät: "Gehirnerschütterung, Amnesie, geringer Verdacht einer leichten Schädelfraktur. Empfehle Heimflug." Dann fragt er: "Haben Sie irgend welche persönlichen Dokumente dabei, Ausweis, Kreditkarte?" Ich fingere in den Taschen meiner Shorts herum, dann stoße ich auf ein kleines Plastikkärtchen mit der Aufschrift "Video Möllendorf". Der Arzt schaut nach und schreibt sich etwas davon auf. Ich habe keine Ahnung, wozu diese Karte gut war, oder wann ich sie erworben habe. Nur, was Video ist, weiß ich. Dann winkt mich der Arzt hinaus und stellt mich zu einer Gruppe anderer Patienten, die zum Teil viel schlimmer aussehen als ich. Eine Krankenschwester bringt uns bald in einen Raum, eng und mit schmuddeligen Wänden. Sie gibt uns in gebrochenem Englisch Bescheid, dass wir noch mindestens zwei Stunden bleiben müssen. Ein dunkel erscheinender Mann in weißem Kittel und mit herunter gezogenem Mundschutz sagt etwas, was ich nicht ganz verstehe, bis auf ein paar Brocken von "relatives" und "identify", aber er will wohl andeuten, dass es um eine wichtige Aufgabe draußen geht. Mehrere der anderen Patienten, letztlich auch ich, folgen ihm, wie wir hoffen, heraus aus der Langeweile und der stickigen Luft.
Wir gehen hin zu einem Hinterausgang, doch schon auf dem Weg fällt uns der Geruch von Fäulnis und Verwesung in die Nase. Die Fläche, auf die wir draußen gehen, mag einmal ein Park gewesen sein. Jetzt sind dort mit Stoffbahnen Sichtblenden aufgebaut, doch einmal hindurch gegangen, haben wir einen Blick auf das, was da liegt: Auf der Fläche, groß wie ein Fußballfeld, sind Leichen aufgereiht, die Gesichter notdürftig in Form gebracht. In Reih und Glied liegen die Toten, von einem Ende des Platzes bis zum anderen, aufgereiht. Es müssen Hunderte, Tausende sein, alle an diesem Ort versammelt. Es sind Menschen aller Altersgruppen, Geschlechter und Rassen dabei, bei der Ernte des Todes waren sie alle gleich. Eine dunkle Frau hat einen vollen Busen, wirkt fast attraktiv, doch als ich näher komme, sehe ich, dass ihre Haut sich schon abzupellen beginnt. Dann ein dünnes, junges Mädchen mit schwarzen Zöpfen. Sie liegt mit dem Kopf auf der Seite, und als ich ihr näher komme, sehe ich, dass ihre dem Boden zugewandte Kopfhälfte völlig zerschlagen ist. Es ist nur noch eine Schädelhälfte, mit der sie auf dem Boden liegt, die andere ist verschwunden. Dann wieder die europäischen Menschen, ein älteres Ehepaar in bunten Hemden, einem jungen Mann ist der Bauch aufgerissen worden, der jetzt nur von einem Stofftuch zusammen gehalten wird. Wieder geht die Musik aus ferner Zeit durch meinen Kopf: "Leichenlager. Dein Leben war nur eine Farce. Leichenlager. Es führte nur aufs eine hin: Leichenlager" Ein paar in weiße Overalls mit Kopfbedeckung und Atemschutz gehüllte Menschen laufen auf dem Todesfeld hin und her und versprühen Chemikalien aus Flaschen auf ihrem Rücken. Doch die Chemie kann den Zerfall nur verzögern, im Kampf der Gerüche unterliegen die beißenden Chemikalien dem süßlichen Verwesungsgeruch. Viele Körper sind aufgebläht, ein Stich hinein, und sie würden sich zischend entgasen. Die Menschen um mich herum zwingen mich, meine Gefühle unter Kontrolle halten. Dies fällt mir um so schwerer, als ich an eine Stellwand komme, an der Fotos und Namen von Vermissten aufgehängt sind. Es sind Bilder echter, lebender Menschen, die in mir düstere Erinnerungen wach rufen. Nicht die apathischen Figuren, die jetzt überall herum laufen, sondern aggressiv lachende, bärbeißige, boshaft grinsende und heimtückisch lächelnde Menschen. So waren sie hier alle, vor jener unbekannten, göttlichen Erlösung, nach deren Vollstreckung ich aufgewacht war. Ich fühle mich von den Menschen auf den Bildern verspottet, gar bedroht. Dann blicke ich wieder auf den fußballfeldgroßen Platz mit den hin gelegten Leichen, und meine Augen beginnen zu glänzen. Zu glänzen vor Freude und Dankbarkeit, dass die Menschen, die aus meinen Erinnerungsfragmenten heraus nur das Gefühl von Spott und Demütigung auslösen, hier langsam und stinkend verfaulen. Erst jetzt, wo sie tot sind, kann ich Gefallen an ihnen finden. Ein Hochgefühl, als hätte ich eine Droge genommen, erfasst mich, als ich durch die Reihen der vermodernden Leichen zurück zum Krankenhaus gehe.
Nach einer halben Stunde werden wir abgeholt und aus dem Krankenhaus geführt, hin zu einem anderen Bus. Dieser Bus, der schon viel gepflegter wirkt als der erste, fährt uns wieder eine lange Zeit durch die Gegend, bis wir letztendlich an ein sehr großes Gebäude mit vielen Autos und riesigen Parkplätzen kommen. Lärm ertönt aus der Luft, als ein Passagierjet startet, und so merke ich, dass dies ein Flughafen sein muss. Man sagt uns auf Deutsch, dass wir in ein Flugzeug mit medizinischer Betreuung kommen und nach Frankfurt fliegen. Ich kann mich nicht an diesen Flughafen in meiner Vergangenheit erinnern, auch nicht an Frankfurt, obwohl ich den Namen dieser Stadt kenne. Nur kurz werden wir am Flughafen aufgehalten, dann winken uns die Begleiter durch die Gänge, in denen anderswo die Menschen abgetastet werden und Papiere vorlegen müssen. Mit immer noch benommenem Gang gehen die meisten von uns vorwärts, bis sie schließlich in der Passagiermaschine sitzen. Es dauert nicht lange, und der Flieger startet. Ich nutze den Flug für ein paar Stunden Schlaf.
Als wir in Frankfurt ankommen, ist es dunkel. Keine Erinnerung habe ich mehr an diesen Ort, er ist mir absolut fremd. Sie holen uns extra mit städtischen Bussen ab, um uns in ein Krankenhaus zu bringen. Die Untersuchungen sind viel intensiver als vorher in dem anderen Krankenhaus. Mir wird mein Schädel untersucht, mit einem Apparat vor meinem Kopf und einer großen Fotoplatte dahinter. Genau, Röntgen, ich weiß von dieser Untersuchungsmethode. Wie so viele sachliche Dinge ist sie nicht in Vergessenheit geraten. Ich höre einen Namen, und sie sagen mir, dass es meiner sei: Axel Hillgruber. über den Ausweis der Videothek konnten Name und Adresse heraus gefunden werden. Sie sagen, es sei wohl doch keine Schädelfraktur, und ich könne damit rechnen, übermorgen aus der Station zu kommen. Auf die Schnelle organisieren sie mir einen Sozialarbeiter in meiner unbekannten Heimatstadt, der mir helfen soll, die Folgen meines Gedächtnisverlustes zu bewältigen. Nur zur Beobachtung wollen sie mich noch da behalten. Noch immer rätsele ich über meine Herkunft, und wie ich hier her kam. Die Menschen machen mich nervös, und ich beginne, mich zu dem mit Toten übersäten Strand am Ort meines Erwachens zurück zu wünschen. Doch auf die Frage gibt es bald eine Antwort. Im Krankenzimmer plärrt ein Fernseher, auf den die anderen Patienten ständig schauen. Und schon bald sehe ich, dass die Nachrichten voll von Berichten sind, in denen die verwüsteten tropischen Strände und Dörfer gezeigt werden. Und auch, wie es passierte, wird gezeigt, aber ich habe nicht mehr die geringste Erinnerung daran. Auch am nächsten Tag flimmert es ständig über den Bildschirm. Es werden Zahlen von Toten genannt, die bei jeder Zeit und jedem Sender unterschiedlich sind. Mal zehntausend mehr, mal zehntausend weniger, aber wohl im Laufe der Zeit stetig steigend. Was mir nur auffällt, ist, dass dort ständig von einer Katastrophe gesprochen wird. Für mich aber hat dieses Geschehen Momente gebracht, wie ich sie mir schöner nicht vorstellen könnte. Die beiden Mitpatienten fragen mich, wo ich herkomme, und als ich zu meiner Heimat keine Angaben machen kann, fangen sie an, über mich zu witzeln. "Schaut da, da komme ich her!" rufe ich, als wieder die Bilder der verwüsteten Strände auftauchen, "und es war das Schönste, Leute wie euch da in Massen tot herum liegen zu sehen!" Einer der beiden wedelt sich mit der Hand vor dem Kopf und sagt zum anderen: "Meine Güte, der hat wirklich einen Schlag zu viel abgekriegt".
Dann endlich werde ich aus dem Krankenhaus entlassen, und man teilt mir mit, welchen Zug ich zu nehmen hätte. Am Zielort solle ich mir ein Taxi nehmen und mich zur aufgeschriebenen Adresse fahren lassen. Dort werde mich mein Sozialarbeiter empfangen. Dass ich zu einer selbstständigen Zugfahrt in der Lage sei, hatten sie in Befragungen festgestellt. Ich fahre also mit Bussen und Bahnen zum Hauptbahnhof. Es ist kalt und regnerisch, ein Wetter, das mir überhaupt nicht behagt und mich wieder zurück an die warmen Strände mit ihrem Leichengeruch wünschen lässt. Ich habe noch immer einen etwas merkwürdigen Gang, was Jugendliche im Bahnhof ermutigt, mich anzupöbeln und dann laut zu lachen. Boshaftes Lachen, verbunden mit dem Schmerz vieler Tritte und Schläge schallt aus dunkler Vergangenheit heraus wie ein Echo. Innerlich sehe ich Bilder ähnlich aussehender Jugendlicher, wenn auch nicht der gleichen. Wieder schlagen die Erinnerungen aus der Vergangenheit ein Loch in die Mauer des Vergessens. Ich greife in meine Tasche nach einem Messer, kann aber keines finden. Es bleibt mir nichts, als beschämt und erniedrigt weiter zu gehen. Es ist meine Überzeugung, dass man derartige Menschen wie Ratten und Kakerlaken vernichten sollte; nichts wäre schöner, als sie tot am Boden liegen zu sehen. Nach einigen Stunden komme ich letztlich in meiner Heimatstadt an und fahre nach Hause. Ein Zuhause, das ich nicht kenne, das mir nur als Adresse auf ein Blatt Papier geschrieben wurde. Vor der Tür steht ein Mann, der sich mir vorstellt, einen Schlüssel für die Wohnung hat er besorgt. Wir gehen hinein und sprechen das Nötigste ab. Die Wohnung ist mir fremd wie ein neues Hotelzimmer, aber ich werde mich darin zurecht finden.
In den nächsten Tagen sehe ich mich um nach den Spuren meiner Vergangenheit. Ich blättere in Papieren und Zeitschriften, lege eine CD in den CD-Player. Das Cover zeigt einen im roten Feuerschein brennenden Menschen, die Schrift ist kaum lesbar. Etwas sehe ich durch das Booklet, und bald kann ich Titel und Texte erkennen. Es ist die CD "Krebskolonie" von Eisregen. An die ersten Lieder kann ich mich kaum erinnern, doch leicht bekannte Gefühle treten auf. Dann kommt der Titelsong "Krebskolonie", und mit einem Mal kenne ich es wieder: Es ist die Musik, die bei mir im Hinterkopf erklang, als ich nach meinem Erwachen über die Leichen am Strand stieg und das Ausmaß des Todes erfasste. Diese Musik muss in mir großartige Vorstellungen und Gefühle, von massenhaftem Tod und Verwesung hervor gerufen haben. Als ich dann in der Realität die Massen von Leichen sah, muss diese Erinnerung die Barriere des Vergessens überwunden haben. Auch, wenn sich die Gründe für den Tod unterschieden. Jetzt, wo ich die Musik wieder höre, sind die Texte, die dazu gehörige Fantasie und die erlebte Realität eine untrennbare Einheit. Gleiches merke ich bei dem Song "Das kleine Leben", der für mich unauslöschlich mit den Erinnerungen an die Leichenfeuer in der vernichteten Stadt verbunden ist, als mir der Text aus der unbekannten Vergangenheit durch den Kopf ging.
Einen Tag später kommt eine etwas ältere Frau zu mir und erzählt mir, dass sie meine Mutter sei. Keine Erinnerung kommt bei mir aus der Vergangenheit hoch, sie bleibt eine Unbekannte, wie all die älteren Frauen auf der Straße. Sie sagt, sie habe sich so große Sorgen um mich gemacht. Sie versucht mir zu erklären, was in der Vergangenheit geschah und mich in meine jetzige Situation gebracht hatte. Ich hatte nach meinem Studium von geschenktem und angespartem Geld Urlaub gemacht und war in ferne Länder geflogen. Ich wollte in die abgelegenen Regionen reisen und dort mit meinem Rucksack herum wandern. Sie riet mir aber zu einem Pauschalangebot in einem Hotel, mit Partyleben und Animatoren, was ich letztlich auch gemacht habe. Nun sei sie aber froh, dass ich alles überstanden habe. Ich solle doch alle Therapien mit machen und dann eine Arbeit finden.
Ich lebe weiter und finde mich nach einigen Tagen wieder in der Welt zurecht. Doch die geht mir mehr und mehr auf die Nerven. Auf der Straße werde ich oft angemacht; in der Tat kann ich kaum an einer Gruppe von Jugendlichen vorbei gehen, ohne dumme Sprüche oder höhnisches Lachen zu kassieren. Im Fernsehen laufen weiter die Bilder von dem, was mir meine neue Geburt und faszinierende Erlebnisse gebracht hat, was sie aber als Katastrophe bezeichnen. Es laufen Fernsehshows zum Sammeln von Spenden, in denen sich superreiche Stars und Firmen, die ihre Mitarbeiter bis aufs letzte Hemd ausbeuten, mit Millionenbeträgen präsentieren. Für sie sind es nur Peanuts, aber es bringt ihnen Imagegewinn. Jede Werbekampagne mit vergleichbarer Wirkung würde sie ein Vielfaches kosten. Ich beginne, auf Grund meiner alltäglichen Erlebnisse die Menschen richtig zu hassen. Die Erlebnisse, bei denen ich auf der Straße angepöbelt und erniedrigt werde, lassen düstere Erinnerungen aus der Vergangenheit hoch steigen, das Wissen, dass ich auch damals schon immer ideales Opfer für alle Arten von üblen, subhumanen Ballastexistenzen gewesen bin. Verspottung, Hohn, Bedrohung und Erniedrigung aus der Vergangenheit mischen sich mit neuen Erlebnissen gleicher Art und lassen mich zu der Ansicht kommen, dass ein Leben in dieser Gesellschaft keinen Wert hat. Umgeben zu sein von menschlicher Scheiße, die einem ständig in der Nase stinkt. Der ganze Planet ist wie eine riesige Toilette, die immer voller wird mit einer Scheiße namens Menschen! Kann nicht endlich mal jemand abziehen? Wie schön waren doch die mit Toten bedeckten Strände, die Berge aus leblosen Körpern und die Leichenfeuer, die es alles zu Ende brachten! Genau das brauchen wir doch auch hier!
--------------------------------------------------------------------------------
Kapitel 3: Konsequenzen
Ich komme langsam wieder mit dem Leben zurecht. Auch Auto fahren kann ich; obwohl ich mich nicht erinnern kann, je zuvor gefahren zu sein, sind mir die Bedienung und die Verkehrsregeln absolut geläufig. Ich fahre durch das kalte Wetter und den Regen hin zu einem großen Einkaufszentrum am Rande der Stadt, wo Fahnen und riesige Reklameschilder für Einkäufe aller Art werben. Auf dem riesigen Parkplatz verweile ich noch eine Zeit im Auto und ruhe mich aus. In meinem CD-Player spielt die gleiche Gruppe, die ich zu Hause das erste Mal gehört habe, dieses Mal aber das Album "Leichenlager". Wieder schlagen einige Songs Lücken in meinen Erinnerungsverlust. Der Titeltrack "Leichenlager" ruft meine alten Fantasien zu diesem Song wieder hervor, doch noch mehr lässt mich "Feindbild Mensch" eine Identifikation mit meinen Gedanken erzielen. Ich denke zurück daran, wie ich einst verspottet und verhöhnt wurde. Von asozialen Proleten, aber auch von reichen Schnöseln aus gut betuchtem Elternhaus, die ironische Bemerkungen zu meinen eher ärmlichen Lebensverhältnissen machten. Das Lied ruft in mir wieder jenen Gleichklang von Gefühlen, Fantasie und Erlebtem hervor, der mich schon vorher fast in Ekstase versetzt und die Mauer des Vergessens durchbrochen hatte. Die Menschen hasten über den Parkplatz, von und hin zu ihren Autos, teilweise mit Taschen beladen, teilweise in Gruppen, zum Teil Familien. "Es gibt kein Wort sie zu beschreiben, nur das Gefühl von reinstem Hass. Auf die, die den Lebenswert bestimmen, Ihr Maß, das eigne Spiegelbild - die Norm..." Ich ziehe meine Jacke an und mache mich bereit zum Aussteigen. Hasserfüllt schaue ich den Menschen hinterher, die über den Parkplatz hin zum glitzernden Portal des Zentrums laufen. "Es lebe der Tod... Er allein ist meiner Seele Balsam. Es leben die Leichenfeuer... spenden Wärme meinem kalten Leib. Es lebe der letzte seiner Art - und sollte ich dies sein, so schaufle ich das eigne Grab..." Als der Song zu Ende gespielt ist, raffe ich mich auf und gehe selbst in Richtung des Zentrums.
Schimmernde Beleuchtung und blank polierter Fußboden empfangen mich, dahinter sind die verschiedensten Geschäfte, von der Nobelboutique bis zum Discounter, vom Juwelier bis zum Baumarkt. Ich lasse mich vom Strom der Menschen treiben. Die Massen sind mir fremdartig, sie sind eine unheimliche Bedrohung, obwohl mir keiner direkt etwas zu tun scheint. Zwei jungen Mädchen schaue ich wohl einen Moment zu lange nach, denn sie drehen ihre Gesichter kurz zu mir hin und fangen an zu kichern. Das Gefühl der Demütigung schneidet tief in mich ein. Und mir geht die Erinnerung durch den Kopf, dass es früher sehr oft so gewesen ist. Aus der undefinierten Furcht vor den Menschen wird Wut, wird Hass. Mit vor Zorn brennenden Augen laufe ich durch die Passage, bereit, den nächst besten Menschen umzubringen. Dann gehe ich am Eingang des Baumarktes vorbei und treffe auf zwei groß gewachsene, junge Männer, in edle Hemden und Hosen gekleidet. Braun gebrannte Haut und Gel in den Haaren zeugen von ihrem eitlen Getue.
"Oh, armer Junge, gehst Du wieder einkaufen? Hat Dir Mama wieder Geld für eine neue Aldi-Jeans gegeben?". Lautes Gelächter ertönt, einer der beiden zeigt mit dem Finger auf mich. "Guck Dir den Spacko an!" höhnt der andere. Die Demütigung fährt wie ein Messer in mich, und ich bin bereit, endlich zurück zu schlagen. Ich hatte Furcht, Kerle wie diese zu schlagen, weil ich es wahrscheinlich mehrfach von ihnen zurück bekommen würde. Doch nun treffen mein blinder Hass und die Erinnerung an vorherige Demütigungen mit einem schon gesteigerten Adrenalinlevel bei mir zusammen. Die Bilder der toten Menschen am Strand, die Leichenfeuer, meine Freude, an den Toten Rache zu nehmen, gehen mir wieder durch den Kopf, und ich will etwas davon auch an diesen Ort bringen. Ich habe bei meinem Erwachen den Hauch des Todes geatmet und mit mir genommen, und nun habe ich keine Angst mehr vor ihm! Ich gehe auf den einen Kerl, einen mit dunklen Haaren, zu und schlage ihm genau auf die Nase. Dann packt mich plötzlich die Angst, und während der sich benommen das Gesicht hält, drehe ich mich um und renne weg in den Baumarkt. Nach kurzer Zeit sind mir die beiden auf den Fersen. In den Ramschregalen greife ich nach einem Hobel, einem massiven Holz- und Metallgerät, das ich auf den anderen der beiden schleudere. Er trifft genau an seine Schläfe, und als er davon abprallt, hinterlässt er eine Platzwunde, aus der das Blut in großen Mengen spritzt. Seine vor Gel glänzenden, blonden Haare und seine teure Markenkleidung werden von dem roten Saft komplett besudelt. So sieht das Schwein doch schon viel besser aus!
Wieder bricht sich die Erinnerung Bahn in meinem Verstand: Diese beiden haben bei mir in der Uni in einigen Vorlesungen gesessen und mich stets lächerlich gemacht, wenn ich bei Übungen etwas sagte. Etwa, indem sie mit lautem "Psst!" die Mitstudenten zum Schweigen aufforderten, um mich zu verunsichern und beim kleinsten Fehler los zu lachen. Ich renne weiter durch den Baumarkt. Der andere, dem ich auf die Nase gehauen hatte, ist dicht hinter mir. Dann komme ich in die Leuchtenabteilung und schaue nach etwas anderem, womit ich die Typen los werden kann. Aus einem Regal greife ich mir eine Leuchtstoffröhre, ziehe sie aus der Papphülle wie ein Schwert aus der Scheide. Dann rennt der eine genau auf mich zu, ich hole mit der Röhre aus und schlage ihm damit auf den Kopf. Das Ende bricht ab, die Röhre implodiert mit hohlem Knall, und die Glaskanten schneiden durch sein Gesicht. Ich sehe Hautlappen von seinen Backen herunter hängen und das Zahnfleisch durch die aufgeschlitzte Oberlippe schimmern. Benommen blutend weicht er zurück. Doch schon nähert sich der andere. Ein dritter Mann mit boshaftem, aggressivem Gesichtsausdruck stellt sich in meinen Fluchtweg. "Komm her, mach den Irren fertig!", ruft er in lautem und aggressivem Ton, "ich helfe dir". Dann klatscht er mit der Faust in die hohle Hand. Der mit der Platzwunde geht langsam, mit boshaftem Grinsen auf mich zu, während mir der unbekannte Mann hinten den Weg versperrt.
Als er langsam näher kommt, fallen mir wieder die Details ein, wie es damals war. Auf einer Semesterabschlussparty war ich zwischen den Leuten unterwegs und hielt mich gerade neben einer hübschen Studentin auf. Da kamen diese beiden Kerle, Söhne reicher Eltern, an und fragten laut und deutlich vernehmbar: "Na, tolle Hose, gibt's die im Sonderangebot bei Aldi?" Lautes Gelächter folgte. "Glaubst Du eigentlich, dass sie jemanden wie dich überhaupt Diplom machen lassen?" Es gab vereinzelte Gerüchte unter den Studenten, dass diese Typen sich ihre Noten in Kolloquien aufzubessern versuchten, indem sie den Prüfern Bakschisch zuschanzten. Doch das tat ihrer Beliebtheit beim "in"-Teil der Studenten und vor allem bei den Frauen keinen Abbruch. Sie konnten sie reihenweise abschleppen und die Beine breit machen lassen. Dann schrie der Blonde von beiden mit boshaftem, höhnischem Gesicht in die Menge: "Schaut euch den an, dass sie so was an die Uni lassen!". Alle starrten sie in meine Richtung, die Clique, die um die beiden herum stand, lachte laut. Für mich war die Party gelaufen.
Genau dieser blonde, arrogante Kerl steht mir nun gegenüber und ist stinksauer, dass ich seine arrogante Gockelfassade beschädigt habe. Während ich, die abgebrochene Röhre in der Hand, da stehe, holt er mit der Faust aus. Ich ducke mich, und der Schlag trifft flach auf meine Kopf. Ich lasse die ganze Erniedrigung durch meinen Kopf fließen, denke zurück an die schönen Bilder, als die Frau, die in mir ähnliche Erinnerungen wach gerufen hatte, als toter Kadaver am Strand lag. "Verfluchter Humanabfall!" schreie ich ihm entgegen und stoße ihm die Neonröhre wie eine Lanze ins Gesicht. Das Glas dringt in sein Auge ein und bleibt da stecken. Mit beiden Händen greift der Typ nach der Röhre, um sie sich wieder heraus zu ziehen. Da schlage ich noch ein Mal mit dem Handballen auf das Ende und stoße die Röhre noch tiefer in seinen Kopf. Nach einem grauenhaften Schrei taumelt der Mann herum, das Leuchtmittel wie ein überdimensionales, implantiertes Teleskop in seiner Augenhöhle steckend. Er greift daran, kann es aber nicht heraus ziehen. Seine blonden Haare sehen jetzt elend und chaotisch aus. Erst, als ich sie am Ende fasse und unter Rütteln ziehe, kommt die Lichtröhre langsam heraus. Das Stück Dreck schreit vor Schmerzen, die es sich redlich verdient hat. Endlich bekomme ich die Röhre wieder los, doch sie scheint an einem Faden fest zu hängen. Ich schiebe das Rohr mit einem Ruck zur Seite, und die scharfe Glaskante durchtrennt den Faden. Schreie und Zuckungen des Körpers verraten mir, dass er endlich Gerechtigkeit für sein Tun erfährt. Er wird mir nichts mehr tun. Die Leuchtstoffröhre fühlt sich ungewöhnlich schwer an, und als ich sie genauer betrachte, sehe ich, dass sein Augapfel mit aus dem Kopf gezogen wurde und nun in dem Glasrohr steckt. Das Hindernis, das mich am Herausziehen hinderte, war der Sehnerv!
Schnell wende ich mich, um durch die Gänge davon zu laufen, denn der unbekannte Mann läuft auf mich zu. Auch der andere der beiden Schnösel läuft, zwar mit zerschnittenen Gesicht, aber quicklebendig, auf mich zu. Die Erinnerung an die großartigen Bilder von den Toten am Strand, den Leichenfeuern, der massenhaften Vernichtung des menschlichen Abfalls verleiht mir Kraft, zu rennen, um den Kampf in besserer Situation weiter zu führen. Ich laufe durch die Halle, schlage Haken, lasse die beiden in die Irre laufen. Dann endlich habe ich sie abgehängt. Vor mir steht ein Regal, darin verschiedene, große Werkzeuge. Ich nehme mir einen Vorschlaghammer, den größten von allen. Unerklärliche Kraft durchflutet mich. Der ältere Mann, der meinen Peinigern zur Hilfe kam, läuft in einiger Entfernung herum und sucht die Regalreihen ab. Ich schleiche mich in seinem Rücken an und hole mit dem Hammer aus. Erst im letzten Moment dreht er sich um und sieht mich, und da zerschmettert auch schon der Hammer seinen Schädel. Er geht durch bis auf den Rückenmarksstumpf, blutverschmierte Gehirnmasse quillt aus den Bruchstellen des Schädels. Dann ziehe ich den Hammer wieder heraus und lasse den widerlichen Kerl mit dem breiten Brustkorb auf den Boden klatschen. Der Anblick des leblosen Körpers weckt in mir das Sehnen nach der warmen Sonne und den verwesenden Leichen am Strand, wo ich wieder erwachte. Ich werde rasend zornig und habe mehr Kraft als je zuvor. Der reiche Bonzensohn mit dem zerschnittenen Gesicht schleicht zwischen den Regalen herum. Ein erster Schlag seitlich an den Kopf lässt ihn zu Boden gehen, dort schlage ich ihm mit voller Wucht den Hammer ins Gesicht, so dass die Gesichtsknochen zerknacken und er tief darin versinkt. Andere Besucher des Marktes schauen auf mich, einige rennen weg, andere schauen mich drohend an. Der Geist des Todes ist mit mir, ich werde ihn hier verbreiten. Es lebe das Feindbild Mensch, dass sich erdreistet, Herr zu sein! Ich renne auf die anderen Menschen zu, jenen, die ich erwische, schlage ich den Schädel mit dem Vorschlaghammer ein. Ich gehe wieder aus dem Baumarkt heraus, schlage meinen Weg durch die Kassen frei. Die sich mir in den Weg stellen, verlieren ihr Leben unter den gewaltigen Hammerschlägen. Draußen, in der überdachten Passage, höre ich in der Ferne Musik spielen und Partystimmung verbreiten.
Dann plötzlich ist es, als würde ein ganzer Abschnitt der Mauer, die meine Erinnerung zurück hält, nieder gerissen. Ich erinnere mich deutlich an den letzen Abend vor meinem Erwachen, wie sie mich auf der Party verhöhnten und fertig machten. Es war eine Weihnachtsparty unter Palmen, drei Tage lang sollte nur gesoffen und gefeiert werden. Am Abend des zweiten Tages wurde ich zur Zielscheibe ihrer boshaftesten Aktionen, als sie mich mit Bier übergossen und auslachten, jene teuflische Königin der Nacht an der Spitze. Doch die Erinnerung an den Tag danach offenbart mir die großartigsten Momente meines Lebens. Am nächsten Morgen, ganz früh, waren die meisten müde und hatten schwere Köpfe, trotzdem lagen viele schon wieder am Strand. Ich war nach der Demütigung früh ins Bett gegangen und am nächsten Morgen auch früh auf den Beinen. Die Erniedrigung schwelte in mir, von dem letzten Abend, von den vielen Malen davor, wo mir ähnliches passiert war. Wut und Hass, Vernichtungswille gegen die gesamte Menschheit prägten an diesem Morgen meine Gedankengänge. Verfluchtes Pack! Verrecken sollten sie alle! Die schönen Frauen am Strand, die für mich nur Spott übrig hatten, die Kerle, die mich bedrängten und nieder machten. Sollte doch das Meer kommen und das verdammte Ungeziefer in die tiefsten Tiefen des Ozeans reißen, wo sie für immer auf dem Grund liegen sollten, verschmäht selbst von den abscheulichsten Meeresungeheuern! Ich ging eine Straße, etwas hinter dem Strand, entlang. Und was niemand, am wenigsten ich selbst, erwartet hatte, geschah: Zuerst hörte ich Leute schreien, dann rannten einige weg vom Strand, während andere wie gebannt in Richtung des Meeres starrten. Dann sah ich es selbst, wie sich weiter draußen das Meer aufbäumte, zu einem großen Wall aus Wasser, der sich auf den Strand zu bewegte. Die Sonne schien darauf und ließ die Wassermasse in leuchtendem Blau erscheinen, die schäumenden Kämme glitzerten und leuchteten im reinsten Weiß. Während immer mehr Menschen von Furcht ergriffen wurden und vom Strand weg liefen, schritt ich langsam, mit leuchtenden Augen darauf zu. Immer höher türmte sich das Wasser auf, Yachten wurden wie Spielzeugboote in der Badewanne herum geschleudert. Der Donner und das Blitzen der Sonne im hoch aufsteigenden Wellenkamm waren die Zeichen meiner Offenbarung! Die göttliche Erlösung kam, von dort draußen, aus dem Meer, um die Menschen ihrem verdienten Schicksal zuzuführen. Jetzt berührte der majestätische Kamm der Welle die Sonne und ließ ihre Strahlen darüber lang leuchtend erscheinen. Die Menschen, die das Geschehen sahen, rannten in Panik weg, doch ich reckte meine Arme in die Höhe und stieß einen langen, hohen Freudenschrei aus. Die Todesfurcht der verhassten Menschen war mein größter Grund zur Freude. Dann rannte ich los, die Menschen und den anderen Dreck am Strand zurück lassend, hinaus, den haushohen Brechern, die auf den Strand zu rasten, entgegen. Riesige Massen aus Schaum und Gischt stürmten auf mich los. Ich hatte die Größe und Geschwindigkeit der Wellen unterschätzt. Als sie mich erfassten, schlugen sie mit der Geschwindigkeit eines Zuges auf mich, was so schmerzhaft wie viele Fausthiebe war. Plötzlich war der Druck von sechs Metern Wasser über mir und zerriss fast meine Trommelfelle. Ich wurde minutenlang wie in einer Waschmaschine herum geschleudert. Die ganze Küste war in diesem Moment eine riesige Toilette geworden, bei der jemand den Abzug betätigt hatte. Und ich wurde mitsamt dem anderen Dreck hinweg gespült, voll bewusst, Zeuge eines großartigen, unendlich gerechten Gerichts gegen die verfluchten Menschen zu sein. Ich fühlte ein Holzstück gegen meinen Kopf knallen, dann wurde ich bewusstlos.
Mir ist jetzt klar, warum ich als einziger dort am Leichenstrand noch am Leben blieb: Ich habe die Aufgabe, die Botschaft des Todes und der Vernichtung der Menschen in die Welt zu tragen! Das Donnern der Wellen hatte mir die Botschaft mitgeteilt: Töte, töte die Menschen! Es gibt nichts Großartigeres als Leichen, Hunderte, Tausende menschlicher Leichen! Mit einem schrillen Freudenschrei, so, wie zuvor am Strand, renne ich durch das Einkaufszentrum und schlage mit dem Hammer blindwütig auf Menschen ein. Sie fallen zu Boden, ihre Köpfe zerschmettert. In einem Küchenladen hole ich mir noch ein großes Fleischmesser. Ich ziele damit auf die Hälse der Menschen, schlitze ihre Kehlen und Schlagadern auf. Sie stehen verduzt da, während das Blut in Fontänen aus ihnen heraus spritzt. Ich mache keinen Unterschied, einzig die Menschengestalt macht für mich das Merkmal aus, den Tod zu verteilen. Zwei Dutzend Menschen habe ich in der Passage schon nieder gestochen und geschlagen. Sie liegen röchelnd am Boden oder sind schon tot. Rote Pfützen breiten sich auf den polierten Steinplatten aus. Dann sehe ich einen großen, stämmigen Mann, der mir sicher weit überlegen ist und ein böses Gesicht macht. Ich warte, bis er in Richtung der erlegten Menschen geht, wobei ich mich in einer Ladenecke verstecke. Dann schleiche ich mich von hinten an und schneide ihm mit einem langen Querschnitt die Kehle durch. Die Klinge geht durch bis auf die Halswirbel. Der muskulöse Körper dreht sich um und schlägt nach mir, das finstere, grobschlächtige Gesicht blickt mich an und verschwindet dann Richtung Boden. In einem Spielwarenladen nehme ich eine Spielzeugpistole mit, die wie eine echte Waffe aussieht. Wer weiß, wozu ich sie noch gebrauchen kann? Weiter hinten sehe ich die Nobelboutiquen, die mein nächstes Ziel sein sollen. Hinter mir kreischen die Menschen, doch sie bemerken mich nicht, als ich zwischen den Auslagen Haken schlage und mich ich im Grünzeug eines Pflanzenkübels verberge.
Langsam schleiche ich mich weiter, wische mir in einer dunklen Ecke die dicksten Blutflecken ab. Manche Leute halten mein Aussehen, mit dem Hammer und den kleineren Blutflecken auf der Kleidung offenbar für einen Scherz. Etwas abseits meiner ersten Mordserie schöpft niemand laut Verdacht, und die es tun, trauen sich nichts zu sagen. Dann sehe ich an einem Restauranttisch einen untersetzten, leicht grauhaarigen Mann mit einem Jackett und gebügeltem Hemd. Ein merkwürdiges Gefühl überkommt mich, als ich ihn sehe. Er schaut in die Richtung, aus der das Kreischen kommt. Ich komme aus der anderen Richtung und lehne meinen Hammer kurzfristig an einen Stuhl. Dann dreht er kurz sein Gesicht zur Seite, und ich kann ihn erkennen. Mir kommt die Erinnerung an die Übungsstunden durch, in denen er als Leiter fungierte. Er hatte die fiesesten Witze gemacht und mich gemeinsam mit den reichen Bonzensöhnen vor allen anderen aufs äußerste lächerlich gemacht. "Sagen Sie mal, Herr Grigoleit, was sollte das eigentlich, mich damals in den Übungsgruppen an der Uni so fertig zu machen?", frage ich unverblümt, doch ohne den geringsten Schein von Aggressivität oder Drohung in der Stimme. Ich gönne mir eine kurze Ruhepause, um bald zu den nächsten Schlägen bereit zu sein. Zuerst wundert er sich, und auch seine Bekannten am Tisch blicken erstaunt zu mir. Dann setzt er rasch einen höhnischen Ausdruck auf und antwortet im herablassenden Ton: "Sie hätten sich halt etwas normaler benehmen sollen! Das ist halt so, wenn man aus dem Rahmen fällt." Ein schmieriges Grinsen erscheint auf seinem Gesicht. "Tja, so ist das eben, auf den Nagel, der aus der Wand ragt, wird so lange eingeschlagen, bis er drin steckt!". Auch die anderen am Tisch grinsen. Sofort kocht wieder die Wut in mir hoch und beendet die kurze Auszeit, die kaum eine halbe Minute gedauert hatte. "So, Herr Grigoleit, ich habe eine Überraschung, jetzt sind Sie mal der Nagel, und den passenden Hammer habe ich auch dabei!" Bei diesen Worten hatte ich schon wieder nach meinem Vorschlaghammer gegriffen und weit ausgeholt. Nun schlage ich mit vollem Schwung und bestialischer Kraft auf seinen Kopf. "Nein!", ertönt sein Schrei. Es trifft seinen Hinterkopf und schlägt ein großes Loch hinein. Sofort hole ich noch mal aus und schlage mit dem Metallkopf sein Gesicht ein. "Doch!" antworte ich, und kümmere mich sofort um die anderen Männer am Tisch. Sie halten die Hände schützend vor sich, was sie nicht im Geringsten vor meinen Hammerschlägen bewahrt. Als ihre Köpfe nur noch von einem Hautsack zusammen gehaltener Brei sind, schneide ich ihnen doch noch mit dem Messer die Kehle durch. Endlich ist dieser Abschaum von der Erdoberfläche beseitigt! Doch die anderen Gäste und Kellner im Lokal haben schon Alarm geschlagen, und von mehreren Seiten kommen die Gorillas des Sicherheitsdienstes auf mich zu. Für einen Moment stehe ich wie gebannt in dem Kreis, der sich immer enger schließt.
Doch dann erinnere ich mich an meine Mission, die Religion des Todes in dieser Welt zu verbreiten! Leichen müssen den Boden pflastern! Ich nehme den Hammer und stürme mit einem lauten Jubelschrei an die Vernichtung auf einen Wachmann los. Es ist der gleiche Schrei wie vor meinem Erwachen, als ich auf das rasende Meer zurannte, das den Menschen vielfachen Tod und mir meinen Auftrag bringen sollte. Im Laufen hole ich aus und treffe den Mann seitlich am Kopf, der ein lautes Krachen vernehmen lässt. Ich renne weiter in Richtung Nobelboutiquen, wo ich mit weiteren Schlägen noch mehr Menschen nieder strecke. Die anderen Security-Leute sind mir gefolgt und versuchen nun, mich zu fangen. Ich laufe um einen Kleiderständer herum und hole unterdessen mein Messer heraus. Als mir der erste Wachmann gegenüber steht, deute ich einen Stich ins Gesicht an und trete ihm dann in seine Klöten. Als er nach vorne einknickt, ramme ich ihm das Messer tief ins Genick. Sein lebloser Leib fällt zu den anderen Erschlagenen am Boden. Noch ein Sicherheitsmann ist übrig, den ich zwischen die dicht stehenden Kleiderständer locke. Zwischen langen Mänteln versteckt, gelingt es mir, ihn zu überraschen. Ich ramme das Messer von unten durch sein rechtes Auge in seinen Kopf, so fest, dass es erst stecken bleibt, als seine Spitze an der Schädeldecke auf harten Widerstand stößt. Der Mann geht zu Boden, bevor ich das Messer heraus ziehen kann, und ich muss viel Zeit und Kraft aufwenden, um es wieder zu bekommen. Doch dann bin ich bereit, meine Vernichtung des menschlichen Abschaums fortzusetzen. Hier im Luxusshop ist das besonders schön, ich sehe die Leute vor mir, die mich herablassend anschauen, wenn ich nicht viel Geld und keine Statussymbole, keine teure Kleidung und kein dickes Auto besitze. Vor allem die Frauen hier sind voll von dieser sozialen Arroganz. Es bereitet mir größte Freude, ihre Köpfe mit den blondierten Haaren und dem Gold- und Brilliantenschmuck einzuschlagen, so dass der Inhalt der Schädel über ihre Kleider und Kostüme spritzt. Kreischend rennen die Bettunterleger, die mich sonst nie eines Blickes gewürdigt hätten, davon, doch ich dränge sie in die Ecke und zerschmettere ihren Stolz mit eisernen Hammerschlägen. An einigen schlitze ich mit dem Messer herum, denn das leuchtend rote Blut auf den hochpreisigen Waren des Geschäfts gefällt mir gut. Ein paar Männer in edlen Armani-Anzügen sind auch dran. Rot spritzt es über ihre teuren Textilien, als sie zu Boden gehen. Eine brünette Frau jenseits der Vierzig, mit Botox jung gespritzt, schlitze ich vom Gesicht bis zum Knie auf, so dass das rohe Fleisch zum Vorschein kommt.
Ich blicke mich um und sehe jetzt keinen lebenden Menschen mehr in dem Laden. Dafür liegen viele Tote auf dem Boden, und es stellt sich bei mir jenes Glücksgefühl ein, dass ich schon am Strand, zwischen all den Leichen dort, verspürt habe. Tief brennt der Hass in mir gegen die Menschen, zu viele Demütigungen haben sie mir zugefügt. Ich denke nach, ob nicht mittlerweile schon genug Zeit vergangen ist, um die Polizei zu alarmieren. Ich will meine Abschlachtorgie fort setzen, muss aber weiter gehen. Aus dem Laden heraus, renne ich an den Fenstern eines Juweliergeschäfts vorbei, innen erschlage ich einige, offensichtlich wohlhabende, Kunden. Und auch eine Verkäuferin mit arrogantem Gesichtsausdruck, den ihre viele Schminke noch verstärkt. Das teure Gold- und Glitzerzeug ist Futter für meinen Hammer, mit rasender Wut zerstöre ich die Statussymbole der Reichen, dennoch wohl wissend, dass nicht Steine und Metall, sondern einzig die Menschen selbst Träger des Übels sind. Doch etwas in mir ruft mich fort, sagt mir, dass ich weg laufen muss, um nicht hier gefangen zu werden. Ich laufe schlagend und stechend weiter durch die Passage, bis ich an einem anderen Eingang wieder in ein Geschäft gehe. Es ist jener Baumarkt, in dem mein Amoklauf begonnen hatte. Dieses Mal bin ich in einer Abteilung mit Baumaterialien. Wieder erschlage ich die umher laufenden Menschen, so dass ihre Kadaver den Boden zieren. Und wieder kommen zwei Sicherheitsleute, die ich mit einigen Tricks und der schieren Kraft, die mir der Geist meiner Mission verleiht, nieder schlage. Ihre Körper werden von fliegenden Ziegelsteinen und Gehwegplatten zerschmettert, bis ich mit meinem Messer an ihrer Kehle den Rest erledige.
Langsam bin ich müde geworden. Die Toten am Boden erinnern mich wieder an meine glücksseligen Momente am Leichenstrand. Grelle Scheinwerfer strahlen von der Decke wie die Sonne. Da entdecke ich einen Stapel Sandsäcke, die in mir die Erinnerung an den warmen, weichen Sand wach rufen, in dem ich zum zweiten Mal geboren wurde. Ich nehme den ersten Sandsack, schlitze ihn auf und verteile seinen Inhalt auf dem Betonboden des Marktes. Dann kommen weitere, bis ich eine richtig schöne Sandfläche am Boden habe. Ich merke gar nicht, wie sich Menschen vorsichtig anschleichen und mich aus sicherer Entfernung beobachten. Auf einigen Quadratmetern des Baumarktes ist jetzt Sand ausgebreitet, die von mir erschlagenen Menschen liegen darin. Blut rinnt aus ihnen und färbt den Sand rot. Aus einem, den ich aufgeschlitzt habe, quellen sogar Gedärme. Ich bekomme das Gefühl, dass ich meine Mission, den Tod in diese Welt zu bringen, erfüllt habe. Mehr und mehr sehne ich mich zurück nach jener geborgenen Schwärze, in der ich am Strand lag, bevor ich die Augen wieder öffnete. Mitten im Baumarkt setze ich mich zunächst, dann lege ich mich in den ausgeschütteten Sand hinein. Ob ich in Zukunft noch ein Leben haben würde, und wie dieses aussieht, ist mir egal. Alles, was ich im Leben Wichtiges getan habe, hat sich in der letzten Viertelstunde hier im Einkaufszentrum abgespielt. Ich habe die Menschen, dieses übelste Pack, das die Erdoberfläche je hervor gebracht hat, ihrem gerechten Schicksal zugeführt. So, als Leichen, sind sie mir immer noch am liebsten!
Dann stürmen Polizisten in den Laden und richten ihre Pistolen auf mich. "Los, aufstehen, Hände hoch!", schreien sie mich an. Doch ich habe darauf keine Lust, und so nehme ich meine Spielzeugpistole und richte sie langsam auf die Beamten. Sofort peitschen mehrere Schüsse auf, und mit einem kurzen Schmerz schwindet mein Bewusstsein. Endlich, des Lebens entledigt, bin ich wieder im Nichts, so, wie vor meiner zweiten Geburt vor zweieinhalb Monaten am Leichenstrand!
Februar 2005, Erik Hart