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11 Seiten

Ahrok - 15. Kapitel

Romane/Serien · Fantastisches · Fan-Fiction/Rollenspiele
© Jingizu
Fünfzehntes Kapitel: Ein unsichtbarer Freund

Es dauerte bis zum nächsten Morgen, das Ahrok endlich und mit schmerzendem Unterleib in einem fremden Bett erwachte. Zuerst waren da nur wirre Bilder in seinem Kopf, doch dann schreckte er hoch und saß kerzengerade zwischen den Laken. Die Erinnerung an die Ereignisse des gestrigen Abends vermischte sich mit schrecklichen Fetzen eines blutigen Albtraums. War er nicht gestern mit Sandra zusammen gewesen? Das Erwachen hatte er sich jedenfalls anders vorgestellt. Ausgelaugt, verspannt und noch immer völlig übermüdet blinzelte er in die Umgebung.
Um sein Bett herum saßen Ragnar, Hans, Sandra und die beiden anderen Bedienungen der „Pinkelnden Sau“. Alle schienen sich große Sorgen gemacht zu haben, denn sie wirkten sichtlich erleichtert, als sie ihn wach und bei Bewusstsein sahen.
„Du hast uns ganz schönen Verdruss bereitet“, tadelte Hans freundschaftlich.
„Oh Ahrok, ich dachte du stirbst. Wie schön, dass du wieder erwacht bist“, fiel ihm Sandra um den Hals.
„Ich hab doch gesagt, dass so ein kleiner Kratzer einen echten Mann nicht umbringt.“
Ragnar klopfte bei diesen Worten so fest auf Ahroks Bein, dass er nur mit Mühe einen Schmerzensschrei unterdrücken konnte, stattdessen grinste er den Valr nur mit gebleckten Zähnen an.
„Was heißt hier Kratzer, das war eine ganz schön tiefe Wunde“, meinte Ellen.
„Ja, und das so nah an... na du weißt schon“, fügte Kira hinzu.
„Du meinst an seinem Schwanz. Oh Mann, ich sag euch, das wär ´ne echte Sauerei geworden. Ich kann euch da eine Geschichte erzählen von einem, der…“
„Wir wollen sie nicht hören“, schnitt Sandra dem Zwerg das Wort. „Es war auch so schon genug Blut überall. Wir haben uns wirklich Sorgen gemacht, Ahrok.“
Was musste er da hören? Kaum, dass er nach einem harten Kampf einige Stunden lang schlief, schon fummelte die halbe Stadt an seinem besten Stück herum. Das konnte doch wohl nicht wahr sein. Prüfend hob er die Bettdecke, um einen Blick auf seine Wunde zu werfen.
Ein ungewöhnlich dicker, weißer Verband wandte sich wie eine Würgeschlange um seinen linken Oberschenkel. Seine unerfahrenen Betreuer hatten so viele Bahnen Stoff um die Wunde gewickelt, dass sie ihm keine Hose mehr hatten anziehen können. Das war eben das Problem, wenn man nicht alles selber machte.
Sein Bein unterhalb des Verbands kribbelte plötzlich ganz fürchterlich.
„Schön, dass ihr euch so eindringlich um mich kümmert.“ Ahrok versuchte seine Enttäuschung über die Unfähigkeit seiner Helfer hinter einem Lächeln zu verbergen. „Aber jetzt wär ich doch lieber allein. Bestimmt hat eure Schicht schon begonnen und die Arbeit ruft.“
„Ach nein, wie süß, aber mach dir keine Sorgen um uns.“ Sandra strich ihm durch das mittlerweile schulterlange Haar. „Hans hat die Taverne heute extra geschlossen, damit wir uns ausführlich um dich kümmern können.“
Kira setzte sich zu ihm auf die andere Seite des Bettes.
„Hier ist dein Mittagessen. Ellen hat es extra für dich gekocht.“ Sie drückte ihn zurück in die Kissen, setzte die heiße Schale auf seiner Brust ab und führte einen Löffel voll dampfendem Brei zu seinem Mund. „Mund auf hier kommt ein großes Luftschiff, brrrruuummm.“
Der Löffel stieß durch seine halbgeöffneten Lippen bis tief in den Rachen hinein und entleerte seine beinahe noch immer kochend Fracht auf Ahroks Zunge. Der heiße Brei brannte sofort jegliche Widerworte hinfort.
Sein Mundinhalt versengte ihm sowohl Zunge als auch Gaumen und mit ziemlicher Sicherheit sämtliche Geschmacksnerven gleich mit, aber Ahrok schluckte es trotzdem tapfer herunter.
Sein Mund dankte ihm sofort, dass dieser Brei jetzt das Problem eines anderen Körperteils war.
Das brodelnde Zeug brannte sich daraufhin langsam die Kehle hinab in den Magen.
„Du brauchst mich doch nicht zu füttern. Meine Arme sind noch völlig in Ordnung. Ich kann das auch alleine“, wagte er einen letzten Versuch sich seiner Pfleger zu erwehren.
„Oh, ist er nicht süß“, schmachtete Sandra.
Verdammt noch mal, was sollte das, er wollte doch gar nicht süß sein und das alles noch vor den Augen des Valrs. Jetzt fehlte nur noch das dieser ihn in die Wange kniff und tätschelte.
„Achtung, hier kommt noch ein Luftschiff!“, widerstandslos ergab sich Ahrok seinen Helfern.

Fast beiläufig hob Urguk seine Augen von den Stadtplänen, welche den gesamten Tisch bedeckten, und streifte Pythos flüchtig mit seinem Blick.
„Die Leichen aller fünf Ziele sind also im Feuer deiner Sprengkugeln vernichtet worden. Es gibt somit keinen Beweis für Ihren Tod? Für keines deiner Opfer?“
Die Stimme des Erleuchteten war ruhig und ohne Zorn, beinahe desinteressiert. Sicherlich hinterfragte er nur ein paar Details des Auftrags, trotzdem begann der Assassine sich immer unwohler zu fühlen. Es war nicht so, dass Lügen ihm nicht lag, aber… wusste der Erleuchtete etwa, dass es nicht so war?
Ein verstohlener Blick zur Tür verhieß ihm nichts Gutes. Dort standen zwei von Urguks persönlichen Leibwächtern. Alle beide riesige, athletische Nyoka´tuk, die dem Erleuchteten unbedingt gehorsam waren. Selbst wenn er es zur Tür schaffte, ohne von der Magie des Schamanen gegrillt zu werden, würden ihm diese Muskelpakete mit Freuden die Knochen im Leib zermahlen. An Flucht war also nicht zu denken. Blieb also nur noch eines – eiskalt weiterlügen. Warum auch nicht? Es gab schließlich keine Zeugen, die etwas anderes behaupten konnten.
Pythos beharrte also auf seiner Version der Geschichte.
„Die Beweise für ihr Ableben sind leider verbrannt, was jedoch die Belohnung für ihren Tod nicht schmälern sollte, oh großer Urguk. Sie alle wurden fulminat vernichtet zu Ehren der gefiederten Schlange. Meine Schüler könnten euch von einem grandiosen Kampf berichten, hätten sie nicht auf tragische Weise dabei ihr Leben lassen müssen.“
Urguk nickte.
„Wie wahr, Pythos, wie war. Es sollte die Belohnung nicht schmälern...“
Mit einem letzten Blick prägte er sich die Gänge der nördlichen Kanalisation ein. Vorbereitung war wichtig vor einer solch bedeutenden Schlacht. Nachdem seine Vorgesetzten vom Tod der fünf Ärgernisse erfahren hatten und die Lage als beruhigt ansahen, war der Befehl zur Invasion endlich gegeben worden. Hätte Urguk nicht einen weiteren Späher gesandt, um Pythos zu überwachen... Sein Wissen war wie immer eine Bürde. Manchmal beneidete er die einfachen Soldaten um ihre Dummheit.
Seis drum, wie es sich für einen Mann seiner Intelligenz geziemt, hatte er bereits Pläne geschmiedet, um seinen Vorteil aus dem Versagen des Assassinen zu ziehen. Betont langsam, wie es sich für einen Erleuchteten geziemte, stand er von seinem Stuhl auf. Die kleine Knochenkette um seinen Hals untermalte dabei klappernd jede seiner Bewegungen.
Dann herrschte mit einem Mal eine beklemmende Stille.
Urguk kam dem Attentäter immer näher und begann ihn zu umkreisen. Pythos konnte unter der verzierten Maske die blitzenden Augen des Schamanen erkennen, seine Fassade aus eiskalter Berechnung begann zu bröckeln. Das maskierte Gesicht des Erleuchteten näherte sich bedrohlich dem seinen. Urguks Atem strich über Pythos´ Schuppen und trotz aller Selbstbeherrschung schwitzte er leicht.
„Oh, werter Pythos... rieche ich da etwa Lügen und...“, Urguk schnüffelte schamanistisch geheimnisvoll an Pythos Nacken, „Angst? Ja, ich denke, es ist Angst. Gepaart mit dreisten Lügen und einer Handvoll Unverschämtheit.“
Mit einem Mal zerbrach die eiskalte Fassade des Assassinen. Er war verloren, der Erleuchtete hatte ihn durchschaut. Verzweifelt warf er sich zu Boden, vergrub sein Gesicht zwischen Urguks Füßen und winselte um Gnade: „Ihr habt Recht, oh so Recht, großer Urguk! Bitte vergebt diesem unbedeutenden Diener, oh großer Meister. In einem grandiosen Kampf meuchelten wir den Troll und zwei weitere, aber der Gelbfellige und der rote Zwerg sind Monster, Kämpfer von gottgleicher Macht. Der Stahl unserer Waffen brach an ihrer Haut entzwei, sie standen lachend inmitten der Explosionen mehrerer Sprengkugeln und ein einziger Schlag ihrer Waffen hätte eine ganze Horde Kruuk fällt.
Die gefiederte Schlange hatte sich in dieser Nacht von uns abgewandt. Sie mordeten meine besten Schüler, als wären es blinde Junge, die man einfach zertritt. Mit einem grässlichen Gelächter wateten sie durch das Meer der Erschlagenen und verspotteten die gefiederte Schlange selbst. Einzig meinen perfekten Kampfkünsten und dem Segen der großen Schlange habe ich es zu verdanken, dass ich heute vor Euch stehe, oh großer Urguk. Ich versuchte nur, Euch die erschreckende Nachricht vorsichtig und behutsam beizubringen. Vergebt dem treusten all eurer Diener.“
Seine Stimme wurde zu einem weinerlichen Piepsen.
Urguk schüttelte die flehenden Hände ab und begann, erneut im Raum auf und ab zu schreiten. Pythos hingegen wagte es nicht, das Gesicht vom Boden zu heben, aber das Klappern der Knochen brachte ihn beinahe um den Verstand.
„Pythos.“
„Ja, Meister...?“, brachte er gerade noch hervor.
„Sieh mich an. Du sollst mich Ansehen, du Wurm!“, donnerte der Schamane.
Zitternd hob Pythos den Kopf aus dem Dreck.
„Du kniest in Gegenwart eines Erleuchteten unter den Nyoka´tuk, einem Gesandter der großen Schlange selbst. Ich bin ein Auserwählter! Ich habe mehr Lügen durchschaut, als du dir je ersinnen wirst. Um mich herum brandet ein Meer aus Verrat, Intrigen und Verlogenheit und nur weil ich nie jemandem vertraut habe, stehe ich immer noch hier. Ja, ich stehe sogar mitten in einer Stadt der Menschen und das als Anführer der größten Oberflächeninvasion seit unserer Verbannung.
Nur noch das Konzil der Schlange vermag es, mir hier Befehle zu erteilen. Ich bin hier dein einziger Herr, Pythos. Dein Meister, dein Gott.“
Pythos brach komplett in sich zusammen, als er fühlte, dass sein Ende gekommen war.
Urguk nickte nur, als die Erwiderung ausblieb und erlaubte sich ein kleines Lächeln.
„Das Konzil der Schlange will einen Erfolg, will diese Stadt und natürlich wird es sie bekommen. Wir Nyoka´tuk werden in seinem Namen die verdorbene Struktur dort oben auslöschen und unsere längst überfällige Rache bekommen.
Das ist das hehre Ziel. Es ist bedeutender als du, als ich, als alles in den letzten eintausend Jahren. Doch die Brutväter der hier anwesenden Familien erkennen das nicht. Sie sehen nur den Ruhm und die Beute, die es zu erlangen gibt. Es sind allesamt erbärmliche Würmer. Sie verschwenden kostbare Zeit, Ressourcen und Leben in ihren Streitigkeiten. Keiner von ihnen ist es wert, hier zu stehen. Keiner von ihnen ist es wert, seine Familie in einen Krieg zu führen...“
Der Erleuchtete hatte sich in Rage geredet und war während seines Vortrags rastlos auf und ab gewandert, doch dann besann er sich wieder auf den eigentlichen Sinn seiner Rede und wurde wieder etwas ruhiger.
„Was weißt du von den Kruuk, Pythos?“ Noch bevor der Assassine antworten konnte fuhr Urguk fort. „Doch wohl nur das, was alle wissen. Sie leiden in Ewigkeit für die Sünden der Menschheit. Sie tragen unseren gerechten Schmerz ein Leben lang in sich, bis es sie selbst zerfrisst. Sie sind Bestien, Monster ohne Reue und ohne Gewissen.
Wir Nyoka´tuk können uns nicht leisten hier zu versagen. Wie dürfen nicht verlieren! Verstehst du das?“
Pythos´ Stimme versagte. Er vermochte nur noch leicht zu nicken.
„Und deshalb müssen wir wie die Kruuk sein. In wildem Zorn alles niederreißen und zerstören, selbst wenn es uns am Ende selbst verzehrt. Wir dürfen keinen Verrat dulden, keine Ränke, keine Uneinigkeit. Ein jeder, ob Mensch ob Zwerg oder Nyoka´tuk, der sich als Feind erweist, muss von unseren Klauen zerrissen werden!“
Urguk hielt inne und starrte eine Weile stumm auf seine eigenen Hände. Langsam beruhigte sich der Atem des Erleuchteten wieder und die vor Erregung geweiteten Augen wurden wieder klarer.
Pythos wusste nicht, worauf der Erleuchtete hinaus wollte, vielleicht wollte er ihn aber auch nur noch etwas quälen, bevor er ihn tötete.
„Höre und lerne, Pythos“, begann Urguk plötzlich erneut, „denn hier spricht wahre Weisheit. Die gefiederte Schlange hat uns nicht verlassen, sie hat uns ein Werkzeug in die Hände gespielt, dessen wir uns bedienen werden, um Einigkeit zu stiften.
Unter dem verlogenen Mantel der Diplomatie und Ehrbarkeit werden wir die hinterhältigen und eigennützigen Pläne der abtrünnigen Kriegsherren tolerieren. Wir werden Lächeln und Nicken, noch während sie uns verraten und die Messer wetzen.“
Urguk lächelte grimmig.
„Ich habe verlässliche Information von meinem alten Freund Nattor erhalten, dass ein Stoßtrupp der Familie des kalten Blutes die Entdeckung unserer Anwesenheit hier riskiert, nur um in der Schule für Hexerei ein jämmerliches, altes Artefakt aus der Vorzeit zu stehlen. Ein Ding. Ein altes, belangloses Ding! So als ob dazu während der Plünderung der Stadt nicht noch genügend Zeit wäre! Sie mögen dabei mit dem Segen des Konzils agieren, dennoch ist es kurzsichtig und dumm und gefährlich. Wir müssen solch störende Einzelaktionen im Keim ersticken, bevor diese Dummheiten in meinem Krieg salonfähig werden.“
Wild kreisten die Gedanken in Pythos´ Kopf umher. „Wir“. Der Erleuchtete hatte immer wieder „wir“ gesagt. Gab es noch Hoffnung auf sein Überleben?
„Also hier ist, was ich von dir verlange, Pythos.“ Dessen Herz machte einen Freudensprung. „Du kennst sie, du bist ihnen begegnet und hast ihren Zorn überlebt, also überbringst du diesen Brief den schrecklichen Biestern mit ihrer Wut auf Unseresgleichen.“
Er überreichte Pythos´ zitternden Klauen einen versiegelten Umschlag.
„Ihnen unsere Anwesenheit zu offenbaren, ist mittlerweile ohne Bedeutung für den Ausgang des Krieges, denn sie wissen ohnehin von uns, aber sie werden ganz sicher das Richtige tun und die Familie des kalten Blutes von der Unsinnigkeit ihrer egoistischen Taten überzeugen. Du kehrst danach augenblicklich zu mir zurück und berichtest. Solltest du jedoch erneut versagen, oder nochmals versuchen mich zu hintergehen...“, der Erleuchtete ließ den Satz unvollendet, doch ließen seine blitzenden Augen keinen Zweifel daran, dass ein schrecklicher Tod noch die geringste Strafe für erneutes Versagen sein würde.
Der Assassine verbeugte sich oft und tief.
„Jawohl, Meister. Jawohl. Ich eile sofort. Euer ergebener Diener lebt nur, um euch zu dienen, Meister.“
Urguk nickte nur herablassend und winkte den Assassinen hinaus.Dann zog er sein kleines Fläschchen mit dem Plutonwasser aus seiner Kutte und betrachtete in seliger Freude, wie die Flüssigkeit durch das getrübte Glas hindurch leuchtete.
Als Pythos sich vorsichtig der Tür näherte, wichen ihm die beiden Muskelprotze aus dem Weg und ließen ihn passieren. Völlig emotionslos betrachteten sie den Attentäter, der überglücklich aus dem Raum stürmte.
Urguk sah ihm nach und schüttelte sein Haupt.
Erbärmlich!
Nicht nur, dass dieser unbedeutende Assassine jämmerlich versagt hatte, der einfältige, kleine Wurm wollte ihn obendrein auch noch betrügen. Ihn, einen Gesegneten! Dieser Frevel war nahezu unübertrefflich. Liebend gerne hätte er den Versager sofort und auf der Stelle in der Luft zerrissen und seine verdorbenen Innereien in ein tiefes Loch ohne Boden geworfen, aber Pythos war im Moment lebend wichtiger. Ihn zu töten, wäre ein Fehler gewesen, den ein dümmerer und unerfahrenerer Anführer als er selber sicherlich gemacht hätte - aber nicht Urguk. Pythos konnte in all seiner Überheblichkeit und Selbstsucht noch sehr von Nutzen sein.
Er hatte trotz all seiner Unfähigkeit die Monster aufgespürt, hatte sie getroffen und hatte überlebt. Das war weit mehr als er von jedem anderen Nyoka´tuk sagen konnte.
Der kurzsichtige Wurm würde bei dem genialen Plan helfen, Urguks Feinde gegeneinander auszuspielen und letzten Endes doch noch seine wohlverdiente Strafe erhalten. Wenn widererwarten etwas schief ging, dann war es der Verräter Pythos gewesen, der mit den Oberflächlern kollaboriert hatte und wenn alles gut lief, dann würde er den Assassinen kurz nach der Zerstörung der Stadt in einer herrlichen Opferzeremonie den Kruuk vorwerfen. Irgendein Grund würde sich dafür schon finden lassen.
Das Plutonwasser in der Flasche lächelte ihn einladend an.
Mit zittrigen Fingern führte es Urguk zum Mund und schloss die Augen. Es kribbelte herrlich, als die ersten Tropfen seine Lippen benetzten. Erst kam der kurze, stechende Schmerz. Sein ganzer Körper verkrampfte sich und sein Schwanz zuckte wild auf und ab, aber dann... überall waren Farben, schrille Töne und Blut. Urguk tauchte in eine wundervolle Welt voller herrlicher Gewaltphantasien ein und lächelte verzückt.

Den Abend hatte er zum Glück endlich einmal wieder für sich allein. Alle seine lieben Pfleger, die ihm tagsüber stundenlang buchstäblich auf den Sack gegangen waren, saßen gerade unten in der Taverne und feierten den Geburtstag von Ragnar. Der Zwerg wurde heute dreiundvierzig Jahre alt, wenn Ahrok sich recht an Ragnars Erzählungen erinnerte, denen er jedoch üblicherweise nicht allzu viel Aufmerksamkeit zollte.
Dies machte ihm aufs Neue klar, welche Welten doch zwischen ihm und dem Valr lagen. Der kleine Kerl könnte sein Vater sein. Manchmal fragte er sich, was sie beide überhaupt verband. Gestern wollte der Zwerg noch das Weite suchen und heute hatte er fast den ganzen Tag an seinem Krankenbett verbracht.
Alsbald jedoch Fleischer und Bäcker die Speisen und den Wein geliefert hatten, waren ausnahmslos alle hinab in den Schankraum verschwunden, um sich dort „voll die Kante zu geben“, wie Ragnar es bezeichnet hatte. Weder der Zwerg noch Sandra noch sonst jemand hatte sich seitdem blicken lassen.
Er lag hier also seit einigen Stunden allein in dem Bett, welches herrlich nach Sandra duftete, und lauschte dem Lärm aus dem Schankraum.
Soweit Ahrok das den Geräuschen nach beurteilen konnte, bestanden zwergische Geburtstagsfeiern nur aus rituellen Besäufnissen und Unmengen von zotigen Liedern. Es war ohnehin seltsam, dass der Valr so etwas wie seinen Geburtstag überhaupt feierte und nicht still und heimlich in irgendeiner Ecke weinte, wie er es von dem Zwerg erwartet hatte.
Nun gut, dann feierten sie also. Alle. Um ihn kümmerte sich natürlich keiner.
Wenn es darum ging, dass etwas erschlagen werden musste, dann rief man ihn sofort, aber wenn es um das Feiern ging, dann hatte man ihn so schnell vergessen wie eine hässliche Liebschaft, die man sich im Suff angelacht hatte.
Ahrok wickelte mürrisch den Verband von seinem Bein. Beim beschissenen Namenlosen, wie viele Lagen Stoff hatten die da drauf geknallt? Das waren ja gut dreißig Schritt Stoff – oder doch beinahe.
Endlich ließ das ewige Jucken da unten etwas nach.
Kaum, dass er den Wundverband entfernt hatte, drängte wieder frisches Blut hervor. Wieso hatte niemand die Wunde genäht? Konnte etwa keine der drei Frauen mit Nadel und Faden umgehen? Manchmal fragte er sich, wo er hier nur gelandet war. Vorsichtig wickelte er einen Teil des Verbandes wieder um sein Bein.
Nadel und Faden gab es nicht in seiner Umgebung. Also würde dieser lange Schnitt zu einer weiteren, langen Narbe werden. Sonderlich schlimm war das nicht. Da unten würde sie außer Sandra ohnehin niemandem auffallen und die Frau hatte eine bizarre Vorliebe für Narben.
Er probierte, sich aufzusetzen. Es stach zwar etwas, aber das Pieken war durchaus auszuhalten. Selbst das Gehen gelang und verursachte ihm nur geringfügige Pein, also zog er sich seine hübsche Hose an, um wenigstens noch den letzten Rest der Feier mitzuerleben.
Vorsichtig humpelte er die Treppe herunter dem Festlärm entgegen, immer darauf bedacht, sein verletztes Bein nicht zu belasten.
Unten angekommen konnte er kaum glauben, was er im Schankraum sah.
Kira tanzte begleiten vom Gejohle der Feiernden halbnackt auf dem Tisch und entledigte sich schon wieder eines Kleidungsstückes. Aber das Verwunderlichste war, dass dieser Anblick selbst dem permanent mürrischen Ragnar zu gefallen schien, denn der Zwerg schwang volltrunken einen Krug in der Hand und bewegte sich völlig unrhythmisch neben der Elfe auf dem Tisch.
Auf dem Tresen zu seiner Linken waren sieben Platten und einige Schüsseln mit süßem Brei, Obst und den unterschiedlichen Fleisch sowie Brotsorten aufgereiht. Ahrok, der heute nur eine Schale kochenden Haferschleims zu sich genommen hatte, lief bei diesem Anlick das Wasser im Mund zusammen.
Irgendjemand hatte hier weder Kosten noch Mühen gescheut.
Hans lag schnarchend vor der Theke mit einem leeren Becher in der Hand und dem hochroten Kopf in einer Lache aus Bier und seinem eigenen Sabber. Ellen und Sandra standen um die beiden Tänzer herum und lachten ausgelassen.
„Hey, Ahrok. Kommeer un feier midduns“, winkte ihm Ragnar zu, der sich sehr bemühte, nicht vom Tisch zu fallen.
„Ahrok, was machsnu ier?“, wankte Sandra auf ihn zu und fiel ihm in die Arme. „Sollt... hup… Warum bissu nichim Bett?“
Ihr Atem hätte ausgereicht, ein ganzes Regiment Berufsalkoholiker trunken zu machen.
Behutsam setzte sie Ahrok auf einen der Stühle.
„Mir geht es prima, mach dir keine Sorgen.“
„Komm machs mir… hup… hier un jetz.“
Nach diesen Worten sank sie auf einem Stuhl zusammen. Sie rief noch einmal so etwas wie „Alles Gute!“, kurz bevor sie dann zu Boden rutschte.
Mitleidig und amüsiert zugleich betrachtete er die unruhig schlummernde Frau zu seinen Füßen. Sie würde Morgen mit Sicherheit einen bösen Kater haben.
Gerade als er sich entschloss, einen Scheibe Schweinsfleisch zu kosten, kam ein Stein durch eines der Fenster geflogen und traf den tanzenden Zwerg am Kopf, von dort prallte das Geschoss ab und landete unweit von Ahroks Füßen.
Allzu verwunderlich war das nicht, denn als Rausschmeißer war man eben nie sonderlich beliebt und Zwergenhasser gab es auch mehr als genug. Der Kerl dort draußen konnte sich nur glücklich schätzen, dass Ragnar nicht reagierte. Wenn der Zwerg den Schlag gegen seinen Kopf überhaupt bemerkt hatte, so ließ er sich dadurch doch nicht davon abhalten, mittlerweile nur noch mit Stiefeln am Körper in den Armen einer ebenso unbekleideten Elfe auf dem Tisch zu tanzen.
Ahrok wandte sich von diesem Bild ab.
Nein, er wollte das gar nicht sehen und mittlerweile bereute es schon, sein Zimmer überhaupt verlassen zu haben. Noch vor wenigen Minuten hatten alle hier Anwesenden ein weit höheres Ansehen bei ihm genossen.
Es war purer Zufall, dass er dem Stein, welcher neben Sandras Hüften lag, noch einmal seine Aufmerksamkeit widmete. Erst jetzt bemerkte er, dass ein Zettel darum gebunden war.
Verwundert wickelte er diesen ab und hielt kurz darauf einen zerknitterten Brief in den Händen.
Ahrok wog ab, hinauszulaufen und den Werfer des Steins zu suchen, wollte aber nicht riskieren, das jemand durch die geöffnete Tür den Valr mit der Elfe sah. Diese hätten jedes letzte bisschen Ansehen sofort verloren, da war sich Ahrok sicher. Ragnar hatte es schließlich offiziell nicht so mit Elfen.
Also brach er stattdessen das Siegel und las die Zeilen, die in krakeliger Schrift auf dem vergilbten Papier standen.

Geschätzte Helden

Es überrascht Sie sicher auf diesem Wege von mir zu hören aber Euer großer Mut und Eure unübertroffene Stärke werden wieder gebraucht um gar Böses zu bekämpfen die impertinenten schleimigen und bösartigen Würmer des kalten Blutes planen in drei Tagen eine magische Wunderwaffe aus eurer Hexerschule zu stehlen Ihr und nur Ihr allein müsst das unbedingt verhindern denn sonst ist eure schöne Stadt verloren

gezeichnet
ein großer Bewunderer eures Könnens

Ahrok hatte in seinem Leben nie eine Schule besucht und kannte Bücher nur aus dem Arbeitszimmer seines Vaters, aber er verstand genug vom Lesen, um diese Zeilen entziffern zu können.
Jeder einzelne Buchstabe sah aus, wie sorgsam gemalt und war mit viel Mühe zu Papier gebracht worden. Er hielt hier ein kleines, wenn auch krakeliges Kunstwerk in den Händen. Noch dazu war Papier nicht gerade billig und daher nahm Ahrok an, dass es sich hierbei keineswegs um einen dummen Scherz handelte.
Außerdem war die Formulierung „geschätzte Helden“ ja auch unmissverständlich an ihn und Ragnar gerichtet. Vielleicht war es ein alter Verbündeter aus der Kanalwache, der ihnen unter der Hand Informationen zuspielte. Vielleicht jemand aus der H-Brigade.
Aber wer von denen wusste schon, wo sie zu finden waren?
Ein vorsichtiger Blick in Ragnars Richtung bestätigte Ahroks Vermutung, dass dieser heute nicht mehr ansprechbar war. Dieser schmiegte sich gerade mit geschlossenen Augen an die Hüfte der nicht minder trunkenen Elfe und tanzte langsam zu einer imaginären Musik.
Der Anblick hatte eine beinahe abstoßende Anziehungskraft und Ahrok konnte sich nur schwer davon losreißen.
Vielleicht sollte er es der Stadtwache melden?
Nein, unmöglich. Vor denen versteckte er sich ja hier. Wenn er den Kerlen von dem Brief erzählen würde, dann würden die ihn womöglich nur auslachen und in einen fensterlosen Kerker sperren. An die Stadtwache konnte er sich also unmöglich wenden.
Der Brief verschwand also erst einmal unter Ahroks Hemd und er ging hinüber zum Tresen, um sich noch ein paar kalte Reste vom Festmahl einzuverleiben. Es eilte ja nicht. Morgen war auch noch ein Tag und der Brief sprach von einer Frist von drei Tagen. Also gab es keinen Grund den Zwerg aus dieser Umarmung zu reißen, er würde wahrscheinlich nie wieder einer Elfe so nahe sein.
 
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Kommentare  

Puh, die Schankmädchen gehen ja ganz schön derb mit Ahrok um. Aber er ist auch wirklich süß. Aber wie kann man ihn nur mit solch einem heißen Brei füttern. Die Schlangenwesen sind ja ganz furchtbar. Und nun hat Ahrok auch noch einen Brief erhalten. Aber er weiß nicht, von wem der kommt. Wie immer schön spannend und unterhaltsam erzählt.

Petra (04.09.2010)

Das ist ja ganz was Neues bei Ragnar. Freut mich aber sehr. Geht der Zwerg doch mal endlich ran, tanzt eng umschlungen mit einer Elfe. Na, wenn da nicht mehr draus wird, als so ein schlichtes Tänzchen.*Grins* Ahrok hatte ja leider Pech. Mit schönen Frauen is nicht. Die Verletzung war zu schlimm. Naja, kann ja alles nur besser werden und Sandra wartet schon. Aber was ist mit den grässlichen Biestern, die es auf unsere beiden Helden abgesehen haben? Die geben wohl keine Ruhe? War wieder ein schönes Kapitel.

Jochen (03.09.2010)

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