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6 Seiten

Ahrok - 34. Kapitel

Romane/Serien · Fantastisches · Fan-Fiction/Rollenspiele
© Jingizu
Vierunddreißigstes Kapitel: Hoffnungsschimmer

Ahrok lag auf der wackeligen Pritsche und starrte gedankenverloren an die Decke.
Der Raum, welcher ihm die letzten Tage als behelfsmäßiges Krankenlager gedient hatte, war klein und stand vor Dreck, wie wahrscheinlich auch jedes andere Zimmer in diesem Haus. Allerlei Getier krabbelte auf mittlerweile ausgetretenen Straßen durch dieses Zimmer von einem Loch in der Wand zum nächsten und störte sich nicht im Geringsten an seiner Anwesenheit. Möglicherweise hätte er aus langer Weile ein paar Mäuse oder Krabbelviecher zertreten, wenn er sich hätte erheben können, aber das war eben nicht der Fall.
Stur und starr auf dem Rücken liegen war das Einzige, das ihm momentan keine Schmerzen bereitete. Wieder versuchte er sich probeweise aufzurichten, sank aber gleich darauf mit einem leisen Stöhnen zurück auf sein Lager.
Resigniert betrachtete er den Staub, welcher in den Sonnenstrahlen tanzte, die durch das morsche Holz der Decke fielen. Wenigstens regnete es nicht mehr. Das Wasser, welches in den letzten Tagen beinahe unablässig hineingetropft war, war inzwischen durch die Dielen in den Erdboden versickert.
Er wandte den Kopf.
Nur eine Armlänge von ihm entfernt lag Ragnar in einem wohl vorher nie genutzten Kinderbett und schlief. Nun, vielleicht schlief er auch nicht, sondern befand sich in einem Zustand derart außergewöhnlicher Erschöpfung, dass sein Körper einfach auf nichts mehr reagierte. Jedenfalls lag er dort nun schon so seit zwei Tagen, sprach nicht, aß nicht, ja öffnete nicht einmal die Augen.
Ahrok wollte Mitleid mit dem Zwerg empfinden und tatsächlich fand er auch irgendwo tief in sich eine ähnliche Emotion, aber es fiel ihm nicht leicht. Er sah den Valr mittlerweile mit anderen Augen als die ganze Zeit zuvor.
Ja, er war an dem Abend ihrer letzten Auseinandersetzung sehr wütend gewesen. Ja, er hatte ein paar Dinge gesagt, die sich Freunde ganz sicher nicht an den Kopf warfen und ja, er hatte Ragnar in diesem Kampf mächtig weh tun wollen, aber er hätte den Zwerg nie willentlich schwere Verletzungen zugefügt oder gar seinen Tod in Kauf genommen, aber der Valr war nicht so rücksichtsvoll.
Wegen ein paar im Zorn gesprochener Worte, hatte er sich über ihre monatelange Freundschaft hinweggesetzt und ihm in seinem zwergischen Groll die wohl grausigste aller Verletzungen zugefügt. Absichtlich!
Bei dem Gedanken an den Gesichtsausdruck des Valr lief es ihm jetzt noch kalt den Rücken hinunter. Seit diesem Ereignis sah Ahrok zum ersten Mal nicht nur den Mann, der ihm in gewisser Weise so vertraut war oder den Krieger in Ragnar, er sah auch mittlerweile das fremde Wesen, den Zwerg, den er nie gänzlich verstehen und dem er auch nie ähnlich sein würde.
Ragnar war in ihrer gemeinsamen Zeit bisher immer der rational Denkende, der Überlegte und der Ruhige von ihnen beiden gewesen, doch jetzt nicht mehr. Jetzt fürchtete ein Teil von dem kleinen Mann neben ihm, selbst jetzt, da dieser seit Tagen völlig regungslos und vielleicht dem Tode nahe war.
Mittlerweile hatte er oft über Hans´ Warnungen nachgedacht, die er vorher immer in den Wind geschlagen hatte.
Ragnar war ein Valr, ein Todessucher, ein Wesen, dass sein eigenes Wohl, ja sein ganzes Leben weggeworfen hatte, nur um einem Ehrenkodex zu folgen, den hier an der Oberfläche sowieso niemanden interessierte und wenn der Valr jemals die Wahl zwischen dem Leben eines Freundes und seiner dämlichen Ehre treffen musste, dann wusste Ahrok nun, wie sich Ragnar entscheiden würde.
Genau das war es, das ihm diesen Schauer über den Rücken jagte, wenn sein Blick über den reglosen Körper des Zwerges wanderte. Nie hatte er sich in den letzten Monaten so allein und hilflos gefühlt. Zum ersten Mal in seinem Leben wollte er nur noch nach Hause.

Mit sich und vor allem den Ergebnissen der letzten Tage unzufrieden lehnte Hieronimus Schmidt draußen an der Hauswand. Er hatte die Uniform abgelegt und gestern einem der Bettler ein paar Häuser weiter seine abgetragenen Lumpen abgekauft.
Selbst wenn jetzt jemand die Straße entlangkam, der ihn noch von früher als Stadtwächter kannte, dann würde der ihn sicher nicht mehr wiedererkennen. Sein Äußeres hatte sich perfekt seiner schäbigen Umgebung angepasst, doch ansonsten hatte er nichts erreicht.
Der Zwerg war vor zwei Tagen einfach umgefallen und regte sich seitdem auch nicht mehr. Wenn sein Atem nicht immer noch einen Spiegel beschlagen ließe, dann hätte er ihn längst für tot erklärt, denn es gab ansonsten keine Lebenszeichen. Wahrscheinlich war es nur eine Frage der Zeit, bis die Seuche den kleinen Kerl endgültig dahinraffte, aber da war diese kleine Hoffnung, dieser kleine Funke entgegen all jeder Gewissheit, dass sich doch noch alles zum Besseren wenden würde. Der Zwerg würde nicht sterben und er und der Junge würden sich aufraffen, um den Hauptmann und seine dämonischen Schergen zu bekämpfen…
Dümmliche Träumerei… aber diese Hoffnung war alles, woran er sich noch klammern konnte. Wenn es ihm möglich gewesen wäre, dann hätte er schon gestern die Stadt verlassen, um seinen beiden Frauen nachzureisen, aber er war sich sicher, dass ihn der Hauptmann niemals entkommen ließ. Märkteburg war sein Gefängnis und würde es bleiben, solange Bernhard Schreiber lebte.
Hinter der Tür hörte er die immer lauter werdenden Streitereien zwischen ihrer Gastgeberin und dem obdachlosen Tavernenwirt.
Es war und blieb alles so fremdartig, so unnatürlich.
Heute war Dienstag. Das bedeutete üblicherweise die Tagesschicht, dann fröhliches Beisammensitzen der Sergeanten bei einem Fass beschlagnahmten Biers bis in die späten Abendstunden und Besprechung der Dienstpläne für die nächste Woche mit dem Hauptmann. Danach würde er leicht angetrunken nach Hause huschen und zusehen, wie seine beiden Damen in ihren Betten schliefen, bis er dann auf Zehenspitzen zu seiner Frau ins Bett huschen würde.
Doch heute nicht.
Der heutige Dienstag und alle die noch kommen würden, hatten nichts mehr mit diesem leisen, beschaulichen Leben gemein. Wie schnell war doch das Unglück über seine kleine Familie gekommen und wie grausig hatte das Schicksal ihnen doch mitgespielt. Nichts würde je wieder so sein wie früher… War es das je gewesen?
Sein ganzes Leben, sein ganzes Handeln erschien ihm wie ein schlechtes Theaterstück. Stadtwächter! Welch große Ehre war es damals für ihn gewesen, in den Dienst berufen zu werden. Was für eine Narretei. Er hatte geglaubt, etwas zu verbessern, einen wichtigen Beitrag zu leisten, dabei hatte er nur finsteren Wesen in die Hände gespielt.
Ein kleiner, unwissender Lakai für Dämonen – nichts anderes war er die ganze Zeit gewesen. Man hatte ihn benutzt, seinen Eifer und seine guten Absichten korrumpiert und missbraucht und nun, da er die bösen Strippenzieher erkannt hatte, wollte man ihn und seine ganze Familie auslöschen. Was für ein schlechter Witz…
Sein hilfloses Lachen wurde von einigen Passanten mit einem misstrauischen Blick quittiert, das war dann aber auch schon die einzige Reaktion, die der ehemalige Sergeant Hieronimus Schmidt derzeit in seiner Umgebung hervorrief.

„Stadtwächter also?“, waren die ersten Worte, die Ahrok an den Mann richtete, der mittlerweile schon einige Minuten lang stumm am Türrahmen zu seinem Krankenzimmer lehnte und vor sich hinstarrte.
„Ja“, kommentierte Hieronimus Schmidt und schickte dem jungen Mann einen finsteren Blick zu, um seine Autorität zu untermauern. Dies fiel ihm nicht besonders schwer. Der Junge war Abschaum. Gewalttätig gegen Freunde, Feinde und Gesetzesvertreter gleichermaßen. Wahrscheinlich kannte der weder Moral noch Anstand und Hieronimus hatte noch längst nicht entschieden, wie er mit ihm und dem Zwerg letztendlich verfahren sollte.
Dass beide tagelang nur untätig in ihren Betten lagen, seine kostbare Zeit und damit sein Silber verschwendeten, tat sein Übriges, um sie in seinem Ansehen noch weiter absinken zu lassen.
Sollte der Junge ruhig Angst davor haben, dass es ihm jetzt an den Kragen ging. Vielleicht würde ihn dies gefügiger machen.
„Und was willst du jetzt von mir?“, fragte Ahrok nach einer weiteren Zeit eisigen Schweigens.
Der Junge war abgeklärt. Anders als erwartet zeigte er keine Anzeichen von Furcht. Hieronimus war überrascht, wenn auch nur kurz, und entschied sich seine Vorgehensweise der Situation anzupassen.
„Ich will, dass du das tust, was du immer tust. Monster umbringen.“
Ein Lächeln legte sich auf Ahroks Züge. Hieronimus hatte also richtig vermutet. Der Kerl gierte geradezu nach Anerkennung für sein Tun.
„Hat die Stadtwache also endlich erkannt, wer hier die Helden sind? Wurde ja auch langsam Zeit“, nickte er selbstgefällig.
Anstatt das ihm passendere „So besonders heldenhaft siehst du gerade nicht aus“ an den Kopf zu werfen entgegnete Hieronimus nur: „Nicht wirklich.“
Sofort vertrieb die Enttäuschung die Freude aus Ahroks Gesicht.
„Aber“, setzte Hieronimus gleich nach, „ein kleiner Teil von uns hat euer Potential sogleich erkannt und möchte euch helfen.“
„Euch? Nun mal nicht so förmlich Herr Stadtwächter, unter uns Monsterjägern herrscht das vertrauliche ´Du´.“
„Ähm… ja… mit ´euch´ meinte ich auch eigentlich ´euch beide´. Dich und den Zwerg.“
„Ach ja…“, Ahrok blickte unwillkürlich zu dem Valr hinüber und verspürte schon wieder dieses ungute Gefühl. Obendrein wurmte es ihn, dass alle Anerkennung die er bekam automatisch den gemeinen Zwerg mit einbezog.
„Stimmt was nicht?“
„Nein, nein, alles in Ordnung“, meinte Ahrok trocken, ohne den Blick von Ragnar wenden zu können. „Werden wir dieses Mal bezahlt?“
Hieronimus schwieg einen Moment. Er haderte mit der Entscheidung, dem Jungen einfach großen Reichtum zu versprechen, dann blieb er jedoch weiter bei der Wahrheit.
„Nein. Ich kann euch nichts bezahlen.“
„Ach, Scheiße.“
Ahrok sank wieder zurück auf sein Kissen und starrte an die Decke.
„Du würdest etwas Gutes tun.“
Hieronimus wich beinahe zurück, als ihn der Blick von Ahrok traf. Der Junge jagte ihm in seinem Zorn eine ungewohnte Angst ein.
„Etwas Gutes tun?“, Ahrok schälte sich aus seinem Hemd und offenbarte seinem Gesprächspartner seine vernarbte und teilweise verbrannte Haut. „Scheiße, ich tu mich Leben lang nichts anderes und das hier ist alles was ich dafür bekomme! Das da war mal mein Oberarm gewesen!“ Er fuhr mit dem Finger über die zerfurchten Stellen. „Und jetzt?! Schau dir die Scheiße doch mal an. Das hier hat mir die Monsterjagd gebracht und nicht ein einziges beschissenes Kupferstück!!!“
Hieronimus schluckte leicht.
Vielleicht hatte der Junge gar nicht so Unrecht. Die Gefahr war alles andere als überschaubar, der Tod oder schwere Verletzungen nur allzu wahrscheinlich. Welcher Mann verpflichtete sich freiwillig für so etwas, wenn ihm nicht die geringste Belohnung dafür winkte.
„Zehn Silberstücke“, lenkte er ein. Es war ein verzweifeltes Angebot, nur um nicht sagen zu müssen, dass es wirklich rein gar nichts gab. Zehn Silberstücke war in etwa der Wochenlohn eines normalen Bürgers der Unterschicht von Märkteburg.
Ahrok verdrehte die Augen und schnaufte nur.
„Und wann?“, unterbrach er letztendlich die Stille, welche sich über ihnen ausgebreitet hatte.
Hieronimus glaubte sich verhört zu haben: „Wie bitte?“
„Wann und wo soll ich… sollen wir deine Monster umbringen?“, eine lethargische Resignation, die Ahrok sonst nur von Ragnar kannte, hatte sich auf seine Stimme gelegt.
„Ah, natürlich.“ Hieronimus konnte sein Glück kaum fassen. Sein Herz machte einen Freudensprung, „Irgendwann zur Wintersonnenwende, denke ich.“
„Das… das dauert ja noch“, stellte Ahrok nüchtern fest und starrte an die Wand neben ihm.
„Ja. Noch in etwa anderthalb Monate.“
„Dann hab ich ja noch Zeit…“, er schloss die Augen und signalisierte damit dem Stadtwächter, dass das Gespräch beendet war.
 
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Kommentare  

Auch ein Held hat Ausgaben und will entlohnt werden. Von Ruhm und Ehre kann man sich schließlich nichts zu Essen kaufen...

Bin gespannt wie es weitergeht.


Alexander Bone1979 (16.09.2011)

*lach*
stimmt, im moment ist er nicht sonderlich sympathisch, aber ich hab' ihm sowie ahrok gute besserung gewünscht, oder so ähnlich. ;-) und ich hoffe, der gute zwerg durchlebt gerade eine art metamorphose...


Ingrid Alias I (11.09.2011)

Ich meinte das schon ernst Petra ^^ wahrscheinlich gehe ich auf die eher tragische Figur des Ragnar in der Geschichte um Ahrok nicht so sehr ein, da ich ihm ja eine völlig eigenständige noch widme - deshalb gehen ihm hier auch wohl etwas die Sympathien ab. Gut zu wissen, denn diesen Blickwinkel hab ich persönlich bisher nicht gesehen.

Jingizu (11.09.2011)

Ist dein Kommi jetzt witzig gemeint oder meinst du das ernst?

Petra (09.09.2011)

Nicht einer hat hier Mitleid mit dem armen Ragnar - das find ich ja befremdlich...

Jingizu (08.09.2011)

Der arme Ahrok, erst diese fürchterliche Verletzung, die er wegen Ragnar bekommen hat und jetzt auch noch die Krabbelviecher. Der muss ganz schön leiden. Aber, dass Hieronimus zu Verstande gekommen ist und nicht mehr dem Hauptmann gehorchen will, gefällt mir nach wie vor.

Petra (08.09.2011)

Schön, wenns dich bei den Beschreibungen krabbelt Ingrid ^^
Was Ahrok und Ragnar betrifft, ja deren zwischenmensch-zwerg-liche Beziehung steckt grad in ihrer ersten großen Krise und das liegt nicht einfach nur an dieser Seuche...


Jingizu (07.09.2011)

oh, mich juckt’s. dieses zimmer ist ja schrecklich. ich hoffe jetzt, dass der zwerg nur durch diese seuche so unversöhnlich gehandelt hat. und dass beide wieder gesund werden. ;-)

Ingrid Alias I (07.09.2011)

Ja der Hieronimus hat es schon nicht leicht, aber kann man ihm seine Bedenken verübeln? Vielen Dank für Lesen und kommentieren Jochen.

Jingizu (06.09.2011)

So langsam zweifelt Sergeant Hieronimus Schmidt daran, ausgerechnet in Ahrok und Ragnar zwei wirklich gute Krieger gefunden zu haben, die ihm zur Seite stehen könnten, wenn es hart auf hart kommt. Was wird er machen, wenn er verfrüht den dämonischen Monstern des bösartigen Hautmannes gegenüber steht? Noch sind seine beiden "Helden" viel zu schwach um zu kämpfen.

Jochen (06.09.2011)

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