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3 Seiten

Lara

Aktuelles und Alltägliches · Kurzgeschichten
Bevor ich von Lara erzähle, dem ausdrucksstärksten Hund in meinem Leben, möchte ich dieses vorausschicken:

Es heißt, dass Hunde die Intelligenz eines etwa 4-jährigen Kindes haben. Sie besitzen einen Geist, aber keinen selbstbewussten Geist, also kein Ichbewusstsein. Sie verfügen über alle Emotionen, wie wir sie mit uns rumschleppen. Darüber hinaus nehmen sie die Umwelt intensiver wahr. Sie können weit besser riechen und hören als wir Menschen. Und ihre Instinkte sind wach und nicht wie bei uns Menschen verkümmert. Dies in seiner Summe macht sie für uns als Weggefährten so unentbehrlich, zumal sie uns unsere Unvollkommenheit im Umgang mit ihnen nicht verübeln.

Und so muß man sich Lara vorstellen, jetzt, wo sie vor fünf Jahren als Welpe aus dem Tierheim zu mir kam, nachdem man mir dort erst einmal wegen meines fortgeschrittenen Alters keinen jungen Hund geben wollte. Nun, einer meiner berüchtigten Briefe hat da nachgeholfen:

Lara (der Name stammt von mir) ist halb Labrador und halb argentinische Dogge. Den Grund dafür, warum argentinische Doggen in einigen Ländern verboten sind, sollte ich alsbald erfahren. Sie hat ein kurzes, schwarzes Fell mit einem weißen Latz und weißen Pfoten, einen kraftvollen Körperbau mit tiefreichender Brust. Ein sehr schnelles, elegantes Kraftpaket mit ca. 50 cm Körpergröße.

Nach kürzester Zeit bei mir waren sämtliche Sofas - und sonstige Kissen ihres Inhalts beraubt und somit für den menschlichen Hintern unbrauchbar gemacht. Cremetuben oder ähnliches verschwanden in ihrem Magen. Noch heute kann ich nichts, was auch nur den Anschein erweckt, irgendwie verdaulich zu sein, unbeaufsichtigt auf den Tischen stehen lassen. Dazu gehören auch Kerzen, was ich manchmal erst an ihrer knallroten Kacke bemerkt habe. Daß sie über ein Jahr lang auf meine Teppiche gemacht hat, kann ich noch verstehen. Da sie aber bei jedem Besucher mit ihrem Hochspringen dessen wohlgestaltete Nase gefährdet hat, riefen diese mich vorher an, ich möge doch die Bestie anleinen! Apropos ihr Springvermögen, das sich jeder Schwerkraft zu widersetzen scheint. Neulich war ich beim hiesigen Bürgermeisteramt. Auf die erstaunte Frage, wo denn mein Hund sei, deutete ich auf ein Außenfenster, auf dessen Sims Lara saß, Höhe knapp 2 Meter.
Bleibt nachzutragen, dass ich auch jetzt noch den Inhalt von Müllsäcken verstreut in der Wohnung einsammeln darf, wenn ich mal wieder vergessen habe, die Küchentür zu schließen.. Wenn ich sie dann ausschimpfe, gähnt sie vor Verlegenheit.

Und ihre unterschiedlichen Laute nicht zu vergessen. Da ist das fast kaum vernehmbare Piepsen zu erwähnen, das verkünden soll, ich solle endlich meinen Hintern lüften, es sei Zeit zum Aufstehen. Wenn ich dem nicht nachkomme, wieselt sie, um schließlich ihre Forderung mit einem nicht auszuhaltenen lauten Bellen Nachdruck zu verleihen. Im übrigen könnte man meinen, dass dieses überaus kräftige Bellen einen Schutzhund signalisiert. Dem ist leider nicht so. Jeder Einbrecher müsste sie erst einmal streicheln. Und ich hege den begründeten Verdacht, dass sie mit jedem mitgehen würde, so gesehen eine echte Schlampe.

Nun, nach langer Zeit ernte ich die Früchte meiner teils harten Maßnahmen. Sie hat mich als Rudelführer anerkannt. Und sie tröstet mich nun in meinen vielen Stunden des Alleinseins mit ihrer vielschichtigen Anhänglichkeit. Einer Anhänglichkeit, die wie alles ihren Preis hat. Kann ich doch nur dort mit ihr aufkreuzen, wo Hunde nicht stören. Und sie ist immer an meiner Seite, immer.

Ich habe mein mittlerweile langes Leben mit einer Vielzahl von Tieren verbracht, wie z. B. mit Pferden, Hunden, Katzen, Jagdfalken, Papagei oder auch Wellensittich. Ich habe einen Bussard und eine Elster, King Louis, großgezogen und freigelassen. Aber sie sind auf mein Rufen zurückgekommen. (Wie oft habe ich jedoch Abschied nehmen müssen.) Aber eine solche enge Beziehung wie zu Lara, habe ich noch nicht erlebt. Der hauptsächliche Grund dafür liegt in ihren sprechenden Augen, und in ihrer Körpersprache, an denen ich jede ihrer Gefühlsregungen ablesen kann: Angst, Freude, Verlangen oder Zuneigung, so, wie ich es bei meinen früheren Hunden noch nie so intensiv erlebt habe. Ihre Augen werden klein, rollen von einer Ecke in die andere, werden rund und blank oder verhangen. So, als hätte sie die Zeichensprache gelernt. Und wenn sie sich ganz wohl fühlt, dann streckt sie mehrmals ihre Zungenspitze heraus.

Die Dämmerung ist hereingebrochen. Ich sitze in meinem Sessel. Das Feuer im offenen Kamin knistert neben mir und erwärmt den hohen Raum in dem uralten Gemäuer. Kein Laut weit und breit. Da steigt Lara vom Sofa runter, setzt sich vor mich hin und schaut mir geradewegs in die Augen, ohne zu kneifen oder zu blinzeln. Klar, ihre Haltung ist fordernd. Also ist es an mir, den infrage kommenden Katalog abzufragen. „Willst Du raus?“ Keine Reaktion. „Also, was willst Du?“ Eine kleine Bewegung der Schwanzspitze. „Willst Du schon jetzt ins Bett?“ Klare Ablehnung. „Aber Du hast doch schon gefressen.“ Ihre Zunge leckt sich die Schnauze. „Also willst Du mal wieder ein Leckerli.“ Und schon sitzen mir 40 Kilo auf dem Schoß.

Es gibt nichts umsonst. Alles hat seinen Preis. Das dürfte sich ja mittlerweile herumgesprochen haben. Mein Preis für dieses ehemals traumatisierte Tier ist, dass ich ihr meine ständige Aufmerksamkeit widmen muß, um nicht erneut Verlustängste aufkommen zu lassen. Und wenn ich sie etwa 10 Minuten alleine gelassen habe, um beispielsweise nach den Pferden zu schauen, dann knabbert sie danach aus lauter Verzweifelung an meiner Hand. Das ist weit mehr fordernd als ein menschlicher besitzergreifender Partner, der einem zumindest nicht auf die Toilette folgen will. Aber kenne ich nicht auch diese quälenden Verlustängste für mich selbst?

Es ist nun Zeit ins Bett zu gehen – mit ihr. Sie steht schon mit einem Kissen im Maul vor der Wohnzimmertür und wartet. Mein erster Hund, der diese Forderung mit mir die Nacht im Bett zu verbringen unter dem Motto aufgestellt hat „Sonst kacke ich Dir frustriert in Deine Bude.“
Dann springt sie in mein 180 cm breites und ca. 1 Meter hohes, selbstgebautes Bett, sucht mit der Schnauze nach meinem Körper unter der Decke und lässt sich dann krachend neben mich fallen. Und wenn ich nicht aufpasse, fährt sie mir mehrmals mit der Zunge quer durchs Gesicht, um danach zufrieden ihren Kopf in meiner Achselhöhle zu vergraben. Morgens bin ich dann jedes Mal erstaunt, dass ich nicht raus gefallen bin, denn von dem breiten Bett ist mir nicht viel an Platz verblieben.

Und wie heißt es so schön: „Bis dass der Tod Euch scheidet“ – mal wieder.

K. A. 23. X. 2011
 
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Kommentare  

Eine bezaubernde Tiergeschichte, ganz aus dem Leben gegriffen. Wirklich gut. Sag mal, du hast Pferde?

Else08 (28.01.2012)

Gefällt auch mir sehr gut. Du hast eine elegante Art zu schreiben. Deswegen hat sich deine Story locker weggelesen. Du hast den Hund so gut beschrieben, dass ich ihn wie in einem Film vor mir gesehen habe. Prima Lesegenuss.

Evi Apfel (21.01.2012)

Schöne anrührende Kurzgeschichte. Toller Schreibstil. Sehr gelungen.

Gerald W. (20.01.2012)

sehr schöne kleine Geschichte
pass auf dich/euch auf
Achim, Düssel


achim kaul (19.01.2012)

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