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6 Seiten

Eine kleine Lüge

Fantastisches · Kurzgeschichten
„Man nennt mich Nefa, ich bin eine Sklavin des Sultans.“, erfand die Prinzessin blitzschnell, die ihrerseits auch plötzlich das unbestimmte Gefühl verspürte, Zeit gewinnen zu müssen!
Mukhtar, dessen Herz bereits bei dem Wort Sklavin vor Freude gesprungen war, wurde plötzlich vollkommen gelassen. Er reckte sich gegen seinen Buckel und rief kess:
„Ich hätte gedacht, dass du Prinzessin Shakira bist, die mit ihrer sagen-umwobenen Schönheit ganz schönes Aufsehen im Volk und besonders im männlichen Teil des Volkes macht, denn, wie eine Sklavin siehst du nun wirklich nicht aus!“
Prinzessin Shakira, die plötzlich, nicht etwa wegen ihrer Lüge oder der richten Fährte auf der sich Mukhtar befand, sondern aus einem völlig anderem, sich unheimlich gut anfühlendem Grund, ganz heiße Ohren be-kommen hatte, versuchte seine Vermutung zu hinterfragen:
„Wieso, kennst du etwa Sklaven?“
„Ja, natürlich in der Karawanserei, eine Meile hinter unserem Dorf, habe ich mal welche gesehen. Die hatten kaum einen Fetzen auf dem Leib. Dieses Bild will einfach nicht zu dir als Sklavin passen!“
Das klang ehrlich. Mukhtar redete, jetzt wo er nicht Shakira, sondern die Sklavin Nefa vor sich glaubte, wie ihm der Schnabel gewachsen war.
„...Ich bin aber wirklich eine Sklavin des Sultans!“, erklärte sie fast entschuldigend, fuhr jedoch fröhlich plappernd fort:
„Weißt du eigentlich, was der Name Nefa bedeutet?“
Der Prinzessin begann das kleine Spiel mit Mukhtar Spaß zu machen. Sie wollte sich nur noch mit dem jungen Mann mit dem klugen Gesicht unterhalten, weil sie spürte, dass von ihm etwas ausging, was sie nicht kannte, aber unbedingt kennen lernen wollte. Mukhtar schien ihr so ein interessanter Gesprächspartner, dass sie plötzlich, ohne dass sie es so recht wollte, versuchte, ihm ebenbürtig zu sein. Der junge Mann, der ihre Wandlung wohl bemerkte, jedoch keine Lust verspürte, nach ihrer Ursache zu forschen, meinte geradezu:
„Ich habe keinen blassen Schimmer!“
„Na, die Nützliche! Nefa bedeutet, die Nützliche!“
Prinzessin Shakira ärgerte sich, dass sie in ihrem Überschwang, ihm etwas Neues zu verraten, dieses Neue gleich zweimal gesagt hatte, doch Mukhtar, der darauf gar nicht geachtet hatte, ritt sein Steckenpferd und trompetete fröhlich:
„Gib nicht so an!“
Jetzt tat es Shakira Mukhtar nach, wandte sich rauschend von ihm ab, drehte sich ebenso schnell wieder zurück und schaute ihm herausfordernd in die Augen:
„Ich und angeben? Bah, das ich nicht lache! Reden wir doch einmal zur Abwechslung über dich! Wer bist du, dass du hier so große Töne spuckst? Tauchst hier einfach so auf, begehst Palastfriedensbruch und nächtigst an fremden Brunnen in fremden Vorhöfen! Bist du etwa ein Prinz? Nein, dafür sind deine Kleider zu schäbig! Oder bist du vielleicht ein Gemeiner aus dem Volk, ein Halunke oder vielleicht nur ein einfacher Sklave? Kannst Du Dich vielleicht bei Hofe ordentlich bewegen? Weißt Du um die Etikette, die wichtig sind, um vor dem Sultan zu erscheinen?
Mukhtar, von dieser Frage überrascht, versuchte nun auch wieder Zeit zu schinden. Er erhob sich und begann, um die Antwort auf ihre Frage mög-lichst spannend klingen zu lassen, eine Wanderung durch den Hof. In Wirklichkeit, wusste er nicht, ob er ihr seine wahre Geschichte erzählen soll oder lieber nicht. Da fielen ihm seine Pantoffeln ein.
„Von den Etiketten weiß ich vom weißen Ibrahim. Die sind einfacher, als sie immer gemacht werden. Ich werde den Sultan schon von mir überzeugen. Da bin ich mit ganz sicher, weil ich einen Plan habe. Ich bin Mukhtar aus einem Dorf, vor den Toren Maons. Meine Herkunft ist arm, aber meine Ziele sind seit kurzem alles andere als arm, sondern reich. Mein Vater war nur ein Schuhflicker! Aber er war gottesfürchtig und rechtschaffend. Gott sei seiner armen Seele gnädig! Ich will es Dir sagen. Ich bin ein professioneller Schnellläufer. Man nennt mich auch den schnellen Mukhtar! Ich werde den Sultan, vielleicht auch etwas der Etikette entgegen, von mir überzeugen und will es mit Murad Marat Hon aufnehmen. Ich werde ihn im Zweikampf besiegen!“
Prinzessin Shakira hielt sich erschrocken beide Hände vor den Mund und weitete erstaunt ihre Augen:
„Bei Allah, du Kugelfisch willst ein Schnellläufer sein, der gegen jeden Formenzwang vorm Sultan verstößt? So siehst du aber nicht aus! Oh, ich kenne diese Typen, die sich unten an den Stadtmauern herumdrücken! Ich weiß auch, wie sie sich nennen: Schlangen-beschwörer, Gaukler, Fakire, Wahrsager und neuerdings kommen noch die Schnellläufer hinzu! Weißt du wie ich die alle nenne?“
Mukhtar schaute die traurig wirkende Prinzessin kopfschüttelnd an:
„Ich nenne sie Lebenskünstler! Wenn sie Glück haben, allein sind und in keiner Ehe oder eheähnlichen Gemeinschaft leben, mag es noch gehen! Da gibt es bei Bedürftigkeit von Rafid Raff El Gier den vollen Regelsatz, den Mietzins und etwas Kamelmist zum Heizen. Wenn sie Pech haben gibt es weniger oder überhaupt nichts! Oder es sind üble Schurken, die sich die Sultanos erschleichen, falsche Angaben machen oder gar heimlich Unzucht treiben!“ In Ihren Augen blitzte es kampfeslustig auf und sie fuhr fort: „Dein Vater übte noch einen achtbaren Beruf aus! Warum hast du ihn nicht einfach von ihm gelernt? Flickschuster werden bestimmt immer gebraucht! Gerade in der Zeit, wo der Sultano nicht mehr so locker sitzt, um sich jedes Jahr ein paar neue Schuhe bei Oner oder Reichmann zu leisten. Gerade in dieser Zeit, wo selbst ein rechtschaffener Mann sein Schuhwerk immer noch einmal flicken lässt. Handwerk besitzt eben, obwohl mein Va… äh ich meine der Sultan schon vieles aus dem Reich der Mitte, aus dem Land der „Untergehenden Sonne“ oder aus Übersee kommen lässt, immer noch goldenen Boden. Du fragst nach dem Warum“, ereiferte sie sich, ohne das er diese Frage nicht wirklich gestellt hatte, „Weil es billiger ist, meint der Sultan! Damit wird den Handwerkern zwar fast die Luft abgedreht, aber sie können überleben - immerhin!“
Shakira hatte sich nun vollends in Rage geredet und Mukhtar wurde nach jedem Wort von ihr immer blasser. Er wollte nicht als Lebenskünstler gelten, obwohl er, wenn man es genau nimmt, einer war. Er wusste, dass er sich seine Zauberdinge mit ehrlicher Arbeit und ohne niedere Ab-sichten, so wie sein ehemaliger Dorfältester, verdient hatte, und dass er diese einmalige Chance einfach nutzen musste, um mit Pantoffeln und Stöckchen sein Kapital und Glück zu machen! Darum war er schließlich hier. Mukhtar hatte sich, mit seiner stummen Rechtfertigung, alle aufkommenden Ängste von der Seele geschoben, schaute Shakira nun freundlich und offen an und erklärte im Brusttone seiner Überzeugung.
„Natürlich hast du Recht, Nefa, aber jeder braucht, um erfolgreich zu sein, sein kleines Geheimnis. Die Handwerker haben auch ihre kleinen Geheimnisse! Weißt du, was der weise Ibrahim zu diesem Thema sagte?“
Shakira schüttelte stumm den Kopf.
„Wenn du einen Job annimmst und Fehler dabei machst, musst du diese Fehler so geschickt verbergen können, dass es der Kunde nicht merkt! Eigentlich ganz einfach! Oder? Ja, und mein Geheimnis, unter uns, ich dürfte dir mein Geheimnis überhaupt nicht anvertrauen, aber, da ich dir, aus mir unbekannten Gründen, vertraue…! Also hier mein Geheimnis: Meine Gegner unterschätzen mich alle. Das ist ihr Pech! Sie sehen in mir einen fußkranken, lahmen Sonderling und im Leben keine Konkurrenz! Doch ich entwickle plötzlich eine Geschwindigkeit, die mir keiner zutraut! Und dann erringe ich jeden Sieg, und das ist mein Kapital!“, erklärte Mukhtar schlicht, ohne mit einer Wimper zu zucken!
„Sag mal!“, Shakira versuchte immer noch ruhig zu bleiben.
„Einfach so? Murad Marat Hon ist noch nie geschlagen worden! Ich meine, da kamen schon wahre Lauf-Koryphäen…! Und jetzt kommst du einfach so daher… Nein! Willst du etwa im Zweikampf neben dem schnellen Murad Marat Hon her rollen, willst es wie ein Igel machen, wenn der Fuchs kommt. Ist das vielleicht dein Erfolgsgeheimnis? Ha, ha, ha, entschuldige bitte, schon bei der Vorstellung muss ich mich köstlich amüsieren. Doch jetzt mal im Ernst! Weißt Du, dass der Sultan jedem Verlierer den Kopf abschlagen lässt!“
Mukhtar, der keine Ahnung hatte, wie er weiter verfahren sollte, musste nun, Wohl oder Übel, sein Spiel fortsetzen.
„Ich weiß!“, konterte er so selbstbewusst er nur konnte:
„Der Kopf Murad Marat Hon’s wackelt schon verdächtig. Er weiß es bloß noch nicht!“
Die Prinzessin verstand überhaupt nichts mehr und erkannte angsterfüllt:
„Da hat sich plötzlich das Leben vor mir aufgetan und bietet mir so einen Mann an! Ein Mann mit dem ich super reden kann, der mir einfach zuhört und zuweilen auch noch putzig und recht tiefsinnig ist! Und dieser Mann will sich dann einfach so aus sportlichem Ehrgeiz heraus oder aus Jux oder Tollerei, umbringen lassen?“
Sie ließ hilflos beide Arme baumeln, schaute ihn ernst an und flüsterte mit drohendem Unterton:
„Gut! Wenn du mich nicht hören kannst, so lies von meinen Lippen ab: Kennst du die Bedeutung des Satzes: „ALLE VERLIERER WERDEN HINGERICHTET? Um einen Kopf kürzer gemacht! Rübe ab! Verstehst du?“
Dann verlor sie ihre Beherrschung vollends:
„Bei allen Teufeln! Welcher von denen hat dich nur geritten!“
Mukhtar dachte gar nicht daran ihre Bedenken zu teilen, sondern erklärte stattdessen:
„Wenn du mir hilfst bis zum Sultan vorzudringen, wirst du meine Frau und wir teilen uns die Siegesprämie, denn ich werde der Gewinner sein!“
Prinzessin Shakira verschlug es die Sprache. Sie ließ Mukhtar einfach stehen und lief gedankenversunken zur Balustrade, drehte sich zu ihm um und schüttelte erneut den Kopf. Mukhtar hatte stumm beide Arme aus-gestreckt und schaute sie flehentlich an:
„Was ist das nur für ein sonderbarer Mensch? Will der sich einfach so umbringen lassen oder hütet er irgendein Mysterium, ein Zauber oder sonst etwas anderes, was ihm wirklich zum Gewinner macht? Rätsel über Rätsel! Taucht hier jäh so mir nichts dir nichts auf und versucht ohne Umschweife, als wäre es eine Selbstverständlichkeit, ins Allerheiligste des Sultanpalastes vorzudringen und will obendrein noch den Großen Murad Marat Hon zum Wettlauf herauszufordern! Ich fasse es nicht.“
Sie drehte sich von der Balustrade weg, ging auf ihn zu und fragte mit todernstem Gesicht:
„Sag mal, was hast du dir bloß dabei gedacht? Musst du diesen Nerven-kitzel haben?“
Sie setzte sich auf den Rand des Brunnens und schaute ihn, da er ihr die Antwort schuldig blieb, lange und unverwandt an.
„Schau mal“, fuhr sie fort, „da ist eine Stelle als Küchenjunge frei, die könntest du haben und wir hätten jeden Abend Zeit zum Reden oder so! Ich hörte auch von einem freien Job in den hängenden Gärten des Sultans. Auch dort wäre dein Tagwerk am Abend beendet und uns bliebe jede Menge Zeit für alles Mögliche!“
Mukhtar schaute sie an, als sei sie von einem anderen Stern:
„Ich denke Du bist eine Sklavin? Arbeitest du jetzt schon als Jobvermittlerin?“
Er biss sich auf die Zunge und begann sich, über sein schnelles Mundwerk, das manchmal schneller als seine Gedanken war, zu ärgern.
„Nein, das kann ich so nicht stehen lassen!“, schoss es ihn durch den Kopf, sprang auf und rief:
„Küchenjunge, das ist doch öde! Den ganzen Tag nur an der Geschirr-spülmaschine abhängen und sich das hohle Geschwätz der blasierten Dienerschaft anhören zu müssen, darauf habe ich keinen Bock. Und arbeiten in den hängenden Gärten, da wird mir speiübel, schließlich bin ich nicht schwindelfrei! Nein, Nefa, ich will es mir und dir beweisen, den schnellen Murad Marat Hon im Wettlauf besiegen und uns für die Siegesprämie ein Häuschen kaufen!“
Nefa, mein Morgenstern, warum glaubst du nicht an mich? Ich will doch alles für dich, für uns tun, nur nicht als Küchenjunge im Kopf oder sonst wo aufweichen oder mich in den Sicherheitsleinen in den Hängenden Gärten des Sultans strangulieren!“
Er sprang auf, fasste sie bei der Taille, sah ihr tief in die Augen und flüsterte: „Dein Körper ist gleich einem Tautropfen am Morgen!
Deine Brüste sind wie zwei saftige Granatäpfel!
Dein sinnlicher Mund gleicht dem Rot des Feuerfisches!
Deine Augen besitzen das alles verzehrende Feuer der Achate!
Und dein Verstand ist so scharf, wie ein Diamant und schnell wie ein Wiesel!
Ich habe immer gute Ideen! Lass mich nur machen, dann finden wir auch unser Glück!“
Prinzessin Shakira, versuchte sich, im Wechselbad ihrer Gefühle, seinen Betörungen zu entziehen, sie löste sich sanft aus seiner Umklammerung und taumelte wie betäubt einen Schritt zurück. Sie fasste sich, so wie es gemeinhin Prinzessinnen tun, ehe sie in Ohnmacht fallen, an den Kopf und versuchte ein krampfhaftes Lächeln: „Halt, halt nicht so schnell!“, hauchte sie betört, straffte sich aber kurz darauf, trat noch einen Schritt zurück und rief empört: „Sag mal, bist du immer so schnell? Na, das könnte ja eventuell heiter werden! Aber wahrscheinlich bist du toll, verrückt oder übergeschnappt! Alle Zeichen sprechen dafür! Heißt es nicht immer: Verrückten sollte man nicht widersprechen? Gut, ich widerspreche dir nicht mehr und werde dir auch, nach meinen Möglichkeiten als Sklavin, helfen. Du wirst bis zum Beginn des Wettlaufes, in einer Kammer im Lakaiensaal Unterschlupf finden, denn hier am Brunnen kannst du natürlich nicht bleiben! Ich werde ein Gerücht streuen, dass Murad Marat Hon einen neuen Herausforderer hat! Da wird es nicht lange dauern und du wirst vor dem Sultan Gehör finden! Aber glaube nicht, dass ich mich bei Murad Marat Hon persönlich, nur um deiner Gewinnsucht willen, für dich verwende! Ich wasche meine Hände in Unschuld…!“
 
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Kommentare  

Sie lügt sogar um ihn nicht in Verlegenheit zu stürzen. Also scheint Mukhtar der Prinzessin zu gefallen und das trotz seines Buckels. Und er will bei dem großen Wettlauf mitmachen. Letzteres hatte ich auch noch von dem alten Märchen in Erinnerung.

Gerald W. (03.02.2012)

Niedlich beschrieben wie die beiden sich näher kommen. Die Prinzessin scheint gar nicht eingebildet und schnippisch Ärmeren gegenüber zu sein, so wie ich mir das zunächst vorgestellt hatte.

Else08 (03.02.2012)

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