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4 Seiten

Montag (I)

Romane/Serien · Amüsantes/Satirisches
© Isa Belle
Montag

7:00. Der Wecker klingelt, aber ich brauche ihn nicht. Ich bin nämlich seit anderthalb Stunden wach und habe krampfhaft versucht, die Hausaufgaben zu machen bei denen ich das Wochenende zu blöd war, die Aufgabenstellung zu kapieren, und gegen die Montagmorgen-Blockade ankämpfend, zu lernen. Und wie immer frage ich mich, wieso zur Hölle ich in zwei freien Tagen nicht dazugekommen bin, das zu tun. Ich werde heute zwar nur zu 5% ausgefragt, kann aber garantieren, dass ich mit 100%iger Wahrscheinlichkeit 1000%ige Angst verspüren werde. Müde war ich während der ganzen Zeit natürlich nicht, nein, Montagmorgens werde ich grundsätzlich erst in DER Minute müde, in der mein Wecker klingelt.
Montagmorgens sollte ich nicht aufstehen. Denn ich weiß ganz genau, dass an diesem Tag absolut immer irgendwas blödes passieren wird, als ob es im Himmel ein Komitee gibt, das sich vornimmt, jeden Montag zum schlimmsten Tag meines Lebens zu machen. Ein Komitee, das sich die ganze Woche über trifft und mich beobachtet, dabei gemeine Sachen aufschreibt, die es dann alle am Montag auf mich runterregnen lassen kann. Ich kann sie schon lachen hören.
Das mag sich jetzt nach Übertreibung anhören, aber mein weiterer Tagesablauf beweist das Gegenteil:
Seufzend stehe ich auf, werfe die Decke ab und würde am liebsten laut losschreien, denn in meinem Zimmer sind es ungefähr 3 Grad unter null. Ich greife mir demonstrativ das hässlichste Top, das ich besitze und die schlabberigste Schlabberjeans und verzieh mich ins Bad. Bis ich da wieder rauskomme, hat meine Mutter meinen letzten Lieblingspudding gegessen und mein Vater das letzte Kaffeepulver in der Tasse. Na schön, kein Kaffe heute. So muss ich den Tag wenigstens nicht wach erleben. …wo ist mein Lieblingspudding??

7:30. Das ist die Uhrzeit, wenn ich Gott auf Knien anflehe, in 3 Minuten eine Nordpolladung Schnee runterzukippen, was in 5 Minuten an die restliche Bevölkerung durchdringt, sodass in 20 Minuten in den Radios durchgegeben wird, dass die Schule ausfällt. Als ich aufs Neue merke, dass das nicht passieren wird, zieh ich schon mal meinen Mantel an und schreie meiner Mutter, dass ich fertig bin. Naiv wie ich bin und in dem Glauben, dass sie heute mal nicht noch 10mal ins Bad rennt und sich Make-up ins Gesicht schmiert, obwohl sie nur 3 Leute, die sie nicht kennen, durch die Windschutzscheibe sehen werden, gehe ich raus in die Kälte, wo ich wie jedes Mal noch mal 5 Minuten warte.
Während der Autofahrt höre ich Musik und lasse mir von ihr einreden, dass mein worst-case-scenario, das ich mir jeden Montag ausmale, nicht eintreten wird, was auch stimmt, weil ich nie auf die grässlichen Sachen vorbereitet sein kann. Völlig verschlafen reibe ich mir so lange die Augen, bis mir siedend heiß einfällt, dass ich Wimperntusche und Eyeliner verwendet habe. Ich schaue vorsichtig in den Seitenspiegel und habe Recht: ich sehe aus wie Alice Cooper. Ich versuche, das Gröbste mit Spucke und Tempo wieder wegzuwischen, was meine Mutter merkt, die dann total überfordert fragt, ob ich geheult habe.
Als ich aussteige, begrüßt mich der wohl lauteste, kälteste, nasseste und heftigste Wind des Jahres und macht in einer Sekunde meine mühsam gebändigten, geglätteten, mit Spray gefestigten und gewachsten Haare wieder zu dem unüberschaubaren Gestrüpp das aussieht, als würde es meinen Kopf essen.
Im Klassenzimmer ziehe ich jegliche Blicke auf mich und sehe den größten Möchtegern-Macho-Angeber-Idioten, den ich seit 2 Jahren abgrundtief hasse, sich ein Kichern verkneifen. Ich unterdrücke den Drang, ihm ins Gesicht zu kotzen, damit er unter hysterischem Kreischen in der Psychiatrie eingeliefert wird, wo er drei Monate nicht rauskommt, weil sie feststellen, was alles nicht mit ihm stimmt und er endlich zugibt, dass er schwul ist, sodass er wenn er entlassen wird immer noch Angst vor mir hat, und gehe, mit der Würde einer Vogelscheuche, zu meinem Platz.

Die erste Stunde ist nicht schlimm. Unser Lehrer wird die ganze Stunde damit verbringen, einen Monolog zu sprechen. Manche Schüler erholen sich dann von ihrem Wochenend-Kater, andre schlafen, wieder andere lernen für die nächste Stunde. Denn diese Stunde ist die Hölle.
Unsere Lehrerin kommt herein und hat im Gegensatz zu Mr Ich-bin-mir-selbst-der-Nächste keine Probleme, durch ihre bloße Anwesenheit die volle Aufmerksamkeit der Klasse zu erhalten. Sie geht ganz langsam durchs Klassenzimmer, wir alle springen angsterfüllt auf, manche schlagen noch panisch ihr Heft zu, weil sie wissen, dass sie sofort dran sind mit Ausfragen, wenn sie das merkt. Sie stellt sich vors Pult, schaut jedem tief mit ihren eiskalten blauen bohrenden Augen in die Seele, als ob sie so rausfinden kann, wer nicht gelernt hat und wünscht uns mit entsetzlich leiser, doch auf ihre Art den Raum bis zum letzten Sauerstoffatom ausfüllend lauter Stimmer einen guten Morgen. Wir murmeln was Undefinierbares und versuchen, so wenig Aufmerksamkeit wie möglich zu erzielen, während wir uns hinsetzen.
Und dann kommt der Moment. Der Moment, der der schlimmste des Tages ist. Der Moment, der Atomkriege, Mörder und Krankheiten und alles andere in diesem Moment in den Schatten stellt, der Moment, weshalb ich es am meisten hasse, Montags aufzustehen; der Moment, wo sie ihr Buch aufschlägt und verkündet, wer ausgefragt wird. Für jeden von uns ist es in diesem Moment nicht zu begreifen, dass es etwas Schlimmeres geben kann, als Montagmorgens in der zweiten Stunde von ihr ausgefragt zu werden. Sie schlägt ihr Buch auf. Ihr Blick wandert über die Klassenliste. Es wird abwechselnd die Luft angehalten und ausgeatmet, wenn ihr Stift auf der Höhe des eigenen Namens schwebt. Die Herzen von 28 Schülern klopfen im gleichen Rhythmus und so laut, dass man es vor der Tür hören könnte. Man kann diese Stille spüren. Sie ist erfüllt von Panik und unerträglich quälender Spannung, nur begleitet von dem Schlagen unseres Herzens, das immer wilder zu hämmern beginnt, als wollte es sagen, dass es heraus will, dass dieser Moment endlich aufhören soll, dass es doch nicht so lange dauern kann, einfach einen Namen zu nennen.
Ein Name wird genannt. Herzstillstand, Realisierung, Freude, Puls in den richtigen Takt bringen, mit 26 Schülern gemeinsam Luft ausstoßen. Blankes Entsetzen. Selbsthass, weil man sich darüber gefreut hat, dass die beste Freundin aufgerufen wurde und praktisch ihre ganze Zukunft davon abhängt, in dieser Ausfrage gut zu sein und, dass ihre Angst noch weiter wächst.
Nachdem wir alle diese Stunde hinter uns gebracht haben, gehen wir in die Pause und während es jedem außer mir besser geht, sehe ich meinen alten Schwarm vorbeilaufen und mich geflissentlich ignorieren. Das macht mich so wütend, dass alles, was mich sonst an ihm wütend macht, wieder hochkommt und ich den Wunsch verspüre, mit meinen nicht vorhandenen Krav Maga-Künsten so lange auf ihn einzuhämmern, dass sein dummes Gesicht noch dümmer aussieht…was, wenn ich recht bedenke, sowieso unmöglich ist.
Als die Pause vorbei ist, geht es wieder in den gleichen Trubel wie in der zweiten Stunde, nur nicht in ganz so großem Ausmaße. Luftanhalten, Ausatmen, Herzklopfen, Stille, Panik, unerträgliche Spannung, ein Name wird genannt, Herzstillstand, Realisierung, Freude, Puls in den richtigen Takt bringen, Luft ausstoßen, blankes Entsetzen, Selbsthass. Wenn das vorbei ist, beten, dass man die restliche Stunde nicht aufgerufen wird, was Gott natürlich nicht mitkriegt, weil diese Art von Gebeten montags sofort zum Komitee gelangt, dass einen Heidenspaß dran findet, mich leiden zu sehen.
 
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Kommentare  

Hallo,

solche storys mag ich, erinnert mich an mich
selbst. Da fühle ich mich zurück in meine
schulzeit versetzt. Damals hab ich diese zeit
gehasst, aber jetzt mit mitte 30 vermisse ich die
zeit, auch wenn der unterricht oft so langweilig
war und ich auch immer angst hatte, dass ich mit
den hausaufgaben dran komme, da ich sie nicht
gemacht hatte.
Ich freu mich schon auf die fortsetzung.


Homo Faber (12.02.2011)

Schöner flüssiger Text, voller Jugendfrische und Temperament. Würde gern mehr davon lesen wollen.

Else08 (08.02.2011)

Eigenartiger Schreibstil. Mal der ganze Montag nur aus der Sicht dieses Mädchens besehen. Hast du gut hingekriegt. Verführt einen zum Schmunzeln und ist obendrein sogar spannend. Schön flüssig und federleicht zu lesen.

Dieter Halle (05.02.2011)

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