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Schattenmacht - Das letzte Licht -14-

Romane/Serien · Fantastisches
Irgendwo am Amazonas

Ich blicke mich vorsichtig um, prüfe die Resonanz des Ortes und atme erleichtert auf, als ich keine Verzerrungen darin aus machen kann. Die Luft ist drückend, heiß und feucht. Die Hitze macht mir nichts aus, wohl aber hat sich die Feuchtigkeit bereits in meinen Kleidern und Haaren gefangen. Gerade bin ich von der Wüste aus den Schritt gegangen und nahe des Ortes am Amazonas, wo ich den Phönix zu letzt gesehen habe, erschienen. Mittlerweile habe ich mich magisch gesehen vollständig erholt und auch auftreten kann ich schon wieder, dennoch hat mich Tamoran hier her begleitet.
War es in der Nefud schon später Nachmittag, so ist es hier noch nicht einmal Mittag. Mit einem einzigen Schritt haben wir gerade etwa sieben Zeitzonen überschritten.
Erneut frage ich mich, an welche Zeiten Shanael wohl gebunden ist. Ich bin immer noch nicht dazu gekommen den Engel danach zu fragen.
Wieder blicke ich mich suchend um und entdecke schließlich den uralten, riesigen Baum, den ich gesucht habe. Ich stoße Tamoran sanft an und zeige darauf.
"Tamoran, sieh dort ist der Baum und das Nest des Phönix existiert auch noch."
Der Dämon blickt staunend an dem gigantischen Gewächs empor.
"Ziemlich weiter Weg nach oben," meint er schließlich, "schaffst du das schon?"
Ich lache kurz auf.
"Ich werde da mit Sicherheit nicht versuchen hinauf zu klettern," meinte Stimme klingt amüsiert, "das wäre sogar mit einem gesunden Bein zu hoch. Ich benutze die Levitation." Ich blicke mich kurz um. "Aber ich werde da allein hinauf gehen. "
Ich reagiere mit einer beruhigenden Handbewegung auf das Stirnrunzeln des Mannes und fahre erklärend fort.
"Tamoran, Uriel hat Recht, Feuervögel sind wirklich ausgesprochen scheu. Wenn du da oben auftauchst, dann kommt er vielleicht nicht."
Der Dämon seufzt leise.
"Ja das versteh ich schon, aber gefallen tut es mir nicht." Er sieht sich nun auch um
"Weißt du," er klingt etwas unbehaglich, "ich fühle mich nicht sonderlich wohl mit all diesen Bäumen und Pflanzen um mich herum. Wüstenläufer sind Geschöpfe der Wüste und weiten, übersichtlichen Landschaften."
Er lächelt entschuldigend und ich klopfe ihn ermunternd auf die Schulter.
"Wir bleiben auch nicht lange," meine Stimme ist nun sanft, "der Phönix nimmt mich für gewöhnlich schnell wahr und wird daher auch bald kommen."
Der Dämon nickt, dann schleicht sich sein Grinsen auf das dunkle Gesicht.
"Das wird doch sicher etwas dauern, bis du oben bist?"
Als ich nicke grinst er noch mehr.
"Dann werde ich derweilen versuchen Missa, die Leopardenfrau, die mir von den Gerüchten hier erzählt hat ausfindig zu machen. Ich glaube nämlich, dass ich davor ihren Geruch wahrgenommen habe."
Ich nicke und sage dem Mann, dass dies eine gute Idee ist.
Während ich also langsam in die Höhe steige, beobachte ich den Wüstenläufer, wie er sich langsam und vorsichtig am Fluss entlang bewegt. Ein Stirnrunzeln schleicht sich in meine Züge. Etwas war seltsam an dieser Unterhaltung. Wenn sich Tamoran in so einer Umgebung nicht wohl fühlt, wie war er dann auf die Leopardenfrau getroffen und wo?
Woher wusste er dann überhaupt, dass sie vielleicht in der Nähe war, mal ganz abgesehen vom Geruch? Hat der Mann wirklich den Geruch des Fabelwesens zufällig wahrgenommen, oder hatte er eventuell schon vorher den Verdacht, das sie hier sein könnte?
Ich kann mir nicht helfen, aber irgendetwas ist seltsam an Tamoran. Ganz offensichtlich verschweigt er etwas, aber ich komme einfach nicht darauf was. Ich wende meinen Blick vom Boden ab und konzentriere mich nun auf meinen Aufstieg.
Einige Zeit später erreiche ich das Nest in der Krone des Baumes und lasse mich vorsichtig an seinem Rand nieder. Nun heißt es warten, denke ich, sehe aber erfreut in der Ferne bereits den Feuerstreifen am Himmel, der den Phönix ankündigt. Das geht ja schneller, als ich dachte.
Hat das Wesen vielleicht schon auf mich gewartet?
Neugierig blicke ich dem Vogel entgegen, der bald vor mir landet.
Phönixe sind solch wunderschöne Geschöpfe, mit dem metallischen, Rotgoldenen Gefieder und den hellen, klugen Augen. Von der Form her sehen sie ein wenig wie Kraniche aus, mit einem langen schlanken Hals. Jedoch ist so ein Feuervogel schon sehr groß, mit einer Flügelspannweite von über drei Metern. Phönixe können nicht sprechen, sondern sie kommunizieren mit anderen übernatürlichen Wesen über die Gedanken. Der Vogel vor mir betrachtet mich erst eingehend, dann beginnt er ein leises Lied und nur kurz darauf kann ich seine Gedanken in mir fühlen. Ich öffne mich den Eindrücken und sehe einen Moment lang durch die Augen des Wesens. Ich nehme langsam wahr, dass sich mein feuriger Freund über meinen Besuch sehr freut, aber auch Neugierde und Frage kann ich fühlen. Kurz blitzt Tamorans Bild in meinen Gedanken auf und ich muss lächeln. Ein Gespräch mit einem Phönix kann man nicht wirklich als Gespräch bezeichnen, da alles über Bilder, Gefühle und Empfindungen abläuft.
Mir gelingt es dem Vogel klar zu machen, dass der Dämon als mein Freund mit mir gekommen ist, um mich eventuell auch zu beschützen. Vorsichtig beginne ich dem Phönix zu vermitteln, dass es neue Gefahren in der Welt gibt, worauf das Wesen mit Flügelschlagen und einem kurzen Schrei antwortet. Gleich darauf taucht in meinen Gedanken das Bild einer dieser Kreaturen auf und mir wird klar, dass der Vogel sie gesehen und als die Gefahr, die sie darstellt, erkannt hat. Als Antwort zeige ich ihm, wie diese Kreaturen von Feuer verletzt und getötet werden können, was das schöne Wesen wieder etwas ruhiger werden lässt. Nun strahlt er eindeutig Aufmerksamkeit und Neugierde aus.
Zwei Stunden später verabschiede ich mich von dem Phönix und beginne langsam mit dem Abstieg. Ich habe einiges erfahren, so auch, dass es nun mehr bereits zwei der Kreaturen hier am Amazonas gibt, die sich beide im Fluss aufhalten. Der Vogel hat mir genau gezeigt wo und er hat mir außerdem versprochen, das er mit seinen Flammen helfen wird und uns beistehen will, wenn wir gegen diese Kreaturen im Amazonasfluss vorgehen.
Aufmerksam blicke ich nun nach unten und taste nach Tamorans Resonanz, da ich den Dämon noch nicht sehen kann. Bald schon habe ich ihn gefunden und erkenne, dass er wohl seine Katzenfreundin gefunden hat, denn eine zweite dunkle Resonanz hat sich zu der seinen gesellt. Erfreut und gespannt auf die Leopardenfrau steige ich nun schneller ab. Diese Wesen gehören auch zu den Dämonenrassen und zwar zu den Zweigestaltigen. Endlich tauche ich durch das dichte Blätterdach und bin wenige Augenblicke später wieder sicher auf dem Erdboden angelangt.
Aufmerksam sehe ich mich um und entdecke dann schnell Tamoran, der in Begleitung einer schlanken, hoch gewachsenen Frau auf mich zu kommt. Sie ist beinnahe so groß wie Tamoran, der ja selbst nicht unbedingt klein ist. Dabei wirkt die Frau aber so schlank und durchtrainiert, als wäre sie eine Hochleistungssportlerin. Ihre Haut hat die Farbe von Milchkaffee, doch über ihren Rücken verläuft ein Streifen dichten, kurzen Pelzes, der die Zeichnung eines Leoparden aufweißt. Auch an Armen und Beinen beginnt diese Zeichnung bereits nach dem Ellbogen, beziehungsweise dem Kniegelenk und geht dann zum Hand- und Fußgelenk in den selben dichten Pelz über. Selbst die kurzen Haare der Frau weisen diese Zeichnung auf. Ihre Beine enden in katzenartigen Pfoten und ihre Hände haben anstatt von Fingernägeln einziehbare Krallen. Die großen, schrägstehenden Augen sind eindeutig nicht menschlich und blitzen in hellem Grün aus einem dreieckigen Gesicht hervor, um mich neugierig zu mustern. Das besondere aber an ihr ist, dass sie tatsächlich einen elegant geschwungenen Leopardenschweif besitzt, der sich bei jedem ihrer Schritte nervös bewegt.
Ich bin sofort fasziniert von diesem Wesen und der Dämonin ergeht es wohl nicht anders. Zumindest nehme ich in ihren Schwingungen große Neugierde wahr.
Tamoran lacht über das ganze Gesicht.
"Darf ich dir Missa vorstellen?" Er grinst und wendet sich der Frau zu.
"Missa, das hier ist das letzte Licht, Lucifers Hoffnung."
Das Wesen neigt ein wenig ehrfürchtig den Kopf und ich lächle sie noch immer staunend an. Die Dämonin erwidert das Lächeln prompt und wird mir damit erst recht sympathisch.
“Hallo Missa,” meine ich schließlich sanft, “es freut mich dich kennen zulernen.”
Die Katzenfrau lächelt breiter und entblößt dabei ihr Raubtiergebiss.
“Es ist mir eine Ehre und Freude das letzte Licht kennenzulernen.”
Ihre Stimme ist warm und rauchig, mit einem seltsamen Akzent. Ich bin wirklich völlig fasziniert von dem fremdartigen Geschöpf und ihr scheint es ebenso zu ergehen. Ein leises Lächeln fließt mir über die Lippen, als ich erkenne, das sie vermutlich eben so viele Fragen an mich hat, wie ich an sie stellen möchte.
Ich werde mir Tamorans aufmerksamen Blick bewusst und wende mich wieder dem Dämon zu.
“Der Phönix,” meine ich nun leise, “wird uns helfen. Er hat mir erzählt, das es mittlerweile schon zwei der Kreaturen hier gibt und er weiß wo sie sind.”
Tamorans Lächeln verblasst schlagartig.
“Schon zwei?” Seine Stimme kling rau.
Ich nicke nur ernst.
Missas Augen haben sich bei meinen Worten geweitet.
“Ein Phönix,” haucht sie ehrfürchtig, “ihr seid tatsächlich Freundin eines Phönix?”
Ich nicke schweigend und lächle sanft. Die Frau sieht mich nur staunend an, dann wird sie unvermittelt wieder ernst.
“Diese Wesen, Kreaturen wie ihr sagt, die so schrecklich kalt und böse sind..... Tamoran hat mir erzählt, das Feuer sie tötet. Wir alle hier werden euch beistehen, es gibt einige Wesen des Dschungels, die über Feuer gebieten. Aber sagt mir, Hoffnung, kann man jenen, die in die Fänge dieser bösen Geschöpfe geraten sind noch helfen?”
Traurig schüttle ich den Kopf.
“Nein, leider nicht. Es ist wie Gift, oder eine Krankheit, die auch ich nur ganz am Anfang heilen kann. Doch sobald es zu weit fortgeschritten ist, oder ein Wesen sich vollständig verwandelt hat, dann gibt es vermutlich keine Hilfe mehr. Zumindest kann ich dann nicht mehr helfen.” Ich halte kurz inne, dann fahre ich fort. “Missa ich bin dir unendlich dankbar, das du und deine Freunde uns helfen werdet. Wir können jeden brauchen, denn offenbar wird es immer schlimmer mit diesen Kreaturen.”
Die Frau nickt langsam, sie wirkt ein wenig enttäuscht, aber auch so, als hätte sie schon erwartet, dass man den von den Schattenkreaturen verwandelten Freunden nicht mehr helfen kann. Sie lächelt mich wieder an.
“Wir würden dich gerne in unser Lager einladen?”
Ich bin mir darüber im klaren, welches Vertrauen mir damit entgegengebracht wird und nicke daher freundlich.
“Ich nehme diese Einladung gerne an.”
Das Gesicht der Frau öffnet sich nun wieder in einem ehrlichem Lächeln und in ihren Augen blitzt erneut die Neugierde auf.
“Dann folgt mir.”
Mit diesen freundlich gesprochenen Worten wendet sie sich um und geht langsam voran.
Tamoran kommt zu mir, damit ich mich auf ihn stützen kann, wenn es denn nötig sein sollte. Dankbar nehme ich seine Hilfe an, während wir Missa durch den dichten Urwald folgen. Mir fällt auf. dass die Frau sich Mühe gibt einen leichtbegehbaren Pfad zu finden. Ganz offensichtlich ist ihr mein leichtes Hinken aufgefallen.

Als wir endlich eine Stunde später das erwähnte Lager erreichen, läuft Tamoran bereits der Schweiß über den Rücken und durchnässt sein Hemd. Auf meinen fragenden Blick grinst er kurz.
"Die hohe Luftfeuchtigkeit," meint er atemlos, "die macht mir zu schaffen. ich bin schließlich ein Wesen der Wüste und keines des Dschungels."
Ich gebe ein verstehendes Geräusch von mir und blicke wieder nach vorne.
Völlig überrascht bleibe ich stehen und meine Augen weiten sich erstaunt. Ich hatte erwartet, dass sich vielleicht vier oder fünf verschiedene Wesenheiten des Dschungels zusammengefunden haben, aber auf der großen Lichtung vor mir tummeln sich beinnahe dreißig Geschöpfe. Verwundert entdecke ich, dass nicht alle davon eine dunkle Resonanz haben, sondern einige auch dem Licht angehören, dazwischen stechen die einzigartigen Schwingungen elementarer Wesen hervor. Auch der Dämon an meiner Seite ist sprachlos und blickt sich ungläubig um. Er staunt wohl nicht weniger als ich selbst. Missa dreht sich lächelnd zu mir um und schenkt mir ein verständiges Nicken.
"Wir werden jeden Tag mehr," erklärt sie mit ihrer angenehmen Stimme, "beinnahe stündlich kommen neue mystische Geschöpfe dazu. Viele von ihnen sind gerade noch so einmal einem Angriff dieser Kreaturen oder der Wesen, die sie verwandelt haben, entkommen. Viele von ihnen haben auch Freunde, Familie oder Heim dadurch verloren."
Die Frau runzelt kurz die Stirn und blickt zu Boden. Einen Moment lang sticht Trauer wie ein scharfes Messer durch ihre Resonanz und ich frage mich unwillkürlich, wen sie wohl verloren hat. In einer sanften Geste lege ich ihr kurz die Hand auf den Unterarm, was die Leopardenfrau überrascht aufblicken lässt. Kurz lächelt sie mich traurig an und fährt dann fort.
"Wir haben alle beschlossen, dass wir erst einmal unsere dummen kleine Streitigkeiten vergessen und zusammenhalten müssen. Sie werden sehr froh sein dich zu sehen, Hoffnung. Die Nachricht dass der Phönix," wieder klingt ihre Stimme ehrfürchtig, "uns helfen wird, so wie auch du und deine Freunde, sowie die Tatsache dass wir hier nicht die einzigen sind, die bedroht werden und diese Bedrohung erkennen, wird den Mut in unseren Herzen neu schüren."
Missas Augen glühen nun in einem inneren Feuer und ihre Stimme hat einen ganz besonderen Klang angenommen. Ein leicht verlegenes Lächeln huscht mir über das Gesicht. Mit einer einladenden Geste auf das Lager hin wendet sich die Katenfrau ab und geht voraus in das Lager hinein. Unsere Ankunft bringt Leben in den Ort und Aufregung. Überrascht nehme ich in all den vielen Resonanzen um mich herum eine Empfindung ganz deutlich wahr. Bewunderung!
Langsam folge ich der Leopardenfrau zu einem der drei Feuer und setze mich leicht überwältigt nieder.
Neben Missa gibt es noch drei weitere ihrer Art, daneben zwei Feuerelementel, einen ganzen Schwarm tropischer Nissen, vier oder fünf Baummaiden, eine Wassersängerin, einige Gestaltwandler und eine echte, geflügelte Dämonin, die mich etwas misstrauisch mustert. Einige Augenblicke später wird mir klar, das sie eine Nachtmahr ist.
Mein Blick wandert zurück zu den Feuerelementel. Eines davon tanzt als unbestimmbare Gestalt neben einem Feuer, das zweite trägt die Gestalt eines jungen Mädchens und ruht mitten in dem selben Feuer. Diese Geistwesen bestehen tatsächlich aus Feuer und können ihre Gestalt verändern, wie sie gerade wollen. Wobei sie aber immer aus Flammen bestehen und auch so aussehen.
Der Schwarm schillernd bunter Nissen saust an mir vorbei, doch eine davon kehrt um und lässt sich auf meinem Knie nieder, wo sie eine kleine Verbeugung macht. Ich lächle das zarte Geschöpf an und erkenne wie sich ihr dreieckiges, feines Gesicht freudig verzieht. Ein helles Trillern verlässt ihre Kehle und sie schließt sich ihren Kammerraden wieder an. Nissen gibt es eigentlich überall auf der Welt, wo auch immer genügend Vegetation vorhanden ist. Sie werden selten größer als Zehn Zentimeter und ihre hübschen, starren Flügel ähneln denen von Libellen, als welche sie auch öfter den Menschen erscheinen. Wie die großen Insekten sind sie ausgezeichnete Flieger. Ihre Körper kann man durchaus als Menschenähnlich bezeichnen, nur das alles an ihnen viel schärfer, härter und eckiger geschnitten ist und ihre Haut, ebenso wie ihre Flügeln schimmert farbig, je nachdem wo sie ihre Heimat haben. Hier am Amazonas sind sie dementsprechend buntschillernd, wie ein Regenbogen. Nissen sind keine echten dunklen Wesenheiten, aber auch keine wirklich hellen. Die frechen, kleinen Biester treiben gerne Schabernack und stehlen auch mal Kleinigkeiten.
Mein Blick irrt weiter und bleibt kurz an der zartgliedrigen Wassersängerin hängen, deren Haare und Augen von einem tiefen Blau sind und die mich mit neugierigen Blick betrachtet. Sie gehört wie die Nissen auch nicht ganz hier hin und auch nicht ganz dorthin. Die Stimme einer Wassersängerin kann so sehr bezaubern, dass man in einen ewigen Schlaf fällt. Ich bedenke sie mit einem freundlichem Nicken und lasse meinen Blick zu den Baummaiden weiterschweifen. Diese schlanken, schönen Geschöpfe sind eindeutig helle Wesenheiten. Ihre Haut wirkt wie aus Holz geschnitzt und alles an ihnen ist in braunen und grünen Farben gehalten. Zwischen den dichten, starren Haaren sprießen ihnen feine Ranken mit Blättern und Blumen aus der Kopfhaut. Sie sind eng mit den Bäumen verbunden und auch mit dem Land. Ihr Element ist eindeutig die Erde, außerdem können sie heilen, wenn sie möchten. Ich lächle ihnen zu, als zwei von ihnen grüßend die Hand erheben.
Als sich mein Blick den Gestaltwandlern, die etwas abseits sitzen zuwendet, weichen diese meinen Blicken aus. Sie sind Dämonen und können ihre Gestalt verändern, von daher ist es unmöglich zu sagen, ob dies ihr richtiges Aussehen ist. Im Gegensatz zu den Zweigestaltigen Wesen, wie Missa eines ist, können Gestaltwandler aussehen, wie sie eben wollen. Sogar unbelebtes können sie imitieren, wie zum Beispiel einen Felsen. Darunter aber sind sie immer sie selbst, während Missa und ihre Art wirklich zu dem Tier werden, dessen Gestalt sie tragen. Ich kann erkennen, das drei von ihnen eine Feuergabe in sich tragen.
Schließlich bleibt mein Blick wieder an der Nachtmahre hängen. Ihre beinnahen durchsichtigen, sehr dunkel gefärbten Flügel hat sie eng an ihren Körper angelegt und das störrische, tintenschwarze Haar fällt ihr offen um das feingezeichnete, beinnahe liebliche Gesicht. Ihre riesigen, schrägstehenden Augen weisen weder Iris noch Pupille auf und sind von einem tiefen Blauschwarz. Ihre Beine enden in Klauen, ebenso wie ihre zarten, langen Finger. Spitze, schneeweiße Zähne blitzen mir entgegen, als sie mich anlächelt. Ich lächle zurück und bemerke, dass auch sie eine Feuergabe in sich trägt.
Überwältigt wende ich mich wieder Missa zu, die die ganze Zeit geschwiegen hat.
"Das ist," meine ich leise, "beeindruckend."
Die Augen der Frau leuchten auf, doch dann kann ich mich nicht mehr auf sie konzentrieren, denn die Resonanz des Phönix erreicht mich. Ich kann spüren wie er hoch über uns fliegt und nachdem ich ihn bemerkt habe, nimmt er noch einmal Kontakt zu mir auf. Aufgrund der Entfernung ist dieser sehr schwach, aber ich verstehe trotzdem. Ein Lächeln breitet sich auf meinem Gesicht aus. Wieder wende ich mich Missa zu.
"Hoch über uns," ich klinge erfreut, "fliegt der Phönix. Er hat diese Zusammenkunft schon vorher bemerkt, aber nun möchte er sich zu uns gesellen."
Wieder erfüllt Ehrfurcht die Resonanz meiner Gegenüber. Sie nickt stumm und aufgeregt.

Stunden später, die Sonne ist schon lange untergegangen schwebe ich hoch über dem Fluss und blicke angespannt hinab. Zwischenzeitlich waren ich und Tamoran wieder in der Nefud, wo bereits Shanael und Uriel auf uns warteten. Die beiden hatten das Wesen in Rom ohne all zu große Probleme beseitigt und die drei Sandhexen leisteten in der Sahara ganze Arbeit. Den drei gelang es tatsächlich langsam aber sicher die Kreatur dort auszutrocknen.
Anschließend folgte ich meiner Aufgabe und reiste an mehrere verschiedene Orte um dort traurige Seelen zu trösten, wobei mich Tamoran wie ein Schatten begleitete.
Danach kehrten wir wieder in den Amazonas zurück um uns mit den Wesen dort zu beraten, wie wir am besten die beiden Kreaturen im Fluss zur Strecke bringen könnten. Nachdem auch Uriel und Shanael zu uns aufschlossen, haben wir schnell einen annehmbaren Plan zusammengestellt.
Und nun, nun schwebe ich hier, hoch oben und warte darauf, dass es los geht. Erstaunlicherweise halten sich die beiden Kreaturen recht nahe beieinander auf, von daher haben wir es wirklich mit allen beiden auf einmal zu tun, was die Sache nicht einfacher macht. Andererseits müssen wir dann nicht befürchten von hinten angegriffen zu werden. Ein schweres Seufzen dringt mir aus der Brust.
Von meinem Aussichtspunkt so hoch über dem Fluss kann ich erkennen wie sich die Wesen des Dschungels am Rande des Flusses verteilen und ihre Plätze einnehmen. Die Wassersängerin hat ihren Platz ein gutes Stück oberhalb der Kreaturen im Fluss erreicht und ich kann spüren, wie sie ihre Gabe nutzt. Mit sanfter Stimme überredet sie den Fluss dazu kurzzeitig einen anderen Verlauf zu nehmen und damit den beiden bösen Wesenheiten den Schutz des Wassers zu nehmen. Wie wir es besprochen haben tut sie dies ganz langsam, so dass es am Anfang kaum auffällt um dann den Rest auf einen Schlag umzuleiten. Sobald dies geschehen ist, werden alle hier, die eine Feuergabe besitzen die Kreaturen angreifen. Wobei jene Wesen, die über kein Feuer gebieten können den Angreifern den Rücken freihalten werden. Der Phönix verbirgt sich noch im nahen Wald. Er, oder besser gesagt seine Feuermagie, stellt neben Shanaels Gabe unserer beste Waffe dar. Die beiden würden sich zusammenschließen und versuchen die beiden Kreaturen aus der Luft schnell zu verbrennen. Wir hoffen sehr, das es uns gelingt sie regelrecht einzukesseln, so das es schnell geschehen kann.
Mein Blick schweift in die Dunkelheit um mich herum und ich entdecke bald Shanael, die lautlos in der Nähe im Kreis segelt. Uriel ist auch nicht weit und die Nachmahre fliegt auch hier oben herum. Ich kann ihre Schwingung gut erspüren und tief unter mir kann ich Tamorans Resonanz wahrnehmen. Shanael hat ihm einen ähnlichen Ring wie den meinen mitgebracht und ihn dem Wüstenläufer anvertraut. Von daher wird auch der sympathische Dämon mitten im Geschehen sein. Ich hoffe das ihm nichts passiert. Sinnend betrachte ich meinen eigenen Feuerring.
Ein weiteres Seufzen entflieht meiner Brust. Ich mag es nicht, dieses kämpfen und noch weniger mag ich das töten. Es ist mir schlicht zuwider, aber irgendwie habe ich wohl auch die Verantwortung mich zu beteiligen. Als eine der wenigen kann ich diese Kreaturen schon von weitem spüren.
Die Anspannung um mich herum wächst langsam, während nun endlich das Wasser weniger zu werden scheint und dann stockt mir der Atem. Eine der beiden Kreaturen taucht aus dem Fluss auf und zeigt sich. Sie ist gigantisch, noch größer als das Ding an den Oasen in der Nefud! Ein kalter Schauer jagt mir den Rücken hinab, während ich den amorphen, tintenschwarzen Körper mit den vielen Tentakeln unter mir in Augenschein nehme. Du liebe Zeit!
Diese Dinger werden wirklich immer größer, denn dieses hier ist mindestens fünfmal so groß, wie das allererste in New York. Ein Stirnrunzeln zieht über mein Gesicht. Ist das wirklich noch nicht einmal zwei Wochen her? Mir kommt es bedeutend länger vor.
Nervös streiche ich mir ein lose Strähne hinter das rechte Ohr und warte weiterhin. Meine Haut kribbelt als hätte ich Ameisen darauf, oder vielleicht auch darunter. Alles in allem fühle ich mich, als würden wir alle heute in die Schlacht ziehen. Einen Moment später wird mir klar, dass ich mir diesem Vergleich gar nicht so daneben liege. In gewisser Weise ziehen wir in eine Schlacht.
Der Wasserpegel sinkt immer weiter und legt nun auch die zweite der Kreaturen frei. Seltsam diese beiden Wesen scheinen näher zusammengerückt zu sein. Ahnen sie womöglich den bevorstehenden Angriff, oder bilde ich mir das nur ein?
Erneut streiche ich mir die widerspenstige Haarsträhne zurück und blicke mich angespannt um. Tief unter mir, im Gebüsch und Dschungel kann ich die lautlose Anspannung der Geschöpfe dort wahrnehmen, die den Kreis um diese beiden bösen Wesenheiten immer enger ziehen. Mir kommt es vor als würde sich die Zeit wie zäher Kaugummi dehnen und aus den Minuten Stunden machen. Verflixt, ich will das endlich hinter mir haben!
Als wären meine Gedanken der Auslöser gewesen erklingt nun der hohe, helle Schrei der Wassersängerin, der uns ankündigt, dass sie nun den gesamten Fluss umleitet. Beinahe schlagartig sinkt der Wasserspiegel unter uns auf ein Minimum und innerhalb weniger Sekunden beginnen beide Kreaturen wütend zu kreischen. Verwandelte Wesen tauchen um sie herum auf und der Kampf beginnt mit einer Heftigkeit, die mich zu Tode erschreckt. Nur wenige Augenblicke danach habe ich keine Zeit mehr zum nachdenken, denn auch ich selbst bin in die Kämpfe verstrickt.
Mittlerweile habe ich das lange Kampfmesser von Shanael angenommen und der Engel hat mir gezeigt wie ich damit umgehen muss. Zu meiner eigenen Überraschung habe ich ein natürliches Talent dafür und innerhalb weniger Stunden gelernt, mich damit recht effektiv zu wehren. Nun benutze ich es ohne darüber nachzudenken um mir die fliegenden verwandelten Wesen vom Leib zu halten, ebenso wie ich meinen Ring benutze. Uriel ist dicht bei mir und verschafft mir immer wieder kurze Ruhepausen um die Feuermagie auf die beiden Kreaturen zu lenken.
Erneut senke ich einen der dünnen, im hellem Rot leuchtenden Strahlen in eines davon und brenne ein Kopfgroßes Loch in den amorphen Körper. Dann muss ich aber auch schon wieder ablassen um einer weiteren fliegenden Kreatur auszuweichen. Von zwei anderen Seiten nähern sich mir nun auch zwei weitere verwandelte, fliegende Geschöpfe. Kurz beende ich meine Levitation und falle einige Meter in die Tiefe bevor ich die magische Energie in meinem Körper wieder konzentrieren kann und erneut schwebe. Der riskante Akt hat aber den gewünschten Effekt, denn meine Angreifer sind zusammengestoßen und haben sich ineinander verkrallt. Ein Feuerball von Shanael lässt sie zuckend verbrennen. Verwirrt frage ich mich, woher plötzlich all die verwandelten Wesen hergekommen sind. Ich konnte einige nahe bei den Schattenkreaturen spüren, aber gewiss nicht so viele.
Uriel, der von einem Wesen verfolgt wird, das entfernte Ähnlichkeit mit einem Greif hat, kommt im schnellen Flug auf mich zu. Geistesgegenwärtig richte ich die Magie meines Ringes auf seinen Verfolger, der daraufhin kreischend abstürzt. Die wenigen Momente, die der Engel braucht um zu mir zu kommen, kann ich für einen aufmerksamen Blick in die Runde nutzen.
Der Phönix greift überraschend aggressiv wieder und immer wieder die größere der beiden Kreaturen an. Mit seinen Schnabel und den Krallen reißt er große Fetzen aus dem tintenschwarzen Körper, noch mehr davon verbrennt in seinem natürlichen Feuer, das ihn umgibt. Auch die verwandelten Wesen, die ihn versuchen anzugreifen, verglühen darin schlicht.
Shanael derweilen kümmert sich um die zweite der riesigen Kreaturen, wobei sie von der Nachtmahre umschwirrt wird, die ihr jeden anderen Angreifer mit Krallen und Feuer vom Leibe hält. Der Schwarm Nissen, die ja alle auch ein wenig Feuermagie im Leib haben schwirren in einer dichten Formation wie Funken durch das Geschehen. Auch wenn sie zu klein sind um den großen Wesen zu schaden, so gelingt es ihnen doch die kleineren zu verkohlen und außer Gefecht zu setzen. Mein Blick folgt ihnen nach unten und dort sehe ich die Gestaltwandler, die sich all ihrer Fähigkeiten bedienen und ihre Gestalten ganz nach Bedarf verändern.
Zudem sehe ich, das es die Baummeiden tatsächlich zustande gebracht haben den Wald zurückweichen zu lassen, so dass er nun viele Meter weit weg vom Ufer eine geschlossene Linie bildet, durch die kein Wesen mehr dringen kann. Die beiden Feuerelementel haben die Form von großen Schlangen angenommen und wüten nicht nur unter den verwandelten Wesen, sonder sie schnellen auch immer wieder auf eine der großen Kreaturen zu und beißen gewaltige Stücke aus ihren Körpern.
Missa und eine ihrer Art verteidigen mit wütend gefletschten Zähnen jemanden, der auf dem Boden liegt. Die beiden Leopardenfrauen haben sich halb in ihre Verwandlung fallen lassen und sehen nun tatsächlich wie Raubkatzen aus, die auf zwei Beinen laufen. Der Nissenschwarm rauscht durch die Luft und kommt den beiden Frauen zu Hilfe. Mit schrillen Tönen umkreisen sie die drei großen Wesen, von denen sie angegriffen werden. Aber ich achte nicht mehr darauf. Überhaupt nehme ich einen Moment lang nichts mehr um mich herum wahr, denn ich spüre das Entsetzen in einer mir mittlerweile gut vertrauten Resonanz. Tamoran! Er ist es, den die beiden da verteidigen. Der Dämon ist verletzt und hat große Schmerzen.
Uriels Hände, die mich ergreifen, reißen mich aus meiner kurzfristigen Starre heraus.
“Uriel,” meine Stimme ist schrill, “es ist Tamoran.”
Der Engel nickt nur und ist bereits auf dem Weg nach unten. Sobald wir gelandet sind, lässt er mich los und ruft seine Sense zu sich. Mit heftigen Hieben bahnt er uns einen Weg zu den beiden Raubtierhaften Frauen, wobei ich fleißig meinen Ring benutze. Eines der drei Wesen, die Missa und ihre Freundin bedrohen, wendet sich uns zu, dann die zweite Kreatur. Während ich das eine verbrenne, zerteilt Uriel das zweite mitten im Sprung in zwei Teile. Sofort richte ich meinen Ring auch darauf, denn obwohl es zweigeteilt ist bewegt sich das Ding immer noch. Einer der Gestaltwandler kommt uns zu Hilfe und nutzt seine Feuergabe. Voller Angst laufe ich auf Tamoran zu, der sich auf dem Boden krümmt und dabei heftig seinen rechten Unterarm umklammert hält. Blut tropft zwischen seinen Finger hindurch. Er hat schreckliche Schmerzen und mir wird klar, dass er wohl gebissen wurde.
Schnell sinke ich neben ihm auf die Knie und berühre ihn vorsichtig an der Schulter. Mit schmerzverschleierten Augen sieht er zu mir auf.
“Gebissen...” krächzt er schwach, “das elende Ding hat mich gebissen.”
Ich nicke stumm und dann gelingt es mir seine Hand von der Verletzung zu lösen. Entsetzt blicke ich auf die klaffende Wunde und die Schwärze, die sich von dort aus über die Haut schlängelt. Instinktiv lege ich meine eigene Hände darauf und konzentriere mich. Erleichtert spüre ich wie meine Handflächen warm werden. Tamoran keucht auf, dann zieht er wieder die Luft ein, wobei er ein zischendes Geräusch verursacht. Schließlich aber entspannt er sich und ich öffne die Augen wieder. Voller ehrfürchtigem Staunen sieht er mich an. Langsam nehme ich die Hände wieder von der Wunde und kann sehen, wie die schwarzen Linien auf seiner dunklen Haut langsam verblassen.
Einen Moment später werde ich mir meiner Umgebung wieder bewusst und springe auf, als ein ohrenbetäubendes Kreischen ertönt. Erschrocken wende ich meinen Kopf und erblicke die eine der beiden großen Kreaturen, wie sie in hell lodernden Flammen steht und schließlich zuckend verbrennt.
Ein Geräusch hinter mir lässt mich herumfahren und ich richte automatisch meinen Ring auf das angreifende Wesen, das sich auf Uriels Sense aufgespießt hat. Tamoran plagt sich neben mir auf die Beine, noch immer fließt nicht wenig Blut aus der Wunde an seinem Unterarm, aber darum können wir uns im Moment nicht kümmern. Wütend knurrend richtet er seine eigene Hand auf ein anderes verwandeltes Wesen. Der Dämon hat schnell herausgefunden, wie er die Magie seines Feuerringes mit seiner eigenen Gabe verbinden kann. Das Wesen, auf das er es abgesehen hat, verbrennt chancenlos.
Mit schnellen Bewegungen sieht er sich um und auch ich bemerke nun, wie die Schlacht um uns herum ruhiger wird. Hinter uns brüllt die zweite der großen Kreaturen, die nun von dem Phönix, Shanael und dem Nissenschwarm zugleich attackiert wird. Mit einem heftigen Wutgefühl im Bauch wende ich mich ihr zu und schließe mich mit dem Feuerring dem Angriff an, während mir die anderen die wenigen noch angreifenden verwandelten Wesen vom Leib halten. Nun greifen auch noch die beiden Feuerelementel das schwarze, amorphe Wesen an. Minuten später ist der Kampf vorüber, die zweite Kreatur geht in Flammen auf und die letzten der verwandelten Wesen fallen.
Mein Herz rast noch immer und mein vom Adrenalin durchfluteter Körper bleibt angespannt. Langsam wende ich mich von dem verbrennenden Körper ab und Tamoran zu, der reichlich mitgenommen aussieht. Die Baummaiden sind wieder aus dem Wald hervorgekommen und kümmern sich nun um die Verwundeten. Ich stutze erschrocken und beginne sofort die Resonanzen um mich herum zu prüfen, aber nirgendwo kann ich noch etwas Verzerrtes oder Falsches herausfiltern. Missa bemerkt meinen irritierten Blick.
“Ich wurde selber verwundet, aber nicht gebissen.”
Ihre warme, rauchige Stimme beinhaltet einen Hauch von Besorgnis. Sie zeigt mir die Wunde, die wohl von Krallen stammt und noch während ich sie betrachte wird mir eines klar. Nur die Bisse sind ansteckend, nicht aber die Wunden, die die verwandelten Wesen mit den Krallen oder Klauen schlagen. Denn weder an Missas noch an eine der anderen Wunden, die ich hektisch in Augenschein nehme, kann ich etwas von dieser erschreckenden Schwärze sehen. Einzig allein der Biss eines verwandelten Wesens kann einen selbst infizieren!
Aufgeregt fahre ich zu Uriel herum, der mir nicht von der Seite gewichen ist als ich über den Schauplatz des Kampfes gelaufen bin und will mit ihm diese Erkenntnis teilen. Doch ich komme nicht mehr dazu etwas zu ihm zu sagen, denn plötzlich erfasst mich heftiger Schwindel. Meine Sicht verschwimmt, alles um mich herum dreht sich. Ich merke noch wie mir die Beine nachgeben und dass der Engel mich mit einem besorgten Ruf auffängt. Dann falle ich nur noch in die bodenlose Schwärze einer Bewusstlosigkeit.

Tief und tiefer falle ich, hinein in eine bodenlose Schwärze. Irgendwann scheine ich langsamer zu werden, obwohl hier Geschwindigkeit keine Rolle spielt. Schließlich schwebe ich sachte wie eine Feder in die Tiefe um dann meine Abwärtsbewegung ganz einzustellen.
Langsam drehe ich mich um mich selbst, aber ich kann nichts sehen. Um mich herum gibt es nur die Schwarze Finsternis, doch ich weiß dass ich keine Angst haben muss. Sie ist nicht kalt diese Dunkelheit und auch nicht verzerrt oder falsch. Im Gegenteil, ich fühle mich geborgen. Aber wo bin ich denn? Wie kam ich her? Verflixt was ist denn nun schon wieder los?
Ich würde zu gerne etwas sehen.
Als wäre der Gedanke ein Auslöser kann ich nun etwas sehen. In der Ferne, obwohl hier Entfernungen anscheinend keine Rolle spielen, so habe ich das Gefühl es wäre weit weg. Dort sehe ich nun eine Gestalt mit riesigen dunklen Schwingen, die wie die der Nachtmahre geformt sind und ebenso transparent wirken. Einen Moment später wird mir klar, das sie nicht dunkel sondern beinahe durchsichtig sind, so dass ich nur die Dunkelheit dahinter wahrnehme.
Sie nähert sich der Mitte dieses Ortes, auch wenn ich nicht begreife woher ich weiß, dass es die Mitte und diese Gestalt weiblich ist. Dort angekommen glüht sie plötzlich in hellem, blendenden Silberlicht auf, das ihre Konturen scharf nachzeichnet. Was für ein seltsames Wesen ist das nur? Wer ist sie? Wo kam sie her? Ich habe das Gefühl, dass ich dies eigentlich wissen sollte. Doch woher nur?
So fremdartig sie auch ist, ich finde sie wunderschön. Das Licht wird immer heller und dann scheint es aus ihr heraus zu explodieren. Die Materie, die sie mit sich herumgeschleppt hat löst sich von ihren Konturen und zerfällt zu tausenden Funken. Woher weiß ich, dass sie Materie mit sich herumgeschleppt hat?
Die Gewalt der Lichtexplosion verwandelt die Bruchstücke in glühende Splitter, die fortgeschleudert werden. Wie eine Sternenexplosion, so sieht es aus und die Gestalt ist ihr Mittelpunkt.
Auch mich ergreift die Druckwelle und treibt mich ein Stück vor sich her, der Raum um uns dehnt sich ein großes Stück aus, das kann ich spüren. Aus der Ferne, weit hinter mir ertönt ein gellender Schmerzschrei, doch als ich meinen Blick wende kann ich niemanden sehen.
Verstört wende ich mich wieder um, doch um mich herum ist wieder Dunkelheit, der Funkenregen ist vorbei. Doch diese Dunkelheit ist nicht mehr so tief wie zuvor. Überrascht erkenne ich, das ich mich nun in der Mitte befinde. Wie ich dort hin gekommen bin, weiß ich aber nicht. Ich bin nicht allein, doch nun kann ich mich nicht mehr bewegen.
Eine wundervolle Frauenstimme erklingt dicht neben meinem Ohr. Die Stimme ist unglaublich klangvoll, weich, fließend und voller Melodie. Jedes einzelne Wort wirkt, als wäre es ein Lied.
“Ich habe ihn verletzt,” sagt sie,” aber ich wollte das nicht. Ich wusste nicht das er da war und als ich es erkannte, hatte ich bereits all die Materie, die sich bei meiner Reise durch das große Chaos an mich geheftet hat, von mir gestoßen. Einer der Funken hat ihn getroffen und nun sind sie beide verloren gegangen im Chaos. Ich wusste lange nicht, ob er noch lebte. Aber dann habe ich die beiden in dieser Welt wieder gefunden.”
Ich begreife die Worte, aber nicht so wirklich ihren Sinn.
“Wer spricht da zu mir?”
Ein Lachen antwortet mir und mir wird bewusst, dass ich meine Gedanken ausgesprochen habe.
“Das ist unwichtig.” Erneut umfängt mich diese unglaubliche Stimme mit Wärme und Freundlichkeit. “Viel wichtiger ist es, dass du weißt, was geschieht. Durch das Chaos streift ein dunkles, bösartiges Wesen von schrecklicher Kälte. Es findet Welten, nistet sich dort ein und verdirbt sie ganz langsam, während es dort schläft. Schließlich ist sein unterbewusstes Tun so weit gediehen, dass es erwacht. Es sucht sich einen Partner, in den es eindringt, ihn aber nicht unterwirft. Es entsteht eine Symbiose. Danach beginnt es die Welt willentlich zu verändern, derenthalben bedient es sich Wesenheiten die es geschaffen hat und die die Welt allein durch ihre Anwesenheit verändern. Es nährt sich von der Welt bis nichts mehr übrig bleibt außer einem dunklen, kalten, verzerrten, bösen Ort. Dann zieht es weiter, taucht erneut ein in das große Chaos und findet eine neue Welt.”
Die Göttin, denn nichts anderes ist es, das hier mit mir spricht, hält kurz inne, während ich langsam das gesagte begreife. Erschrocken ziehe ich den Atem ein.
“Ja,” meint sie leise, “es ist genau das, was nun in deiner Welt geschieht. Aber es gibt einen Weg das böse Wesen aus dem Chaos aufzuhalten. In diese Welt wurden sieben Siegel gelegt, fünf davon in die der Menschen, eines an das Ende der Welt, einen Ort der gleichzeitig innerhalb und außerhalb der Welt der Lebenden existiert. Das siebte Siegel aber, das allererste wurde in die damals neu entstandene Hölle gelegt. Es ist dieses Siegel, das als erstes geöffnet werden muss! Nur wenn dieses Siegel geöffnet wurde können auch die anderen geöffnet werden. Wie es geht steht in dem Buch, letztes Licht, Hoffnung dieser Welt! Finde das Buch, suche die Siegel, öffne sie und am Ende tanze und leuchte wie noch nie zuvor und wenn du auch noch den verlorenen Funken gefunden hast, dann kannst du das Wesen aus dem Chaos vielleicht sogar vernichten!” Erschrocken fahre ich zusammen.
Nein das muss eine Verwechslung sein! Sie kann unmöglich mich meinen!
“Ich bin doch nur ein Mensch, der aus der Welt genommen wurde!”
Mein Ruf hallt durch den Raum um uns und erneut lacht die Göttin.
“Nein,” meint sie freundlich, “du bis viel, viel mehr. Aber das wirst du noch selbst herausfinden.”
Ihre Stimme wird leiser und ich kann mich bewegen. Erneut ist undurchdringliche Finsternis um mich herum. Wo ist sie hin?
Suchend sehe ich mich um, doch ich kann nichts mehr sehen.
“Suche das Buch,” dringen ihre Worte noch einmal leise zu mir, “finde die Siegel, öffne sie.”
Dann ist nur Stille um mich, bis mich ein anderes Geräusch aufhorchen lässt. Irgendjemand ruft nach mir. Ärgerlich schüttle ich den Kopf. Ich will noch nicht fort hier, doch die Stimme wird immer aufdringlicher. In meinen Kopf beginnt sich alles zu drehen und dann nehme ich das Gewicht meines eigenen Körpers wahr. Blinzelnd öffne ich die Augen und sehe einem überaus erschrockenen Uriel ins Gesicht.
“Hoffnung? He da bist du ja wieder! Geht es dir gut?”
Er klingt furchtbar erschrocken. Erneut blinzle ich.
“Was....” Ich muss mich räuspern, da mir die Stimme versagt.
“Was,” versuche ich es erneut, “ist passiert?”
Uriel lächelt erleichtert.
“Du bist einfach umgekippt.”
Seine Stimme ist immer noch voller Sorge, was mich die Stirn runzeln lässt. Vorsichtig setze ich mich auf und fahre mir benommen durchs Gesicht. Dann lasse ich meinen Blick schweifen und bin erstaunt über die Versammlung um mich herum.

Stunden später ist Shanael bereits wieder fort. Dieses Mal aber hatte sich mir die Gelegenheit geboten sie zu fragen an welche Zeiten denn sie nun gebunden ist. Etwas unbehaglich war mir schon, da ich das Gefühl hatte weit in ihre Privatsphäre einzudringen, aber ihr Lachen beruhigte mich schnell. Nun also weiß ich das es eine Art Zwischenebene gibt zwischen der Welt der Menschen und der Hölle. Dort geht und sinkt die Sonne im Zwölfstunden Takt und genau an diese Zeiten ist sie für gewöhnlich gebunden. Natürlich kann man auch direkt und ohne den Umweg über diese Zwischenebene in die Welt der Lebenden treten, was der Engel immer dann macht, wenn ihre Aufgabe sie an Orte führt an denen die Tag- und Nachtzeiten überhaupt nicht mit dieser Ebene übereinstimmen.
Dafür muss sie dann aber auf ihren Sonnenuntergang verzichten und verbringt anschließend meist etwas mehr Zeit in der Hölle. Ansonsten gilt für Shanael eigentlich nur, das sie die Sonne nicht aufgehen sehen darf und auch nur die wenigen Minuten des Sonnenuntergangs miterleben kann.
Mittlerweile steht nun hier schon die Sonne am Himmel. Von daher ist der rothaarige Engel längst losgezogen, ihre Aufgabe zu erfüllen. Vor wenigen Minuten ist nun auch Uriel aufgebrochen, ich jedoch wollte nun erst mal hier am Amazonas bleiben. Vor allem auch, weil sich mir hier endlich die Gelegenheit bietet mit einigen Dämonen zu reden, was ansonsten ja kaum möglich ist, da sie mich meiden. Hier allerdings bin ich wohl zu so etwas wie eine Heldin avanciert. Im Moment aber sind sie alle mit anderem beschäftigt. Einige der Wesen sind aufgebrochen um einige versprengte verwandelte Kreaturen aufzuspüren und zu erledigen, bevor sie noch jemanden ansteckten. Mittlerweile sind wir alle darüber einig geworden diese Verwandlungen als eine Art Krankheit zu bezeichnen. Tatsächlich hat sich mittlerweile die Bezeichnung, das schwarze Fieber durchgesetzt, was ich irgendwie passend finde.
Auch ich bin im Moment nicht dazu aufgelegt irgendjemanden Fragen zu stellen. Bisher habe ich noch niemanden von meinem seltsamen Traum erzählt. Ein humorloses Lächeln erscheint auf meinem Gesicht. Das war kein Traum, das war eindeutig irgendeine Art von Vision. Ich bin nicht unbedingt begeistert darüber. Als hätte ich nicht schon genug um die Ohren, nun also auch noch Visionen! Ich verdrehe einen Moment die Augen, dann schweift mein Blick wieder über das Lager.
Seltsam ist es schon gewesen, dieses Gefühl von Geborgenheit. Irgendwie wusste ich ganz genau, das mir nichts passieren konnte. Ein Stirnrunzeln zieht über mein Gesicht, während ich mir die Geschichte die mir erzählt wurde ins Gedächtnis rufe. Also folgt dieser ganze Wahnsinn wirklich einem Plan, geführt von einem einzigen Wesen, dass sich nun wohl in Symbiose zu einem Wesen dieser Welt befindet. Aber wer oder was kann das sein?
Ein Seufzen dringt mir tief aus der Brust. Erneut frage ich mich, wie zum Donnerwetter ich in all das hineingeraten bin. Was ist so anders an mir? Was bin ich? Woher komme ich? Bin ich wirklich ein Wesen des Schöpfergottes? Aber ich war doch als mehr oder weniger gewöhnlicher Mensch geboren worden. Wie soll ich da etwas anderes sein?
Die Antwort ist da, ich kann sie ganz nahe unter der Oberfläche meines Bewusstseins spüren, aber ich bekomme sie schlicht nicht zu fassen. Ich komme nicht darauf was es ist. Frustriert stehe ich auf und beginne etwas herum zu gehen. Schließlich sehe ich nach Tamoran, der nach dem Erlebnis heute Nacht reichlich fertig war und nun schläft. Besorgt streiche ich dem Dämon das schwarze Haar aus der Stirn, was ihn sich ein wenig bewegen läst. Er wacht aber nicht auf. Vorsichtig befühle ich seine Stirn, ob er Fieber hat und lasse erleichtert von ihm ab, als es nicht so ist. Eine der Baummaiden hat die Wunde an seinem Unterarm gesäubert, mit einer Heiltinktur ausgewaschen, anschließend genäht und dann verbunden. Der Unterschied zwischen der dunklen Haut und dem weißen Verband könnte kaum größer sein. Wieder muss ich an seine Schmerzen denken und an die Tiefschwarzen Linien, die sich selbst von seiner dunklen Hautfarbe abhoben. Ein kalter Schauer läuft mir über den Rücken. Wenn ich nicht so schnell bei ihm gewesen wäre, dann befände sich nun seine Asche mit der der anderen verwandelten Wesen im Flussbett und würde langsam vom Wasser fort getragen.
Was mich an der ganzen Sache so schrecklich irritiert ist die Tatsache, dass es bei Uriel viele Stunden dauerte, bis die ersten Anzeichen eine Verwandlung einsetzten, aber bei dem Wüstenläufer innerhalb kürzester Zeit. Ebenso wie bei mir. Ich habe mich etwas mit Missa unterhalten und erfahren, dass sich scheinbar dunkle Wesenheiten viel schneller verwandelten als Helle. Was mir dabei so zu schaffen macht ist mein eigenes Erlebnis in der Wüste und die Tatsache das auch bei mir die Anzeichen einer Verwandlung sehr schnell eingetreten sind. Aber ich bin keine dunkle Wesenheit. Ich bin mir nicht sicher ob ich eine Helle bin, aber das ich keine Dunkle bin, darüber bin ich mir sehr sicher. Ein weiterer Seufzer entringt sich meiner Kehle.
Schließlich blicke ich wieder auf Tamoran hinab und sehe erfreut das der Mann die Augen geöffnet hat. Er sieht mich erstaunt an, dann huscht sein typisches Grinsen über das gut aussehende Gewicht.
"Hast dir wohl Sorgen gemacht?"
Ich nicke lächelnd.
"Ich wollte nur sicher gehen, dass du auch wirklich nicht infiziert wurdest."
Meine Stimme klingt müde und der Dämon nickt verstehenden, dann setzt er sich vorsichtig auf.
"Um ehrlich zu sein," seine Stimme klingt erschöpft, "fühle ich mich als wäre eine ganze Herde Elefanten über mich drüber getrampelt. Aber so geht es mir eigentlich ganz gut."
Er lächelt kurz, wird dann aber sofort wieder ernst. Eine Zeitlang schweigen wir, schließlich beginnt er leise zu sprechen.
"Was du da gemacht hast, da draußen, nachdem das Ding mich gebissen hat, das ..." Ihm stockt kurz die Stimme, aber nur einen Moment später hat sich der Mann gefangen. "Das war, als hätte mir jemand eine Infusion mit flüssigem Licht gelegt, verstehst du. Das ist einfach so durch mich durchgerauscht."
Er sieht mich mit einem seltsamen Ausdruck auf dem Gesicht an, dann fährt er sich etwas fahrig durch die Haare.
"Weißt du, es war nicht unangenehm, das nicht, aber irgendwie total heftig. Verstehst du? So etwas habe ich vorher noch nie erlebt."
Ich lege ihm beruhigend eine Hand auf die Schulter.
"Ich verstehe schon, Tamoran."
Es ist tatsächlich so, ich verstehe den Dämon sehr gut. Ein weiteres Stirnrunzeln zieht über meine Züge. Ich wende mich dem Wüstenläufer wieder zu.
"Tamoran? Wir sind Freunde, oder?"
Der Mann sieht mich kurz an. Mir scheint als würde tiefe Traurigkeit in seinen bernsteinfarbenen Augen aufblitzen und sie kurz dunkler färben. Doch gleich darauf ist dieser Ausdruck auch schon wieder verschwunden und er lächelt mir ehrlich entgegen.
"Ja, das sind wir!"
Seine Stimme ist ehrlich und auch in seiner Resonanz kann ich keine offensichtliche Lüge erkennen. Wahrscheinlich habe ich es mir nur eingebildet, oder der Dämon hatte einmal eine Freundin, an die ich ihn erinnere. Wieder sitzen wir eine Zeitlang nebeneinander ohne etwas zu sagen.
"Liebe Hoffnung," Tamorans Stimme ist leise, "du hast irgendetwas auf dem Herzen, oder? Willst du mir sagen was?"
Ich sehe ihn von der Seite an. Bin ich wirklich so leicht zu durchschauen?
"Ja," antworte ich schließlich und streiche mir eine Haarsträhne hinter das recht Ohr, "ich habe etwas auf dem Herzen. Es geht um diesen Spiegel. Ich denke ich muss ihn bald benutzen, obwohl ich mir absolut nicht sicher bin, ob das richtig ist."
Ich ende mit einem Seufzen und Tamoran nickt verstehend.
"Ah ja, du machst dir Sorgen, dass doch noch irgendwo ein Hacken dran ist, oder?"
Er sieht mich an und als ich nicke verfällt er kurz ins Grübeln. Schließlich blickt er mich mit einem hellen Funkeln in den Augen an.
"Zeig ihn doch einfach der Nachtmahre. Wenn es Wesen auf der Welt gibt, die verborgene Fallen oder ähnliches in etwas erkennen können, dann sind es Nachtmahre." Er grinst mich kurz an. "Es gibt kaum etwas was die nicht raus finden."
Ich sehe ihn erstaunt an. An das habe ich noch gar nicht gedacht. Ich weiß einfach zuwenig über die verschiedenen Dämonenrassen, vielleicht würde mir ja der Wüstenläufer Nachhilfe darin geben. Dankbar drücke ich ihm einen Kuss auf die Wange, was ihn überrascht erstarren lässt. Einen kleinen Moment werden seine Augen groß, dann fährt er sich zaghaft mit der Hand über die Stelle. Schließlich sieht er mich an.
"Tust du mir einen Gefallen und warnst mich vor, bevor du solche Sachen machst. Sonst bleibt mir irgendwann noch das Herz stehen."
Einen kurzen Moment erschrecke ich, bis ich das Grinsen auf seinem Gesicht sehe.
"Oh," rufe ich aus, "du ...du... du Dämon, du!" Empört, aber auch belustigt boxe ich ihn leicht in die Schulter, was er nur mit einem weiteren breiten Grinsen quittiert.
Anschließen unterhalten wir uns leise über unverfängliches und schließlich verlasse ich den immer noch erschöpften Mann wieder, damit er sich noch etwas hinlegt. Anschließen suche ich nach der Nachtmahre und bitte sie, nachdem ich sie gefunden habe um Hilfe. Lange und sehr eingehend untersucht sie den Spiegel, schließlich hebt sie wieder den Blick.
"Dein Blick," spricht sie mit ihrer überraschend sanften Stimme, "ist sehr scharf. Es stimmt tatsächlich etwas nicht mit diesem Spiegel. Aber es ist nicht viel, nur eine winzige Kleinigkeit. Er wird dir immer nur die Wahrheit und alles was du willst zeigen, bis auf eines. Ein ganz bestimmtes Wesen, an einem ganz bestimmten Ort, das wird er dir nicht zeigen, selbst wenn es sich dort aufhält. Jeder andere an diesem Ort, oder dieses bestimmte Wesen an jeden anderen Ort wird er dir wahrheitsgetreu zeigen. Aber dieses Wesen an diesem Ort, das wird er dir nicht zeigen. Das ist alles. Ich denke, wer auch immer dir den Spiegel gegeben hat will nicht, das du weißt das dieses Wesen diesen Ort betreten kann. Welches Wesen und welcher Ort das ist, das kann ich dir leider nicht sagen."
Sie sieht mich ernst und ein wenig bedauernd an.
"Darum mach dir keine Sorgen," meine ich freundlich, "du hast mir sehr weitergeholfen."
Die Dämonin nickt mir freundlich zu.
"Das freut mich sehr."
Ich lächle sie an und verabschiede mich fürs erste wieder von ihr.
Etwas später sitze ich allein an einem etwas abgeschiedenen Platz am Rande des Lagers und denke nach. Also will Satan irgendetwas vor mir verbergen, allein das ist schon interessant. Doch noch besser ist die Tatsache, das ich den Spiegel für etwas anderes benutzen kann. Noch fühle ich mich nicht wirklich dazu bereit Lucifers Geschichte zu erfahren, aber ich kann den Spiegel dazu benutzen das Buch der Prophezeiungen zu suchen. Still stecke ich das Objekt wieder in die Tasche und lasse meinen Blick über das nunmehr ruhige Lager schweifen.
Jene Wesenheiten, die aufgebrochen waren um die versprengten verwandelten Wesen zu finden und zu töten sind wieder zurück und waren, den Resonanzen zu schließen, auch erfolgreich. Die Verwundeten sind versorgt und eines der Feuerelementel sitzt im Kochfeuer, wo es aufpasst, das der von einer Gestaltwandlerin gekochte Eintopf nicht anbrennt, oder überkocht. Der Phönix sitzt in einem nahen Baum und hat den Kopf unter den Flügel gesteckt. Die Gestaltwandler scheinen etwas aufgetaut zu sein. einer davon unterhält sich sehr angeregt mit der Nachtmahre und einer Baummaid. Ein Lachen dringt zu mir von dort, während die Nachtmahre kleine Kugeln aus Dunkelheit erschafft. Die Nissen kichern, während sie diese magischen Erscheinungen auflösen. Missa sieht der Gestaltwandlerin, die kocht über die Schulter. Eine zweite Leopardenfrau liegt auf einem nahem, tief hängenden Ast und gähnt entspannt. Ein Lächeln fließt mir über die Lippen, während ich mich in diesem so ungewöhnlichem Lager umblicke. Wer hätte auch gedacht, das sich diese verschiedenen Wesenheiten so gut miteinander verstehen können, wenn sie wollen. Ich schüttle verwundert den Kopf.
Sinnend wandert mein Blick ins Leere. Ich frage mich, wie ich unbemerkt nach dem Buch suchen kann. Bisher habe ich noch niemanden davon erzählt, das ich den Spiegel benutzen will um es zu finden. Ein kurzes, schräges Grinsen erscheint auf meinen Zügen. So hatte sich das Satan ganz gewiss nicht gedacht. Weiß er überhaupt von dem Buch? Ich vermute es zumindest.
Die Resonanz einer traurigen Seele hallt durch die Welt und plötzlich habe ich meinen Vorwand um diesen Ort zu verlassen. Alleine, denn den verwundeten Tamoran will ich nicht mitnehmen. Wobei die Tatsache das er verwundet ist mir, so schlimm es auch klingt, gerade recht kommt.
Ich erhebe mich langsam und sehe Missa auf mich zukommen.
"Eine traurige Seele ruft nach mir," antworte ich auf ihren fragenden Blick, "ich möchte Tamoran deswegen nicht aufwecken."
Die Leopardenfrau nickt verstehend.
"Es wäre mir und den anderen lieber, wenn dich jemand begleitet." Ihre Stimme klingt leise.
Also das verblüfft mich nun aber. Verwirrt sehe ich sie an, worauf die Dämonin seufzt.
"Du fragst dich sicher weshalb uns das lieber wäre, aber wir alle machen uns ein klein wenig Sorgen um dich. Wir fürchten dass dir etwas passieren könnte."
Sie sieht mich mit einem undeutbaren Blick an, ihrer Resonanz kann ich entnehmen, dass sie es ehrlich meint. Ich bin ein wenig verwirrt und frage mich, warum sich plötzlich Dämonen um mich sorgen.
"Warum? Normalerweise haltet ihr Dämonen euch doch fern von mir, also warum?"
Meine Frage scheint sie nicht zu überraschen. Sie seufzt ein zweites Mal.
"Wie soll ich das nur erklären?" Die Frau runzelt kurz die Stirn. "In Ordnung, die meisten Dämonen sind so genannte physische, also solche die in dieser Welt geboren werden wie ich, oder Tamoran, die Gestaltwandler und selbst die Nachtmahre. Wir können die Hölle besuchen, aber erst nach unserem physischen Tod sind wir dazu verpflichtet die Hölle als unsere Heimat anzuerkennen und den Regeln dort unterworfen, außer natürlich wir hätten schon zuvor unserer Seelen verpfändet. Dann tritt das schon eher ein, also die Verpflichtung gegenüber dessen, dem wir die Seele verpfändet haben."
Ich nicke langsam und frage mich warum sie mir das jetzt erzählt. Ich nehme an, das es wohl wichtig ist, von daher fordere ich sie mit einer Geste auf weiter zu sprechen. Sie nickt kurz und fährt fort.
"Gut, es gibt auch andere Dämonen, diese werden in der Hölle geboren und verpflichten sich demnach so bald wie möglich. Normalerweise gilt diese Verpflichtung dem Herrn der Hölle, also Lucifer. Aber da er ja auch gleichzeitig ein Gefangener dort ist, braucht er einen Stellvertreter, dem die Hölle als ganzes mehr oder weniger unterstellt ist. Das ist Satan. Bei Lucifer liegt aber immer noch die allerletzte Macht, zum Beispiel welche Seele genug gelitten hat und gehen darf, oder welche für immer dort zu bleiben hat und ähnliches."
Sie sieht mich aufmerksam an und ich nicke erneut zum Zeichen das ich auch das verstanden habe. Im Stillen frage ich mich aber immer noch worauf die Leopardenfrau hinaus will. Missa spricht nun langsam weiter.
"Normalerweise verpflichten wir physischen Dämonen uns nach dem Tod jenem, dem wir schon zuvor treu ergeben waren. In meinem Fall, eigentlich im Fall aller hier versammelter Dämonen ist das Lucifer. Es gibt aber auch welche die sich Satan verschrieben haben. Bei den höllischen Dämonen sieht das ähnlich aus."
Ich runzle kurz die Stirn.
"Also willst du mir sagen, das die Hölle praktisch in zwei Lager gespalten ist?”
Die Dämonin nickt.
“Und,” frage ich nun, “was hat das jetzt mit mir zu tun?”
Ein kurzes Lächeln erscheint auf Missas Gesicht.
“Du,” meint sie nun leise, “bis fähig Lucifer zu berühren, was natürlich auch Satan schnell herausgefunden hat. Seither hat er ein reges Interesse an dir. Und er ist nicht sonderlich geduldig, was bedeutet, dass er auch nicht davor zurückschreckt einen physischen Dämon ermorden zu lassen, damit er ihn in die Finger bekommt. Er weiß sehr genau wie er das aus einem herausbekommt, was er wissen will. Von daher halten wir, die wir Lucifer treu ergeben sind uns eigentlich von dir fern, nicht nur um uns selbst zu schützen, sondern auch um dich zu schützen. Es wäre schlimm wenn einer von uns irgendwie eine Schwäche von dir erfahren und dann in Satans Fänge geraten würde. Er würde so eine Information schonungslos gegen dich einsetzten. Verstehst du?”
Ich runzle die Stirn und denke einige Augenblicke über das gesagte nach.
Schließlich sehe ich Missa wieder an.
“Ich denke schon. Aber sag Missa, es gibt auch Dämonen , die regelrecht Angst vor mir haben. Das habe ich schon erlebt. Was ist mit denen?”
Die Frau nickt langsam.
“Das sind wohl höllische Dämonen, die fürchten dich beinnahe alle. Ich weiß nicht warum oder weshalb. Vielleicht liegt es an deinem reinen Licht.” Sie hebt kurz die Schultern.
“Was ist nun, darf ich dich begleiten?”
Langsam dämmert mir, warum sie mir das alles erzählt hat. Irgendetwas hat sich jetzt geändert.
“Missa,” meine Stimme wird ernst, “glaubst ihr, du und deine Freunde, dass Satan von seinem vorherigen Vorgehen abgewichen ist und jemanden auf mich angesetzt hat um meine Schwächen herauszufinden?”
Die Dämonin nickt unglücklich.
“Ja,” meint sie schlicht, “das oder um dich zu töten. Soweit es die Gerüchte besagen scheinst du ihm nämlich plötzlich im Weg zu sein.”
Da ist es, einfach und ganz klar ausgesprochen. Es ist wahr, das erkenne ich an ihrer Resonanz und auch daran wie es sich in mir anfühlt. Ich seufze leise.
“Also gut, komm mit mir.”
Die Leopardenfrau blickt mich erfreut an und lächelt. Mein Blick schweift noch einmal über das Lager. Ich beschließe in diesem Moment, dass ich die Dämonin einweihen werde. Vielleicht kann sie mir sogar helfen. Seltsam, ich kenne Missa gerade einmal einen Tag, aber ihr kann ich nun schon mehr vertrauen als Tamoran. Ich frage mich warum das so ist. Irgendetwas ist seltsam an dem sympathischen Wüstendämon, nur was?
 
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Kommentare  

Hallo Doska,

es freut mich sehr, dass auch dir dieser Teil so gut gefällt. Wie schön, dass meine Wesenheiten einerseits schön aber auch andererseits ein wenig unheimlich rüberkommen. So war es gedacht und gewollt, denn harmlos sind sie ja nicht.

Liebe Grüße


Tis-Anariel (02.05.2010)

Das hast du ja wirklich toll beschrieben wie diese völlig unterschiedlichen Geschöpfe plötzlich zusammen halten können. Äußerlich erscheinen sie mir auf ihre sonderbare Weise schön, aber sie wirken auch unheimlich. Alle haben verschiedene Fähigkeiten, die sie unter Hoffnungs Führung geschickt gegen die schwarzen - alles zerstörenden - Kreaturen einsetzen. Doch noch hat sich der wahre Feind nicht gezeigt. Wer mag das sein und wen hat er sich als Verbündeten ausgesucht? Hoffentlich nicht Tamoran, denn du beschreibst ihn als sehr sympathisch. Bin gespannt wie es weitergeht.

doska (02.05.2010)

Ja aber Jochen!!! Allein für das "Weibchen" würde die dir wohl eine wischen und bedenke,sie hat Krallen...-lautlacht-
Ne im ernst, freut mich, dass dir auch dieser Teil so gut gefällt.
Nun ein Dschungelkrieg wars ja nicht, eher eine Schlacht. Schön, dass ich die Beschreibungen gut hinbekommen habe.

Liebe Grüße
an dich


Tis-Anariel (29.04.2010)

Interessante Frau, dein Leopardenweibchen. Ob sie wohl faucht, wenn man sie ...streichelt? *Grins* Nein, nein, es ist schon toll, wieviele fantastische Wesen in diesem Kapitel auftauchen und es ist sehr beeindruckend, wie du den großen Djungelkrieg gegen die widerwertigen Schattenwesen schilderst und auch sehr geheimnisvoll Hoffnungs Begegnung mit der Göttin der Zwischenwelt und immer noch unklar auf welcher Seite der kämpfenden Mächte Tamoran eigentlich wirklich steht. Ein tolles Kapitel. Sehr gelungen.

Jochen (29.04.2010)

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