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3 Seiten

Schattenspiele

Nachdenkliches · Kurzgeschichten
Vorher…
November.
Der erste Schnee fällt zu Boden und die Kälte legt sich so sanft auf die Welt, wie ein seidenes Tuch auf einen jungfräulichen Mädchenkörper.
Und er steht hier am Fluss der Dinge, sie nehmen ständig ihren Lauf. Das Wasser klar, er kann den Grund sehen, dass Spiel aus Licht und Schatten…
Wie Figuren entstehen, den Bruchteil einer Ewigkeit tanzen und springen, um doch einen Augenblick später wieder zu vergehen.
So, wie der Flug einer Schneeflocke. Wunderschön und zerbrechlich zugleich.
Weiter sieht er in die Ferne, dorthin, wo dunkle Wolken über dem sich windenden Wasser stehen. Es fröstelt ihn und er geht, verlässt den Ort der Stille und Schattenspiele.
Doch etwas nimmt er mit.
Erkenntnis
Die Zeiten ändern sich…
Bald wird sein letzter Winter kommen…

Gestern…
Schatten spielen an der morschen Holzwand der Baracke. Die Zweige und Äste der beinahe kahlen Herbstbäume werden durch das blasse Mondlicht ans moderige Holz geworfen. Er sieht ausgezehrte Figuren tanzen, spielerisch bewegen sie sich in stummer Musik.
Fröhlich und unbeschwert.
Doch sind sie trügerisch die Schatten.
Lügner.
Weil sie doch nur den Tod bringen.
Und mit jeder Sekunde die verstreicht, mit jedem lautlosen Tanz der vergeht, rückt das Ende näher.
Die Tür der Baracke ist offen. Niemals wird sie des Nachts verschlossen, weil doch eine Flucht sinnlos ist.
Weil draußen die Wachen stehen und jeden, der versucht zu fliehen, auf der Stelle erschießen. So sind die Befehle und diese werden mit Eifer und Freude ausgeführt.
Und die Schatten tanzen weiter im kalten Wind.
Spielen ihr verlogenes Spiel.
Die Anderen schlafen, weinen im Traum oder zittern vor Kälte.
Es ist Anfang November und der erste Schnee nicht mehr weit. Doch er wird ihn nicht mehr erleben, da ist er sich ziemlich sicher. Schon viele Winter hat er erlebt und bis vor einigen Jahren hatte er gehofft, das noch Einige folgen würden.
Aber die Zeiten ändern sich…
Dies wird sein letzter Winter sein.
Seine letzte Nacht.
Ein bitteres Lächeln umspielt seine rissigen Lippen und die Falten im Gesicht machen ihn noch viel älter, als er in Wahrheit ist.
Vorbei, sein Leben ist vorbei.
Ausgelebt.
Er weiß nicht, ob er lachen oder weinen soll.
Eigentlich ist es egal.
Belanglos.
Er entscheidet sich für Ersteres und kichert in sich hinein. Keiner wacht davon auf. Vielleicht sind einige von ihnen schon gestorben, wäre gut möglich.
Die haben’s wenigsten hinter sich.
Wieder umspielt ein bitteres Lächeln seine Lippen, doch diesmal begeleitet eine Träne seine Gefühle.
Und die hageren Gestalten an der Wand tanzen weiter, diesmal jedoch langsamer.
Nachdenklich scheint sie, die Prozession aus Licht und Schatten.
Er selbst ist genauso hager wie die fanatischen Knochenwesen an der Wand, nur ist es bei ihm grausame Realität.
Doch er hat sich damit abgefunden, musste sich damit abfinden. Wie jeder andere seiner Art auch.
Er denkt nach…
Bürger zweiter Klasse.
Nein schlimmer: Unwürdig.
Kaputtgemenscht.
Untermensch.
Unterart.
Dumme Worte von dummen Menschen.
Und trotzdem sind sie die Herren…
…warum auch immer.
Herren über Leben und Tod.
Götter?
Unterordnung und Gehorsam ist alles was sie kennen.
Ihre Ideale.
Eigenständiges Denken und Anders Sein, strengstens verboten.
Wer anders denkt, ist ein Feind.
Unwürdig…
Untermensch…
Und am Ende…
…nur noch grauer Rauch.
Eine Träne trübt seinen Blick, macht alles verschwommen… auch die Schatten.
Diesmal fehlt sein Lächeln.
Und plötzlich steht jemand in der Tür, sein Körper füllt die Öffnung fast gänzlich aus. Er kann das blonde Haar des Mannes sehen und das SS- Zeichen an der Schulter.
“Schlafenszeit.”, sagt der SS-Mann in harschem Ton.
Keiner wacht davon auf, sicher sind Viele schon tot.
Er dreht sich zu dem Schattenspiel um. Es ist verschwunden, weil der massige Körper des Deutschen das Einfallen des Lichts verhindert. Er dreht sich wieder um und lächelt den SS-Mann an. Es ist kein fröhliches Lächeln, vielmehr wirkt es gezwungen und herausfordernd.
“Meine Zeit ist schon längst vorbei.”, krächzt er und lächelt den blonden Mann weiterhin bitter an. Keinen Wimpernschlag später zieht dieser eine Pistole und drückt ohne zu zögern ab.
Der Knall ist das Letzte, was er hört.
Und er wusste, das es so kommen würde, war es doch einzige Ausweg. Der einzige Schritt in die Freiheit.
Schwärze umschließt ihn und er spürt seinen Körper zu Boden sinken.
Die Kontrolle über seinen Leib verloren, lebt sein Geist noch einige Sekunden weiter.
Die Zeiten ändern sich…
…sind ständig im Wandel.
Und dieses Wissen lässt ihn mit einem Lächeln auf den Lippen sterben.
Ungezwungen.
An alle Frauen und Männer, egal welcher Herkunft:
Der Rauch ist grau…
Und an der morschen Holzwand der Baracke tanzen die Schatten weiter. Solange bis der Morgen graut.
Blutrot.
Die Zeiten sind im Wandel…
Immer…

Heute…
Nun sitze ich hier und schreibe diese Worte. Noch ist die Kerze nicht herab gebrannt, noch immer scheint ein letzter Fetzen Licht auf das Papier.
Die Augen schwer wie Blei, doch die Gedanken nehmen weiter ihren Lauf.
So wie immer…
Draußen vor dem Fenster tanzen Schneeflocken und weiter hinten sehe ich im Weiß den Schatten eines Mannes. Sein Gesicht kann ich nicht erkennen, doch ich weiß, das er schon sehr alt ist. Und er lächelt, lächelt in die Welt hinein.
Weil er recht hatte…
…einst…
…und recht hat…
…heute…
Die Zeiten sind im Wandel…
Immer…
Und vor meinem Fenster tanzen die Schneeflocken und lassen den Schatten des Mannes verschwinden.

Morgen…
Einst stehe ich weit oben an einer Klippe und schaue hinunter ins weite Land. Sehe den ersten Schneeflocken zu, wie sie tanzend im Sonnenuntergang ihre Reise beenden.
Durch die Wolken fallen sie hindurch, die den Blick auf das darunter liegende Land verwähren. Und wenn die Sonne verschwindet und die Wolken hinfort ziehen, dann werde ich es sehen.
Das Spiel aus Licht und Schatten.
Den Wandel der Zeit.
Einst…
Ja einst…
… im Schattenspiel.
 
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Kommentare  

Danke Alice. Freut mich, wenns dir gefällt.
LG


gedanke.in.ketten (16.11.2008)

oh noch was vergessen... lg ... ^^

Alice Misery (16.11.2008)

die zerbrechlichkeit einer Schneeflocke, im vergleich zu dem dahin schreitenden leben, ist ein schöner vergleich...
wenn man weiß und erkennt, das fliehen keinen sinn hat, ist es jedoch immer schwer, diesen Wandel der Zeit zu akzeptieren oder zu verstähen. Die Verzweiflung und die Hoffnung zugleich ist in diesen Gedicht stark zum Vorschein gekommen.. einfach zum träumen >.<


anonym (16.11.2008)

Danke für den Kommentar Tintenkleckschen.
Hab den Fehler geändert.
LG


gedanke.in.ketten (15.11.2008)

Stimmt sehr nachdenklich, die Geschichte.
Kleiner Fehler:
Weil sie doch nur den Tot bringen.
Herren über Leben und Tot.
"Tot" ist in diesem Fall ein Substantiv und schreibt sich deshalb "Tod".


Tintenkleckschen (15.11.2008)

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