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Veränderung

Nachdenkliches · Poetisches · Experimentelles
Lasse ich meiner inneren Natur freien Lauf zerfließt mein ganzes Handeln und Tun in Revolte, kommt das Tier in mir zum Vorschein, dem die Fesseln der Kultur abgelegt worden sind. Viel zu lange ist es in seinem Käfig auf und ab gelaufen; viel zu lange sind seine Instinkte unterdrückt, abgemildert, geschliffen worden.

Das Tier möchte aber es selbst sein; es möchte Authentizität. Drückt dieses Wörtchen nicht vielleicht eben genau diesen Willen aus, der in uns allen dahinschwelt und nur darauf wartet, endlich zu einem Flächenbrand werden zu können? Zu einem Flächenbrand, der alles um uns herum vernichtet, zu Asche verbrennt?

Das Tier Mensch möchte den Krieg, die Kultur aber verbietet ihn. Aus Vernunft, so hat es den Anschein.

Typisch abendländischer Dualismus. Kann nicht beides ineinander fließen; eins werden und so schöpferisch zu etwas neuem werden, das es vermag, das, was es schon gibt, zu erhöhen?
 
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Kommentare  

„Es ist gefährlich, den Menschen zu sehr merken
zu lassen, wie sehr er den Tieren gleicht, ohne
ihm seine Größe zu zeigen. Es ist auch gefährlich,
ihn zu sehr seine Größe fühlen zu lassen, ohne
ihm seine Niedrigkeit zu zeigen. Es ist noch
gefährlicher, ihn über beides in Unkenntnis zu
lassen. Aber es ist sehr vorteilhaft, ihm beides
vor Augen zu stellen. – Er soll weder glauben, er
sei nur den Tieren oder nur den Engeln ähnlich,
noch soll er über beides in Unkenntnis sein,
sondern er soll beides wissen. Der Mensch ist
weder Engel noch Tier, und das Unglück will es,
dass wer einen Engel aus ihm machen will, ein
Tier aus ihm macht.“ (Blaise Pascal, 1623-1662)


Siebensteins Traum (14.11.2010)

Ein kleiner Text mit großem Anklang wie es scheint.

An zwei Thesen stoße ich mich jedoch etwas.
Die erste wäre hierbei die Analogie des Tieres.
Wilde, alles verschlingende Zerstörungswut, der Drang nach Zerstörung der Ordnung, Hierarchie und Revolte oder sogar Krieg ist sicher nichts, das man auch nur ansatzweise im Tierreich finden könnte.
Reglements zum Zusammenleben findet man letztendlich in jeder Spezies.
Du setzt den Drang nach reiner... ich nenn es einfach mal "Bosheit" dem Tier gleich - was mich zur zweiten These bringt, nämlich das der Drang nach Zerstörung, Disharmonie und freizügig Morden, ja sogar Krieg in einem jeden Menschen liegt und nur durch den Zwang einer Kultur im Zaum gehalten wird.

An dieser Stelle wäre es interessant zu wissen, welche Instinkte du denn für "unterdrückt, abgemildert" und "geschliffen" hälst.

Ist deines Protagonisten innere Natur nur nach Revolte zumute versuch ich mich einfach mal in fernöstlicher Philosophie um eine Antwort zu geben. Die besagt ganz banal, dass der Urspung allen Leidens das Begehren ist.
Mehr zu besitzen, mehr zu erreichen, mehr zu sein als man ist.

Dieses Begehren hingegen ist bedingt durch unsere Intelligenz, was es zu einer rein menschlichen und somit völlig dem Tiere unüblichen Erscheinung macht.

Folgt man diesem Gedankenpfad weiter so ist das Tier in deinem Protagonisten also der Mensch selber, der gegen alle Ordnung rebellieren möchte.

Somit wäre der Tier-Mensch der Mensch-Mensch. Derjenige der er ist und derjenige der er sein möchte und wenn isch beide treffen oder "in einander fließen" dann vermag sich jener Mensch durchaus zu etwas erhöhen.

----------

Soviel dazu.
Das Thema "Krieg", welches du hier auch noch anschneidest, und mit Entladung der angestauten Triebe gleichsetzt würde sicher einer noch viel längeren Antwort bedürfen - ein andermal sicher.


Jingizu (27.07.2010)

Eine animalische Anthropologie, für die es sicherlich gute Argumente gibt.
Für mich wäre sie allerdings zu vage und abstrakt, die ursprüngliche Natur, die sie beschreibt, in der Menschen kulturlos lebten, hat es z.B. niemals gegeben. Außer man fasst den Kulturbegriff so eng, dass er nur noch einige wenige Aspekte seiner eigentlichen Bedeutung enthält. Ebenso gabs es niemals keine regulierenden Momente im menschlichen Zusammenleben.
Es erinnert mich ein wenig an den Naturzustand bei Hobbes.
Mir scheint es immer noch so zu sein, dass Kultur und Sozialität zur Natur des Menschen gehören und er somit nicht "gezähmt" ist.
Die Idee, Krieg sei im grunde eine Entladung angestauter Triebe, ist interessant.
Die Frage, warum es Kriege gibt, dürfte wohl die meisten Menschen irgendwann mal beschäftigen und dementsprechend vielfältig fallen die Antworten darauf aus.
Ich will hier auch nicht einfach rumdiskutieren oder dir unterstellen, dass du Unrecht hast und ich Recht, es ist einfach ein Gebiet, auf dem mir der Austausch unterschiedlicher Positionen sehr sinnvoll erscheint.


Benjamin Spirthahrm (27.07.2010)

Vielen Dank für die vielen Kommentare. Gerne
füge ich noch ein paar Erläuterungen zu meinem
kurzen Text hinzu.

Der Mensch ist ein Tier. Eines von vielen. Die
Instinkte, d.h. die unverfälschten Triebe, die es
in jedem anderen Tier auch gibt, sind auch im
Menschen noch vorhanden. Sie werden aber
durch die Kultur ständig unterdrückt, kanalisiert
oder, falls kulturell erwünscht, auch freien Lauf
gelassen. Das ist ein lebenslanger Prozess, der
mit der Geburt beginnt und erst mit dem Tod
endet. Jede Kultur tut es, jede auf ihre eigene
Art und Weise, weil jede sich anderen
Gegebenheiten konfrontiert gesehen hatte und
jede dementsprechende Lösungen auf ganz
spezielle Umständen bzw. spezielle Probleme
finden musste. Dadurch entsteht ein spezifisches
Muster, eine ganz spezifische, kulturelle Prägung,
die sich beim Tier Mensch auf Dauer nachhaltig
auch in einem spezifisch neuronalen Muster
niederschlägt.
Dennoch sind die Urinstinkte in den Menschen
noch vorhanden, und zwar auch in ihrer reinsten
Form. Sie sind nur verschüttet, können aber
jederzeit wieder an die Oberfläche geraten.
Hierzu bedarf es eines Impulses, der dem die
ganze Zeit immer weiter gespannten Bogen auf
einen Schlag freie Bahn lässt, so dass es zu dem
in diesem Text beschriebenen Flächenbrand (=
Krieg?) kommen kann. Vielleicht ist jedweder
Krieg nichts anderes, als eine gewaltige
Entladung der die ganze Zeit unterdrückten und
deshalb auch angestauten Triebe, Energien,
Urinstinkte (>Katharsis) – wie man es auch immer
nennen mag?
Jede Kultur ist sinnvoll. Die kulturelle Prägung
ermöglicht erst das menschliche Zusammenleben
in der jeweiligen Kultur, in der sie entstanden ist.
Würde jeder Mensch seinen inneren Instinkten in
einer Gemeinschaft ständig freien Lauf lassen,
würde Chaos entstehen, würde dies über kurz
oder lang zur Vernichtung der gesamten
Gemeinschaft führen, höchstwahrscheinlich zu
einem Krieg aller gegen aller – aber letztendlich
auch zu einer neuen Ordnung, zu einer echten
Veränderung? Triebbeherrschung ist eine
Bedingung für gemeinschaftliches
Zusammenlernen, die Instinkte des Tieres
Mensch müssen ständig unterdrückt oder
kanalisiert werden, möchte es für sich ein
gemeinschaftliches Zusammenleben ermöglichen.
Das Gedankenexperiment, das ich in diesem Text
entsponnen habe, war der Versuch, sich von den
Zwängen, welche durch eine Gemeinschaft für
jedes Individuum zwangsläufig entstehen
müssen, einfach mal frei zu machen, tief
durchzuatmen und nachzuspüren, wie es wohl
wäre, wenn man nicht zu dem geworden wäre,
zu dem man letztendlich (unfreiwillig?) geworden
ist: ein gezähmtes Tier, ein Tier Mensch.
Und ja: es gibt auch den Menschen im Tier.
Nämlich genau dann, wenn ein Tier von uns
gezähmt worden ist, und zwar durch den
gleichen Prozess, wie er auch bei uns selbst
Anwendung gefunden hat.


Siebensteins Traum (27.07.2010)

Hallo Siebenstein, du hast hier interessante Gedankengänge so spannend aufgeschrieben, dass man sich sehr angesprochen fühlt und das ist eine Leistung. Darum auch von mir ein dickes, fettes grün. Und was sagst du nun zu all diesen tollen Kommentaren unter deinem Text? Ich bin sehr gespannt, was du antwortest.

doska (26.07.2010)

und das würden tiere nie tun. also doch kein tier.
grüß dich


rosmarin (26.07.2010)

der mensch ist ein soziales wesen wie viele andere tiere, er braucht unbedingt die gegenwart anderer menschen, wofür auch immer...
obwohl er ohne weiteres seine eigene spezies für ein bischen gold oder geld verraten würde. ;)


Ingrid Alias I (26.07.2010)

Mutierte Säugetiere vielleicht

Nakita Kallehave (26.07.2010)

jepp, eigentlich sind wir ja die obertiere, weil wir denken und somit die tiere beherrschen können. und wir nennen uns tier mensch, so wie wir die tiere unterscheiden in wildtiere, haustiere, rudeltiere, säugetiere, reptilien, insekten, einzelgänger, nackte tiere, felltiere, schuppentiere, raubtiere, allesfresser, fleischfresser, aasfresser usw. wie die menschen auch. und so könnte man immer weiter spinnen. und zu welcher gattung gehören wir nun? mensch, tier, tiermensch, menschtier. mutierte wesen?

rosmarin (26.07.2010)

Oft fragte ich mich schon, warum wir Menschen nicht zu den Tieren gehören. Ja natürlich, wir sind um ein vielfaches intelligenter... Und sonst? Wir sind sehr weit entwickelte Lebewesen... macht das uns zu einer eigenen Lebensform?
Weiss jemand den Grund?

Naja, unter dem Begriff " Tier im Menschen" versteh ich jediglich die Urinstinkte, die in allem Leben herrschen. Wenn auch nicht in jedem Leben die selben


Nakita Kallehave (26.07.2010)

bildlich gesehen, gefällt mir der philosophische gedanke und die erhöhung. ich denke aber, wie benjamin, dass es das tier im menschen real nicht gibt. es ist die dualität von gut und böse. obwohl wir ja gerne mal sagen - er benimmt sich wie ein tier - aber welches? tiere sind von der anlage her auch sehr unterschiedlich. das verhalten des menschen wird von der gesellschaft und ihren moralischen vorstellungen diktiert und von der umwelt geprägt. das tier handelt ursprünglich instinktiv, spontan. es überlegt nicht. nehmen wir aber zum beispiel mal ein haustier oder ein dressiertes tier. es fügt sich, wie der mensch auch, allerdings nur bedingt, weil es abhängig vom menschen ist, weil dieser es füttert. sobald das tier jedoch eine gelegenheit hat, auszubrechen oder zurückzuschlagen, tut es es, wie beispiele belegen. können wir nun vom mensch im tier sprechen?
grüß dich


rosmarin (26.07.2010)

Hey!
Abgesehen davon, dass ich zum einen nicht verstehe, wieso "Das Tier Mensch" den Krieg wollen soll und ich mich zum anderen frage, wieso die "menschliche Natur" als unterdrückte Antipode der unterdrückenden Kultur beschrieben wird, gefällt mir, dass dein Text dieses Thema so direkt anspricht. Man hat den Eindruck, darauf antworten zu müssen und findet sich schließlich in einer Diskussion wieder. Zumindest ging es mir so ;-)
Persönlich wage ich ja zu bezweifeln, dass es dieses "natürliche Tier Mensch" überhaupt gibt, es scheint mir viel mehr so, dass es durch das Menschsein in der Kultur erst entsteht. Und zwar zum einen als überhöhter Wunsch nach Autonomie, Authentizität(wie du sagst), Grenzenlosigkeit und Einfachheit, zum anderen aber auch als abstrakte Beschreibung vieler unterschiedlicher Verhaltens- / Empfindungsweisen, die unserer Kultur zuwiderlaufen, dabei allerdings nicht "in uns", als Menschheit, veranlagt sind, sondern ihren Ursprung im spezifischen Miteinander haben.
"Das Tier" ist, wenn man so will, eine fatalistische Antwort auf die Frage nach unserer Stellung in der Welt. Dabei fällt diese Antwort sehr individuell aus, wenn man bedenkt, dass zur Individualität immer auch der Rahmen gehört, in dem diese Individualität entstanden ist / entsteht.


Benjamin Spirthahrm (26.07.2010)

Es ist schon richtig, dass wir das Tier in uns selbst nicht zu sehr unterdrücken sollten, aber ich denke mal, zurück entwickeln sollten wir uns nicht. Ich glaube der wichtigste Krieg ist der, den wir gegen uns selbst führen, dass wir unterscheiden, wann es angebracht ist, das Tier in uns ruhig mal frei zu lassen oder besser nicht. Du siehst dein Gedicht regt zum Nachdenken an und darum hast du dir dein grün von mir verdient.

Jochen (22.07.2010)

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