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6 Seiten

Die seltsame Alte

Fantastisches · Kurzgeschichten
So taumelte er mit schwankenden Knien, aber auch ärgerlich und wütend, direkt in eine der Gassen und blieb aber bald wieder, überwältigt von einem seltsamen Anblick, wie angewurzelt stehen. Am Eingang der Gasse, saß das Kätzchen Amina mit dem großen Stück Fleisch zwischen den Pfoten. Sie hatte das Fleisch auf ein sauberes Stück Buckelpflaster gelegt und noch nichts davon angerührt, schaute ihn aus ihren unergründlichen Augen an und miaute leise. „Amina, das große Stück Fleischbrät! Wie hast du das nur geschafft? Du hast ja die Kraft eines Bären!“, brachte er ungläubig, aber auch mit Bewunderung in der Stimme, hervor. Amina mautze erneut. „War das eine Einladung? Da danke ich dir auch sehr dafür und muss sagen, die Überraschung ist dir gelungen! Mmmh, das wird ein köstliches Festmahl werden!“ Er zwinkerte der kleinen Katze belustigt zu und begann sich, gemeinsam mit ihr, an dem Fleisch zu laben. Als sie das Fleisch restlos vertilgt hatten, sprang Amina an Mukhtar hoch, lief auf seinen Schulter hin und her, legte sich schließlich wie ein kuscheliges Kissen in seinen Nacken und nistete sich dort ein. Mukhtar wunderte sich und rief: „Amina, so ist es richtig! Wir wollen Freunde sein!“ So durchzog das seltsame Gespann die verwinkelten Gassen von Maon. Da hörte er plötzlich eine eindringliche, aber salbungsvolle Stimme:
„Herbei, herbei, gekocht ist der Brei!“
Mukhtar wusste gar nicht, wie ihm geschah. Diese Stimme kam doch seinem Magen, der schon wieder knurrte, mehr als gelegen. Oder waren es nur Halluzinationen? Egal: Die Vorfreude auf die nächste warme Mahlzeit begann sein Herz zu erfreuen:
„Allah sei Dank, für diesen Lichtblick, der keine Einbildung zu sein scheint! Die gute Alte lädt mich so freundlich ein. Beschwerlich war die Reise! Oh ja, gegen ein Schälchen Brei, wäre jetzt nichts einzuwenden! Immer nur Wandern und mühsam gesuchte Beeren essen! Die großen Wüstenschauspiele haben meinen ungeheuerlichen Hunger auch um kein Lot gemildert. Naja, das Fleisch schmeckte lecker, aber eine Krume Brot und ein Schlückchen Wasser würden mir jetzt auch ganz gut tun. Diese Frau wird bestimmt ein großer Menschenfreund sein. Ich glaube, ich habe meinen ersten Freund gefunden. Dass, das so schnell gehen würde, hätte ich nie für möglich gehalten, Allah sei Dank!“
Jetzt hört er wieder, diese glockenhelle und sanfte Stimme:
„Kommt alle zu mir, oh ihr samtpfötigen Mäusejäger!“
Mukhtar sah nun die Besitzerin der Stimme. Es war eine vollkommen verschleierte Frau, von der nur die Augen sichtbar waren. Mukhtar dachte bei sich:
„Samtpfötige Mäusejäger? Beim Scheitan, ich habe keine Pfoten und Samt schon gar nicht! Ist ja auch egal.“
Er lief zu der Alten und begrüßte sie herzlich:
„Allah zum Gruß, gute Frau. Herzlichen Dank für eure seelengute Einladung!“
Die Frau fixierte Mukhtar mit einem stechenden Blick. Sie sprach plötz-lich mit einer ganz anderen, unfreundlichen und derben, Stimme:
„Einladung? Beim Derwisch, wer hat denn dich buckligen Vertreter der Altkleidersammlung zu mir eingeladen?“
Mukhtar war über die Wandlung der Frau total überrascht. Er ließ sich jedoch nichts anmerken und erklärte den Einfältigen spielend:
„Oh, ihr Tochter aller Garküchen, habt doch gerufen: „Herbei, herbei, gekocht ist der Brei!“
Die Frau schaute ihn vollkommen entgeistert an, war erst einmal sprach-los, fing sich aber schnell und feuerte nun eine Salve aus Schimpfwörtern auf ihn ab:
„Beim Barte des Propheten! Damit meinte ich doch nicht dich, du Ausgeburt aller Missgestalten! Damit meinte ich doch meine lieb-reizenden Kätzchen, für die ich jeden Tag einen leckeren Brei koche! Das weiß doch jeder hier!“
Mukhtar tat immer noch naiv und schaute die Frau aus großen und unschuldigen Augen an und sprach:
„Nein! Das ist ja zu putzig! Da müsst ihr aber eine große und herzensgute Frau sein. Wenn ihr schon zu euren Katzen so ein auffallendes und gutes Verhältnis besitzt, wie groß wird dann erst die Liebe zu den Zweibeinern, ich meine den Menschen sein? Also, ich für meinen Teil, habe eure Worte als Einladung verstanden und fühle mich gemeinsam mit meinem Kätzchen Amina sehr geehrt. Wir nehmen natürlich an. Wahrscheinlich habe ich euch eben falsch verstanden, doch ich bin sicher, dass sich jetzt alles aufklären wird.“
Die alte Frau hob ihre Hände wie ein Greifvogel, der auf seine Beute herabstoßen will und keifte:
„Du ungläubiger Hund! Falsch verstanden? Aufklären! Ich werde dir gleich lehren auf die Worte einer ehrbaren Frau aus der Sultanstadt zu hören und sie niemals falsch zu verstehen! Allah soll mir das Fleisch von den Knochen reißen und die Augen verdorren lassen, wenn meine Worte nicht die Wahrheit sind! Beim Leben meiner Katzen!“
Mukhtar erkannte seine ausweglose Situation und erklärte beschwich-tigend: „Wenn ich es mir recht überlege und mir eure Worte nochmals in Erinnerung rufe, habe ich euch doch verstanden!“
Nach einer kleinen Weile, die aus gegenseitigem Belauern und Fixieren bestand, versuchte er seine Position nochmals zu verdeutlichen und rief trotzig wie ein kleines Kind aus: „Ich bin aber wirklich sehr hungrig!“
Die Alte schien nachzudenken. Dann tat sie den Mund auf und flötete süßsäuerlich: „Nun, du Sohn einer schieläugigen Klapperschlange und einer stumpfsinnigen Mauleselin, ich will ja nicht als Behinderten- oder Menschenfeind dastehen und außerdem will ich nicht, dass du zu den Pressefuzzis von den „PALACE NEWS„ rennst und mich dort ausschmieren läßt! Schließlich warten die ja, wie die Spinne im Netz, auf alles, was sich als Story gut verkaufen lässt und mein guter Name ist mir für diese Angelegenheit wirklich viel zu schade. Außerdem scheint sich dein Kätzchen bei dir auch wohlzufühlen. Du scheinst also ein Händchen für alle vierpfotigen Freunde zu haben! Höre also gut zu: Wenn du schon mal da bist, deine kurzen Beine unter meinen Tisch baumeln lassen und die Reste meines Katzenbreies vertilgen willst, schlage ich dir ein Geschäft vor.
Mukhtar ergänzte schnell, in der Hoffnung es nicht schlecht zu treffen, ihre lauten Gedanken: „Wenn ich also zu Essen und einen Platz zum Schlafen bekomme...“
Die alte Frau ergänzte zufrieden über den Beginn seines Satzes:
„... kümmerst du dich um meine Katzen, achtest auf sie und mein Haus!“
Mukhtar, sichtlich froh über diesen leichten Dienst rief sofort laut und eilfertig: „Top, abgemacht! Babysitter für Katzen wollte ich schon immer mal sein! Ich bin der geborene Katzenbabysitter, ihr könnt euch auf mich verlassen!“
Die Zeit verging, Mukhtar hatte seinen Posten als Katzenbabysitter jetzt bereits monatelang gut erfüllt. Die Alte sah es mit Wohlwollen und gab sich als eine großzügige Herbergsmutter. Ihr Mann, ein höhergestellter und getreuer Diener am Hofe des Sultans, war schon seit Jahren verblichen. Sie besaß, als seine Witwe und Universalerbin seiner Leibrente, ein gutes Auskommen und trug ihre gesellschaftliche Stellung auch bei jedem Anlass zur Schau. Dabei ließ sie kaum eine Gelegenheit aus, um über andere nicht anwesende Damen herzuziehen. In dieser Eigenschaft verkehrte sie oft und lange außer Haus, gab die große Gesellschaftsdame und konnte sich, hinsichtlich ihrer zahlreichen Katzen, voll auf Mukhtars Ergebenheit und sein „Katzengeschick“ verlassen. Mukhtar begann sich schnell von seinen Strapazen und Entbehrungen zu erholen. Es ging ihm bald wieder gut! Jedoch, er begann seine Situation, die nicht die schlechteste war, in Frage zu stellen und zu beklagen:
„Ach nun hüte ich euch schon seit vielen Monden - voller Milde und Geduld. Nicht das es mir keinen Spaß macht! Nein, das will ich damit auch nicht sagen, aber immerzu Katzen, Katzen und ihr fürchterlicher Gestank, die Erfüllung ist das auch nicht!“
Mukhtars Unmut verlegte sich auf sein Geschick, das daraufhin langsam zu versiegen begann. Er achtete zwar noch auf die Katzen, aber sein Hauptaugenmerk galt bald den großen Zimmern, die aufs Prächtigste herausgeputzt und vollgestopft mit wertvollen Pokalen, Möbeln, Teppichen, Krügen, Kannen und teuren Vasen aus aller Herren Länder waren. Manches, so entdeckte Mukhtar, trug noch die Reste einer alten Stempelprägung. „Wer mag sich nur hinter dieser Prägung verbergen?“ Er grübelte, suchte und kramte lange und fand schließlich eine kostbare Vase, auf deren Boden er die Lösung des Rätsels fand. „Großmächtiger Sultan von Maon, Herrscher und Gebieter über alle Gläubigen und Ungläubigen! Mukhtar setzte sich auf den Boden und flüsterte: „Gestohlen! Das ist alles Diebesgut!“ Nun begann er fieberhaft alles Übrige umzudrehen und entdeckte, dass bei vielen Stücken versucht wurde, die hochherrschaftliche Herkunft einfach weg zu schmirgeln. Jedoch bei einigen konnte Mukhtar noch den rechtmäßigen Eigentümer deutlich feststellen. Er sagte nur: „Ein feiner Diener!“, aber kümmerte sich nicht weiter um diese Beutestücke, sondern verrichtete getreulich seine Arbeit weiter. So verging die Zeit bei der Alten. Die Tage reihten sich aneinander und glichen sich, wie eine Perle der anderen. Eines schönen Tages, schien das Maß voll. Die Katzen balgten sich herum, dass die Fetzen nur so flogen. Jedoch Mukhtar achtete nicht mehr darauf und ließ sie gewähren! Was hätte er auch sonst tun sollen? Sein Katzenehrgeiz schien vollständig erloschen. Auch die prunkvollen Räume, in denen er mit den Katzen lebte, bargen keine Reize oder Geheimnisse mehr in sich! Nein, es war der Sultanspalast mit all seinen Bewohnern, der plötzlich in den Brennpunkt seines Interesses rückte!
„Wenn man zum Fenster hinausschaut, hörte man nichts anderes wie: Palast vorne und Sultan hinten. Das klingt interessant und macht Neugier auf mehr!“ Er fühlte sich plötzlich wie ein Besessener. „Ich würde doch zu gern wissen, wie es im Inneren des Palastes aussieht. Der Sultan soll zwar, wie man hört, selbstsüchtig und dumm sein! Hmm, es scheint also kein Wunder, dass man ihm so einfach das Geschirr vom Tisch oder die Butter vom Brot klauen kann.“ Mukhtar lachte still in sich hinein und war plötzlich von einem Gedanken beseelt, der greifbar schien und langsam Gestalt annahm. „Aber er soll auch gleichzeitig eine Tochter besitzen, die so schön, wie der junge Morgen ist. Also, Sachen gibt’s! Die Tochter soll Shakira heißen, eine echte Prinzessin und unbändig wie eine Wildkatze sein!“
Mukhtar seufzte: „Prinzessin Shakira! Wäre das nicht eine Super-Partie? Mensch, da hätte ich praktisch ausgesorgt! Keine finanziellen Sorgen mehr. Immer ein gefülltes Konto! Kein Ärger mit einem überzogenen Dispo. Als Privatversicherter könnte ich den Krankenkassen etwas Husten. Apropos Husten – husten würde ich nur noch vorm Chefarzt, sonst nirgends! Ja, das wäre wie ein Sechser im Lotto mit Zusatzzahl! Und außerdem besäße ich dann eine Braut mit festem Wohnsitz, bezauberndem Aussehen und festem Job. Aber, Moment mal: Prinzessin ist doch mehr als ein Job! Ist Prinzessin nicht sogar eine Lebensstellung? Ich glaube, Prinzessin ist noch mehr als Beamter! Gesetzt dem Fall, ich könnte irgendwie ihr Herz gewinnen, wäre ich dann nicht auch automatisch der Prinz an ihrer Seite...?“
Mukhtar lächelte bei dieser Vorstellung, vergaß nun die Katzen vollends, nahm einen alten und schäbigen Mantel von der Wand, schwang ihn sich um die Schulter, stülpte sich einen prunkvollen Pokal wie eine Krone auf den Kopf, nahm einen großen Kochlöffel zur Hand, verbeugte sich tief und rief laut und theatralisch:
„Prinzessin Shakira, willst du meine Frau werden!“
In diesem Augenblick, hörte er einen furchtbaren Knall. Es schepperte, klirrte und knallte derart, dass Mukhtar wie vom Donner gerührt stehen blieb und rief:
„Ihr blöden Katzenviecher, könnt ihr mir nicht mal einen schönen Traum gönnen?“
Doch die Katzen scherten sich keinen Deut um ihren Bewacher und seine Träume, sondern sprangen über Tische, Bänke und Stühle, Kommoden und Anrichten. Sie hingen und rissen an den schweren Brokatvorhängen, bis sie rauschend zu Boden gingen und sprangen mitten in die schönste Vasensammlung des Sultans hinein. Das wertvolle Inventar schepperte und klirrte laut. Mukhtar wusste sich keinen anderen Rat mehr, als zu rufen:
„Bei Allah Amina! Pass auf, das ist eine besonders wertvolle Vase aus der dritten Ming Dynastie...!“
Doch alles half nichts, Amina sprang... Ein ohrenbetäubendes Klirren unterbrach das Katzenspiel, das plötzlich, wie durch Magie, abbrach. Ein letztes kurzes Fauchen und Mauzen beendete die Katastrophe und wurde von einer beängstigenden Stille abgelöst…
 
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Kommentare  

Mukhtar bekommt also einen Job als Tierpfleger und Hausverwalter. Aber die Katze Amina scheint ihn nun in arge Schwierigkeiten gebracht zu haben.

Else08 (28.01.2012)

Schade, nun ist die Vase entzwei, ob Mukhtar und das Kätzchen wohl eine Strafe dafür bekommen werden? Die kleine Katze wird doch wohl nicht eifersüchtig auf die Prinzessin Shakira sein?

Gerald W. (23.01.2012)

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