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Der Sommer kommt immer wieder, und Kalle ...?

Nachdenkliches · Kurzgeschichten · Sommer/Urlaub/Reise
© jo Lepies
Der Sommer war zurückgekehrt und mit ihm Kalle. Auch dieses Mal brachte sein schmales Gesicht neue Falten mit. Da wollten auch die Zähne nicht zurückstehen. Zwei untere Schneidezähne hatten sich im letzten Winter verabschiedet. Die verbliebenen glänzten dafür jetzt noch eine Spur gelber.

Vornübergebeugt saß der alte Mann bei den Einkaufswagen des neuen Supermarktes und betrachtete die Menschen, wie sie hastig oder gemächlich an ihm vorüberzogen. Neben sich, sein abgewetzter, speckiger Lederhut, in dem auch schon mal ein Fünfeuroschein landete. Da ist sie ja wieder, die große, hagere Frau mit dem quengeligen Jungen. Jetzt werde ich wieder für eine Weisheit der jungen Mutter herhalten müssen.
„Der lebt auf unsere Kosten“, belehrte die Frau den Buben, „dass du mir ja immer ordentlich in der Schule bist. Sonst geht's dir wie dem da.“

Als Kalle diese Belehrungen vernommen hatte, verwandelten sich seine Lippen in einen schmalen Strich, und seine Mundwinkel bogen sich noch weiter nach unten.
War ich nicht immer ein guter Schüler gewesen und danach viele Jahrzehnte ein gefragter Handwerker? Natürlich! Aber dann wurde ich Opfer eines Finanzhais. Durch diesen verlor ich alle Früchte meiner Arbeit. Und bei der Stellensuche erst - nicht geeignet! Zu alt!

Die Einzigen, die Kalle noch willkommen hießen, waren die Straßen, die Plätze und Parks der Stadt. Und weil er nun gerade Erinnerungen nachhing, zog er auch gleich mal wieder Bilanz.
Nie habe ich wieder eine schöne Frau in den Armen gehalten und geküsst. Ob man mich wohl beneidet hätte? Oder beglückwünscht? Und Kinder? Nie gehabt! Oder wie sehen Palmen aus? Wie Oliven- und Orangenbäume? Auch das Kreuz des Südens hätte ich gerne mal gesehen, jenes Sternbild am Himmel der südlichen Erdhalbkugel.

Ähnliche Gedanken hatte Kalle schon öfters in seinem Leben. Immer im Herbst, wenn Flüsse dampften. Wenn die Konturen der Umwelt vor seinen Augen unscharf wurden. Wenn sich im Nebel Kontraste auflösten. Wenn er, ständig vom Regen durchnässt, darum betete, seine Verzweiflung möge sich in Hoffnung verwandeln. Dann spürte er nur immer das alte und bekannte Gefühl in sich: Traurigkeit! Im Gegensatz zu früher wollte dieses Gefühl eines Tages aber nicht mehr von Kalle weichen. Muss ich bald von dieser Erde gehen ...? Aber doch nicht schon mit fünfzig!
Und so hob er an diesem runden Geburtstag wieder die Rotweinflasche an seine trockenen und rissigen Lippen. Trank so gierig, dass der Wein wie Blut auf seine schmerzende Brust tropfte. Dabei war ihm, als wenn sich eine riesige Wunde auftäte, aus der sich sein Leben herausstemmte.

Soll es doch verschwinden, das Leben, wenn es nicht mehr bei mir bleiben will. Aber vielleicht habe ich nach meinem Abgang, heute, morgen oder übermorgen, doch noch Glück. Würde dann in den Gedanken der Zurückgebliebenen gesellschaftlich aufsteigen. Erblasser sein, durch den letzten Fünfeuroschein, den ich auf jeden Fall in meinem alten, speckigen Lederhut zurücklassen werde.

© 03.09.2006 joLepies
 
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Kommentare  

Hallo Christian Hoja, hallo Middel,

herzlichen Dank dür eure Kommentare.

Viele Realitäten könnten geändert werden, wenn diejenigen, die sie ändern könnnte es nur wollten.

lg

joLepies


jo Lepies (31.01.2008)

Hm, zwar mag es sich um eine "vereinfachte" Realität handeln, wie Middel anmerkt. Aber die Komplexität der Realität vereinfacht darzustellen, um durch diese Simplifizierung auf gewisse Umstände und Gegebenheiten hinzuweisen, halte ich für ein gerechtfertigtes und sinnvolles Stilmittel, dem du dich mit dem Text sehr überzeugend bedienst. Ernste, nachdenkliche Texte müssen ja nicht zwangsläufig so verkopft sein, dass man sich ihren Sinn erst mühsam erschließen muss.
Gelungen!
Gruß
Christian


Chrstian Hoja (30.01.2008)

Wenn die Realität so einfach wäre, wie in deinen Texten, wäre es ein Leichtes, sie zu ändern ... nur leider ist das Leben nicht so einfach.

Middel (28.01.2008)

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