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9 Seiten

Wunderwelt / Der Zug in die Kindheit

Romane/Serien · Fantastisches
Ich hätte nie gedacht, dass es sowas gibt: Eine Welt, die speziell für Kinder ist und in der Erwachsene nur als „Aufsichtspersonen an den Spielorten“ zulässig sind. Diese Erwachsenen müssen ganz viele Aufnahmeprüfungen machen, bevor ein Gremium von Kindern sich für eine Person entscheidet.

Aber vielleicht fragst Du Dich, lieber Leser, wie ich darauf gestossen bin.

Nun denn, dann möchte ich Dir das erzählen. Wie alle Menschen hatte auch ich das Bedürfnis, mich abends in mein Bett zu legen und zu schlafen. Und wie es so läuft,
fangen wir ja bekanntlich irgendwann in der Nacht an zu träumen und plötzlich finden wir uns in einer anderen Welt wieder. Wir befinden uns in einer Welt, in der es keine Regeln gibt und Unrealistisches plötzlich realistisch wird. Träume werden im wahrsten Sinne des Wortes wahr. Oft passen die Storys hinten und vorne nicht zueinander, aber trotzdem träumen wir weiter. Die Schwerkraft wird ausser Kraft gesetzt und plötzlich können wir ohne Hilfsmittel fliegen. Auch gibt es Träume, in denen wir immer zu den Siegern gehören. Mächte können uns nicht besiegen, weil wir auf der Seite des Lichts stehen. Wir werden klug und sportlich und können alles Mögliche auf die Füsse stellen. Wir werden all das, was wir uns im richtigen Leben nur erhoffen und erträumen können.
Und dann passiert das:
Gerade liegen wir noch im Bett und mit einem Mal sind wir in einer anderen Welt.

Auch mir ist das passiert. Ich schlief in meinem Bett ein und plötzlich veränderte sich meine Sichtweise, meine weltlichen Eindrücke, mein Blickwinkel, meine Umgebung. Dass ich im Bett lag, war vergessen und ich fing an, in den Träumen zu leben.
Ich wanderte in eine Welt, in der gerade eine alte Lok an mir vorbeifuhr. Eine Lok mit vielen Waggons. Es wurde ganz komisch um mich herum. Plötzlich und ohne Mühe war ich im Zug drin und ging als stiller Beobachter durch die Abteile und keiner hatte mich bemerkt. Alles veränderte sich: Das Wetter wurde schön und herrlich. Ein Sonnenschein, den ich nie vorher so bewusst wahrgenommen hatte. Die Farben sahen noch viel schöner und saftiger aus, als in der Welt, in der wir leben oder aus der wir kommen. Ich konnte den Sonnenschein und die Blumen regelrecht riechen. Ein Duft, der betäubend auf mich wirkte. Es roch nach frisch gemähtem Gras, Rosen und vielem mehr. Die Zugfenster war offen und ein angehmer Wind zog durch die Abteile. Vögel zwitscherten ihr schönstes Lied und Bienen summten und brummten um die Wette. Kurz: Diese Welt war einfach traumhaft schön!

Ich wanderte also durch den Zug und beobachtete die Menschen. Manche schauten voller Hass aus den Fenstern und atmeten tief ein und aus. Andere waren angespannt und ich fragte mich, was wohl in den Köpfen dieser Menschen vor sich ging. Einige hatten so einen Blick, den ich fast nicht beschreiben kann. Ein Blick voller Hoffnung, voller Erwartung, voller Vorfreude auf das Kommende. Ein Blick, der verriet, dass diese Menschen aufgeregt waren. Manche Menschen nagten nervös an ihren Fingernägeln und konnten nicht davon ablassen.
In manchen Augen glitzerte es verräterisch. Hey, die Leute hatten Tränen in den Augen. Manchmal sah ich, dass es Tränen der Freude waren. Allerdings gab es auch Tränen, die Trauer verrieten.

Unruhig schaute ich um mich und eine einzige Frage drehte sich ständig im Kreis: Wo bin ich und wohin geht die Reise?
Nachdem ich so meine Runden gedreht hatte und mir die Menschen angeschaut hatte, versuchte ich, einige Wortfetzen und weitere Eindrücke mitzubekommen und aufzunehmen. Und wisst Ihr, was mir bei meinem Streunen durch den Zug aufgefallen ist? Es waren lauter Erwachsene! Fast würde ich sagen, dass alle Altersklassen vertreten waren. Dabei dachte ich immer, dass Zugfahrten für Kinder eine Attraktion sind! Grosseltern schnappen sich die Enkelkinder, um ihnen das einmalige Erlebnis einer Zugfahrt zu gönnen. Eltern entscheiden sich für Zugreisen, obwohl ein Auto daheim in der Garage steht. Hauptsache, den Kindern gefällt das. Aber ich sah kein einziges Kind. Ich hörte kein einziges Kind weinen, quäken oder jammern. Kein Kindergeschrei und leider auch kein Kinderlachen ...
Könnt Ihr Euch vorstellen, wie es in meinem Kopf anfing zu rattern? Wo bin ich? Was mache ich hier? Was ist meine Mission? Warum ich und nicht eine andere Person? Warum bin gerade ich auserwählt, in diesem mysteriösen Zug mitzufahren? Wo sind denn die Kinder? Ich liebe doch Kinder und in meinen Träumen möchte ich eigentlich Spass haben und nicht die Gesichter der anderen studieren und mich mit griesgrämigen Erwachsenen rumschlagen. Ich hatte keine Antwort darauf und ich fragte mich, ob ich wohl je eine Antwort bekommen würde. Manchmal ist es ja so, dass wir träumen und uns am nächsten Morgen an keinen Fetzen mehr erinnern können. Das sollte bei mir nicht so enden. Ich würde mich dagegen wehren! Ich wollte wissen, warum ich hier bin und was meine Aufgabe ist. Somit versuchte ich, die Gespräche mitzubekommen, aber es gab keine. Stumm sassen die Leute auf ihren Plätzen und dachten nach. Keiner redete mit seinem Mitfahrer. Jede Person hing seinen eigenen Gedanken nach.
Wie sollte ich jetzt erfahren, in welchem Zug ich war und wohin die Reise ging?

Ich setzte mich zu einer Frau, so Mitte oder Ende der 30er Jahre, die äusserlich schon aussah wie eine Karrierefrau. Sie trug einen schicken grauen Hosenanzug, eine knallrote Bluse und schicke Pumps, die sicher nicht ganz billig waren. Edler Schmuck verzierte ihr äusserliches Erscheinungsbild. Auf der Nase trug sie ein nobles Brillengestell. Geschminkt war sie ohne Ende. Am Anfang dachte ich, sie wäre in einen Farbtopf gefallen oder hätte eine Maske auf. Beim näheren Hinsehen erkannte ich, dass sie einfach sehr auffällig geschminkt war. Knallroter Lippenstift und knallrote Fingernägel.
Ihr Blick war, ich kann es nicht anders beschreiben, verbittert, verhärtet, voller Hass. Wenn aus den Augen Feuer sprühen könnte, wäre ich verbrannt. So voller Hass waren sie. Verächtlich schaute sie aus dem Fenster. Sie konnte sich nicht an den wundervollen Farben und dem feinen Duft erfreuen. Sie sah nur grau in grau und vor allem schwarz in schwarz. Wenn diese Frau mir in der richtigen Welt begegnet wäre, wäre ich wohl schreiend vor Angst weggerannt. So eine Furcht hatte ich vor ihr.

Plötzlich wurde es mir wieder ganz anders. Ich hatte das Gefühl, langsam in einem Heissluftballon abzuheben und auf Wanderschaft zu gehen. Aber Halt! Ich wollte doch erfahren, was die Frau in diesem mysteriösen Zug machte und wer sie war. Ich wollte sie doch nicht schon verlassen!
Mit einem Mal hörte meine Wanderschaft auf und ich hatte das Gefühl, bombadiert zu werden, ohne dass ich mich schützen konnte.

Aber was flog mir da um die Ohren? Hatte ich überhaupt welche? Ich kam mir vor wie Luft und doch war ich irgendwie anwesend. Da erkannte ich, was mir um die Ohren flog. Es waren ganz viele Silben, Buchstaben und Sätze, die unsortiert um mich herum schwebten. Da ich schon angst hatte, meinen Kopf zu verlieren, wenn ich einen hatte, versuchte ich mich zu entspannen. Wie heisst es in unserer Welt? Cool down! Locker bleiben! Entspann‘ Dich! Nur mal den Ball flach halten! Immer wieder redete ich mir diese Worte ein und dann funktionierte es auch. Ich erkannte, dass ich nicht mehr direkt im Zug sass, sondern im Kopf der Frau war. Ich konnte ihre Gedanken lesen und verstehen, was sie fühlte und wie es ihr ging. Es war genau das, was ich mir gewünscht hatte. Ich konnte verstehen, was in ihrem Kopf vorging. Hören wir dieser Frau doch einfach mal zu:
„Warum musste ich so früh schon Verantwortung übernehmen? Meine Kindheit? Was ist das? Habe ich diese jemals kennengelernt? Nur, weil Vater und Mutter das grosse Geld machen wollten, blieb ich aussen vor und musste mich um die Kleinen kümmern. Windeln wechseln, Fläschchen geben, Trösten, die grosse starke Schwester spielen, obwohl ich mir selbst so klein und schwach vorkam. Dann Essen kochen, putzen, aufräumen, Wäsche waschen, still sein – nur keinen Mucks von mir geben, sonst sind Vater und Mutter gleich sauer und können sich nicht auf ihre Arbeit konzentrieren. Und zu allem haben Vater und Mutter erwartet, dass ich die besten Noten nach Hause bringe, damit sie stolz auf ihre Tochter sein können. Ich war ein Objekt zum Anschauen, zum Bewundern, zum Vorzeigen bei den Kollegen und bei den Verwandten. Liebe? Was ist Liebe? Ich kann es nicht beschreiben. Vater und Mutter zeigten mir nie, dass sie mich mögen. Sie haben mich nicht ein einziges Mal in den Arm genommen und wenn doch, dann war die Umarmung hart und kalt und - tot. Eine Umarmung, die vor den Kollegen demonstrieren sollte, wie harmonisch unsere Familie war ... und doch war sie es nur nach aussen. Ohne Besuch war es kalt in unserem Haus. Zeitweise gab ich mir Mühe, schöne Bilder zu malen, damit Mutter ein einziges Mal zu mir sagen würde: „Das hast Du aber schön gemalt. Ich freue mich sehr darüber und werde es sofort aufhängen, damit alle es sehen können.“ Nichts, gar nichts. Bekam sie ein Bild, sagte sie nur: „Schön“ und legte es achtlos auf einen Tisch, bis zum nächsten Aufräumen. Dann landete das Bild im Mülleimer. Keine Achtung, keine Wertschätzung, kein „Ich hab‘ dich lieb“. Wie soll ich da erfahren haben, was Kindheit ist? Oder was es heisst, ganz unbekümmert spielen zu können? Aus angst war ich reglos und steif. Ich hätte ja etwas falsch machen können, deswegen machte ich gar nichts. Ich sagte nur: „Ja, Mutter“. „Du hast recht, Vater“. „Ganz wie ihr es wollt“. „Ich werde immer ein braves und fleissiges Mädchen sein, damit ihr immer auf mich stolz sein könnt“. Hey, lebe ich überhaupt? Was soll ich von dieser Zugfahrt mitnehmen? Was soll ich lernen? Meine Kindheit kann mir niemand zurückgeben. Sie ist verloren. Hoffnungslos. Ich werde auch nie lernen, was es bedeutet, einmal spielen zu können. Ich brauche diese Reise doch nicht! Am liebsten will ich aussteigen! Und Kinder? Pah, die kann ich sowieso nicht ausstehen. Schreiende und keifende Bälger, die ohne Ende nerven. Nein danke! Und überhaupt bin ich in meinem Job doch ganz froh. Ich bin eine anerkannte und hochgelobte Person. Ein Aushängeschild der Firma. Da würden mir Kinder echt in die Quere kommen. Sie wären für mich ein Hindernis. Deswegen gehe ich ihnen am liebsten gleich aus dem Weg! Warum muss ich diese Reise antreten? Ich will doch nicht! Ich hasse alle und alles und vor allem hasse ich sowas wie Kinder!“

Mit einem sehr traurigen Gefühl verliess ich diese Frau. Es machte mich traurig und wütend. Sie tat mir auch leid, aber ich konnte ihr nicht helfen, denn ich war ja nur indirekt anwesend. Ein stiller Beobachter. Vielleicht auch ein Geist. Ich weiss es nicht.
Also wanderte ich weiter durch den Zug.
Da, ein alter weisshaariger Mann machte mich neugierig. Sein Blick war voller Melancholie. Teils bestand sein Blick aus Trauer, aus Hoffnung, aus einer bunten Mischung von Bedauern, Freude, sein Blick hatte auch etwas Schelmisches. Ähnlich wie ein kleiner Spitzbub, der das nächste Abenteuer ausheckt und voller Abenteuerlust ist. Ob ich es auch hier schaffen würde, seine Gedanken zu verstehen? Zu erkennen, was in ihm vorging? Ich setzte mich ihm gegenüber und versuchte mich in ihn hineinzudenken. Und tatsächlich. Meine Wanderschaft begann von Neuem.
„Jaja, das waren noch Zeiten, als ich Zuhause wohnte und mit meiner Familie auf dem grossen Bauernhof lebte. Was haben wir alles erlebt! Meine Brüder, meine Freunde und ich waren jeden Tag im Freien. Wir erlebten viel. Wir machten viel. Wir fingen Frösche, halfen bei der Ernte, wir erlaubten uns hier und da einen Streich. Schade eigentlich, dass die Jugend von heute so brav geworden ist. Ich kann mich noch erinnern, als wir in der Dämmerung durch die Strassen gingen. Das war zu der Zeit, als Strassenlaternen noch von Hand angezündet wurden. Den „Strassenlaternenmann“, wie wir ihn nannten, musste einiges mit uns durchstehen. Der beste Streich war, als wir ihn fragten, wieviel Uhr es wäre, denn wir müssten doch um eine bestimmte Uhrzeit nach Hause. Er holte seine Uhr aus dem Jacket („Nürnberger Ei“ nannten wir die Uhr an der Kette) und hielt seine Laterne daran, damit er die Uhrzeit besser erkennen konnte und genau in diesem Moment pusteten wir die Laterne aus, rannten weg und er stand im Dunkeln. Mensch, hatten wir Buben einen Spass. Noch Tage danach konnten wir darüber lachen. Die Begegnungen mit dem Laternenmann allerdings hinterliessen bei uns ein mulmiges Gefühl. Auch ärgerten wir gerne die Mädchen. Es gibt nichts Schöneres als eine Freundschaft unter Jungen. Alles haben wir geteilt. Wenn es Süssigkeiten gab, behieltern wir sie nicht für uns. Wenn einer eine Idee hatte, waren die anderen sofort dabei. Nie liessen wir uns im Stich und nie verrieten wir uns gegenseitig. Wir redeten stundenlang, manchmal auch nächtelang unter klarem Sternenhimmel im Feld. Wir tranken zusammen den ersten Schluck Bier, rauchten zusammen die erste Zigarette ... Doch, ich hatte wirklich eine sehr schöne Kindheit. Mein Vater brachte mir Vieles von der Feldarbeit bei und es war immer sehr schön, mit ihm auf die Jagd zu gehen. Schulpflicht gab es ja zu meiner Zeit noch nicht.
Und dann, eines Tages, die schlimme Botschaft: Krieg! Jeder Mann und jeder Junge wurde gebraucht. Ich weiss nicht mehr, ob ich 14 oder 16 Jahre alt war, als ich eingezogen wurde. Die Tränen in den Augen meiner Mutter, meiner Schwestern. Blicke, die fragten: „Werde ich dich je wieder sehen oder werde ich dich an den Krieg abgeben müssen?“ Von heute auf morgen gab es keine ausgelassene Kindheit mehr. Ohne Übergangszeit musste ich vom Buben zum Mann werden. Ohne Vorwarnung musste ich Verantwortung übernehmen und Stärke beweisen. Ich musste für etwas kämpfen, wovon ich nicht sehr viel Ahnung hatte. Von der Steinschleuder zum Gewehr. Als Kind konnte ich anderen Streiche spielen, plötzlich musste ich als Mann andere Menschen töten und auf sie schiessen. Ich hatte Angst. Riesige Angst. Werde ich zurückkommen? Werde ich meine geliebte Mutter, meine geliebte Heimat wiedersehen? Werde ich meine Freunde wiedersehen? Als Kinder waren wir unzertrennlich und nun mussten wir uns trennen. Mussten wir auch aufeinander schiessen? Ich hatte keine Ahnung. Andererseits kam ich mir so erwachsen vor. ICH wurde gebraucht, um mein Vaterland zu verteidigen! Ich war kein Kind mehr, sondern ein Mann! Ich würde die Welt von Ungerechtigkeit befreien. Ich würde ein Held der Nation werden! Alle würden zu mir aufschauen!
Mit einem Mal war meine Kindheit vorbei.“

Ich schlich mich davon und wählte eine andere Person aus.

Da war diese Frau. Eine Frau, so zwischen 50 und 60 Jahre. Ihre Ausstrahlung war umwerfend und faszinierend zugleich. Lebhaft ging ihr Blick hin und her und blieb dann an der wunderbaren Welt ausserhalb des Zuges hängen. Ihre Mundwinkel zuckten vor Aufregung. Ein fröhliches und erwartungsvolles Lachen verzierte ihr hübsches Gesicht. Sie muss eine sehr hübsche Frau in jungen Jahren gewesen sein. Im meine, auch jetzt war sie noch sehr schön, auch wenn das Alter seine Falten und Spuren hinterlassen hat. Die blauen Augen funkelten wie das Meer im Sonnenlicht.
Meinen Blick konnte ich fast nicht von ihr wenden. Magisch zog sie mich an und mit einem Mal konnte ich auch in ihre Gedankenwelt vordringen:
„Wenn ich heute sterben würde, könnte ich voller Überzeugung sagen, dass ich ein sehr schönes und wertvolles Leben hatte. Vielseitig und spannend zu gleich. Nie langweilig. Immer konnte ich sagen: Das Leben ist schön! Das Schicksal meinte es ebenfalls gut mit mir, sodass ich nie im Leid unterging. Meine Kindheit war ausgefüllt mit Erlebnissen, die mein Leben prägten. Immer hatte ich Leute an meiner Seite, die mir sagten, wie sehr sie mich mögen. Wie gerne bin ich durch den Wald gegangen und hörte dem Bach beim Plätschern zu. Auch pflückte ich so gerne Blumen. Unbekümmert rannte ich durch die Wiesen und ich wurde nie müde, meinen geliebten Mitmenschen mit einem Blumenstrauss eine Freude zu machen. Ich brauchte nicht viel! Solange ich Wald, Wiese und Wasser um mich hatte, konnte mir nichts mein Leben trüben. Vielleicht würde ich heute sagen, dass ich in der Natur Kräfte tankte, um mein Leben zu bestehen. Meine Kindheit war wirklich unbekümmert. Nie musste ich mir gross Sorgen um meine Zukunft machen. Meine Eltern waren ein sehr grosses Vorbild für mich. Aber sie haben mich nie davor bewahrt, meine eigenen Erfahrungen zu machen. Sie liessen mir die Freiheit. Sie sperrten mich nicht ein. Sie kontrollierten mich nicht, auch wenn sie trotzdem immer ein Auge auf mich hatten. Wie oft musste ich mir anhören, dass ich ein regelrechter Wildfang war und sie sich Sorgen machten, wenn ich den ganzen Tag über nicht zu sehen war. Es kam oft vor, dass ich vor lauter Natur nicht an die Uhrzeit dachte und plötzlich der Abend dämmerte. Wir haben sehr viele Ausflüge gemacht. Wanderungen, Spaziergänge, Radtouren. Picknick im Freien mit meiner besten Freundin. War das herrlich. Da wir uns fast jeden Tag sahen, ist eine sehr intensive Beziehung gewachsen. Spontan sammelten wir alle Essensvorräte zusammen und gingen raus in die Natur, raus ins Freie und suchten uns einen schönen Platz. Unser Lieblingsplatz war an dem kleinen Bach. Unter einem grossen Baum, der ins Wasser wuchs (wir nannten ihn „Elias“), befanden sich grosse Steine, auf denen wir uns ohne Probleme niederlassen konnten. Dann zogen wir Schuhe und Strümpfe aus und liessen unser Füsse ins Wasser hängen. Diese Erfrischung im heissen Sommer tat uns gut. Dann schnatterten wir wie die Enten, weil es ja jeden Tag soviel zu erzählen gab. Wir tauschten Erlebnisse und Eindrücke aus. Wir erzählten uns unsere geheimsten Träume und Wünsche. Jede neue Schwärmerei wurde der anderen brühwarm erzählt. Nie liessen wir die kleinste Kleinigkeit aus. Hm, ob es heute wohl noch solche Freundschaften gibt? Freundschaften, die in frühester Kindheit entstanden und wirklich bis zum Lebensende halten? Freundschaften, in denen es keine Tabus gibt? Meine Kindheit war sehr reich. Nicht von der finanziellen Seite aus. Im Gegenteil. Wir hatten immer das Nötigste zu leben und zu besonderem Luxus reichte es fast nicht. Aber wir hatten uns. Die Familie, die Freundin, die Natur. Schätze, die man mit Geld nie zahlen könnte. Schätze, die das Leben prägen. Schätze, die ermutigen und aufbauen. Die Liebe war erste Priorität und die Achtung voreinander. Was wäre meine Kindheit ohne diese Schätze gewesen? Wahrscheinlich wäre sie tot gewesen. Leblos. Trostlos. Hoffnungslos.
Ich bin sehr gespannt, was ich auf dieser Reise entdecke. Ob ich etwas aus meiner eigenen Kindheit wiedererkenne? Was werde ich erleben und empfinden? Meine Erwartung übersteigt alle Erwartungen! Ich freue mich, diese Reise antreten zu dürfen. Diese Reise in die Kindheit. Ist es meine Kindheit? Ist es eine andere Kindheit? Gibt es eine allgemeine Kindheit? Eine Kindheit, die jeder gleich erlebt und eine Kindheit, in der jeder das gleiche fühlt? Welchen Menschen und Charakteren werde ich begegnen? Wird es mir nach dieser Reise schwerfallen, zurück in die Gegenwart zu kommen? Wird diese Reise bereichernd für mich sein? Werde ich noch lernen können? Ich komme mir vor wie ein Kind, dass vor lauter Neugierde fast platzt. Hoffentlich kommen wir bald an!“
 
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