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3 Seiten

Des Waldes Traum

Fantastisches · Kurzgeschichten
Die Suche nach dem Seelenpartner, nach der großen Liebe, gestaltet sich gleichsam schwierig wie die Suche nach dem heiligen Gral. Für mich gibt es diese Suche natürlich auch, aber gerade als ich begriffen hatte, dass eine Suche nur in Frustration endet, fand mich ein Traum.

Jeder kennt das. Nach einem langen Arbeitstag, der unaufhörlich an unseren Nerven knabbert, fällt man ins Bett und will seine Gedanken nur noch ins hintere Eck seines Bewusstseins schieben und sich einer traumlosen Nacht hingeben.
So hätte ich mir das vorgestellt, doch mein Bewusstsein wollte mich unbedingt quälen.

Am frühen Abend gehe ich gerne spazieren. Mein bescheidenes Haus grenzt an einen wunderschönen Mischwald dessen Duft meine Sinne ganz besonders berührt und dessen tierische Bewohner mir beinahe aus der Hand fressen. Ich arbeite an dieser Annäherung. Eine zu schnelle Bewegung, ja nur ein unbedachter Wimpernschlag und das Tier ergreift die Flucht. Ob es mir je wieder vertrauen wird und Futter von mir nimmt? Gewinnt die Angst die Oberhand, die Neugier oder der verlockende Duft des Futters?
Während mich solche Gedanken begleiten, wandert mein Schatten immer tiefer in den Wald hinein. Bald fühle ich den weichen Waldboden unter meinen Füßen. Dieses Mal führt mich also mein Spaziergang weiter als üblich. Ein junger Mann kommt mir entgegen. Er grüßt mich freundlich, obwohl wir uns nicht kennen, winkt mir mit einem Korb voller Blätter und Pilze, auf die er offensichtlich stolz ist, zu und der Wald spuckt ihn hinter mir gleich wieder aus. Das alles dauerte nur einen kurzen Augenblick, reichte aber, mir für längere Zeit ein wärmendes Lächeln ins Gesicht zu zaubern.
Wieder alleine, setze ich meinen Weg ins Ungewisse fort. Schön, auch einmal ohne Ziel und Eile Zeit für sich selbst zu haben.
Jetzt bin ich wirklich allein und bleibe stehen. Mit geschlossenen Augen strecke ich meine Hände gen Himmel und fühle mich neu geerdet, verbunden mit der Natur. Dann dort, ein Rascheln! Genauer hingesehen, lehnt dort am Baum ein Mann und schaut zu mir her. Meine Güte, den habe ich zuerst nicht gesehen. Hat der mich beobachtet? Der denkt sicher, ich bin nicht ganz dicht! Na toll, das war´s mit meinem Ausflug. Eigentlich will ich schnell wieder nach Hause laufen, schaffe es aber nicht mich zu bewegen. Da kehrt mir der Mann den Rücken zu. Langsam dreht er seinen Kopf zu mir und wirft mir einen Blick zu, der erschreckend und verführerisch zugleich auf mich zurast. Nein, ich kann nicht umkehren. Vorsichtig und fast in Zeitlupe mache ich einen Schritt auf ihn zu. Ohne zurückzusehen beginnt der Mann schneller zu gehen, tiefer in den Wald hinein. Alle Mütter und Großmütter dieser Welt versuchen mich mit unsichtbaren Händen und stummen Schreien aufzuhalten, aber meine Vernunft und meine Sehnsucht haben die Plätze getauscht. Aufgeregt und neugierig laufe ich dem Mann hinterher. Sein Gesicht konnte ich vorher nicht genau erkennen, seine Gestalt nur eine wage Vermutung, aber eindeutig ein Mann. Mit einer dunklen Hose und einem geöffneten weißen Hemd, mit halblangen offen getragenen Haaren und vor allem mit seiner stolzen Haltung hätte auch der böseste Dämon mein Herz erreicht und mich zu ihm locken können. Wer ist dieser Mann und was will er von mir? Hat sich die Suche für mich doch gelohnt? Will er mir etwas zeigen? Will er mir weh tun? Einfach gehen. Muss gehen.
Immer wieder bleibt er stehen und dreht sich langsam zu mir um, nur um mir ein erneutes eindringliches Lächeln zu schicken, das mich jede Angst und Vorsicht vergessen lässt. Etwas außer Atem lehne ich mich kurz an einen Baum. Er fühlt sich sonderbar weich an und beim genaueren Betrachten sieht er fast menschlich aus. Manchmal kann ich auch im Mond ein Gesicht erkennen, oder manche Wolken scheinen Gestalt anzunehmen, also warum soll ein Baum nicht auch ein Bild in mir auslösen. Meine Familie und meine Freunde meinen ohnehin, dass ich mehr in der Realität leben sollte und meine Fantasie bremsen sollte. Das ist der Moment, wo ich beschließe mir neue und wahre Freunde zu suchen, und meine Familie mit kritischeren Augen zu sehen. Vorausgesetzt ich überlebe diesen sonderbaren Trip hier.
Irgendwie unwohl stoße ich mich von dem Baum weg. Mein Kleid bleibt an seiner Rinde hängen. Komisch, versucht mich der Baum aufzuhalten? Er macht mich traurig und wütend, aber ich weiß nicht warum. Ein Gefühl von Mitleid überkommt mich. Schnell weg, schnell weiter. Doch wo ist mein Traummann hin? Ich kann ihn nicht mehr sehen. Eine Welle von Emotionen presst mir Tränen aus den Augen und lässt mich laut aufrufen. Da! Da vorne ist er ja. Er hat auf mich gewartet. Schneller als zuvor laufe ich zu ihm. Jetzt weiß ich es. Mein Schicksal ist besiegelt. Meine Suche ist zu Ende. Liebster, fang mich auf, ich bin dein………………
Der Wald wird heller. Bald sind wir bei der großen Lichtung. Ein wunderschönes Plätzchen um zu lesen, den Himmel anzulächeln und die Gedanken zu ordnen. Wie oft schon war ich da. Heute aber, bald aber, werden wir zu zweit hier sein. Warum bleibt er nicht stehen?
Ein kleines Stück noch, dann macht mein unbekannter Liebster Halt. Als er sich zu mir umdreht, schnürt mir ein unsichtbares Seil die Kehle zu. Sein Gesicht vereint all meine Träume, Sehnsüchte, Wünsche, Hoffnungen. Wieder kühlen Tränen meine aufgeregten Wangen. Zum ersten Mal bewegt er sich auf mich zu. Sein Lächeln wird immer lieblicher und zugleich gefährlicher. Am Waldesrand bin ich stehen geblieben. Vor mir zum Greifen nah mein Herz, meine Seele, mein Mann. Meine Hände strecken sich ihm automatisch entgegen um sein Gesicht zu berühren. Es fällt mir sehr schwer. Ich fühle mich schwer. Mein Körper kann sich nicht mehr normal bewegen. Meine Beine entfremden sich von mir. Meine Tränen bahnen Furchen in meine Haut, fallen zu Boden und benetzen meine Füße. Ich muss beim Laufen die Schuhe verloren haben. Meine nackten Füße versinken im Waldboden, beginnen sich zu verwurzeln, suchen Halt und finden ihn. Fühlen sich wohl in der Erde. Beine, Körper, Hände, bis zum Kopf saugen sich voll mit Energie aus dem Wald, werden eins mit den Bäumen, werden zu einem Baum. Ich fühle einen Baum in mir. Ich bin ein Baum. Mein Gegenüber strahlt mich zufrieden an. Er streicht mir sanft über mein erstarrtes Gesicht, küsst mir meine letzte Träne vom Kinn und löscht mein letztes Lächeln.
Gefühle sind nun bedeutungslos. Meine Augen sehen klarer denn je. Alle Bäume neben mir, alle Bäume im Wald haben denselben Blick. Ich erkenne mich in ihnen wieder. Ihre Äste sind versiegte Lebensquellen, ein letztes Winken, der letzte Versuch einer Umarmung. Ich bin eine von euch, eine verliebte Seele, ein junges Mädchen voller Träume. Wir alle sind ihm gefolgt, haben ihn gesucht. Aber er hat uns schließlich gefunden.
 
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Kommentare  

Eine wirklich tolle Kurzprosa.

doska (22.05.2009)

Und diese Kurzgeschichte hier ist sogar spitzenmäßig.

Jochen (15.03.2009)

Ein etwas unheimliches Märchen in wunderschöne sehnsuchtsvolle Worte gefasst. Gut geschrieben.

doska (04.08.2008)

ich glaube auch, dass es den idealen lebenspartner nicht gibt, aber träumen kann man ja...
du hast dieses dilemma sehr gut und vor allem poetisch gelöst. erlöst? ;))
lieben gruß


Ingrid Alias I (31.07.2008)

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