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11 Seiten

Visionen - Part I

Romane/Serien · Nachdenkliches · Experimentelles
© Vitacia
Prolog

„Wusstet ihr…“ meinte Naftali grinsend, „dass heute mein Jahrestag ist?“ Zwei junge Männer, am Brückengeländer lehnend, blickten ihn ratlos an. „Toll, Naftali, wirklich, wir wissen natürlich, was du meinst.“ Spöttisch verdrehte Dan die Augen. Jackob hingegen schien die Sache nicht sonderlich zu interessieren – er wusste, dass Naftali mit der Antwort gleich herausrücken würde.
„Meine Herren! Allzu viel wollt ihr wohl gar nicht erfahren…“ Doch jetzt den Beleidigten zu spielen lag Naftali nicht. Seine Hände vergrub er in seinen Manteltaschen, dann spuckte er die Zigarette auf den Boden. „Mein Jahrestag!“ Sich immer noch wundernd, folgten die Blickte Jackobs denen von Naftali. Und er verstand.
„Es ist die Kirche, nicht wahr?“ Manchmal konnte man aus Jackobs Augen schon mehr herauslesen, was man eigentlich wissen wollte. Und immer waren es Misstrauen, Eifersucht und Trauer. „Die Kirche ist…“ Schnell wurde er von Naftali unterbrochen. „Ich weiß, was mit ihr ist. Aber das ist nichts, was dich etwas kümmern sollte. Es ist ein Vorteil… verstehst du?“
Gar nichts verstand er. Die Tradition ging nicht aus der heiligen Schrift hervor, aber sie gehörte dazu. Ob die jetzige Tradition aber immer noch respektabel ist, das fragte sich Jackob. Aber er fand keine Antwort.
Der abwesende Dan aber fasste sich ein Herz und unterbrach das Schweigen. „Es ist nichts, was mich sonderlich interessiert, Naftali, Kämpfer. Aber denke nicht, dass das Zukunft hat. Nicht in diesem Leben.“
„Natürlich, Dan! Selbst jetzt hat dieses Denken Zukunft! Und nach meinem Leben wird es mir… meine Erfüllung geben. Es geht nicht um die Schwere… diese unendliche Schwere… Es geht darum, seine Ziele, SEINE Ideale zu verfolgen. Und das ist meines.“ Naftalis Worte klangen wohl überdacht. Als ob er mit dieser Situation gerechnet hätte. Und er schien sie zu meistern.
Ach wenn Dan jetzt lieber noch den Mund geöffnet hätte, tat er es aus eigenen Gründen nicht. Er wusste genau, dass jede falsche Aussage seine Freiheit kosten könnte.
Leicht waren die Zeiten nicht. Sie waren es noch nie, aber besonders jetzt schienen sie unerträglich geworden zu sein. Einzig und allein die Gewässer boten ihnen etwas Ruhe… und Stille. Hier waren Freidenker noch frei.
„Du hast das Undernet deaktiviert… oder Naftali?“
„Natürlich, wieso fragst du?“
„Es ist das erste Mal, dass du es dabei hast… und ich weiß nicht genau, was es alles kann.“
Der besorgte Gesichtsausdruck von Jackob ließ Naftali nicht lange nachdenken. Er holte ein kleines metallisches Stäbchen hervor, nicht größer als ein Zahnstocher, steckte ihn in den Mund und wartete kurz. Dann zog er ihn wieder heraus und zeigte ihn Jackob.
„Der Empfänger ist dieses Gerät am Ende des Stäbchens. Nicht größer als ein Sandkörnchen. Solange ich ihn nicht in den Port setze, kann er nicht senden. Und wir sind am Wasser. Also keine Gefahr. Ihr könnt sprechen, worüber ihr wollt.“
Das gab Dan einen Denkanstoß: „Wusstet ihr, dass es auf dem Revier in letzter Zeit… viele Besuche gibt?“
„Wach für Bechuche?“ murmelte Naftali unverständlich, während er den Undernet-Empfänger wieder zurück in das Aufbewahrungsmodul im Zahn steckte.
„Die Kirche?“ Jackob hob eine Augenbraue.
„Gott bewahre, nein! Von Boten. Einfache Boten.“
„Ts…“ stieß Jackob aus, „bestellt ihr zu viel Pizza?“
„Hör’ auf mit den Witzen, Jackob…“ wurde dieser von Naftali zurechtgewiesen.
„Bitte lasst mich ausreden. Die Boten brachten recht kleine Pakete, immer adressiert an unsere Abteilungsleiter. Ich bekam auch immer merkwürdigere Befehle… ich solle nicht in bestimmte Gebiete fahren, dann höre ich von Kollegen, dass dort etwas passiert sein solle… aber nichts steht in den Zeitungen und keine Meldungen beim Revier. Und einmal fiel mir so ein Päckchen in die Hände. Der Absender war ein sehr einflussreicher Mann… jetzt kann man sich alles zusammenreimen, Leute.“
„Verbrechen die zufällig dort geschehen, wo du dich nicht mehr aufhalten sollst… Päckchen von einflussreichen Männern an deine Vorgesetzten… keine Meldungen bei der Sicherheit oder der Kirche… das riecht für mich nach Bestechung.“
Man musste nicht sonderlich viel Grips haben, um darauf zu kommen. Allerdings rühmte sich Naftali immer recht gerne mit diesen Analysen. Manchmal stiegen ihm diese Dinge einfach zu Kopf.
„Ich verstehe…“, sprach Jackob, „wir sollen da für dich etwas schnüffeln, nicht wahr?“
„Ja… aber bitte übertreibt nicht… ich will nur wissen, was da genau vor sich geht… Konten – Briefverkehr – Telefonate – Treffen. Das würde mir genügen.“
„Ist mehr als genug.“ grinste Naftali und zog eine Zigarette aus der Jackentasche.
„Für dich tun wir doch alles, Mann. Geht klar. Ich lasse dir dann die Berichte zukommen.“
Er nahm die Zigarette in den Mund und suchte seine Taschen nach einem Feuerzeug ab.
„Ich weiß eure Hilfe wirklich zu schätzen…“ Noch nie fiel es Dan leicht, seine Dankbarkeit und Freude auszudrücken. Ob es an den schweren Zeiten oder einfach nur an seiner Verklemmtheit lag, das konnte niemand so genau sagen.
Doch Jackob verstand ihn schon. „Es macht uns keine Mühe. Wir haben ja sonst nichts zu tun. Würden wir Beweise finden… dann könnte Naftali uns schnell ein paar Probleme vom Hals schaffen.“
„Ähm…“ fiel Naftali ins Wort, „einer von euch hat nicht zufällig Feuer?“
„Sehen wir so aus, als ob wir rauchen?“ spottete Dan. Er war wieder in seinem Element.
„Na gut, dann eben nicht…“
„Und die Zigarette?“
„Lasse ich im Mundwinkel. Vielleicht treffe ich ein Mädchen, dass ich um Feuer bitten kann…“
„Den Satz wiederholst du wirklich jedes Mal, wenn dir die Streichhölzer ausgehen.“

Die Wege der Freunde trennten sich.
Naftali setzte den Empfänger wieder in den Port. „Hier ist KT 7. Brauche sofort alle verfügbaren Informationen über Revier 1247.“
‚850 Dokumente gefunden. Übertragung läuft.’ zeigte ein Schriftzug auf seiner Netzhaut an.
Naftali nickte zufrieden und blickte noch einmal zurück. Am anderen Ufer angelangt, trennten sich schließlich auch die Wege von Jackob und Dan. Beide öffneten im Gehen ihre schwarzen Mäntel, fassten sich an die Hüfte und zogen jeweils eine Waffe heraus.
„Licht!“ murmelte Naftali, knöpfte den Mantel auf und drückte einen kleinen Knopf in der Nähe des Herzens.


Abschnitt 1 – Verlangen

Ein Gebet schallte durch die gewaltige Halle. Symmetrisch waren zwei Bankreihen bis hin zu den Marmorstufen ausgerichtet. Die Höhe der Halle wurde nur noch durch ihre Länge übertrumpft. Ins Weiß der Wände tauchte strahlend helles Licht, das durch die bunten Glasfenster strömte, tausendfach reflektiert wurde und die Halle so erleuchtete.
Wer zwischen den Bankreihen stand, konnte bis an das Ende der Halle blicken. Dort kniete ein Mann in grau-weißer Kleidung auf den Marmorstufen und sprach sein Gebet. Vor ihm thronte der massive Alter, aus einem Marmorblock gehauen, an der Wand dahinter hing das riesige Holzkreuz als Zeichen der Kirche.

Als der Mann sich aufrichtete, bekreuzigte er sich und schritt dann langsam aus der Halle.
Seine Gesichtszüge waren verbittert. Die Augenbrauen zusammengezogen und die Zähne aufeinander reibend ballte er kurz die Fäuste und fuhr sich dann durch das Haar.
„Es hätte niemals passieren dürfen, NIEMALS!“ schrie er, stieß zwei gewaltige Flügeltüren auf und verschwand in der Dunkelheit.

Meine Kirche, meine Kirche… was hast du getan. Seit einem halben Jahrhundert verfolgen wir alles, was nicht Recht ist auf dieser Welt. Und trotzdem scheint es jedes Mal mehr zu werden. Wie fing alles gleich an? Der Anschlag. Der Vatikan. Wer ist schon so dumm und tut so etwas?
Alle starben. Doch dieses Mal nahm es die Kirche nicht einfach so hin.
Nein… NEIN! DIESES MAL WAR EINMAL ZU VIEL!
Zuerst war das alles noch geheim.
Die Elite.
Die Truppe.
Die Kreuzträger.
Sektor 1, Südeuropa, wurde zu einem Überwachungsstaat. Woher hatte die Kirche überhaupt dieses Geld? Der Vatikan war reich.
Nicht aber die Kirche! Das war doch keine Organisation! Das waren unabhängige… Häuser. Mehr nicht.
Also Klartext. Immer Klartext: die Kirche gründete die Kreuzträger, die Organisation zur Vernichtung des Satanischen. Niemand weiß, ob es sie nicht vielleicht schon vorher gab.
Okay… wie passe ich da hinein? Ich lege es nieder. Das ist nichts für mich.
Einfach aufhören… und entspannen.
Man sollte Gottes Gesetze jedoch nicht in Frage stellen... so sagen sie es. Ich sollte mehr Stolz zeigen. Das ist es.
Meine Arbeit…
Aber die Arbeit ist sauber… das muss man uns lassen. Kein Blutvergießen.
Erlösung…

„Naftali?“
An der Wand lehnend, wurde Naftali aus seinen Gedanken gerissen. Eine junge Dame hatte ihre Hand auf seine Schulter gelegt und blickte ihn an.
„Bitte… Rahel… du weißt, dass ich außerhalb der Dienstzeit meine Ruhe haben will.“
„Oh, und während der Dienstzeit darf ich dich gerne stören, hm? Was ist schon Zeit, Naftali?“ lächelte die Frau und lehnte sich neben ihn an die Wand.
„Hör auf zu philosophieren. Mir ist nicht danach. Hast du Feuer?“
Rahel kramte die Taschen ihres blauen Overalls ab, doch sie wurde nicht fündig.
„Ich rauche sowieso nicht…“ schloss sie die Suche murmelnd ab.
„Es ist ironisch. Ich wollte schließlich ein Mädchen um Feuer bitten… tja, du scheinst wohl nicht dafür in Frage zu kommen.“ Für diesen Kommentar kassierte Naftali einen Schlag gegen seine linke Schulter. Stöhnend rieb er die Stelle mit der rechten Hand und sah Rahel zornig an. „Du bist die einzige, die so etwas wagen würde.“
„Der Respekt, Naftali… muss von dir kommen, um ihn sich zu verdienen.“ Ihre Augen funkelten, sie verschränkte die Arme und blickte stur geradeaus.
Naftali jedoch musterte sie. „Neuer Haarschnitt, hm?“
„Mhm…“
„Steht dir gut.“ Er bewegte sich von der Wand weg, um ihr ins Gesicht sehen zu können. Seine rechte Hand fuhr den Stirnfransen ihres Ponys entlang. Sie blieb still, doch ihre Augen folgten seiner Hand.
„Du bist ebenfalls der einzige, der so etwas wagen würde“, bemerkte sie still.
„Weil ich es mit Respekt wage, Rahel.“
Sie kicherte, packte seine Hand und stieß sie von sich weg. „Hör auf mit dem Blödsinn. Wenn jemand hört, dass ich mich mit einem Kreuzträger einlasse, dann bin ich geliefert.“
„Dass du hinter allem immer gleich irgendwelche versteckten Signale vermutest, Rahel, ist wohl nicht gerade eine gute Eigenschaft von dir…“ flüsterte Naftali und lehnte sich wieder an die Wand.
Rahel aber schnaufte nur, drehte sich erhobenen Hauptes vor ihm um und stapfte davon.
Die Augen Naftalis schlossen sich wieder.

Rahel hasste die Kreuzträger.
Eingebildet, immer der Meinung, etwas Besseres zu sein, schreiten sie durch die Städte und rühmen sich damit, alle Sünden auf sich zu nehmen!
Ohne einen weiteren Gedanken an Naftali zu verschwenden, ging sie wieder an die Arbeit und schraubte an einem schon etwas vom Rost zerfressenen Vehikel herum.
Doch alle Kreuzträger… nein, Naftali war anders. Er hat sich nur für die falsche Seite entschieden. Nicht für die barmherzige, sondern für die gerechte.
„Mögen diese Grenzen irgendwann einmal verschwimmen…“ seufzte Rahel und schloss andächtig die Augen.


Abschnitt 2 – Brüder

Dunst.
Rauch.
Dröhnende Musik.
„Das ist MEIN Leben!“ rief Naftali laut und warf sich in die Menge.
„Für einen Sonderkommando wirkt er nicht gerade… diszipliniert.“
„Die nehmen dort sowieso jeden auf. Du musst nur dein zermatschtes Hirn am Eingang abgeben, und du bist willkommen.“
Dan und Jackob schlichen mit eingezogenen Köpfen hinter Naftali her und versuchten niemanden direkt anzusehen.
Es war eines dieser verrauchten und schmutzigen Lokale, die über und über mit skrupellosem Gesindel gefüllt sind und einen hämmernden Bass durch Mark und Bein gehen lassen.
Eigentlich gab es niemanden, der hier gerne sein würde. Nicht einmal die Besucher. Sie waren nur hier, weil es schien, sicher zu sein.
Denn sie befanden sich am Wasser.
Nur Naftali fand Gefallen daran. Es waren die Menschen, die ihn so anzogen. Nirgendwo waren sie so zahlreich wie an den Wasserstellen. Und die Kirche bezahlte die Kreuzträger gut, wenn sie sich in ‚verseuchte’ Gebiete begaben.
„Ratet mal, wen ich hier gefunden habe!“ schallte es durch das Lokal, und Jackob seufzte.
„Er hat den Idioten entdeckt.“
Mit einem groß gewachsenen Mann im Schlepptau kämpfte sich Naftali durch die Reihen und führte ihn stolz vor. „Deinen Bruder! Esau!“
Esau küsste Jackob auf die linke Wange. „Was tust du hier, Jackob? Du weißt, dass es für dich nicht gut ist…“
„Hör’ endlich auf damit! Du bist nichts, gar nichts, Esau – wenn es für jemanden nicht gut ist, dann für dich!“
Die Stimme Jackobs zitterte und er drehte sich um. Dann schritt er langsam zum Ausgang.

Eine Tür schwang auf, und der in schwarz gekleidete, junge Mann mit dem pechschwarzen, kinnlangen Haar und der schmalen Sonnenbrille trat heraus. Wütend schlug er sie hinter sich wieder zu und lehnte sich an die Mauer.
Verdammter Mistkerl! Ich wusste doch, dass wir ihn hier treffen würden!
Dieser Verräter!. Alle hat er verraten, dieser, dieser…
„Verdammt!“ Jackob schlug mit der rechten Hand gegen die Betonmauer und verzerrte das Gesicht vor Schmerz. Seelischem Schmerz.
Er vergrub die Hände in den Manteltaschen und zog sie dicht an seinen Körper.
Es war kalt.
Schnell versetze Jackob sich in Bewegung. Nur weg! Nach hause, oder ins Büro! Irgendwohin, wo er ungestört war!
Esau weiß gar nicht, was er uns damit angetan hat. Was er uns damit antut. Er hätte der Kirche gut dienen können. Er weiß mehr als ich. Er KANN mehr als ich!
Aus ihm wäre der perfekte Spitzel geworden. Er kennt sogar das Undernet wie seine Westentasche!
Internet als die Verbindung von Maschine zu Maschine.
Undernet als die Verbindung von Mensch zu Maschine. Von Menschen zu Mensch. Von allem zu allem.
Ich durfte es nie kennen lernen. Wegen Esau! Alles ist seine Schuld! Mistkerl!
„Mistkerl! Du verdammtes…“
Jackob konnte den Satz nicht beenden. Er spürte eine Hand auf seiner rechten Schulter.
„Komm wieder zurück zu uns, Jackob. Wir brauchen dich bei der Besprechung.“
Selbst wenn Jackob es als Schwäche sah: Dans Warmherzigkeit war eine Eigenschaft, die er schätzte. Niemand wäre ihm gefolgt außer dem Richter.
„Gehen wir“, sprach er schnell und rieb die jetzt schmerzende Hand.


Abschnitt 3 – Verkaufsgespräche

„Wie lange dauert es, bis ich integriert werde?“
„Sie werden es bereits. Der Vorgang dauert eben ein bisschen.“
„Wie lange?“
„Hm… vier Tage dürften es schon sein. Wenn Sie Schmerzen empfinden, dann ist das ganz normal. Es wird ein leichtes Stechen im Unterkiefer sein.“
„Nebenwirkungen?“
„Keine.“
„Wirklich nicht?“
„Nun, wenn ich genauer darüber nachdenke…“
„Sagen Sie schon!“
„Wir hatten einen besonderen Fall. Das war eine Ausnahme.“
„Soso. Was ist passiert?“
„Wir wissen es selbst nicht genau. Das Undernet besitzt mehrere Sektoren. Ich denke, drei davon sind öffentlich bekannt.“
„So? Die allgemeine Sektor und die Kreuzträger, richtig? Was ist die dritte?“
„Man darf eigentlich nicht darüber sprechen… aber es gibt ein Terrornet. Die Behörden konnten es noch nicht im Keim ersticken… Sie haben sicher schon davon gehört. Irgendwelche Untergrundorganisationen haben es vor ungefähr einem Jahr ins Leben gerufen.“
„Oh, doch, ich habe in der Zeitung davon gelesen. Aber dort steht nur etwas von einem Studentenstreich.“
„Oh ja, das glaubt man… aber… ganz unter uns, da steckt mehr dahinter. Kennen Sie ELF?“
„Natürlich. Moment mal… wollen sie sagen, dass irgendeine geheime Terrororganisationen und ELF…“
„Richtig, der Herr.“
„Klingt nicht unwahrscheinlich. Ich will hoffen, dass wir uns auf die Kreuzträger verlassen können.“
„Nun, ich habe manchmal Zweifel.“
„Berechtigte Zweifel?“
„Auf jeden Fall. Die Kreuzträger sind die einzigen, die die Empfänger aus den Ports nehmen können.“
„Ach, und ich kann das NICHT?“
„Wussten Sie das nicht?“
„Nein! Natürlich nicht! Das bedeutet, ich werde gezwungen, ständig mit dem Undernet verbunden zu sein?“
„Das ist nötig, mein Herr. Sie können hohe Geldbußen und sogar Freiheitsstrafen bekommen, wenn sie ohne Undernet gefasst werden. Jeder Beamte hat heutzutage schon einen EM-Scanner dabei.“
„Was sie nicht sagen. Dann war es doch richtig gut, dass ich rechtzeitig Ihren Anschluss gewählt habe, nicht wahr?“
„Genau, mein Herr.“
„Nun, sprechen sie weiter über ihre Zweifel.“
„Folgendes: ich habe schon Kreuzträger beobachtet, die ihren Empfänger einfach herausgenommen haben und dann gemütlich unter die Leute spaziert sind. In Bars, und sogar in die Nähe des Wassers!“
„Wie bitte? Aber das ist doch kriminell!“
„Nicht so laut, mein Herr. Das ist streng vertraulich. Passen sie gut auf, ja? Wenn sie einen Kreuzträger so erwischen, dann wird er nicht zögern, sie zu... ‚erlösen’.“
„Ja, sie haben Recht. Er könnte schließlich seines Amtes enthoben werden.“
„Genau. Nun, wollen sie sonst noch etwas wissen?“
„Nein. Ich will nur noch sichergehen: ich werde mich deswegen nicht anders verhalten? Keine Gedankenmanipulation?“
„Haha, keine Angst, mein Herr. Das Gehirn ist immer noch die Zentrale aller Vorgänge. Würde man es manipulieren, wären sie wohl schon tot.“
„Nicht gerade sehr beruhigend.“
„Sie werden mit dem Produkt sehr zufrieden sein. Dafür garantiere ich.“
„Na gut, vielen Dank auch. Licht.“
„Licht. Und schönen Abend noch, der Herr!“


Abschnitt 4 - Regen

Regen.
Wenn es etwas gab, dass Dan auf den Tod nicht ausstehen konnte, dann war es Wasser, das vom Himmel fällt.
Er lehnte neben einer Ausfahrt an der Wand und zog den Kragen etwas höher. Aus der Ferne war sein Gesicht nicht mehr zu erkennen. Nur seine tiefblauen Augen funkelten unter dem Schatten seines Hutes.
Dan hielt nach etwas Ausschau. Was das sein sollte, wusste er nicht genau. Es war nicht seine Art, sich während dem Dienst in der Stadt herumzutreiben. Ohne Plan, ohne konkrete Anweisungen.
Doch niemand konnte es ihm nachweisen. Der Regen schützte ihn. Aber zugleich lockte das Kleinkriminelle an, so wie der Speck die Maus.
Die Stadt war schon lange nicht mehr so sicher, wie man es immer angenommen hatte. Während auf der einen Seite die kleinen Delikte wie Diebstahl und Körperverletzungen durch die kirchliche Überwachung immer weniger wurden, kletterten auf der anderen vor allem Verbrecher-Syndikate durch Korruption und Erpressung immer weiter noch oben. Bestechung, Drogen und Auftragsmord. Schmutzig in der Ausführung, sauber bei Kontrollen.
Der Regen wurde stärker. Eine Stunde lang verharrte er nun schon auf derselben Stelle, bis er sich endlich bewegte. Dan wusste, dass er nun gehen konnte. Seine Schritte lenkten ihn zu einem Mann mit einem Nadelstreifenanzug, der nun schon geraume Zeit in einem Lokal verharrte.
„Der Typ bewegt sich einfach nicht… als ob er mich riechen kann… Bastard.“
Dan schreckte zurück. Haben sie es gehört? Nein. Der Regen ist zu stark. Alle Sorgen ablegend, betrat er vorsichtig das Lokal.
„Guten Tag! Ist dieser Platz frei?“
„Nein. Verschwinden sie.“
Er konnte dem Mann lange genug in die Augen sehen. Geweitete Pupillen, so schwarz wie die Nacht.
Ein Süchtiger. Sie kommen alle aus ihren Löchern, wenn der Regen anfängt. Spitzbart und Kurzhaarschnitt. Allerdings nicht aus Sektor 1. Sieht mehr nach Skandinavien aus… sein rechtes Ohr war notdürftig verbunden. Wohl ein Unfall…
„Entschuldigung!“
„Ja?“
„Kenne ich sie nicht aus Helsinki?“
„Ich bin aus Norwegen.“
Die Antwort kam schnell und nicht gerade freundlich. Der Mann legte die Beine übereinander und trommelte mit den Fingern der linken Hand auf den Tisch. Seine Blicke Richtung Küche ließen vermuten, dass er auf seine Bestellung wartete.
Norwegen also. Das gehört doch schon zum Randsektor…
Dan lies sich trotzdem auf die Bank nieder und kassierte dafür einen erschrockenen Blick des Norwegers.
Eine junge Frau stolzierte sofort auf Dan zu, bückte sich über den Tisch und fragte mit gespitzten Lippen: „Ihre Bestellung?“
Er musste sich kurz räuspern, blickte schnell die Preistafel an und antwortete kurz darauf: „Einen Kaffe.“
Die Kellnerin sah ihn etwas verwirrt an. „Was für einen?“
„Überraschen sie mich.“ Dan lehnte sich zurück und blickte aus den Fenster. Das Seufzen der jungen Frau überhörte er.
Wie eilig es die Menschen haben, wenn es Regnet. Man stelle sich die Leute so bei Sonnenschein vor. Den Kopf eingezogen liefen sie gebückt umher, eine Mappe oder einen Aktenkoffer über dem Kopf haltend, um Schutz vor dem Sonnenlicht zu haben. Bei Regen aber würden sie tanzen, singen und spazieren. Wieso ist es nicht so? Das Licht verbrennt, der Regen gibt Leben. Obwohl… beides brachte den Menschen Tod und Leben. Ein dummer Gedanke.
Dan musste ein Grinsen verkneifen. Da nahm er wieder das Trommeln des ihm gegenüber sitzenden Mannes wieder wahr. Jetzt war es kein ungeduldiges Trommeln mehr. Es ging über in Nervosität.


Abschnitt 5 – Rauch

„Du kannst es hinnehmen. Oder du handelst.“
„Ich werde es hinnehmen.“
Der Wächter nahm einen langen Zug von seiner Zigarette. Er atmete kurz durch die Nase und ein hielt die Luft an. Die Last wurde leichter. Seine Knie wurden wurden weich. Er vergaß die Last und atmete aus.
„Es ist mein Job. Meine Arbeit. Es ist gutes Geld.“
Er nahm noch einen Zug, atmete langsam und tief ein.
Fünfzehn, zwanzig Sekunden. Und wieder aus.
„Würde es dich etwas kümmern?“
„Nein… eigentlich nicht. Ich sehe es einfach nicht gerne.“
„Niemand tut das. Erst wenn man selbst betroffen ist, macht es Sinn. Nicht wahr?“
„Sicher.“
Der Mann mit der Aktentasche lehnte sich gegen die Wand.
„Hast du eine für mich?“
„Klar. Hier.“
Er griff zur Tabakstange und setzte sie sich an den Mund.
„Feuer?“
„Bitte.“
Der Wächter nahm noch einen tiefen Zug und warf die Zigarette in den grauen Schnee.
„Wie ist es mit dir?“
„Einhundertzwanzig Jahre. Mindestens.“
„Nicht möglich…“
„Wenn kein Unfall dazwischen kommt…“
„Dafür haben wir die Kirche.“
„Ja… ja, die Kirche.“
Er sah die Ausdruckslosigkeit. Und er sah Zweifel.
„Du weißt, ich mache nur meinen Job… wir sind doch Kollegen. Freunde.“
Helfen tat es dem Mann mit der Aktentasche nicht. Dem Wächter ebenfalls nicht. Er suchte nach Ausreden für seine Arbeit, mit der er selbst nicht klar kam. Doch ihm kamen nicht einmal aufmunternde Gedanken in den Sinn.
„Hundertzwanzig Jahre… glaubst du wirklich daran?“
„Ich hoffe es zumindest… und du? Glaubst du an deine dreißig Jahre?“
„Ich wollte noch nie lange Leben. Wenn man mir sagt, dass ich nur dreißig Jahre habe… dann soll es so sein.“
„Findest du es nicht merkwürdig, dass…“
Stocken.
Der Wächter blickte in das durch die Kälte gerötete Gesicht seines Kollegen.
„…dass Leuten mit höherer Stellung eine bessere Prophezeiung bekommen? Dass man uns verspricht…“
„Euch?“
„M-mir verspricht… Dass man mir eine höhere Lebenserwartung als dir verspricht?“
„Konspiration. Ich meine… Theorie. Vielleicht leisten Leute wie ich mehr, wenn sie wissen, dass sie früh sterben. Und Aufsteiger wie du leisten mehr, wenn sie länger leben. Was kann ich schon erreichen? Ich bin ein Blocker für die Höheren. Für Leute wie dich riskiere ich manchmal mein Leben…“
„Glaubst du es?“
„Manchmal…“
„Würdest du für mich sterben?“
Der Wächter schwieg. Er würde es tun. Aber ob er das sagen konnte, wusste er nicht.
„Ich würde dich schützen. Ich habe nicht lange zu leben.“
„Und deshalb tust du dir nichts gutes…“
Er nahm eine weitere Zigarette aus der Packung und zündete sie an.
„Die rauche ich für dich.“
„Pass auf dich auch.“
„Ich passe auf dich auf.“
Der Mann mit der Aktentasche verschwand rasch in der Dunkelheit. Zurück blieb der Wächter.
„Das wird eine lange Nacht. Für dich rauche ich noch mehr als nur eine Stange.“
 
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Kommentare  

Ich bin den Text zwar nur überflogen, gefällt mir aber einigermaßen gut.Also Wasser , das vom Himmel fällt mag ich besonders gern, bin Kreuzträger und aus dem Rauch entstiegen. Na ja gut halt!!! Kompliment, ist ja auch angesagtes Thema, oder?Viele Grüße

Sunset (25.02.2008)

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