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9 Seiten

Ahrok - 39. Kapitel

Romane/Serien · Fantastisches · Fan-Fiction/Rollenspiele
© Jingizu
Neununddreißigstes Kapitel: Winter in Märkteburg

Es waren zwei weitere Wochen ins Land gegangen und bei ihnen hatte sich einiges getan in der Zeit.
Die Tage auf dem Markt hatten vieles verändert. Von nun an hatten sie jeden Tag eine warme Mahlzeit in den Bauch bekommen. Es war deutlich spürbar, wie die verbesserte Ernährung Ragnars Genesung beschleunigte und auch ihm wieder zu neuer Kraft verhalf.
Wie erwartet fehlte von Hieronimus Schmidt weiterhin jede Spur, aber mittlerweile hatte sich selbst Olga damit abgefunden, dass er nicht wiederkommen würde. Weder er noch Ragnar zweifelten daran, dass der mutige Mann ein Opfer der dunklen Machenschaften geworden war, die er so eifrig hatte bekämpfen wollen, aber sie ließen Olga die Illusion, dass er stattdessen zu seiner Familie zurückgekehrt war.
Nicht, dass sein Verschwinden etwas nachhaltig geändert hätte. Der zugegeben dürftige Plan, sich den Weißen zu stellen, war immer noch derselbe, aber mit der Unterstützung eines Stadtwächters wäre es ihnen vermutlich bedeutend leichter gefallen.
Das große Fest lag nur noch vier Tage entfernt vor ihnen und so langsam wurde es Zeit, sich einmal genau zu überlegen, wie sie die Rettung der Stadt eigentlich bewerkstelligen wollten.
Die Lage auszukundschaften, stand nicht zur Debatte, denn die Oberstadt war mehrere Meilen entfernt und sie hätten mindestens zwei Wachposten zu überwinden, um an ihr Ziel zu gelangen, außerdem hatte der Winter Märkteburg in festem Griff.
Die kalte Jahreszeit hatte in den letzten Wochen haufenweise Schnee und Frost mit sich gebracht und zwar jene Art, die durch jede noch so kleine Öffnung in der Kleidung kroch. Es war viel zu kalt und zu ungemütlich, um überhaupt das Haus zu verlassen.
Überall auf den Straßen hatten lachende Kinder und fröhliche Gesellen Tannen- und Mistelzweige aufgehängt, um sich auf das nahende Fest zur Wintersonnenwende einzustimmen.
Es näherte sich der kürzeste Tag des Jahres, der Tag an dem der kalte Atem vom Gevatter Winter am deutlichsten spürbar war, aber es war ebenso der Beginn eines neuen Kreislaufes. Von dort an ging es wieder der Wärme entgegen und die Sonne würde ihre alte Herrschaft über die Stadt wieder einfordern. All das war ein Grund zur Freude.
Ahrok selber wollte jedoch nicht so richtig in Feierstimmung kommen. Er saß in der Küche über seiner morgendlichen Schüssel Hafergrütze und starrte maßlos gelangweilt aus dem, aus irgendeinem Grund immer noch schmutzigen, Fenster hinaus und beobachtete das Schneetreiben auf der Straße.
Immer wieder drohten die vielen Schneeflocken oder der ruppige Wind die Fackeln entlang der Holzgasse zu löschen, aber bislang war es ihnen noch nicht gelungen, auch nur ein Licht verschwinden zu lassen.
Schnee, Wind, Dunkelheit und noch mehr Schnee… all das drückte auf die Stimmung und die Zeit wollte heute gar nicht vergehen. Schon die letzten Tage waren ihm so endlos lang erschienen.
Gerade liefen einige Kinder vor dem Fenster vorbei und rollten dabei eine große Schneekugel vor sich her, um den Kopf eines gestern nicht fertiggestellten Schneemannes zu bauen.
Ahrok rührte lustlos in den Resten der Grütze.
Vier Tage noch.
Schwere Stiefel schrammten über die Dielen, kurz bevor Ragnar sich ihm gegenüber setzt und ihm damit die Sicht auf die Kinder und ihren frostigen Spielkameraden versperrte.
Wortlos sah er Ragnar dabei zu, wie dieser die kalte Grütze aus der Schüssel löffelte und hinter seinen stumpfen Zähnen verschwinden ließ. Es wäre ein Leichtes gewesen, den Stuhl zu verrücken, um die Kinder weiter zu beobachten, stattdessen betrachtete er den Zwerg eine kleine Weile.
„Stimmt was nicht?“, fragte Ragnar.
Ahrok schüttelte verneinend den Kopf.
Dabei gab es, an dem was er sah, so einiges, was nicht stimmte. Ragnar hatte gewaltig abgenommen. Die einst so enormen Muskelberge des Valr waren in den letzten Wochen zusammengeschrumpft, mehr noch als seine eigenen. Da hatte es auch nicht viel geholfen, dass sie beide ihr altes Training wieder aufgenommen hatten.
Sie waren heute langsamer, schwächer und schlechter ausgerüstet als noch vor einem Monat und selbst damals war es ihnen nicht übermäßig leicht gefallen, sich gegen diese Monster aus der Kanalisation zu behaupten. Vielleicht war es wirklich Zeit, das Feld zu räumen und sich bei einem Großbauern als Knecht zu verdingen. Schlechter als jetzt konnte es ihm dabei kaum ergehen und ehrlich gesagt war das Letzte was er wollte, so wie Ragnar zu enden.
„Vier Tage noch“, mampfte Ragnar.
„Hm.“
„Meinst du, du kriegst bis dahin noch ein neues Schwert aufgetrieben?“
„Hmpf…“
Ragnar legte den Kopf schräg und sah ihm in die Augen.
„Du wirst eine Waffe brauchen. Soviel ist mal sicher. Wenn alles gar nichts hilft… könnte ich dir meinen Umti leihen… wenn du magst.“
Ahrok lächelte und zum ersten Mal seit langem wurde es ihm warm ums Herz. Der Valr hing an dieser Waffe mehr als an seinem Leben.
„Nein. Behalt du ihn nur. Ich tret auch so in ein paar Ärsche, keine Sorge, aber… wir haben lange nicht mehr über den bevorstehenden Kampf geredet.“
„Was meinst du damit? Die ganze letzte Woche haben wir nur daraufhin trainiert, bereit für das Massaker am Winterball zu sein.“
„Massaker am Winterball“ - Ahrok gefiel der Klang. Es gab ihren Anstrengungen einen wirklich epischen Namen.
„Ach, die ganzen Kraftübungen sind vielleicht gut und schön, aber wir haben uns noch immer keine Gedanken darüber gemacht, wo das Massaker stattfinden wird oder wie wir da reinkommen. Wir wissen ja noch nicht einmal, wie wir da hinkommen.“
Ragnar leckte den Löffel sauber und beförderte ihn samt Schüssel in die Wanne für benutztes Geschirr.
„Du denkst zu viel.“
Man hatte Ahrok ja schon vieles vorgeworfen, aber noch nie, dass er zu viel nachdachte, also verzog er nur das Gesicht.
„Nun gut“, setzte Ragnar erneut an, „dann will ich dir mal kurz erklären, was ich mir so überlegt habe. Bei all den Grafen, Baronen und Freiherren, also dem ganzen, niederen Adelsgesocks gibt es dennoch nur einen, der es sich hier erlauben darf, den Winterball auszurichten – und das ist Graf Leopold Rittmeister. Der Typ ist seit mehr als zwanzig Jahren der Statthalter Märkteburgs.“
„Du weißt das alles und erzählst es mir nicht?“
„Scheiße, was tu ich denn gerade? Also hör weiter zu. Der Graf ist ein Lebemann wie er im Buche steht. Es heißt es gibt in der Stadt kein Hurenhaus, in welchem er nicht Stammkunde ist.“
„Und wie soll uns das jetzt weiterhelfen?“
„Na ja, ähm… gar nicht. Ich wollt es nur erwähnen.“
„Es hilft mir einen Scheiß, zu wissen, dass der Kerl, den wir beschützen wollen, seine Freizeit in wildfremden Frauen verbringt, während ich hier mit dir festsitze.“
„Fein! Soll ich den Teil über seine Vorliebe für Wein und Kunst auch weglassen?“
„Bitte.“
„Gut, gut, gut… also kurz auf den Punkt gebracht steht der Kerl auf Feiern – und damit mein ich richtige Feiern. Er will dabei von jedem gesehen werden! Da gibt es Hunderte Gäste. Der ganze Adelsstand des Umlandes wird vertreten sein, dazu ein ganzer Hofstaat von Diener und Bediensteten. Wir werden da so wenig auffallen wie zwei Fliegen in ‘nem Scheißhaus.“
„Und die sehen da auch alle so aus wie wir und tragen dicke, große Hämmer und vor Dreck strotzende Lumpen?“
„Na ja, das vielleicht nicht. Gut dann wird es eben ein BISSCHEN schwerer, aber ich seh da immer noch kein Problem.“
„Ach ja? Und wo bitteschön soll der Ball stattfinden?“
„Der Graf hat gerade einmal acht oder neun Häuser, die groß genug sind für solch eine Feier und die Hälfte davon…“
„Acht oder neun?!“
„Nu lass mich doch mal ausreden! Die Hälfte davon befindet sich nicht einmal in Märkteburg. Es bleiben also vier oder höchstens fünf Orte, die wir absuchen müssen.“
„Hast du schon mal aus dem Fenster geguckt? Da draußen tobt ein scheiß Schneesturm! Ich werd ganz sicher nicht während eines so beschissenen Wetters durch die ganze Stadt wandern, um diese Häuser zu suchen!“
„Mann, nu sei nich so zimperlich. Dann ist es eben ein bisschen kalt, dass…“
„Ein bisschen kalt?! Ich weiß ja nicht, wo du herkommst, aber bei uns heißt so ein Wetter ´Verdammte Scheiße, da setz ich keinen Fuß vor die Tür´ und außerdem hab ich weder Mütze noch Handschuh noch Mantel oder brauchbare Stiefel für so ein Dreckswetter.“
Der Zwerg schien das Nachdenken ebenso sehr zu verabscheuen wie Bier zu verschütten oder aber die Tatsache, dass er schon seit Wochen nüchtern war hatte seinem bisschen Verstand den letzten Rest gegeben.
„Na gut, na fein, wenn es dir zu kalt ist, dann blasen wir die ganze Sache halt ab. Tut uns leid, Märkteburg. Du musst leider untergehen, weil es den Herrn Ahrok am Köpfchen friert!“
„Du sollst… ohhhhh!“, Ahrok riss die Hände hoch und stöhnte genervt. „Lass doch den Scheiß! Ich mein ja nur, wir sollten vorher noch ein paar Erkundigungen einholen! Es bringt nichts, wenn wir durch die halbe Stadt laufen und vielleicht ist erst das letzte Haus das Richtige. Dann könnten wir viel zu spät dran sein und alles war für’n Arsch!“
„Hm… da iss was dran.“
„Ja!“
„Und warum sagst du das nicht gleich anstatt hier rumzudrucksen und mich mit dem scheiß Schnee zu nerven?“
Ahrok schnaubte nur.
„Ich mein… wird schon nicht so schwer sein, das richtige Haus zu finden.“
„Warum gehst du dann nicht raus und suchst es?“
Ragnar rutschte von seinem Stuhl und marschierte zum Ausgang: „Na, das mach ich jetzt auch.“
„Du kannst aber vergessen, dass ich mitkomme! Ich geh bei dem Wetter nicht vor die Tür sondern bleib hier schön am Feuer sitzen.“
„Na, von mir aus… ich brauch dich dafür nicht“, erklang Ragnars Stimme vom Hausflur.
„Sicher?“
„Na klar bin ich sicher. Ich krieg das auch alleine hin, wenn es dir zu kalt ist.“
Ragnar hatte bei den letzten Worten die Tür hinter sich zugeschlagen.
„Und ob mir das zu kalt ist!“, brüllte Ahrok ihm noch hinterher.
Er sah den Zwerg vorm Fenster stehen und unschlüssig die Straße in beide Richtungen entlang blicken, dann stapfte er gen Innenstadt davon hinaus aus Ahroks Sichtfeld. Jetzt konnte er seine Aufmerksamkeit wieder den Kindern und ihrem Schneemann widmen.
Kaputte Holzlatschen klapperten kurz darauf über die Dielen hinter ihm.
„Wohin will denn dein Zwerg?“, fragte Olga, während auch sie sich nun eine Schüssel voll Hafergrütze aus dem Kessel schöpfte.
„In die Stadt“, entgegnete Ahrok, der im Begriff war aufzustehen und den Raum zu verlassen.
„Und was will er da? Hättet ihr mir das früher gesagt, dann hätte er noch etwas Salz mitbringen können.“
Ahrok hielt inne. Er hatte keine Lust auf ein Gespräch mit der Frau, aber solange er ihre Gastfreundschaft in Anspruch nahm, hatte er wohl keine andere Wahl.
„Er geht nicht einkaufen.“
„Ach nicht? Was will er denn dann bei diesem scheußlichen Wetter vor der Tür?“
Ahrok seufzte und setzte sich wieder.
„Du weißt doch, weswegen wir hier sind, weswegen Hieronimus uns hier alle versammelt hat.“
„Nein.“
„Was?“
„Ihr habt mir ja nie was erzählt.“
„Ist vielleicht auch besser so. Unsere Arbeit ist ziemlich gefährlich. Frag mal Hans oder Hieronimus, die wissen was ich meine.“
Ahrok dachte mit schlechtem Gewissen an den armen Tavernenwirt, der vor ein paar Wochen die Stadt verlassen hatte. Aber wenn ihn der Statthalter für seine Dienste erst mit Gold überhäuft hätte, dann würde er ihm auch eine neue Schenke spendieren.
„Ist es denn wirklich so schlimm? Sei ehrlich: Habt ihr mich in Gefahr gebracht, weil ihr hier bei mir haust?“
„Was? Nein! Nein. Die bösen Leute wissen nichts von dir und in ein paar Tagen… Scheiße, da ist eh alles vorbei. Keine Sorge.“
„In ein paar Tagen?“
„Mhm. Zur Wintersonnenwende kriegt das Böse einen Arschtritt, von dem es sich nicht mehr erholt, da kannst du einen drauf lassen.“
„Zur Wintersonnenwende? Ehrlich? Da seid ihr nicht hier im Haus? Ich dachte wir feiern ein bisschen zusammen.“
„Nein. Da besuchen wir Graf Rittmeister.“
„Wirklich?“, ihre Stimme überschlug sich und sie rang nach Luft. „Ihr seid auf das Bernsteinschloss eingeladen?“
„Was?“
„Oh bitte, bitte, bitte kann ich mitkommen? Ich will auch nur einen kurzen Blick auf die Gesellschaft erhaschen. Bitte, bitte.“
„Warte mal… du weißt, wo der Graf sein Fest abhält?“
„Natürlich weiß ich das. Um nichts anderes geht es in den letzten Wochen bei all meinen Stick- und Nähabenden. Hast du eine Ahnung, wer da alles eingeladen ist? Nur die reichsten und hübschesten Damen mit Ballkleidern so schön, dass man weinen möchte und sie werden von stattlichen Männern begleitet, die alle, aber auch wirklich alle, eine Augenweide sind. Oh, ich bin ja so gespannt auf die Baronin Aleska! Sie ist immer so toll gekleidet. Es wird Musik gespielt und Speisen werden gereicht, die so wunderbar sind, dass du sie dir nicht einmal erträumen kannst. Bitte nehmt mich mit. Ich möchte das unbedingt einmal sehen.“
„Nochmal, damit ich das klar verstehe: Du weißt, wo der Graf sein Fest abhält und du weißt, auch wie man da hinkommt?“
„Ja. Es ist da, wo er immer seine großen Feste abhält.“
„Du weißt das jetzt ganz, ganz sicher.“
„Jaaahaaaa!“
„Scheiße, ich muss Ragnar sofort… ach was… soll der ruhig ein bisschen laufen. Danke, Olga, du bist die Beste!“
Er drückte ihr einen dicken Schmatz auf die Wange und tänzelte fröhlich um den Küchentisch.
„Heißt das jetzt, dass ich mit darf?“

„Sergeant…?“
„Wagner.“
„Richtig, Sergeant Wagner. Bitte versammeln Sie doch die Mannschaft umgehend zum Morgenappell. Ich habe ihnen etwas mitzuteilen.“
„Jawohl, Herr Hauptmann.“
Der frisch beförderte Sergeant verschwand rasch den Flur entlang und bog schnurstracks in die Mannschaftsquartiere ein.
Hauptmann Schreiber sah dem schlaksigen, rothaarigen Kerl misstrauisch nach. Frisch befördert… der Bursche dürfte höchstens die Ausrüstung der richtigen Wächter putzen, wenn er bei den Beförderungen ein Wörtchen mitzureden hätte. Der hier hatte keine Klasse. Seine wohl endlosen Ambitionen sowie Freunde in den richtigen Positionen hatten für einen viel zu schnellen Aufstieg des Jungen in den Reihen der Stadtwache geführt. Echte Männer dienten erst einmal ein paar Jahre am unteren Ende der Befehlskette, um zu lernen, wie es bei der Wache zuging.
Dieser Wagner war ein mehr als schlechter Ersatz für den ehemaligen Sergeanten Schmidt, dessen Leiche man vor ein paar Tagen steifgefroren und kopflos in einer Seitengasse gefunden hatte, aber das war nun nicht mehr zu ändern.
Bernhard legte seinen Mantel ab und klopfte den Schnee von seinen Stiefeln.
Einen ruhigen Moment lang blieb er im Eingangsbereich der Kaserne seiner Stadtwache stehen und blickte sich um. Sechs leise knisternde Fackeln erhellten den langen Flur seines geliebten Gebäudes.
Wie lange war es nun her, dass er Lichtquarze für die Kaserne angefordert hatte. Zwei Jahre? Oder doch drei? Aber all seine Anforderungsschreiben steckten ergebnislos in den Mühlen zwergischer Bürokratie fest.
Natürlich hatte der sich ständig windende Feuerschein in dem langen Gang etwas Heimeliges oder gar Romantisches und er hatte sich über die Jahre so sehr daran gewöhnt, dass ihm eine Umstellung sicher schwer fallen würde, aber bei all den Teppichen und Fahnen, mit denen er in den letzten Monaten dies Quartier dekoriert hatte, gab es viel zu viele potentielle Brandherde.
Er trat etwas näher an den Wandteppich, der das Stadtwappen trug.
Da! Er hatte es doch gewusst. Brandlöcher. In dem nagelneuen Teppich. Warum gab er sich überhaupt noch die Mühe? Er rieb an den kleinen, schwarz umrandeten Stellen, konnte aber keine erkennbare Verbesserung der Situation erzielen. Verdammt, der hier hatte ihn mehr gekostet als die anderen drei Wandteppiche zusammen.
Das Quietschen schlecht geölter Stadtwächterausrüstung aus den Wachquartieren brachte sein Blut nur noch mehr in Wallung. Konnten sich diese Dilettanten nicht an die Vorschriften halten? Die gab es schließlich nicht umsonst. Natürlich griff der Rost bei diesem Wetter die mangelhaft gepflegten Ausrüstungsstücke verstärkt an und dies wirkte sich dann direkt auf die Leistungsfähigkeit der Truppe aus. Ein ungepflegtes Scharnier konnte den Unterschied zwischen Erfolg und Misserfolg einer Verfolgung ausmachen.
Wollten diese ignoranten Dummköpfe nicht kapieren, dass neue Stiefel und Ösen nicht einfach so vom Himmel fielen? All das kostete ihn dann wieder nur unnütz Geld aus seinem ohnehin schon viel zu knapp bemessenen Teil der Stadtkasse.
Als sich die Truppe dann endlich quietschend und unausgeschlafen vor ihm auf dem Flur aufgebaut hatte zählte er gerade einmal vierundzwanzig Mann.
„Wo sind Heydenreich und Williger?“
„Die sind krank, Herr Hauptmann.“, meldete Sergeant Wagner und Hauptmann Bernhard missfiel der Junge mit jedem Wort mehr, das über seine Lippen kam. Dieser unreife Rotschopf machte ihn aus unerfindlichen Gründen ebenfalls krank.
Er schüttelte den Kopf.
„Hört zu, Männer! Die Wintersonnenwende nähert sich und ihr wisst was das bedeutet.“
„Ja… wahrscheinlich bin ich wieder mit der Nachtschicht dran und seh meine Frau und die Kinder gar nicht mehr“, tuschelte jemand und wurde dafür auch noch mit einem Grinsen der Kameraden belohnt.
„Es heißt, dass wir alle ein gutes Stück Arbeit vor uns haben. Graf Leopold Rittmeister wird wieder eines seiner Feste abhalten und das bedeutet jede Menge Ärger.“
„Oh ja, der Graf und seine Feiern… meine Frau tratscht zu Hause von nichts anderem mehr“, murmelte schon wieder jemand.
„Sergeant!“, bellte Bernhard barsch.
„Seid verdammt noch einmal ruhig, wenn der Hauptmann mit euch redet!“, fuhr Sergeant Wagner die Stadtwächter in einem Tonfall an, der sofort sämtliches Quietschen oder Tuscheln beendete. „Friedhelm, du fauler Hund, jetzt zieh deinen fetten Schwabbelbauch ein und nennst du das etwa geputzte Stiefel? Und du, Ottokar, wisch dir das dämliche Grinsen aus dem Gesicht oder ich lass dich so lange die Latrinen putzen, bis du vergessen hast, wie man so ein dämliches Gesicht zieht. Steht verdammt noch mal grade!“
Es war genauso wie Bernhard es erwartet hatte. Der Sergeant ging in seiner neuen Machtposition gänzlich auf und fühlte sich von einem Tag zum nächsten den Männern, die hier seit Jahren dienten, überlegen. Er würde also zumindest als sein kläffender Köter funktionieren, wenigstens dafür war der kleine, rote Bastard zu gebrauchen.
„Gut, also noch einmal, Männer. Unser geliebter Statthalter“, Bernhard machte keine Hehl aus der Verachtung in seiner Stimme, „hat sich also wieder dazu entschlossen eines seiner opulenten Feste zu Feiern. Das bedeutet, dass unsere Stadt von einer Welle aus Schlafwurz und Huren überschwemmt wird und dass die Schmuggler, Zuhälter und Krauthändler die Gelegenheit nutzen werden, um hier neue Kontakte und Absatzmärkte für ihren Mist zu finden.“
Dieses Mal unterbrach ihn niemand.
„Wir werden also genau das tun, was man nicht von uns erwartet. Wir werden unsere Patrouillen in der Oberstadt reduzieren und verstärkt die bekannten Schmugglerrouten, Hurenhäuser und Straßenstriche überwachen, um ihnen gar nicht erst die Gelegenheit zu geben, hier Fuß zu fassen.“
„Oh Mann… ich hatte so gehofft, beim Ball des Statthalters Wache stehen zu können…“
„Wie war das, Gefreiter?“
Bernhard machte einen großen Schritt auf den Mann zu, so dass ihre Gesichter nur noch eine Handbreit voneinander entfernt waren.
„Ich... ich meine, ich… Wir müssen die Gesellschaft auf dem Ball schließlich auch beschützen, Herr Hauptmann und da hab ich mir gedacht…“
„Sie werden hier nicht fürs Denken bezahlt, Gefreiter, und das ist auch verdammt gut für Sie bei dem geistigen Dünnschiss, den Sie hier abliefern! Natürlich braucht der Statthalter Schutz und er wird ihn auch bekommen, nur nicht in dem übertriebenen Maße wie in den letzten Jahren und auch nicht von einem Jungspund, der nur einen Blick auf ein paar Weiberröcke erhaschen will! Ich werde ganz sicher keine zwanzig Männer abstellen, um diesen Rotwurz kauenden Hurenbock bei seinen Lustspielchen zu bewachen, während brave Bürger anderswo in ernster Gefahr sind! Es wäre eine fahrlässige Verschwendung von Männern, die wir ohnehin nicht haben! Es dürfte Ihnen nicht schwer, fallen das zu verstehen. Denn wir sind bereits jetzt schon mächtig unterbesetzt! Glauben Sie mir also eines, Sie werden genügend zu tun haben in den nächsten Tagen!“
Er trat wieder von dem Mann zurück und fügte in ruhigerem Ton hinzu: „Der Sergeant wird nun ihre Dienstpläne verteilen und ich will kein Gemecker hören.“
Hauptmann Bernhard Schreiber wandte sich zum Gehen: „Ach ja, noch etwas. Die Hexenjäger haben ihre Ermittlungen mit dem Tod von Sergeant Schmidt abgeschlossen und werden uns hier nicht weiter belästigen, also werdet ihr wieder volle Leistung bringen, ohne euch ständig umblicke zu müssen. Die Beerdigung von Hieronimus Schmidt ist für morgen um halb drei Uhr nachmittags auf dem Zentralfriedhof angesetzt. Auch wenn ich es keinem befehlen kann, so erwarte ich doch von jedem, der nicht im Dienst ist, dass er dort erscheint. Das wäre dann alles.“
 
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Kommentare  

Olga weiß also wo das Fest stattfinden wird, aber sie will mit. Was Ahrok natürlich nicht so gut gefällt und Hauptmann Bernhard muss mit dem neuen Sergeanten klar kommen. Schöne lebensechte Dialoge. Freue mich schon auf den nächsten Teil.

Petra (16.02.2012)

Danke Francis und Ingrid für eure Komplimente.

Lass dich überraschen Ingrid, denn ich kann dir jetzt schon sagen es ist nicht so wie du denkst/es in Erinnerung hast.

Vielen Dank euch allen fürs Lesen


Jingizu (15.02.2012)

Du hast einen sehr guten Schreibstil drauf, finde ich, der sich scheinbar in 39 Kapiteln fortsetzt und die Dialoge entlocken einem ein Schmunzler. Bravo. Sehr gut geschrieben.

Francis Dille (14.02.2012)

die unterhaltungen zwischen ahrok und ragnar sind immer wieder köstlich!
jetzt also kommt der graf ins spiel, nebst tochter? ich hab ja damals nicht alles gelesen.
werden die dann aufeinander treffen, der hauptmann und die beiden helden? abgesehen von dem schleimigen wagner, dem berechnenden mit den guten freunden... *grins*


Ingrid Alias I (14.02.2012)

Danke Jochen.
Ich bemühe mich es im Gegensatz zur ursprünglichen Version etwas langsamer angehen zu lassen und jedem Charakter mehr Aufmerksamkeit zu widmen um ihm etwas Tiefe zu verleihen. Es war immer meine Befürchtung dabei in nutzloses Geschwafel abzugleiten, daher bin ich erleichtert, dass auch diese Kapitel gut ankommen.


Jingizu (14.02.2012)

Auch hier noch kein Gemetzel aber durchaus spannend und authentisch geschrieben. Schön detailliert und plastisch nimmt man die Umgebung und Charaktere in deiner Story war. Kurz: hat mir wieder sehr gut gefallen.

Jochen (12.02.2012)

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