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5 Seiten

Der Sucher (Endzeit) (Teil 3)

Romane/Serien · Fantastisches
© neohy
Jeder Sandsturm hat seine eigene Melodie. So auch dieser und ich verbringe den restlichen Tag damit, ihr in meinem Versteck zu lauschen. Meine Fallen habe ich aufgestellt, vielleicht fange ich ja wirklich etwas in den kommenden Tagen. Ein Vorteil der Stürme, ist das Absinken der Temperatur. Man kann sich entspannen, ohne dass einem die Hitze den Verstand raubt.
Ständig dringt roter Sand durch rostige Ritzen der Stahlplatten, welche vor die Fenster geschweißt wurden, und gestaltet eine sich ständig verändernde Miniaturdühnenlandschaft mit den übrigen Dingen, die auf dem Boden liegen. Irgendjemand hat hier gute Arbeit geleistet und sein Haus in eine kleine Festung verwandelt. Vielleicht hat es ja auch als Stützpunkt für eine Jägereinheit gedient. Wer weiß das schon, jedenfalls war schon lange niemand mehr hier, denn ich konnte keinerlei frische Spuren im Haus entdecken. Die Einrichtung wurde zerhackt und wahrscheinlich in kalten Nächten verheizt. Ich sehe mich weiter in dem Haus um. Das Erdgeschoß ist ein einziger, leerer Raum mit einer Treppe nach oben und unten. An den Wänden sind rußige Flecken und Einschusslöcher kleinkalibriger Munition. Durch eine Deckenklappe, ebenfalls aus Stahl gefertigt, gelangt man in die gepanzerte, erste Etage. Hier befinden sich zwei größere und ein kleinerer Raum auf etwa sechzig Quadratmetern. Sie sind ebenfalls leer und der Holzfußboden wurde beinahe zur Gänze herausgerissen. Die Isolierschichten des Gebäudes liegen zerfetzt am Boden verteilt. Eine Treppe führt weiter nach oben, der Durchgang ist allerdings durch eine weitere Klappe, auf der wohl einige Trümmer des eingestürzten Daches liegen, versperrt.
Und dann gibt es noch eine verschlossene Luke in den Keller. Sie weist einige Dellen auf, wahrscheinlich entstanden bei den vergeblichen Versuchen sie zu öffnen. Ich stehe vor dieser Luke und betrachte einige Zeit ihr Schloss. Irgendetwas stimmt nicht. Wieder ein Dejavue. Ich bilde mir ein, dieses Schloss schon einmal geöffnet… Moment… aber wie kann das sein… ich beginne hektisch in meinem Beutel nach etwas zu suchen.
Wenige Augenblicke später stehe ich vor der geöffneten Bodenklappe und betrachte fassungslos den Schlüssel in meiner Hand. Ich trage ihn schon ewig mit mir rum. Er ist Teil meiner Vergangenheit, von der ich nicht mehr allzu viel weiß. Sie verblasste mit den Jahren der Wanderschaft, genau wie die Farben der Welt unter der Gewalt der gnadenlos brennenden Sonne verblassen. Kalte Schauer laufen über meinen Rücken, ich zittere. Wie kann ich schon einmal hier gewesen sein, wo ich doch nicht einmal weiß wo ich bin?
Der Sandsturm vor der Türe erscheint mir wie eine leichte Briese, verglichen mit dem tobenden Orkan in meinem Kopf. Erinnerungsfetzen wirbeln durcheinander, wollen sich aber nicht zu klaren Bildern formen.

Ich sehe die Zimmer dieses Hauses wie sie ursprünglich einmal ausgesehen haben mussten. Auf den Böden sind weiche Teppiche ausgelegt, die Wände strahlend weiß gestrichen. Nahe der Wand steht ein Strauß gelber Tulpen auf einem dunklen Holzcouchtisch. Jemand scheint zu Hause zu sein, es duftet nach frischen Marillenkuchen und aus einem Zimmer im ersten Stock klingt gedämpftes Lachen zu mir herunter.
Plötzlich verdunkelt sich der Raum. Überall sind Schreie zu hören. Ich blicke nach draußen und sehe den Himmel im Flammen stehen. Ein Meteor, größer noch als der Mond, rast über unsere Köpfe hinweg und hinterlässt eine pechschwarze Rauchspur am Himmel. Ich erwarte den Aufprall mit jeder Sekunde, aber nichts passiert. Es beginnt nur zu regnen. Tonnen von schmutzig, grauem Wasser stürzen auf die Erde.

Ich war hier als es geschah? Helle Lichtfunken tanzen vor meinen Augen umher, immer noch dreht sich alles in meinem Kopf. Woher kommen diese Bilder? Wieso kann ich mich nicht erinnern?
Draußen ist es in zwischen ruhiger geworden. Durch die Ritzen der Stahlplatten dringt nun wieder Sonnenlicht in die Räume und lässt unzählige Staubteilchen bunt funkeln, während sie durch die hellen Strahlen schweben. Ein lang gezogenes Heulen setzt ein. Ich freue mich es zu hören. Die Wölfin hat den Sturm überstanden. Ich betrachte die dunkle Steintreppe, die vor mir in die Tiefe führt. Als ich meinen Fuß auf die erste Stufe setzte, zerreißt ein ohrenbetäubender Knall die Luft. Das Heulen setzt abrupt aus.
Die akute Gefahr befördert mich blitzartig wieder in die Realität zurück. Ich stürze zum Fenster, versuche durch eine der Ritzen irgendetwas zu erkennen. Vergebens. Keine Bewegung ist auszumachen. Gefährlich sind Menschen, die noch Munition für Feuerwaffen besitzen, aber noch gefährlicher sind die, die offensichtlich noch genügend davon haben um damit einen harmlosen Wolf zu erschießen. Ich beschließe rasch den Keller zu untersuchen und dann die Jagd aufzunehmen.
Nach etwa 50 Stufen mündet die Treppe in einen etwa fünf mal fünf Meter großen Raum. Die Decke hängt tief herab, sodass man nicht aufrecht gehen kann. Ich entzünde eine Magnesiumfackel vom Tisch links neben mir und betrachte die rötlich reflektierende Einrichtung. Tische stehen an der Wand aufgereiht neben metallenen Kellerregalen. Auf den Tischen liegen, auf ausgerollten Landkarten, Werkzeug, Stifte und sonstiger Kleinkram verteilt. „Eine Schatzkammer“, schießt es mir beim Untersuchen der Gegenstände durch den Kopf. Ich finde ein Feuerzeug, Zigaretten, ein Fernglas, längst abgelaufene Konservendosen, und einige andere nützliche Dinge, die ich später genauer untersuchen möchte. Mein Herz setzt einen Moment lange aus, als ich in einer Schublade alte Fotos entdecke. Ich setzte mich auf einen der herumstehenden Stühle, blase eine dicke Staubschicht zur Seite und blättere die Fotos rasch durch. Sie ergeben keinen Sinn. Ich sehe die Abbildungen, verstehe sie aber nicht. Diese Gesichter.

Dann ertönt ein weiterer Schuss. Diesmal viel näher. Gehetzt löse ich meinen Stab vom Schultergurt und spurte nach oben. Wie konnte mich der Fremde so schnell finden? Der Sturm hätte all meine Spuren doch verwischen müssen.
Jetzt muss alles ganz schnell gehen. Nicht mehr stehen bleiben. Ich entriegle die Außentüre, werfe rasch ein Blick nach links und rechts, dann über einige Trümmer rüber zur anderen Straßenseite und dort in den Schatten einer Hochhausruine verschwinden. Die Luft riecht nach Staub. Ich finde meinen Weg weiter nach oben, so als wäre ich ihn schon unzählige Male davor entlanggelaufen. Teilweise ist die Betontreppe eingestürzt und ich muss über das herunterhängende Stahlgitter hochklettern. Meine Hände sind schweißnass und das teilweise schon rostige Gitter knarrt verdächtig, während es langsam zu schaukeln beginnt. Aber ich schaffe es nach oben. Im sechsten Stockwerk biege ich in einen schmalen Gang ab, laufe - mein Herz schlägt mir in zwischen bis zum Hals- immer weiter geradeaus. Weiter vorne erkenne ich einige Türen in der bröckeligen Wand. Eine von ihnen liegt zerschmettert am Boden. Ich springe in das dahinter liegende Zimmer und lehne mich, mit dem Rücken zur Wand, neben das Fenster. Der Raum ist recht groß, an einer Wand hängt schief eine grüne Schreibtafel.
Ich habe Angst, wie immer auf der Jagd, aber mir gefällt diese Angst. Ich spüre dabei jeden einzelnen meiner Muskeln, wie er angestrengt unter meiner schwitzenden Haut arbeitet. Mein ganzer Körper merkt genau, dass es ums pure Überleben geht. Nicht stehen bleiben!
Ich wage einen Blick aus dem Fenster, sehe einen Block weiter jemanden geduckt über ein Hausdach laufen. Seufzend nehme ich Anlauf und springe ausgestreckt aus dem zerschlagenen Fenster, erwische gerade noch die Stromleitung und hangle mich zum nächsten Haus hinüber, gelange durch ein Mauerloch wieder in einem leeren Gang. Der Verputz ist großteils abgebröckelt und hat die dahinter liegenden Ziegel freigelegt. Scherben von Neonröhren liegen überall verstreut und bilden gefährliche Fallen.
Ich muss hinauf zum Dach! Wie von selbst beschreibt mein Stab immer wieder einen Kreis vor mir in der Luft, gleitet präzise von Hand zu Hand während ich mir einen Weg zum Treppenaufgang bahne. Irgendwo über mir vernehme ich das Geräusch laufender Schritte auf dem Blechdach. Jetzt ist es nicht mehr weit bis zu meinem Ziel. Gegen eine Schusswaffe hab ich nur in verwinkeltem Gelände und wenn die Überraschung auf meiner Seite ist eine Chance.
Ich höre Jemanden langsam die halb eingestürzte Treppe herunter kommen, ducke mich augenblicklich hinter einer Mauerkante. Mein Mund ist ausgetrocknet und klebrig, mein Atem geht stoßweise. Ich halte die Luft an, um mich nicht zu verraten. Irgendetwas in mir freut sich auf den bevorstehenden Kampf. In meinem Kopf verschaffen sich Gedanken über das Töten wieder Zugriff zu meinem Bewusstsein. Den Glauben an irgendeine Art von Moral hab ich längst verloren. So etwas besteht nicht lange, wenn man beinahe alleine auf dieser riesigen Welt existiert. Bei meinen Entscheidungen verlasse ich mich auf meine Intuition. Werde ich angegriffen, verteidige ich mich. Es macht auch keinen Sinn, seine Gegner nur zu verwunden. Das würde ihr Leiden bloß verstärken, denn lange überlebt man mit einer Verletzung sowieso nicht. Bin ich ein Mörder, weil ich mein Revier, das ich zum Überleben benötige, verteidige?

Plötzlich ist es still. Mein Gegner ist stehen geblieben, hat mich vielleicht bemerkt. Nicht stehen bleiben! Ich stürze um die Ecke, meinen Stab im Ansatz für einen schwungvollen, ersten Schlag. Der Hieb fegt meinem Gegenüber sein Gewehr aus der Hand, ein zweiter ist auf seinen Kopf gezielt, erreicht sein Ziel aber nie. Erschrocken halte ich inne, blicke in zwei weit aufgerissene dunkelbraune Augen, die mich durch lange, schwarze Haarsträhnen anfunkeln. „Dieses Mädchen kenne ich doch“, denke ich und gehe nach einem Schlag in meinen Magen in die Knie. Das Mädchen packt mich an den Haaren und will meinen Kopf gegen die Wand schlagen, aber ich kann mich im letzten Augenblick noch auf die Seite winden.
„Hör auf! Ich will dir nichts tun!“
„Hab ich gemerkt.“
„Nein, ich dachte du wärst jemand Anderer.“
„Macht keinen Unterschied. Du hättest niemals gehen dürfen!“
„Du kennst mich also auch?“
„Ob ich dich kenne? Findest du das auch noch lustig? Wieso sollte ich dich jetzt verschonen. Du bist ein Fremder geworden, wie jeder Andere auch.“
Ich versteh kein Wort von dem, was dieses Mädchen mir erzählt. Nichts ergibt Sinn in meinem Kopf. Das Mädchen mit der Flöte, das Mädchen auf den Fotos im dem Keller, dieses Mädchen. Sie sind alle ein und dieselbe Person und ich war mit ihr auf diesen Fotos zu sehen! Ich weiß überhaupt nichts mehr davon. Wer ist sie? Wieso habe ich sie vergessen?
„Du machst dich gar nicht über mich lustig, oder?“ Tränen glitzern in ihren unschuldigen Augen als sie den Satz formt.
„Nein, ich…“
„Komm mit, hier ist es nicht sicher.“
„Ich hab den Schlüssel noch.“
Sie sieht mich lange an, so als wollte sie in meinen Augen noch einmal prüfen, ob sie mir vertrauen kann.
„Komm jetzt!“
 
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Kommentare  

Ich kann mich Richsrd nur anschliessen. Sehr interessant.

UweB (20.12.2007)

Sehr interessante und gut aufgezogene Geschichte. Freue mich auf die Fortsetzung....!

Richard (24.05.2005)

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