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3 Seiten

Baaras Freundin

Nachdenkliches · Kurzgeschichten
© Holmes
[Es waren ihre Schwingen, die alle Kinder verzauberten, diese weiten, weichen Flügel, die alle Blicke auf sie zogen. Dass man sie nicht sehen konnte spielte dabei keine Rolle, denn man sah ihr an, dass sie Schwingen haben musste. Die Augen tief wie der klarste Brunnen und ebenso still, faszinierend wie ihre zarte Haut, hell und rein, sie konnte wirken wie ein Luftzug, wenn sie an einem vorbeihuschte. Sie roch nach Sonne, nach Ruhe und Blumenwiesen, als wäre sie der personifizierte Sommer, der heute kaum noch über die Länder zieht. ]

Sie saß auf einem Geländer im Spreebogenpark und ließ die Beine im Wind baumeln, ihre blonden Haare wehten sanft um ihren Kopf. Ein Krächzen ließ sie in ihrer Bewegung innehalten, und sie blickte sich um.
?Baara? Ach da drüben sitzt du. Komm doch her!?
Der Rabe saß auf der gegenüberliegenden Seite und krächzte leise vor sich hin. ?Komm du doch. Du hast Beine, benutze sie!? - ?Aber du bist doch viel schneller als ich...? - ?Quengelliese.?
Seufzend sprang sie vom Geländer und wechselte über den Fluss hinweg zum anderen Ufer.
?Achje, war das jetzt weit! Faules Tier, du!? Sie stuppste ihn leicht an, sodass er beinahe das Gleichgewicht verlor, kletterte auf das Geländer und balancierte mit weit ausgebreiteten Armen.
?Lass das doch?, krächzte er, ?du ewiges Kind, benimm dich mal deinem Alter entsprechend.?
?Ich habe keines, du altes Federvieh. Und tu' mal nicht so ausgewachsen, auch du bist ewig. Ich verstehe nur nicht, warum du dich für ?ewig erwachsen und todernst? entschieden hast.? Sie sprang auf den Weg.
?Weil ja irgendjemand auf dich aufpassen muss, Kindchen. Und jetzt komm, wir müssen los.? Baara sprang auf ihre Schulter und zupfte an ihrem Ohr. ?Wieder eines.?
?Wohin geht es denn diesmal?? - ?In die Charité. Sie ist fünf Jahre alt.? - ?Das macht es etwas leichter, je weniger sie wissen, desto schöner ist es. Also los. Weit ist es ja nicht.?

Unterwegs schwiegen sie. So einfach diese Aufgabe nun auch werden sollte, war sie trotz allem unangenehm, jedes Mal auf's Neue.
Sie wichen all den Fußgängern aus, die an diesem hellen Sonntag spazierengingen, und nun von einem duftenden Lufthauch gestriffen wurden. Leichtfüßig wählte sie einen Zickzackkurs zwischen all ihnen hindurch.
Erst die leuchtenden Augen eines kleines Jungen rissen sie aus ihrem Schweigen. Er stand an das Bein seiner Mutter geklammert, die sich eifrig mit einer anderen Frau unterhielt.
Sie kniete sich neben ihm auf das Pflaster, um auf seiner Augenhöhe zu sein. ?Na du süßer Knirps? Du bist aber groß, wie alt bist du denn?? Der Kleine starrte sie an, reagierte nur langsam, als würde er dieser seltsam blassen Kindfrau nicht vertrauen wollen. Dann streckte er seine rechte Hand aus und knickte den Daumen ein. ?Vier Jahre, so alt bist du schon. Dann bist du ja schon fast ein Großer.? Sie wuschelte ihm durch das blonde Haar. ?Aber ich muss weiter.? Sie stand auf und klopfte sich den Staub ab. ?Wir sehen uns bald wieder, aber vermutlich kennst du mich dann schon nicht mehr. Bis dann!? Sie schenkte ihm noch ein Lächeln, bevor sie sich umdrehte.
Sie setzte ihren Weg entlang der Straße fort, bog kurz darauf zur Charité ab.
?An der üblichen Stelle, denke ich mal...? Baara krächzte ein leises ?Ja? als Bestätigung und erhob sich in die Lüfte. ?Viel Spaß in deinem Baum, Krächzer, möchtest wohl heute nicht mit?? - ?Nein, heute nicht. Auch wenn es wohl nicht so schlimm wird wie das letzte mal.? - ?Nein, vermutlich nicht. Aber ich verstehe dich. Also, bis später.?

Die übliche Stelle war das Krankenbett, vor dem die Eltern aneinander geklammert saßen und weinten. Sie ging leise um das Bett herum und berührte das junge Mädchen im Bett. Der haarlose Kopf verriet ihr, was vor sich gegangen war, so dass sie nicht fragen musste. ?Lisa?? Das Kind schlug die Augen auf. ?Da bist du ja?, lächelte sie, ?komm, ich soll dich hier abholen.? Lisa brauchte noch einen Moment, um wach zu werden, doch dann setzte sie sich auf.
?Wie geht es dir, Kleine?? - ?Mein Kopf tut garnicht mehr weh. Aber... Mama, Papa, warum weint ihr denn? Mama? Sag doch was, Mama!!? Lisa versuchte, nach ihrer Mutter zu greifen, doch glitt sie durch deren Arm hindurch.
?Achje. Lisa, hör mir mal zu. Deine Eltern sehen dich nicht. Sie sehen auch mich nicht, denn du träumst nur. Du hattest doch bestimmt schonmal Träume, nicht wahr?? Sie legte einen Arm um das Kind. ?Weißt du, du bist so tief eingeschlafen, dass du nie wieder erwachen wirst. Dagegen kann ich leider nichts tun, ich kann dich nur in das Traumland bringen,und ich glaube, da wartet dein Bruder auf dich. Aber du wirst deine Eltern bestimmt irgendwann wiedersehen.? - ?Bastian ist auch da?? Die Kinderaugen wurden groß. ?Natürlich, Kleine. Aber nun komm, sag auf wiedersehen und komm.?
Lisa kletterte aus ihrem Bett und gab ihrer Mutter einen Kuss auf die Wange, wischte einen Träne weg. ?Nicht weinen, Mama, ich schlafe doch nur. Papa, halt Mama bitte ganz, ganz fest. Ich gehe zu Bastian, weißt du? Ich werde Bastian wiedersehen!!? Die Kleine lächelte über das ganze Gesicht. Wie lange war es wohl schon her, dass sie eine Lächelnde begleiten durfte? Sie erinnerte sich schon nicht mehr.
?Wann hast du denn Bastian das letzte mal gesehen?? - ?Das ist noch garnicht lange her, wir haben ihn im Winter zum Bahnhof gebracht, er ist zur Oma gefahren. Ist Oma auch da?? - ?Nein, ich glaube noch nicht. Aber sie kommt bestimmt auch dahin. Du wirst irgendwann all deine Freunde und deine Familie im Traumland wiedersehen, das wird dann bestimmt ein großes Fest. Aber komm, Bastian wartet schon so lange.?
Lisa warf einen letzten Blick zurück zu ihren Eltern und schniefte tapfer.
?Keine Angst, du wirst sie wiedersehen.?Sie nahm das Mädchen an der Hand und zog sie mit sich, durch die Tür hindurch hinaus auf den Krankenhausgang. ?Du brauchst keine Angst haben, wenn wir gleich durch das Tor gehen, es tut nicht weh. Es fühlt sich nur einen Moment lang komisch an. Halt dich an mir fest, wenn du dich fürchtest.?

Die Hand der Kleinen verkrampfte sich kurz, als sie mit ihr durch das große Fenster sprang, doch ging dieser Augenblick schnell vorbei, als beide im Licht ertranken.

Baara spürte diesen ihm mittlerweile gut bekannten Lufthauch und krächzte leise. ?Bis gleich, kleine Thanatos. Bring sie gut hinüber.?



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Kommentare  

Danke ^^

Es begann alles mit diesen Zeilen, die Geschichte entstand erst nach und nach. Ich habe mal wieder ohne Idee angefangen zu schreiben ^^""


Holmes (03.01.2008)

Mit den ersten paar Zeilen konnte ich nicht soviel anfangen, die Beschreibungen fand ich ein bißchen klischeehaft ("zarte Haut, hell und rein", "blonde Haare wehten sanft"), aber ab dem ersten Dialog entfaltest du eine wirklich schöne Geschichte, die sich angenehm und flüssig lesen lässt. Das macht die eingangs erwähnte klischeehaftigkeit einiger Beschreibungen absolut vergessen, denn im Gesamten wirkt der Text absolut rund.
lg
Christian


Chrstian Hoja (03.01.2008)

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