Die Alte hatte es sich gerade gemütlich in ihrem Lehnsessel gemacht und besserte ihr Sonntagsgewand mit kleinen präzisen Stichen aus, denn sie war im Gegensatz zu den meisten ihrer Kolleginnen überhaupt nicht kurzsichtig. Sie hatte Augen wie ein Bussard, kleine knopfgroße schwarze Augen in einem faltigen mageren Gesicht, das durch die große hakenförmige Nase mit der dicken behaarten Warze bestimmt wurde. Der Rabe saß, wie meistens, friedlich auf ihrer Schulter, putzte sich mit seinem großen Schnabel das Gefieder und gab krächzende Kommentare von sich. Sie war immer noch mürrisch, denn seit Tagen hatte sie sich nur noch von Grießbrei und Hafergrütze ernährt, seit Tagen keinen saftigen Bissen Fleisch mehr zwischen den Zähnen gehabt. Das war kein Leben für eine Hexe. Plötzlich klopfte es.
Der Rabe flatterte erschrocken und empört schimpfend empor und verkroch sich auf einem Dachbalken, während die schwarze, grünäugige Katze einen Buckel machte, fauchte und dann davon stob. Wer mochte das sein, vielleicht ein müder Wanderer, oder ein desertierter Söldner, der sich im finsteren Tann verirrt hatte? Das wagte sie nun gar nicht zu hoffen. Denn so ein Glück hatte sie schon lange nicht gehabt. Der letzte Bursche, der so unvorsichtig an ihrer Tür angeklopft hatte, war nur wenige Wochen später als leckerer, fetter Braten im Backofen gelandet. Sie hatte ihn kaum mästen müssen, es war nämlich ein gut genährter Müller mit einem kräftigen muskulösen Körper, und er hatte mit seinem saftigen, fetten Fleisch ihr und vier ihrer Kolleginnen zu einem deftigen Festschmaus verholfen.
Aber das war mittlerweile bald drei Jahre her. Sie hatte seit dieser Zeit nicht mehr einen so fetten, knusprigen Braten zwischen ihre Zähne bekommen. Sie schwelgte noch heute manchmal in der Erinnerung daran und dachte sich zum Zeitvertreib allerlei leckere Fleischrezepte aus. Meistens kochte sie sich aber mürrisch einen Topf Hafergrütze, ganz selten brachte ihr mal der Förster ein Kaninchen oder einen Hasen. Fleischmahlzeiten waren sehr selten geworden. Sogar zu ihren jährlichen Treffen mit ihren Kolleginnen, gab es entweder ein paar magere Karnickel, ein paar Fasane oder wenn es hoch kam mal ein Rehkitz.
Vor Jahren hatte es zu diesem Anlas noch immer einen guten lecker zubereiteten Braten gegeben, einen jungen Burschen meistens, der sich auf der Suche nach Arbeit und Lohn seinen Weg durch die Waldeinöde suchte, erschöpft und müde an ihrer Tür klopfte und der dann von einer aus ihrer Runde ein paar Wochen aufgepäppelt wurde, bis er schön rund und fett war und dann geschlachtet wurde. Aber diese wohlgenährten Burschen, Wanderer oder Landsknechte waren ihr oder den anderen schon lange nicht mehr in die Falle gegangen. Sie kam sich bald vor, wie eine Vegetarierin. Man stelle sich vor, eine Hexe wird notgedrungen zur Vegetarierin. Die Menschen vermieden seit langer Zeit den endlosen Wald, denn immer wieder waren Wanderer, junge Handwerksburschen auf Wanderschaft meistens, spurlos verschwunden und mit großer Sicherheit in ihrem oder den Kochtöpfen ihrer Kolleginnen gelandet.
Der Förster konnte es auch nicht sein, der war erst vor drei Wochen hier gewesen und hatte ihr ein Karnickel geschenkt, die letzte und fürwahr äußerst seltene Fleischmahlzeit. Er war der einzige, der sie besuchen durfte, ohne Schaden zu nehmen, ohne das er um sein Leben fürchten musste. Sie respektierten sich, sie versorgte ihn sogar von Zeit zu Zeit mit Heilkräutern. Dafür drückte er ein Auge zu, wenn sie Schlingen legte um etwas Fleisch in den Kessel zu bekommen.
Sie ächzte und stöhnte, murmelte vor sich hin, erhob sich dann mühsam, humpelte und schlurfte zur Tür. Sie öffnete und glaubte ihren Augen nicht zu trauen. Der Himmel hatte ihr Flehen erhört. Vor ihr standen zwei Halbwüchsige, ein recht dralles Mädchen in einem einfachen, geflickten aber sauberen Kleid und ein mittelgroßer, gut gewachsener, leider etwas magerer Jüngling im geflickten Hemd und in einer fadenscheinigen zerschlissenen Hose.
Sie konnte ihr Glück kaum fassen. Die Beiden hielten sich mit ängstlichem Gesichtsausdruck an den Händen, und das Mädchen bat mit leiser Stimme um Brot und eine Unterkunft für die Nacht. Sie seien Waisen, auf der Suche nach Nahrung und Obdach.
Da hatte ihr der Himmel ja eine ganz leckere Überraschung beschert. Die Alte betrachtete sie mit schiefgelegtem Kopf ganz intensiv und musste grinsen. Das Mädchen machte einen bescheidenen, fleißigen und etwas unbedarften Eindruck. Sie könnte sie sich als Dienstmagd halten, obwohl sie drall und rund war.
Aber mit dem Jungen, da hatte sie ganz besondere Pläne, er machte einen sehr appetitlichen Eindruck. Sie stellte ihn sich vor, wie er gut durchgefüttert und mit ordentlich Speck an den richtigen Stellen versehen ausschauen würde.
Er würde gut zupacken können und bei guter, reichhaltiger Ernährung würde er schnell kräftiger werden, an Gewicht zulegen und auch zügig Fett ansetzen. Der Junge war der Typ dafür, das sah sie sofort. Ja und in ein paar Wochen, in zwei, drei Monaten, vor dem Winter dann, dann ja dann, bei diesen Gedanken lief ihr bald das Wasser im Munde zusammen. Sie musste sich beherrschen, um die beiden nicht zu verschrecken. Die Alte bat sie herein und beäugte den Burschen genau. Er hatte trotz seines momentan etwas unterernährten Anblicks kräftige Schenkel, und unter dem Hosenstoff deuteten sich trotz seiner Magerkeit ein paar wohlgeformte Hinterbacken an.
…Füttern und mästen werde ich dich, und wenn du fett bist, schlachte ich dich, würze dein Fleisch mit Rosmarin und Thymian, einem Hauch Knoblauch und backe dich im Backofen…,
dachte sie bei seinem Anblick und kicherte voller Vorfreude. Sie schleckte sich unwillkürlich ihre Lippen. Zuerst einmal durfte sie sich ihre Gedanken nicht anmerken lassen.
Du bist ja mager und dürr wie eine Zaunlatte" krächzte die Alte, während sie langsam um den Jungen herumstrich, ihn äußerst sorgfältig betrachtete, hier und da ins Fleisch zwickte und am Schluss seine Hüften tätschelte. Ich werde dich kräftig heranfüttern müssen, damit du ordentlich Fleisch auf deinen Körper und eine gehörige Portion Speck auf deine Rippen bekommst." Und vor allem recht schnell Fett ansetzt, fügte sie in Gedanken hinzu. „Du musst jetzt vor allen Dingen reichlich essen. Sonst schaffst du die harte Arbeit im Wald nicht, und dein Essen kannst du dir rechtschaffen mit Arbeit verdienen. Deine Schwester kann mir im Haushalt zur Hand gehen, putzen und sonst nützlich sein."
"Ich danke euch auch Muhme. Ihr seid so gut zu uns. Wir hatten schon Angst, wir könnten einer bösen Hexe in die Hände fallen. Die Mutter hat uns immer gewarnt, das die Hexen mit Behagen Menschenfleisch fressen, und wir hatten große Angst, ihr könntet eine Hexe sein und möchtet nichts lieber als uns in den Stall stecken und schlachten. Vorhin als ihr den Hänsel so gemustert habt, hab ich richtig Angst bekommen", murmelte Gretel recht kleinlaut und unsicher.
"Ich bin euch nicht böse, es war recht, dass ihr zu mir gekommen seid. Ja, ja, es gibt so schlechte Menschen. Die Hexen würden euch sicher noch kräftig füttern und mästen, damit ihr schön fett werdet, so mager wie dein Bruder jetzt ist, und bei Vollmond schlachten und dann einen leckeren Braten zubereiten. Bei mir werdet ihr es gut haben, vertraut mir nur",
kicherte sie, musterte Hänsel verstohlen aus den Augenwinkeln und dachte im Stillen an ein vorzügliches Rezept, eine pralle, fleischige Keule, mit Salbei und Oregano am Spieß geschmort, das sie neulich von einer ihrer Kolleginnen bekommen hatte. Sie hörte förmlich schon sein fettes, saftiges Fleisch über dem Feuer brutzeln.
So geschah es nun. Jeden früh, wenn die Sonne aufging, wanderte Hänsel mit einem fröhlichen Lied auf den Lippen in den Wald, fällte Bäume, hackte klafterweise Holz, sammelte Reisig, pflückte Pilze und Beeren und schleppte am Abend bei Sonnenuntergang alles zum Haus der Alten, wo er es noch ordentlich aufschlichtete für die kalte Zeit, denn der Winter würde hart werden. Während Gretel von früh bis spät den Haushalt machte, putzte, flickte, sich von der Alten schikanieren lassen musste und auch noch das Essen zubereitete.
Am Tisch dann bekam Gretel die Woche über nur ein kleines Schüsselchen magere Suppe, etwas trockenes Brot und sauren Wein, während die Alte Hänsels Schüssel immer wieder nachfüllte, manchmal bekam er sogar drei Portionen dicken, fetten Milchbrei mit viel nahrhaften Honig versetzt und ein bis zwei Liter schäumendes Bier. Jeden Sonntag musste Gretel ihm einen großen Honigkuchen backen, der nur für Hänsel war. Die Alte sparte sich auch selbst jeden Bissen vom Munde ab und gab lieber Hänsel noch etwas ab, der es gierig in sich hineinstopfte. Anschließend rollte er sich faul und satt vor der Ofenbank zusammen, öffnete seinen Hosenbund und fing an zu schnarchen, während Gretel bis in die Nacht hinein putzen musste.
So konnte es nicht verwundern, wie die Alte verzückt feststellte, das der Junge schon nach wenigen Wochen recht wohlgenährt wirkte, das er an den richtigen Stellen kräftig Fett ansetzte, das sich sein Bauch über den Hosenbund wölbte und seine fleischigen Schenkel und sein Hinterteil die Hosen prall füllten und die Nähte bald zum Platzen brachten. Gretel hatte schon mehrmals seine Hose weiter machen müssen, sogar Keile eingesetzt, aber Hänsel nahm bald schneller zu, als Gretel ändern konnte und der Stoff wurde immer dünner und fadenscheiniger.
Nun ist es bald soweit, kicherte die Alte in sich hinein, während sie Hänsel jeden Tag aufmerksam musterte. Sie beobachtete seinen wohlgenährten Körper heimlich am Brunnen, während er sich wusch, und grinste vergnügt, das das Essen bei ihm so gut anschlug. Am nächsten morgen trug sie ihm auf, einen kleinen festen Käfig aus den jungen Stämmen zu fertigen.
"Aber mach ihn nur recht stabil, dass uns unser Braten nicht entwischen kann",
entschlüpften ihr kichernd die Worte. Hänsel raffte sich schwerfällig schnaufend auf, stopfte noch ein Kuchenstück in seinen Mund, schloss mit einiger Mühe seinen Hosenbund machte sich wortlos an die Arbeit und zimmerte, während Gretel neugierig fragte.
"Aber Muhme, wen wollt ihr den in den Käfig stecken, ihr habt doch gar nichts zum schlachten im Stall. Oder wird euch der Förster ein Rehkitz, oder ein Frischling bringen. Das wäre schön."
Da hatte die Alte noch einmal Glück gehabt, das Gretel ihr eine solche Ausrede in den Mund legte.
"Ja, ja, morgen werden wir einen fetten Braten haben" log sie mit trockener Kehle.
Ein paar Mal korrigierte sie die Maße, dann war der Käfig genau richtig für ihr Opfer, Hänsel würde gerade hineinpassen. Der Käfig war sehr stabil und hatte eine massive Tür, die von innen nicht zu öffnen war.
„Gretel" säuselte sie nun recht lieblich, „ich werde dich morgen mit einem Auftrag zur Förstersfrau schicken. Du musst einiges besorgen. Lass dir Zeit bis zum Abend, untersteh dich, und komm ja nicht früher zurück. Ich will dir dann einen leckeren, knusprigen Braten servieren, dass du dir alle zehn Finger danach schleckst."
„Aber soll ich euch denn nicht beim schlachten zur Hand gehen, das habe ich Zuhause auch immer gemacht. Das ist doch viel Arbeit. Ich kenn mich aus."
„Nein, dummes Ding, das mache ich alleine. Du gehst zur Försterin und erledigst deinen Auftrag. Keine Widerrede! Aber heute Abend kannst du mir noch den Backofen putzen und anheizen, damit er morgen die richtige Temperatur hat. Ach und geh in den Garten, hol mir Rosmarin und Salbei, Thymian, ein paar Zwiebeln und Knoblauch und vergiss den Oregano nicht. Der Braten soll doch recht gut gewürzt sein."
Das Abendessen verlief wie immer. Außer das die Alte heimlich in Hänsels Becher eine gehörige Prise ihres Schlafpulvers gemischt hatte. Hänsel bekam heute besonders reichlich Hafergrütze mit fettem Rahm, die er wieder voller Behagen schmatzend vertilgte, während Gretel und die Alte ein mageres Süppchen löffelten. Am nächsten morgen, lang vor Sonnenaufgang erhob sich die Alte vorsichtig aus ihrem Bett, leise damit sie Gretel nicht aufweckte und schlich in die Wohnstube. Hier hatte sich Hänsel vor dem Ofen zusammengerollt, schnarchte laut und schlief tief und fest. Er hatte sich ein Tuch um die prallen Hüften gewickelt, da Gretel ja seine Hose gestern Abend noch genäht hatte.
Die Alte betrachtete seinen rosigen, fleischigen Körper voller Vorfreude, lockerte das Tuch, fasste ihn dann um die Taille und zog ihn schwer atmend vorsichtig und leise vor die Haustür. Er stöhnte zwar leise, murmelte auch etwas Undeutliches vor sich hin, wachte aber nicht auf. Sie nahm ihm das Tuch ab und betrachtete wieder kichernd seinen nackten Körper. Dann fesselte sie ihm die Unterschenkel stramm mit einem Riemen, ebenso die Handgelenke auf dem Rücken und schob und zwängte ihn mühsam in den engen Käfig. Geschafft, er schlief ruhig weiter. Jetzt hieß es Gretel zu wecken. Sie durfte nichts mitkriegen, musste einfach für diesen Tag aus dem Weg. Sie trug ihr auf, der Förstersfrau auch noch Heilkräuter zu bringen, die sie vorher noch sammeln sollte.
Beim Frühstück vermisste Gretel ihren Bruder. Wo ist Hänsel, ich muss ihm doch noch seine geflickte Hose geben. Er braucht dringend eine neue Hose. Hänsel ist recht kräftig geworden, die alte Hose wird ihm bald platzen. Vielleicht könnte ich ihm aus den alten Mehlsäcken eine neue schneidern."
„Ja“, schwärmte die Alte schmunzelnd und leckte sich unwillkürlich die Lippen. …Dein Bruder ist wirklich schön fett geworden, er hat ein ansehnliches Bäuchlein, strammen Speck auf den Hüften, wirklich appetitlich saftige, pralle Schink... äh, Hinterbacken, ich habe ihn gut gemä...,
„Hast du den Backofen auch vorbereitet, kräftig eingeschürt wie ich dir aufgetragen habe. Die Hitze muss vorhalten, der Braten ist recht groß und fleischig. Ich werde geraume Zeit brauchen ihn zu schlachten und zu zerteilen." Sie erschrak, Gott sei Dank hatte sie das nur gedacht.
„Lass deinen Bruder nur seinen Rausch ausschlafen, er hat gestern recht viel Bier erwischt, ich brauche ihn nachher noch beim schlachten." kicherte sie, was noch nicht einmal gelogen war. „Die Hose werde ich ihm dann schon geben. So du hast genug gefrühstückt. Eile dich nun, und komm mir ja nicht vor dem Abend heim. Der Braten wird dir schmecken." Ängstlich horchte sie, ob Hänsel sich schon rührte, aber es war alles noch still.
„Soll ich dir nicht doch lieber helfen, Muhme. Ich könnte das arme Tier festhalten und euch beim zerteilen zur Hand gehen. Gebt doch dem Förster die Kräuter mit, wenn er nachher kommt. Außerdem fürchte ich mich, wenn da irgendwo ein Bär oder ein Wolf im Wald lauert, oder am Ende gar eine Hexe mich fressen könnte."
„Dummes Ding. Spute dich und vergiss ja die Kräuter nicht. Keine Sorge, Hexen fangen nur stramme junge Burschen, die sie dann dick und rund füttern, mästen und schlachten, wenn sie ordentlich fett sind, so wie dein Bruder. Trödelt nicht, wag aber ja nicht vor Sonnenuntergang wieder hier zu sein." Am liebsten hätte sie sich auf die Zunge gebissen, jetzt hatte sie sich verraten, aber Gretel merkte nichts.
„Ich bin so froh, das ihr keine Hexe seid, Muhme. Ihr gebt Hänsel ja auch über alle Massen zu essen, stopft ihn beinahe wie eine Martinigans, mästet ihn gar wirklich, dass er fett wird und beobachtet ihn immer so lauernd. Mir wird etwas bange, ihr seid doch auch wirklich keine Hexe, nicht wahr? Vorhin als ihr den Braten erwähntet, meinte ich beinahe, ihr sprecht vom Hänsel. Ich mache mir solche Sorgen um ihn, er arbeitet doch jeden Tag im Wald. Wie leicht könnte er dort einer Hexe in die Arme fallen. Ich mag gar nicht daran denken."
Im Wald wird ihm nichts mehr passieren, da sorge ich schon für" krächzte die Alte mit rauer Stimme und schob Gretel aus der Tür, begleitete sie gar bis zum Waldrand, ängstlich bedacht, das Gretel nicht hinters Haus schaute, und womöglich noch den Käfig mit ihrem Bruder bemerkte.
Gretel schlich sich immer wieder ängstlich über die Schulter schauernd durch den dichten, dunklen Wald. Immer wenn etwas raschelte, ein Zweig knackte oder der Wind durch die Äste pfiff, machte ihr Herz einen Satz vor Schreck. Dann raffte sie ihren Rock und eilte weiter, sie mochte sich gar keine Pause gönnen. Zu tief steckte die Angst vor einem wilden Tier oder einer bösen Hexe, die vielleicht doch Appetit auf sie bekommen könnte. Endlich, endlich sah sie das tiefgewölbte Dach des Försterhauses durch die Bäume schaun. Erleichtert atmete sie auf.
Im Kräutergarten vor dem Haus arbeitete eine alte grauhaarige Frau und sang leise vor sich hin.
„Ja Kind, was treibst du denn im finsteren Wald? Hast du dich etwa verlaufen? Du hättest einem Wolfsrudel oder gar einem wilden Bären über den Weg laufen können. Die hätten nichts lieber getan, als dich mit Behagen gefressen."
Noch immer heftig schnaufend erklärte Gretel warum sie da sei, trug ihren Auftrag vor und erzählte von ihren Erlebnissen der letzten Wochen. Die Förstersfrau war bei ihren Worten immer blasser geworden, dann packte sie Gretel bei den Armen und sagte,
„Ja Kind, weißt du denn nicht, dass die Muhme eine alte durchtriebene Hexe ist. Der Förster hat kein Rehkitz oder einen Frischling für die Alte, ich fürchte sie hat den vorbestimmten Braten schon im Hause. Wenn das stimmt, was du sagst ist dein Bruder in äußerster Gefahr, ja in Lebensgefahr. Bist du denn so dumm, dass du nicht gemerkt hast, dass die Alte deinen Bruder die ganze Zeit gemästet hat. Jetzt, wo er so fett ist, wie du sagst und sie dich aus dem Weg hat, wird sie ihn bestimmt schlachten wollen. Oh du armes Ding, der Förster ist noch einige Tage unterwegs, sonst hätte ich ihn mit dir geschickt um deinen Bruder vielleicht noch zu retten. Ich fürchte es ist zu spät und ich kann dich doch nicht alleine zurückschicken, womöglich findet die Alte auch noch Geschmack an dir."
Zitternd vor Angst und Gram und mit Tränen in den Augen schluchzte Gretel auf.
„Ja, ihr habt recht, ich habe mich ja auch gefürchtet und Angst ausgestanden, wenn die Muhme Hänsel geradezu immer noch mehr zum essen gegeben hat, und er immer dicker geworden ist. Ihr habt recht, jetzt merke ich auch, dass sie ihn immer so gemustert hat und sich die Lippen geleckt hat, wenn sie Hänsel gesehen hat. Ich muss eiligst zurück und versuchen meinen Bruder zu retten. Sie wird mir schon kein Leid antun. Aber schick bitte Hilfe, wenn euer Mann wieder da ist."
Als Gretel endlich gegangen war, schnaufte die Alte auf, ihr fiel ein Stein vom Herzen, das dumme Mädchen hatte nichts gefolgert. Dann eilte sie zum Käfig, wo Hänsel gerade begann wach zu werden. Er wollte sich strecken und aufspringen, stieß sich aber den Kopf, da er ja in dem engen Käfig gefesselt lag.
Er riss seine Augen auf, sah die Alte, die lauernd und grinsend auf ihn blickte, erschrak und merkte erstaunt und verwundert, wo er war. Was habt ihr mit mir vor, warum bin ich gefesselt, und wieso liege ich hier gar nackt und bloß im Käfig." Entsetzt hielt er inne, „Seid ihr am Ende gar eine Hexe und wollt mir ans Leben, Gretel, zu Hilfe" schrie er dann.
Natürlich bin ich eine Hexe. Langsam, mein liebes fettes Bürschlein, eine Frage nach der anderen. Deine dumme, einfältige Schwester ist unterwegs. Sie wird auch den ganzen Tag weg sein und dir überhaupt nicht helfen können. Du bist gefesselt und im Käfig, damit du mir nicht mehr davon läufst, das ist die Antwort auf deine zweite Frage.
Und was ich mit dir vorhabe, du dummer Bengel, kannst du dir das nicht denken? Ich habe dich lange genug genudelt und vom ersten Tag an gemästet, mein Lieber. Jetzt wo du endlich rundum prall und fett genug bist, werde ich dich ganz einfach schlachten und dein Fleisch im Backofen köstlich zubereiten. Dort in dem Kessel werde ich aus ein paar fetten Stücken Bauchfleisch ein feines Süppchen kochen, das wird deiner Schwester und mir heute Abend köstlich munden."
Er begriff jäh, schrie, kreischte um Hilfe bis seine Stimme versagte und tobte, doch die Riemen hielten. Vorsichtshalber hatte die Alte die Fußfesseln noch an einer dicken Stange gesichert. Endlich sank er erschöpft zusammen, jammerte und heulte und fing an um sein Leben zu betteln.
„Das könnt ihr doch nicht tun. Ich flehe euch an, lasst mich am Leben. Ich geh in den Wald und erlege euch eine schöne kräftige Wildsau, die wird euch viel besser munden als ich. Ich komme bestimmt zurück." heulte er verzweifelt.
Doch sie kicherte nur wieder.
„Was soll ich mit einer Wildsau, die sind jetzt noch viel zu mager und zäh. Du dagegen bist gut gründlich gemästet, rundum fett, hast ordentlich Bauchspeck und pralle, fette Schinken. Bürschlein, dein Fleisch ist viel saftiger als das trockene magere Wildbret. Ich habe dich extra mit Hafergrütze, fettem Rahm, Honig und Bier gemästet, davon ist dein Fleisch so köstlich zart und fett geworden. Heute Abend werde ich eine deiner prallen fleischigen Keulen braten, und mir mit deiner Schwester schmecken lassen", rief sie aus, worauf sie ihn mit ihren dürren Fingern gierig in seine fleischigen Backen kniff.
Dann zückte sie ihr langes, scharfes Schlachtermesser hervor und beugte sich über ihr Opfer. Er starrte sie mit panisch hervorquellenden Augen an, versuchte sich noch einmal aufzubäumen und gab nur noch erstickte Laute von sich.
Langsam neigte sich die Sonne dem Horizont zu. Es wurde dämmerig. Der Tag war lang gewesen. Endlich sank die Alte erschöpft auf ihrem Sessel nieder.
Sie hatte noch sein kreischen und wimmern im Ohr. Das schlachten und zerteilen war eine mühselige Plackerei gewesen, hatte längere Zeit gedauert, als sie geplant hatte. Aber es hatte sich gelohnt, schönes schieres Bratenfleisch, fettes Suppenfleisch, ein praller saftiger Schinken und ein paar Krüge abgeschöpftes Fett füllten die Regale in der Vorratskammer. Sie hatte alles sorgfältig gepökelt, würde einiges räuchern, hatte die Reste im Sumpf, hinter dem Haus versenkt und wieder alles blitzblank geputzt. Nun hatte sie sich ihren Feierabend verdient.
Die Sonne würde bald untergehen, und Gretel würde dann auch kommen. Gerade rechtzeitig zum Abendessen. Ein saftiges, fettes Stück aus der Keule hatte sie am Grillspieß befestigt und briet es. Ein verführerischer Bratenduft durchzog das Haus, sie war gerade noch rechtzeitig fertig geworden. Das dicke Stück Fleisch brutzelte über der Feuerstelle, die Schwarte war dunkelbraun und knusprig, ab und an prasselte es, das Feuer loderte hell auf, wenn immer wieder dicke Tropfen Fett ins Feuer fielen, und die Suppe köchelte im Kessel vor sich hin. Der Rabe und die Katze hatten schon ihren Teil bekommen und schlummerten voll gefressen, satt und träge. Der Alten knurrte der Magen.
Na, sie würde sich die Zeit vertreiben müssen, bis Gretel zurückkam. Sie hockte sich in ihren großen Ohrensessel, streckte ihre Beine gemütlich aus und nahm ihr Strickzeug zur Hand. Während sie die Maschen aufnahm, genießerisch den verführerischen Duft schnupperte, sich ihren Gedanken hingab, fielen ihr die Augen zu.
Plötzlich sprang ihr die Katze fauchend auf den Schoß, fegte dabei ihre Strickerei herunter, während der Rabe erbärmlich krächzte. Die Alte zuckte erschrocken zusammen, öffnete blitzartig ihre Augen und siedendheiß fiel ihr der Braten ein. Hoffentlich hatte sie nicht zu lange geschlummert und die ganze Köstlichkeit wäre verbrannt und verkohlt.
Doch komisch, wie roch es denn hier?
Nach gar nichts, außer Bohnerwachs, Katzendreck, ungelüftet, so dem üblichen Mischmasch eben. Kein Bratenduft jedenfalls! Kein Bratenduft??
Die Alte sprang behände auf und schaute über alle Massen verwirrt um sich. Der Ofen war kalt, kein Bratspieß über der Kochstelle, nichts, rein gar nichts!
Ungläubig eilte sie zur Vorratskammer, gähnende Leere, ein angebrochener Sack Mehl, ein kleines Töpfchen mit Fett, und ein vertrockneter Kanten Brot. Keine Schüsseln mit eingepökeltem Fleisch, keine Vorratstöpfe mit frischem Fett und schon überhaupt keine Fleischstücke und auch kein Schinken in der Räucherkammer. Hatte sie das alles nur geträumt??
Traurig, enttäuscht und mit merklich knurrendem Magen schlurfte sie zurück und wollte sich gerade kraftlos in ihren Sessel fallen lassen, als es wieder vernehmlich an der Tür pochte. Ja stimmt, die Tiere mussten von dem ersten Klopfen schon aufgescheucht worden sein.
Sollte etwa doch, regte sich ein winziger Hoffnungsschimmer in ihr. Müde und gebeugt, mit einer kleinen Träne im Auge schlich sie zur Tür und öffnete.
Ach du bist's, brachte sie heraus. Vor ihr stand ihre halbwüchsige Enkelin, ein schönes, wohlgestaltetes Mädchen, schon bald eine junge Frau. Mit ihren langen blonden Zöpfen, ihren rosigen Wangen, den blauen Augen und dem schüchternen freundlichen Lächeln, sah sie aber noch recht kindlich aus. Sie trug ein hellblaues Dirndlkleid, eine grüne Schürze und weiße Söckchen. Im Arm hielt sie einen Weidenkorb mit frischgebackenem Kuchen und einer Flasche Wein gefüllt. Am allerliebsten aber und ihr ganzer Stolz war ihr rotes Hütchen mit der Feder.
„Komm schon rein, Rotkäppchen, lieb von dir, das du wieder da bist.“
Ende