43


3 Seiten

Auserwählt

Schauriges · Kurzgeschichten
Wie alle Männchen seines Volkes, die bei der Genanalyse gut abgeschnitten hatten, und das waren regelmäßig etwa fünf Prozent eines Jahrgangs, wurde er die ersten sechs Lebensjahre gesäugt.

Er war ein durchaus ansehnliches Exemplar seiner Spezies. Er hatte gute Gene, war mit einer ausgezeichneten Gesundheit gesegnet, und war die letzten zwölf Jahre seiner Entwicklungszeit sehr gut ausgebildet worden. In allen Künsten war er bewandert, seine sportlichen Leistungen gaben zu großen Hoffnungen Anlass, seine Lehrerinnen lobten ihn einhellig.

Jetzt würde es sich entscheiden, ob er die nächsten zehn Jahre seines Lebens, und das waren auch definitiv die letzten, die ihm bestimmt waren, den Künsten widmen, sich als Forscher betätigen, oder herausragende sportliche Leistungen erbringen würde.
Das war die eine Alternative.

Die andere Alternative lautete, einer von zwölf in jedem Jahreslauf zu sein, die der Königin vermählt wurden, seine Gene mit den Genen der großen Königin zu mischen und dadurch zu höchsten Ehren zu gelangen, unsterblich in der Erinnerung seines Volkes zu werden.

Das war es, was jedes männliche Exemplar der Spezies anstrebte, sich in seinem Volke zu verewigen, seine Gene weiter zu tragen und damit quasi unsterblich zu werden.

Heute war der große Tag der Entscheidung. Seit dem Morgengrauen warteten 240 Männchen ungeduldig auf das Urteil der Mütter.
Endlich war es soweit. Drei Jungfrauen traten aus dem Palast hervor und verlasen mit heller Stimme das Ergebnis.
Zehn Männchen waren bereits ausgewählt worden und wurden ins Schloss geleitet.
Wieder ein Jubelschrei, sein Nachbar war erwählt worden. Nur noch eine Chance für ihn in diesem Leben. Er hoffte so sehr dazu zu gehören.
Wieder ertönte ein Name. Er konnte es zunächst nicht glauben, sein Name wurde aufgerufen. Er konnte sein Gefühl nicht beschreiben, dieser Stolz, dieses Glücksgefühl, dieser herrliche Triumph, auserwählt zu sein.

Zweihundertachtundzwanzig Enttäuschte verließen den Hof. Ihnen wurde dann mitgeteilt, wozu sie ausersehen waren.

Die zwölf Glücklichen bekamen jeder eine weiße Toga und wurden von den Jungfrauen in einen Raum mit zwölf Liegen geleitet. Sie durften diesen Raum nur noch verlassen, wenn es an der Zeit war, zu der Königin gerufen zu werden.

Sie bekamen die erlesensten Speisen und Getränke. Ihre Körper wurden jeden Tag massiert und gesalbt. Musik und Gesang erfreute ihre Seele.
Ihre Erwartung stieg immer auf den Siedepunkt, wenn die Zeit der monatlichen Wahl gekommen war. Dann öffneten sich die Türen ihres ansonsten hermetisch verschlossenen Raumes, drei Jungfrauen schritten auf einen aus ihren Reihen zu, nahmen ihn bei der Hand, entkleideten ihn und hängten ihm unter dem neidvollen Blicken der anderen einen violetten Mantel um. Dann verließ er mit den Jungfrauen den Raum und kehrte nicht mehr zurück.

Gerüchte wollten wissen, das sie der Oberen Mutter ihr gesamtes Leben zu Diensten sein würden, viel länger als die dreißig Jahre, die einem gewöhnlichen Männchen beschieden waren.

Wieder war es soweit, drei Männchen außer ihm lebten noch in dem Raum, als sich wieder einmal die goldene Tür öffnete und drei Jungfrauen auf ihn, wirklich und wahrhaftig auf ihn, zukamen.

Sie nahmen ihm seine weiße Toga ab und er ließ sich von einer der Jungfrauen den violetten Mantel umhängen. Er war maßlos stolz, nur kurz ein Anflug von Angst vielleicht zu versagen. Doch sofort verbot er sich diese Regung. So waren sie nicht erzogen, es gab kein Versagen. Während seiner Ausbildung wurde jeder, der einen Fehler machte, sofort ausgeschlossen, und niemand hörte mehr von ihm.

Die Jungfrauen geleiteten ihn durch die goldene Pforte und führten ihn einen langen Gang hinunter. Eine vierte Jungfrau reichte ihm einen Becher mit einem merkwürdig herben Getränk und legte ihm eine blaue Tablette auf die Zunge. Er schluckte und spülte mit dem Trank hinterher.
Ein samtener Vorhang wurde zur Seite gezogen, eine Tür von nie gesehener Pracht öffnete sich und er stand im Heiligtum.

Mitten im Raum stand ein Bett von wahrhaftig majestätischen Ausmaßen. Auf dem Bett lag ein junges Weibchen, die große Mutter, es winkte ihn heran. Er ließ seinen violetten Mantel fallen, sein Herz klopfte wild und er spürte die wachsende Erregung in sich. Er würde die Königin nicht enttäuschen.
Um das Bett herum standen sieben Mütter und maßen ihn mit ihren Blicken von oben bis unten. Sie schienen zufrieden zu sein. Er war voller Stolz, seine Augen leuchteten.

Die Jungfrauen verließen das Gemach und er war mit der Königin und den Müttern allein. Unter ihren wachsamen Augen würde er seine Gene mit denen der Königin verschmelzen lassen.

Endlich war es soweit, eine der Mütter, offenbar die Ranghöchste gab ihm das Zeichen und er vereinigte sich mit der Königin.
Er spürte die Hände der Mütter auf sich, sie massierten seinen Körper mit sanften Streichen. Mit einem Aufschrei spürte er die Erleichterung, als er seinen Samen der Königin übertrug. Er war unsterblich, seine Gene würden ihn im Volk verewigen.

Er öffnete seine Augen und sah ein merkwürdig wildes Leuchten und glitzern in ihren Augen. Sie öffnete ihre Lippen und er sah ihr furchterregendes Gebiss, gleichzeitig spürte er scharfen Schmerz an allen möglichen Stellen seines Körpers. Ein tiefes, wildes Grollen entsprang den Kehlen der Mütter und ihre Fangzähne zerrissen ihn förmlich, fraßen große Stücke Fleisch aus seinem Körper und tranken in wilder Gier sein Blut. Das letzte was er spürte, bevor er sein Leben mit einem qualvollen Schrei aushauchte, waren die dolchscharfen Zähne der Königin, die ihm die Kehle durchbissen.
 
Wenn du registriert und angemeldet bist und selbst eine Story veröffentlicht hast, kannst du die Stories bewerten, oder Kommentieren. Wenn du registriert und angemeldet bist, kannst du diese Story kommentieren.
Weitere Aktionen
Wenn du registriert und angemeldet bist, kannst du diesen Autoren abonnieren (zu deinen Favouriten hinzufügen) und / oder per Email weiterempfehlen.
Ausdrucken
Kommentare  

Tja, man sollte eben Gerüchten nicht zu viel Glauben schenken. Armes Männchen, aber er hätte ja ohnehin nicht das Weite suchen können.

doska (23.12.2009)

dieses gerücht, dass sie der oberen mutter noch ganz lange zu diensten sein würden, das war ja wohl nix. aber die hoffnung stirbt ja zuletzt. ;))
interessante schilderung einer anderen humanoiden lebensform...
lieben gruß

Gerüchte wollten wissen, das sie der Oberen Mutter ihr gesamtes Leben zu Diensten sein würden, viel länger als die dreißig Jahre, die einem gewöhnlichen Männchen beschieden waren.


Ingrid Alias I (20.12.2009)

Ursprünglich hieß der Titel
-Die Gottesanbeterin-

Da es diesen Titel aber schon gibt, habe ich mich zu einer Änderung entschlossen.

Es handelt sich um eine humanoide Rasse mit strengem Matriarchat.
Nur ganz wenige werden auserwählt


Wolfgang scrittore (20.12.2009)

Login
Username: 
Passwort:   
 
Permanent 
Registrieren · Passwort anfordern
Mehr vom Autor
Ausschnitte und Abstecher nach Wien (In den Hügeln der Montagnola)  
Es geht weiter In den Hügeln der Montagnola)  
Eine weitere Episode aus der Toscana  
eine anstrengende Tour und relaxen in Bagno Vignoni (In den Hügeln der Montagnola)  
Kleiner Auszug mit meinen Protas  
Empfehlungen
Andere Leser dieser Story haben auch folgende gelesen:
---
Das Kleingedruckte | Kontakt © 2000-2006 www.webstories.eu
www.gratis-besucherzaehler.de

Counter Web De