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9live oder: Abzocke live

Amüsantes/Satirisches · Kurzgeschichten
© Ueli
«Anrufen, anrufen, anrufen! Null eins drei sieben neun, dreimal die Vier und dreimal die Neun. Jetzt anrufen!» Die grossbusige Blondine setzt ihren Hundeblick auf. Sie spricht direkt zu Max, nur zu Max, der zu Hause vor dem Fernseher sitzt. Ganz direkt zu Max. «Tausendfünfhundert Euro für diese einfach Rechenaufgabe. Ruft an und sagt mir die Antwort und das Geld gehört Euch! Eintausendfünfhundert Euro! 01279 444 999.» Sie fällt fast aus dem Bildschirm. Ihre weiblichen Reize kommen dank dem tiefen Ausschnitt ausgezeichnet zur Geltung. «Tausendfünfhundert Euro für einen Anruf. Und es kommt noch besser! Haltet Euch fest: Wir legen noch mal fünfhundert Euro drauf! ZWEITAUSEND Euro! Kommt schon Leute, schnell anrufen! Oder sollen wir das Geld für uns behalten? 01279 444 999, Zweitausend Euro.» Max kann dem Charme der sexy Moderatorin, vor allem aber dem Wink des Geldes nicht widerstehen. Er drückt die Wahlwiederholungstaste auf seinem Telefon und versucht erneut anzurufen. Nur noch ein paar mal, er ist kurz vor dem Erfolg. Jeder Anruf kostet ihn 49 Cent. Aber was sind schon 49 Cent gegen 2'000 Euro?

Der Fernsehsender 9live lockt Zuschauer mit Gewinnen bei Ratespielen. Nur werden die Rätsel selten gelöst, oder es dauert schier ewig. Entweder werden die Regeln der Spiele kaum erklärt und die Aufgabe ist so verwirrend, dass sie kaum lösbar ist. Ein Beispiel: Wie viele Buchstaben hat «Schnappi»? Acht? Falsch. Sechs? Falsch. Es sind 108. Wieso? CH kann auch als römisch «C» und «H», also 100-mal «H» gelesen werden. Oder bei einer simplen Rechenaufgabe kommt einfach kein Anrufer durch. Vielleicht weiss auch keiner die Lösung. 5+5/0.5 lautet die Aufgabe, drei Lösungen stehen zur Auswahl: A 0.5, B 15, C 20. Eine einfache Rechnung, die auch von etwas ungeschickteren Zahlenjongleuren problemlos dank dem Taschenrechner gelöst werden kann. Es ist also vermeintlich einfach, abzukassieren. Doch des Rätsels Lösung lässt horrend lange auf sich warten. Die Moderatorin erhöht mehrmals den Gewinnbetrag, lockt zusätzlich mit einem Jackpot von 20'000 Euro und weist öfters darauf hin, dass die Sendezeit gleich zu Ende sei und somit die letzte Chance zum Anrufen und vor allem gewinnen sei. Sie fleht die Zuschauer an, doch endlich den Hörer zur Hand zu nehmen, damit sie endlich das viele Geld los wird. Dabei geizt sie überhaupt nicht mit ihren weiblichen Reizen. Ihr Schmollmund kommt bei ihrem Monolog wortwörtlich nur selten zur Ruhe. Dann kommt endlich wieder einer durch – ganz am Anfang hats schon ein Anrufer geschafft, hat aber tatsächlich die falsche Antwort genannt – nennt die richtige Antwort B und kassiert ab. Ich möchte aber nicht wissen, wieviele Zuschauer in der Zwischenzeit unzählige Male angerufen und dem Sender somit 49 Cent in die Röhre gestopft hat. Den Jackpot gewinnt der Anrufer übrigens nicht.

Diese Form der Abzocke ist juristisch bis ins letzte Detail ausgeklügelt. Das Gesetz wird dabei verzerrt, gebogen und verzogen dass es nur so knirscht und kracht. Aber eben nie bricht. Was dieser Sender da abzieht, ist ein dubioser und unmoralischer Drahtseilakt, mit dem Gesetz als Seil, 9live als Artist und deren Juristen als rettende Balancestange. Doch was will man gegen solche Machenschaften tun? Leider ist halt das ganze (noch) legal. Und an eine hilfreiche Sensibilisierung der Bevölkerung durch seriöse Medien zu glauben, wäre utopisch. Schlussendlich bestätigt sich mit dieser Geschichte wieder einmal das berühmte suahelische Sprichwort: Es notig alwäs dos dür ferafter. Oder zu Deutsch: Zum Verarschen braucht es immer Zwei.
 
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Kommentare  

Wow sehr gut

Sebastian Mortimer Grey (11.12.2012)

Hallo Ueli!
Du hast natürlich recht, doch der Text ist so einer, den man schon hundertmal in Frauenzeitschriften lesen konnte. Nichts neues. Ich wünsche mir von dir etwas mehr kreative Eigenleistung.


Chris Stone (28.07.2005)

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