305


11 Seiten

Fasura

Romane/Serien · Schauriges
Mit einer ruhigen Bewegung teilte sie den schweren Vorhang, trat geräuschlos durch die Öffnung. Hinter ihr fiel er in seine alten Falten. Ohne Hetze querte Fasura die Halle. Das lange, weich fallende Gewand aus gesponnenen Silberfäden streichelte ihre Beine bei jedem Schritt, legte sich zärtlich über ihre weibliche Figur. Ihre Füße trugen weiche Sandalen, die auf den großen Steinquadern keine Geräusche verursachten. Das schräg durch die Fenster einfallende Licht der aufgehenden Sonne erreichte nur wenige der Steine. Die Größe der Halle konnte nur erahnt werden, lag der größte Teil beständig im Schatten.
Fasura erreichte die Bronze beschlagene Tür. Nicht ganz mühelos öffnete sie einen der schweren Flügel, musste zum Erreichen der Klinke sogar noch über ihren Kof greifen. Warme, feuchte Luft strömte in das Innere der riesigen Halle, verdeutlichte ihr, wie kühl es innerhalb der dicken Mauern war.
Die Luft war gefüllt mit den vielstimmigen Geräuschen des beginnenden Morgens. Vogelgesang aus den nahen Wäldern erreichte sie ebenso wie das beständige Knarren der großen Wasserhebeanlagen. Sie vernahm das lustvolle Brüllen eines paarungswilligen Baumaffen ebenso wie das schmerzverzehrte Stöhnen der Sklaven auf den Reisfeldern gleich am Sockel der Tempelanlage.
Der leichte Wind trug ihr alle Geräusche über die einhundertundelf Treppenstufen hinauf.
War es wirklich der Wind, oder verbesserte das Elixier ihres Vaters die Sinne?
Tief sog Fasura die würzige Morgenluft ein. Ein warmes Lächeln zeichnete sich in ihre Züge, ließ sie sich einmal um sich selbst drehen. Sie fühlte sich leicht, befreit von dunklen Lasten, die sie am Boden fesselten.
'Würde ich fliegen, könnte ich das Land unter mir vorbei gleiten sehen. Das Land, das ich bald, sehr bald, als das Meine benennen darf.'
Lachend trat sie wieder in die große Halle, schob die Tür hinter sich ins Schloss. Hinter dem Vorhang betrat sie die geheime Treppe, die sie in die Katakomben der Tempelanlage führen würde. Sie musste sich, bevor sie zum Frühstück trat, davon überzeugen, dass es ihrem Vater, dem Hohepriester Callemois, an nichts fehlte.
'Ein irrwitziger Gedanke,' schalt sie sich.
'Was könnte ihm fehlen? Was benötigte ein frischer Leichnam?'

Sie hatte die Fackel über dem kleinen Holztisch brennen lassen. Sehend, erkennend sollte ihr Vater den letzten Weg gehen.
Sie hatte ihm die Mixtur aus verschiedenen Giften mit dem Tee eingeflösst. Hatte ihn, als die ersten Krämpfe seine Glieder zu beherrschen begannen, an den Tisch gesetzt und allein gelassen.
Als sie die Kellertür öffnete, spürte sie die Veränderung wie eine kalte Hand nach ihrer Kehle greifen. Ihre Augen durchdrangen die staubdurchwirkte Luft, erahnten im flackernden Licht der Pechfackel Tisch und Stuhl. Nicht aber den unter Schmerzen gekrümmten Leichnam des Vaters.
Ist er im Todeskampf vom Stuhl geglitten?
In der Tür noch neigte Fasura ihren Leib, einen Blick unter den Tisch zu werfen. Leere winkte ihr höhnend zu.
Wie konnte das sein?
Wütend stieß sie die Tür vollends auf. Der Schwung ließ die Tür gegen die Kammerwand stoßen und zurück prallen.
Als hätte der Knall Callemois aus seiner giftigen Stumpfheit gerüttelt, vernahm Fasura ein schwaches Stöhnen aus einer dunklen Ecke.
„Ach, in den Schatten hast du dich verkrochen, sterbende Ratte.“
Mit wenigen Schritten erreichte sie den Vater, stieß ihm die Spitze ihrer Sandale in die Seite.
„Wieso bist du noch hier?“
Mühsam richtete der Alte sich auf. Feuchte, blutunterlaufene Augen sahen sie müde und traurig an. Er sammelte die letzten Tropfen Speichels, seine Zunge und Lippen zu benetzen. Seine Stimme glitt kaum verständlich über trockenen, aufgesprungenen Lippen.
„Du hast alles von mir gelernt, Fasura. Nun nutzt du dein Wissen, dich gegen mich zu wenden.“
Sie lachte kurz auf.
„Nein, nicht gegen dich, Callemois, sondern für mich! Du hättest mit mir auf die andere Seite gehen können.“
In Gedanken versunken blickte sie in die Zukunft.
„Doch du konntest nicht über deinen Schatten springen, konntest die Möglichkeit nicht ertragen, Herrscher über Bangflor zu werden. Dein geliebter König Surredog hätte dafür seinen Thron räumen müssen.“
Wieder lachte sie auf.
Elende Kreaturen mit Ekel erregenden Moralvorstellungen!
Callemois wurde von einer neuerlichen Schmerzattacke gebeutelt. Er presste seine Hände auf die Magengegend, zog schmerzlindernd die Knie heran.
Sein schweres Stöhnen ließ sie aufmerken und sich ihm zuwenden.
„Einer musste Platz schaffen, Callemois. Du hast dich für Surredog geopfert. Trag den Gang mit Fassung und Würde!“
Wieder trat sie nach ihm.
„Wie lange wirst du noch brauchen?“
Er erkannte Ungeduld in ihrer Stimme.
Innerlich schmunzelte er über die Macht, die er gerade über seine Tochter gewann.
Sie begehrte sehnlichst eine Antwort von ihm.
Wieder befeuchtete er seine Lippen, trockener Husten ließ seinen geschwächten Leib erbeben.
„Ich habe so viele Elixiere selber ausprobiert, dass ich vielleicht unangreifbar geworden bin.“
Selbst jetzt, sterbend, unter den Schmerzen der fressenden Gifte leidend, spürte Fasura die Magie ihres Vaters. Er würde noch lange nicht aufgeben!
„Nun denn, ich werde das Frühstück mit dem königlichen Paar einnehmen, ihnen von deinem bedauerlichen Dahinscheiden berichten.“

Als sie die weiträumige Tempelanlage über die vielen Treppenstufen verließ, jagten wütende Gedanken durch ihren Sinn.
Hoffentlich starb der Alte in nächster Zeit.
Sie hatte geplant, Königin Elledara die Botschaft des unerwarteten Todes entgegenschleudern zu können. Die heimlich Geliebte ihres Vaters würde sicherlich zusammenbrechen und somit ihr Geheimnis preisgeben.
Endlich erreichte sie die Schlossanlage. Die Gardisten stellten ihre Hellebarden auf. Der livrierte Diener, der ihr die hohen Flügeltüren des Frühstückszimmers öffnete, schaute sie verwundert an, sie statt des Hohepriesters zu sehen.
Unter dem Türbogen vollzog Fasura eine wundersame Wandlung.
Nicht mehr die stolze, einflussreiche, wissende Priesterin stand dort, die hinter verschlossenen Türen ihre dunklen Ziele kalt und gnadenlos verfolgte.
Als König Surredog sich ihr grüßend zuwandte, sah er eine verzweifelt weinende junge Frau, die furchtsam ihre Hände vor der Brust wrang und ihn aus flehenden Augen ansah.
„Fasura, was ist Euch widerfahren?“
Schnellen Schrittes eilte er auf seine Besucherin zu, legte ihr fürsorglich seinen Arm um die bebenden Schultern. Galant stützte er sie, die Schritte zu dem kleinen Tisch zu gehen. Er stellte ihr einen weich gepolsterten Stuhl bereit, auf dem sie sich mit einem kleinen Seufzer gleiten ließ.
Erwartungsvoll schaute das Königspaar die Tochter ihres Hohepriesters und engsten Beraters an.
Als diese den Kopf hob, in die Augen ihrer Herrschaft schaute, schlug sie eine Hand vor den Mund. Erneut schüttelten schwere Schluchzer ihren zarten Körper, drang das Wehklagen eines zutiefst verletzten Menschen über ihre Lippen. Glänzende Tränen ließen ihre Augen leuchten. Nasse Bahnen in ihrem Gesicht warfen das Licht der Kerzen zurück.
Sichtlich um Fassung ringend, atmete die junge Priesterin einige Male tief durch, straffte ihren Rücken.
„Verzeiht mein Eindringen in Eure Gemächer, Hoheiten. Ihr erwartetet meinen Vater, Callemois, zum allmorgendlichen Frühstück.“
Kraftlos sank sie erneut zusammen, erschuf sich aus Atem den Halt, den Kopf wieder zu heben.
„Callemois wird nicht am Frühstück teilnehmen.“
Sie schaute in Augen voller Verwunderung und böser Ahnung.
Ein schadenfrohes Grinsen wollte sich in ihre Züge drängen. Sie spürte das Zucken der Mundwinkel, ahnte das Blitzen in ihren Augen.
„Er … ,“
Ihr Blick fesselte das Gesicht der Königin, saugte sich an ihren Augen fest.
„Er wird nie mehr an einem Frühstück teilnehmen, Hoheit.“
Ihre geflüsterte Botschaft galt nur Elledara. Die weit geöffneten Augen des geahnten Schreckens nur der Priesterin.
„Ich wurde seiner vorhin ansichtig, tot in seinem Gewölbe liegend.“
Die Todesnachricht für den König, das Todesurteil für die Königin.
Der entsetze Blick Elledaras ließ Fasura innerlich frohlocken.
Der Ton der Überraschung gelang von des Königs Lippen an ihr Ohr, doch Fasura achtete ihn nicht. Starr hielt sie den Blick Elledaras gefangen.
Er ist tot, tot tot!
Wird dich nie mehr heimlich in seine Arme schließen, dir nie mehr ungesehen einen Kuss auf deine heißen, hungrigen Lippen geben.
Die gedachten Worte Fasuras dröhnten in Elledaras Kopf wie Sturmglocken.
Verzweifelt presste die Königin ihre Hände auf die Ohren, die Töne der schrecklichen Wahrheit auszuschließen. Linderung brachte dies nicht.
Er wird dich nie mehr unerkannt in deinem Schlafgemach besuchen, nie mehr über die geheime Treppe zu dir gelangen, neben dir, auf dir zu liegen und deinen heißen, hungrigen Leib zu befriedigen.
Entsetzt riss die Königin die Augen auf.
Niemand wusste von diesem Geheimnis!
Scham überrollte sie wie rot glühendes Magma. Verschämt legte sie ihren Arm über den weiten Ausschnitt ihres langen Kleides, bedeckte den Ansatz ihrer üppigen Brüste.
Tränen schossen in ihre Augen. Tränen der Trauer, Tränen der Scham.
Sie waren nicht in der Lage, den Brand gelenkten Magmas zu lindern.
Vernichtend breitete sich die Masse in Elledaras Seele aus, verbrannt sie innerlich. Ließ sie qualvoll aufstöhnen und sich an die Kehle greifen.
Trost spendend nahm Surredog seine Königin in den Arm.
„Was ist dir, Elledara?“
Unfähig, ein Wort zu sprechen, sank die Königin auf einen Stuhl, griff nach einem Becher kalten Wassers und leerte ihn in einem Zug.
Das Wasser ließ das flüssige Gestein in ihrem Inneren rauchen. Heiß stiegen Dämpfe herauf, behinderten Fasuras Sicht.
Mit einem Sprung zog sich die Priesterin aus der Königin zurück, hinterließ ein zu Stein erstarrtes Herz.
„Die Nachricht vom plötzlichen Tod Callemois wird sie aufgewühlt haben, Hoheit. Sie hat den Hohepriester sehr geschätzt. Wir müssen behutsam mit ihr umgehen, nicht, dass sie an gebrochenem Herzen ebenfalls sterben sollte.“
Sanft legte Fasura ihre Hand auf die Schulter des Königs, schob ihn, der sich über seine Gattin gebeugt hatte, ein wenig zur Seite.
„Elledara, hört Ihr mich?“
Wie fühlt es sich an, vor dem Richtbock zu knien?
Vorsichtig legte die Priesterin beide Hände auf die Schläfen der Königin, hob ein wenig ihren Kopf an, in ihre Augen schauen zu können.
„Königin Elledara, vernehmt Ihr meine Stimme?“
Du brauchst nicht zu antworten, Elledara. Ich sehe in deine Augen, sehe in deine Seele, in dein Herz.
„Kann ich Euch meine Hilfe anbieten?“
Du bekommst sie, ob du willst oder nicht.
Fasura richtete sich mit traurigen Zügen auf, wandte sich an den König.
„Ruft nach der Zofe. Wir sollten die Königin zu Bett bringen, damit sie etwas Ruhe erfährt.“
Kaum hatte Surredog sich der Tür zugewandt, seine Befehle zu erteilen, als Fasura den leeren Becher vom Tisch nahm und ihn hart über das Gesicht Elledaras führte.
„So gehet denn mit einem Wort.“, flüsterte die Priesterin ihr ins Ohr, richtete sich auf und formte mit Mittelfingerspitze und Daumenbeere ein O. Als wollte sie ein lästiges Insekt beiseite schnippen, schnellte der Mittelfinger über den Daumen.
„Fort.“
Im gleichen Augenblick richtete sich die Königin schmerzgeplagt auf, griff sich an ihre linke Brust und sank leblos zusammen.
Wenn Herzen zu Stein werden, reicht eine kleine Erschütterung, es zu zersprengen!

Zurückgekehrt in das Kellergewölbe der Tempelanlage, herangetreten an die gekrümmte Person, die sich stöhnend den Leib hielt, schnaufte Fasura verärgert auf.
„Wie magst du Elledaras Tränen?“
Ein trockenes Husten antwortete ihr.
Sie richtete ihren Vater ein wenig auf, hielt ihm den Becher aus dem Frühstückszimmer des Königs an die Lippen.
„Trink etwas.“
Nur mühsam hob der Priester seine Hand, legte sie auf jene seiner Tochter, die den Becher hielt.
Erfreut hellten sich die Züge Fasuras auf. Langsam neigte sie den Becher, den Inhalt über die Lippen des Vaters rinnen zu lassen.
„Schlange!“
Nur geflüstert stolperte dieses eine Wort über seine Lippen, doch deutlich spürte Fasura seinen Widerstand. Sie hätte der schwachen Geste nicht bedurft, womit Callemois ihre Hand mit dem Becher von seinen Lippen schob.
„Du willst die Tränen deiner Geliebten nicht trinken?“
„Was … Elledara?“
Flehende Augen eines Vaters suchten mitteilsame der Tochter.
„Was ich mit Elledara gemacht habe, willst du wissen? Nichts, und doch wieder alles. Sie ist dir vorausgegangen, wird dich an der glänzenden Pforte erwarten.“
Unter ihren harten, kalten Worten brach er erneut zusammen.
Eiseskälte dehnte sich in dem Gewölbe aus.
„Du könntest dich etwas beeilen. Was ist das für eine Art, seine Liebste warten zu lassen?“
Ungläubig schaute Callemois seine Tochter an.
Niemals hätte er gedacht, dass sie sich derartig entwickeln würde.
„Willst du wirklich noch miterleben, dass ich dir vom Tod Feducs berichte?“
Er wollte aufbegehren, wollte sich gegen seine machtvolle Tochter auflehnen, doch sein geschwächter Körper ließ jede Bewegung wie den Todestanz einer Fliege in einem Spinnennetz erscheinen. Ziellos wurden seine Bewegungen, blicklos das trübe Aufflackern in seinen Augen.
„Warum Feduc?“
„Mit diesem Bastard werde ich den Letzten der Reihe beseitigen.“
Der Sohn Elledaras zählte zwar erst drei Jahre, doch immer deutlich traten die Zeichen hervor, dass Callemois und nicht Surredog der Erzeuger gewesen war.
Allein die Vorstellung, als Königin und Hohepriesterin neben Surredoc auf dem Thron zu sitzen und Feduc heranwachsen zu sehen, ließ einen Schauer über ihren Leib rinnen.
Dieser Bastard könnte die weltlichen und magischen Mächte seiner Eltern in sich vereinen. Ein Umstand, der schnellstens auszuschließen war!
Sie musste sich beeilen, musste die trübe Stimmung des Jungen aufgrund des überraschenden Todes der Mutter ausnutzen.
Sie sammelte ihre Gedanken, weckte das Feuer in ihrem Inneren.
Langsam tauchte ihre rechte Hand in den Becher, tauchten die Fingerspitzen in die gesammelten Tränen Elledaras.
Heiß brannten sie an Fasuras Fingerspitzen, ließen die Priesterin kurz und wohlig aufstöhnen. Ein beinahe exstatisches Beben durchfuhr ihren Leib, ließ sie den Atem anhalten, die Augen schließen und sich genussvoll auf sich selber konzentrieren.
Langsam zog sie ihre Hand wieder aus dem Becher, schloss die tropfnassen Finger zu einer Faust. Deutlich spürte sie die Kraft der Tränen in ihrer geschlossenen Hand.
Heiß pulsierte die Magie, wollte freigelassen werden.
Mit einer heftigen Bewegung streckte sie ihre Finger.
Feuerpfeile schossen aus ihrer Hand, von jedem Finger auf den am Boden liegenden Leib des Magiers. Getroffen schrie er gellend auf.
Die Flammen setzten sein Gewand in Brand. Die Pfeile drangen tief in das leidende Fleisch, nagelten den Leib an den Boden. Der Schmerz Elledaras, getragen von den Tränen, drang in seine Seele, verbrannte sie.
„Das sollte wohl reichen!“

Als Fasura die Schlossanlage neuerlich betrat, empfing sie gleich die angespannte Atmosphäre geschäftiger Betriebsamkeit gepaart mit trauernder Langsamkeit und Rücksicht gebietender Stille.
Heuchlerisches Pack!
Gesetzteren Schrittes als vorhin näherte sie sich dem kleinen Frühstückszimmer.
Fleißige Hände hatte Elledara bereits aufgebahrt.
Friedlich lächelnd lag sie in dem Licht durchfluteten Erker, die Hände züchtig auf ihrem Bauch, ein Orchideenzweig zwischen ihnen.
Surredog hatte trauernd an ihrer Seite gesessen, war aufgestanden, als Fasura das Zimmer betrat. Er eilte auf sie zu, reichte ihr beide Hände.
In seinen Augen glänzten Tränen, als er sie traurig anschaute.
„Fasura, was haben wir beide den Göttern getan, dass sie uns an einem einzigen Morgen derartig strafen?“
Sein jämmerlicher Anblick half ihr, eine angemessene Stimmung anzunehmen.
„Ich weiß es nicht, Hoheit. Später, vielleicht auch nie, werden wir den Sinn erkennen.“
Drang plötzlich ein Lichtschein aus seinen Augen?
„Ihr meint, zwei Tote an einem Morgen kann noch etwas Gutes bedeuten?“
Kraftvoll richtete sie sich auf, schaute ihm direkt in die Augen.
„Dessen bin ich mir sicher, Hoheit.“
Hoffnungsvoll lächelte er sie an.
„Dann wird dieses Zeichen Euch erreichen. Gebt mir Nachricht, sobald Ihr etwas erkennt, Hohepriesterin Fasura.“
Mit einem Lächeln und einem leichten Neigen des Kopfes dankte sie für die Beförderung.
„Ich sehe Feduc bei Euch, Hoheit. Wenn es Euch recht ist, nehme ich ihn ein wenig mit in den Wald. Ein Spaziergang wird ihn ablenken und sicherlich gut tun.“
Dankbar drückte Surredog ihre Hände.
Sie trat an ihm vorbei, ihre Hände einen Moment länger in den seinen lassend, als notwendig, seinen Blick mit ihren Augen einen Moment länger fesselnd als nötig.
Langsam trat sie auf den Jungen zu, legte ihm sanft ihre Hand auf die Schulter.
Verzögert reagierte er auf ihre Berührung und wandte ihr sein Gesicht zu.
Tränennasse Augen schauten sie aus einem verzweifelten Kindergesicht an. Seine Lippen bebten, seine Mundwinkel zuckten, als sie sich auf die Knie niederließ und ihn liebevoll in ihre Arme schloss.
„Mögt Ihr ein wenig mit mir im Wald spazieren, Feduc?“
Leise drangen ihre Worte an sein Ohr. Sanft spürte sie seine nickende Kopfbewegung an ihrer Wange.
„Fein.“
Sie richtete sich wieder auf, reichte ihm ihre Hand, die er schnell ergriff.
Als sie mit dem Jungen an Surredog vorbei ging, nickte sie dem König aufmunternd zu. Ein warmes Lächeln stahl sich in die Züge des Herrschers und er sah den beiden zufrieden nach.
Fasura war bisher nur ein einziges Mal mit dem Prinzen im Wald gewesen.
Damals bat er darum, mitgenommen zu werden, als sie Kräuter sammeln wollte.
Er war wie alle Kinder: anstrengend!
Seine Fragen umsurrten ihren Kopf wie lästige Insekten. Ständig blieb er stehen, wollte sich dies oder jenes näher ansehen. Dann lief er weit voraus, verließ den Weg und drohte im Dickicht verloren zu gehen, stellte in den unterschiedlichsten Lautstärken seine Fragen.
Fasura verdrehte innerlich aufstöhnend die Augen, als diese Erinnerung sie heimsuchte.
Wie damals gingen sie den leicht ansteigenden Weg hinauf zur Felskante. Von dort würden sie den wunderbaren Blick in die Schlucht genießen. Der Wasserfall, der am Grund den kleinen See speiste, würde ihren Gesichtern prickelnde Entspannung gewähren. Der vielstimmige Gesang der Vögel würde ihren gemarterten Seelen Linderung zuflüstern.
Dies erzählte sie dem jungen Prinzen, als sie die Steigung nahmen.
Sie selber verband mit den Bildern der Klamm andere Gedanken.
Auf der Felsnase angelangt, hielt sie inne, schloss die Augen und atmete tief die aromatische Waldluft ein.
Der kleine Junge an ihrer Hand, schweigsam wie nie zuvor, schaute sie an, tat es ihr dann gleich.
„Spürst du die Kraft in den Düfte, Feduc.“
Er nickte, schloss gleich ihr die Augen.
„Spürst du die Kraft des Windes, der über deine Wangen streichelt?“
Wieder nickte er, entspannte sich unter der Berührung des Windes.
„Spürst du die Kraft der Sonne, die in deine Haut eindringt?“
Ja, er spürte alles, deutlich, kraftvoll.
„Breite deine Arme aus, Feduc. Spüre die Kraft und lass dich von ihr umarmen.“
Er löste sich von ihrer Hand, tat wie ihm geheißen.
Sie trat langsam zurück auf den Weg, ließ kein Auge von dem Prinzen.
Vorsichtig trug eine Brise ihren Geist zum Körper des Jungen. Sanft drang sie mit den Sonnenstrahlen in seinen Körper.
„Geht es dir gut, Feduc?“
Er nickte, nachdenklich in sich schauend.
„Ja, aber es fühlt sich fremd an.“
„Wehr dich nicht, Feduc, lass die Kraft durch deinen Körper ziehen.“
Sie erforschte sein Innerstes, suchte Anzeichen der väterlichen Magie.
Plötzlich erreichte sie eine Botschaft wie ein Faustschlag.
NEIN!
Ein heftiger Sog riss sie mit sich, zog sie aus dem Körper des Jungen, spuckte sie vor seine Füße.
Sie hatte es geahnt!
Feduc besaß magische Fähigkeiten. Weil keiner wissen durfte, dass Callemois sein Vater war, durfte er nicht geschult werden.
Was für eine Verschwendung!
Sie sammelte sich, schaute zu Feduc herüber, der immer noch mit ausgebreiteten Armen auf der Felsnase stand, als hätte er vom Angriff in seinem Inneren nichts wahrgenommen.
„Lass deine Arme langsam herab, Feduc. Atme tief durch und öffne deine Augen.“
Er strauchelte ein wenig, als er vor sich die tiefe Schlucht erkannte.
„Dreh dich um, Feduc, wenn die Schlucht dir Angst einjagt. Ich möchte, dass es dir gut geht, dass du keine Angst hast.“
Aus dem Schatten des Waldes heraus, schaute sie ihn an, heftete ihren Blick an seine Augen.
Als sie neuerlich in ihn eindrang, wich er ein paar Schritte zurück.
„Was geschieht mit mir, Fasura?“
„Ich verstehe deine Frage nicht.“
„Ich spüre Schläge. Aber es ist keiner da, der mich schlagen könnte. Ihr seid da. Aber zu weit entfernt, mich erreichen zu können.“
„Erkläre dich deutlicher, Feduc.“
Soll er doch nachsinnen, wie er einer dummen Frau seine Befindlichkeiten nahe bringt. In der Zeit raube ich ihm seine Seele!
Sie vernahm seine Stimme, einzelne Worte gelangten an ihr Ohr doch sie achtete sie nicht.
Zaghaft sandte sie erneut ihren Geist aus.
Über Haut und Augen hatte sie Zurückweisung erfahren.
Warum nicht die Pforte nutzen, die jetzt beständig offen stand?
Unbemerkt nutzte sie seinen Mund, glitt an der Stimme vorbei, besuchte den Ort des Atems und fand gleich in der Nähe die Seele des Jungen.
Sanft schillerte sie in den Farben der Unschuld und Neugierde, leicht überzogen mit jenen von Weisheit und Stärke.
Vorsichtig nahm sie das zarte Gespinst in ihre Hände, schloss sie schützend.
Aus Atem sponn sie im Vorbeigleiten einen Kokon, in dem sie ihren Schatz legte.
Augenblicke später nahm sie seine Stimme, legte diese dazu.
Mit einem heftigen Würgen erbrach sich Feduc. Verwirrt schaute er das durchscheinende Gebilde an. Sein Blick traf den der Priesterin.
Durch seinen geöffneten Mund suchte der Junge, die Kraft des Windes in seine Lungen zu ziehen. Seine Lippen formten Worte, doch trug der Wind sie nicht.
Fasura sah ihn mitleidig an.
Als erhoffte Feduc sich Rettung, stolperte er einige Schritte auf sie zu, bis er ihre erhobenen Hände gewahr. Verwirrt stoppte er sein Straucheln.
„Seelenlose Kreaturen gehören den Göttern geopfert, Prinz Feduc. So ist das Gesetz.“
Er schaute sie aus entsetzten Augen an.
Trotz seiner jungen Jahre hatte er erst vor wenigen Tagen dem Ritual beiwohnen müssen, als eine junge Sklavin gerade von dieser Felsnase in die Tiefe gestürzt wurde.
Mit leidvollem Blick schaute Fasura ihn an, zuckte die Schultern wie um Verzeihung bittend. Das hämische Grinsen konnte sie nicht aus ihren Zügen verbannen.
Es stahl sich über ihr Gesicht, ließ ihre Augen frohlockend aufblitzen.
Wieder legte sie ihre rechte Hand zu einer lockeren Faust zusammen, schnippte die Finger über den angestellten Daumen.
Als habe eine Dämonenfaust den Jungen gestreift, wurde er hoch in die Luft gehoben und über den Rand der Felsnase geschleudert. Sein tonloser Todesschrei ließ den Seelenkokon leicht vibrieren.

Fasura wog die Leichtigkeit des sanft glänzenden Kokons in ihrer Hand, als sie durch die große Halle schritt.
Ob Callemois noch lebte?
Das Leid geplagte Wimmern aus der schattigen Ecke beantwortete ihre Frage.
„Ich habe dir etwas mitgebracht, Vater.“
Sein Wehklagen endete. Er richtete sich auf, soweit die Tränenpfeile Elledaras dies zuließen.
Undeutlich erkannte Callemois in der einen Hand seiner Tochter ein Ei großes, leicht glänzendes Etwas. Im Teller der zweiten Hand erahnte er einen sich ringelnden Wurm.
„Was …?“
Ein gehauchtes Wort, das Fasura ein siegessicheres Strahlen ins Gesicht malte.
„Ich werde Euch mit Eurem Sohn vereinen, Hohepriester.“
Sie spuckte ihm den Titel vor die Füße.
Ruhig setzte sie sich auf einen Hocker, so, dass Callemois sie beobachten konnte.
Andächtig hob sie die Hand mit dem Seelenkokon. Die zweite folgte, bis beide ihre Augenhöhe erreicht hatten.
„Seele und Stimme, vereint, glänzend in Unschuld, erahnt das Leben in eurer Nähe.
Seele und Stimme, vereint, ergreift das Leben in eurer Nähe.“
Ein feiner Lichtfaden verließ tastend den Kokon, näherte sich dem Wurm auf der anderen Hand. Ihn erreichend, strömte unaufhaltsam die Kraft aus dem Kokon in das Tier über, ließ es leicht aufleuchten.
Leise drang die Stimme Feducs aus dem Leib des Wurmes. Unverständliche Worte versuchten immer noch seine Befindlichkeiten auf der Felsnase zu beschreiben.
Sie musste sich beeilen. Bald würde der Junge zum Ende kommen.
Rasch stand die neue Hohepriesterin auf, beugte sich zu Callemois herab und wendete seinen Kopf, dass ein Ohr frei lag.
Vorsichtig ließ sie den Wurm in das Ohr gleiten, verfolgte belustigt, wie schnell das Tier den Weg in die Dunkelheit fand.
Callemois schüttelte sich unter ihr, stöhnte gequält auf, als die Pfeile tiefere Wunden in sein Fleisch rissen. Plötzlich lag er still, lauschte den Worten seines Sohnes in seinem Kopf.
Wispernd drangen sie aus seinem weit geöffneten, ausgetrockneten Mund.
Fasura richtete sich auf, verließ ihren sterbenden Vater auf wenige Schritte, das erwartend, was gleich geschehen würde.
Gellend drang der Todesschrei Feducs aus dem sterbenden Mund seines Vaters, erreichte die letzten schattigen Winkel des Gewölbekellers.
Fasuras Lachen erklang ein wenig lauter.
 
Wenn du registriert und angemeldet bist und selbst eine Story veröffentlicht hast, kannst du die Stories bewerten, oder Kommentieren. Wenn du registriert und angemeldet bist, kannst du diese Story kommentieren.
Weitere Aktionen
Wenn du registriert und angemeldet bist, kannst du diesen Autoren abonnieren (zu deinen Favouriten hinzufügen) und / oder per Email weiterempfehlen.
Ausdrucken
Kommentare  

Danke, Danke, Danke euch allen :)

"Fasura" ist der Versuch einer darkfantasy-story und ich habe sie bereits fortgeführt. Die Fortsetzung ist aber gleichzeitig die Weiterführung einer Geschichte, die ich beim "Club der Sinne" veröffentlicht habe, und mir somit zumindest zurzeit nicht zur Verfügung steht.
Ich weiß noch nicht, was ich aus diesen drei Teilen machen werde, freue mich aber wie wild, dass "Fasura" hier so gut ankommt.

Ich bleib am Ball ;-)

Shan


Shannon O'Hara (18.06.2009)

Wie gemein! Das miese Biest bleibt Siegerin!
Bis zuletzt wartete ich auf den "turning point", wo die fiese Schlange feststellen darf, dass sich die Kraft ihres Vaters (vielleicht im Innern des Sohnemannes) gegen die Zicke wendet. Aber die gewinnt!
*empör*
*groll*
*grummelbrummelgrummel*
Wie kannst du das miese Stück als Siegerin da stehen lassen?
Wenn das hier der Anfang einer längeren Geschichte wäre, wär natürlich klar, dass ich weiter lauern tät, aber da steht nix in Sachen Fortsetzung.
Hoffentlich fällt sie während der Krönungszeremonie die 111 Stufen des Tempels runter und bricht sich den Hals!

Trotzdem gute Geschichte, der Charakter der Protagonistin ist schön rausgearbeitet.


Stefan Steinmetz (18.06.2009)

ein feuerwerk an (selbst)liebe, leidenschaft, macht, abgründigem hass aus einer anderen welt. und sehr gut geschrieben.
gruß von


rosmarin (28.05.2009)

absolut stilsicher und klasse geschrieben. grüüün!!

Pia Dublin (27.05.2009)

Herzlichen Dank euch allen für diese tollen Rückmeldungen :)
Ich bin offensichtlich auf dem rechten Weg :)

Liebe Grüße allen,

Shan


Shannon O'Hara (26.05.2009)

Hat mir auch sehr gut gefallen, die Geschichte und das Ende so phantasievoll. Außerdem auch auffällig bezaubernd formulierte Sätze.

Fan-Tasia (26.05.2009)

Ich muss den Anderen beipflichten. Tolle düstere Story mit viel Atmosphäre.

Jochen (25.05.2009)

Schön-schaurige Geschichte. Habe mich ganz in vergangene Zeiten zurück versetzt gefühlt und tolle Bilder vor meinem inneren Auge gesehen. Ach, ja, diese Priester und Zauberer.

doska (24.05.2009)

Huhu Tlonk,
nein, kein Problem. Ich war mir unsicher, welche Kategorie ich wählen sollte. Veschieb sie bitte.

Huhu Petra,
vielen Dank für deine Rückmeldung :)


Shan


Shannon O'Hara (24.05.2009)

Ich kann Tlonks Wunsch verstehen. Diese Geschichte scheint mir eher eine zu sein, die zu den " Finsteren" gehört, denn wenn man diese Story nur unter der Kategorie Fantastisches liest, könnte es sein, dass man über den - keineswegs überraschenden - Schluss enttäuscht und verärgert ist.
Ansonsten kann ich nur sagen: Schöner flüssiger Text. Konnte mir alles sehr plastisch vorstellen.


Petra (24.05.2009)

Hallo Shannon!
Hast du etwas dagegen, wenn ich deine Geschichte auch unter "Schauriges" stelle?


Tlonk (24.05.2009)

Login
Username: 
Passwort:   
 
Permanent 
Registrieren · Passwort anfordern
Mehr vom Autor
Norchas Mühlenkinder (Kapitel 79 und 80)  
Norchas Mühlenkinder (Kapitel 78 und 79)  
Norchas Mühlenkinder (Kapitel 76 und 77)  
Norchas Mühlenkinder (Kapitel 74 und 75)  
Norchas Mühlenkinder (Kapitel 72 und 73)  
Empfehlungen
Andere Leser dieser Story haben auch folgende gelesen:
---
Das Kleingedruckte | Kontakt © 2000-2006 www.webstories.eu
www.gratis-besucherzaehler.de

Counter Web De