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9 Seiten

Ahrok - 65. Kapitel

Romane/Serien · Fantastisches · Fan-Fiction/Rollenspiele
© Jingizu
Fünfundsechzigstes Kapitel: Flucht

Bernhard Schreiber erhob sich von seinem Lager. Der erwartete Schwindel blieb heute zum ersten Mal aus. Offenbar machte seine Genesung doch noch Fortschritte. Wie jeden Morgen fuhr er sich mit seinen Fingern über den Schädel und befühlte die kreuzförmige Narbe unter den Stoppeln. Wenn dieser Doktor Berger die Wahrheit gesagt hatte, dann war diese Narbe alles, was ihm von dem Dämon blieb. Die und das kleine, verblasste Wundmal über seinem Herzen.
Die Stimme des Dämons hatte sich seit der Operation nicht wieder gemeldet, aber auch davor hatte ihn sein Meister nur noch selten kontaktiert. Deswegen war Bernhard zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht völlig vom Erfolg der Trepanation überzeugt.
Er schritt in dem kleinen, dunklen Zimmer auf und ab, um den Kopf frei zu bekommen. Immer, wenn er so dalag, dann krachten die Gedanken, Sorgen und Zukunftsängste nur so auf ihn ein, aber das Gehen befreite ihn davon.
Schließlich gab es einen Grund zur Freude. Jetzt endlich, nach einigen Wochen des Auf und Ab, ging es ihm mit jedem Tag besser. Da war kein Schwindel mehr, der ihm das Gleichgewicht nahm, keine Übelkeit und keine Krämpfe.
„Sag ihm, ich will mein Gold!“, hörte er eine Stimme hinter der Tür.
„Ja, ich sag es ihm.“ Die Klinke bewegte sich. „Bleib ruhig.“
Ein junges Paar betrat sein Krankenzimmer. Hierbei handelte es sich um Heinrich Berger und eine junge Frau in etwa demselben Alter, welche ihm jedoch in den letzten Wochen noch nicht einen einzigen freundlichen Blick gegönnt hatte.
„Herr Schreiber…“
„Hauptmann Schreiber“, korrigierte er wohl schon zum hundertsten Mal.
„Hauptmann Schreiber, sie sollen nicht an der Narbe herumspielen. Ich erwähnte bereits, dass in ihrem Alter das Knochenstück nie wieder ganz anwachsen wird, also hören sie auf, den ohnehin schon ungünstigen Heilungsprozess weiter zu erschweren. Warum tragen Sie nicht die Lederhaube?“
Der Mann wies auf den Kopfschutz aus festem Leder, welcher von nun an seinen nicht mehr ganz so stabilen Schädel vor äußeren Einflüssen schützen sollte. Bernhard hasste dieses Teil, er hatte es vom ersten Moment an gehasst. Es war nichts weiter als eine Krücke, ein für jedermann sichtbares Zeichen, dass sein Körper in der Welt nicht mehr ohne Hilfe zurechtkam.
„Ich habe sie nur kurz abgesetzt.“
„Hauptmann Schreiber“, wandte sich nun die Frau an ihn, „es ist nun schon fast ein Monat ins Land gegangen und wir haben unser Gold immer noch nicht bekommen. Wann gedenken Sie denn nun, uns zu bezahlen?“
Bernhard war in diesen Momenten immer wieder versucht, sich um seinen Teil der Abmachung zu drücken und dem garstigen Weib anstatt Goldmünzen in die Hand einfach nur den wohlverdienten Dolch in die Brust zu drücken, aber er wusste nicht, ob er diese Leute nicht vielleicht doch noch einmal brauchen konnte.
„Noch heute“, lautete daher seine Antwort. „Ich werde nachher aufbrechen und das Gold besorgen.“
„Das wurde dann aber auch endlich Zeit. Ich hoffe in Ihrem Interesse, dass sie mich nicht belügen.“
Ein kleines Lächeln, das seine Mordphantasien verbarg, legte sich auf seine Lippen.
„Das würde mir nie in den Sinn kommen, meine Teuerste. Ich ruhe nur noch ein paar Stunden und mache mich dann umgehend auf den Weg.“
Bernhard hatte es gut durchdacht.
Heute war Fraydag, das bedeutete, die Spätschicht war nur schwach besetzt und er musste sich nicht allzu vielen Fragen über sein Verschwinden stellen müssen. Zwei Wochen hatte er sich beurlauben lassen. Vier hatte seine Genesung gedauert. Diese Diskrepanz war sicher jemandem aufgefallen. Es würde also schwer werden, das Gold aus den Kassen der Wache zu entwenden und dann wieder unauffällig zu verschwinden. Da war es das Beste, so wenigen Leuten wie nur irgend möglich zu begegnen.
Danach hieß es dann ´Auf Nimmerwiedersehen und leck mich am Arsch, Märkteburg! Ich hab dir mein Leben geopfert, aber du Hure treibst es lieber mit Zwergen und Elfen anstatt anständige Männer für ihre gute Arbeit an dir zu belohnen. Darum verrotte nur weiter in deinem Sumpf – der gute Bernhard zieht weiter.´
Sonnenburg schien eine gute Alternative. Es lag weit im Westen und noch dazu am Meer. Die scheiß Zwerge hassten das Meer, deshalb würden sie ihm wohl kaum für ein paar Hundert entwendeter Goldmünzen bis dahin folgen. Da wo die herkamen hatten diese kleinen Bastarde sicherlich noch das Tausendfache einfach so herumliegen.
„Ein paar Stunden noch? Warum nicht jetzt?“
„Weil es noch ein paar Stunden dauert und jetzt verschwinde.“
„Verdammter Flegel. Wäre den Leben nicht so viel wert, dann würde ich…!“
„Aber das ist es nun mal, also verschwinde endlich und lass mich schlafen.“
Bernhard hasste dieses Weib. Einsperren müsste man die alle.

Ahrok wanderte im Hausflur umher, um sich etwas die Beine zu vertreten. Die letzten sechs Stunde hatte er damit verbracht, zwischen alten Leuten zu sitzen, fürstlich zu speisen und Geschichten aus deren Jugend zu lauschen. Es war Zeit, dass er seinem Kopf etwas Ruhe und seinen Füßen etwas Bewegung gönnte.
„Wie war eure kleine Feier, Ahrok?“
Der Zwerg lehnte an der Hauswand und hatten den üblichen Humpen in seiner Hand.
Er trat zu ihm hinaus vor die Tür. Der Regen hatte die Luft sauber gewaschen und es roch so herrlich frisch hier draußen. Zwar hing der Abendhimmel noch immer voller dunkler Wolken, aber es tröpfelte nur noch leicht.
„Lang, langweilig, viele nichtssagende Gespräche… aber gutes Essen.“
„Klingt für mich nach Familie.“
„Wieso warst du nicht bei uns?“
„Ahrok… vielleicht siehst du es nicht mehr, aber ich bin ein Valr. Du weißt schon. Ich mag die Leute nicht und die Leute mögen mich nicht. Kampf und Tod und all der Scheiß…“
„Du hast in letzter Zeit aber nicht sonderlich viel gekämpft oder den Tod gesucht.“
„Willst du jetzt Streit anfangen? Hat dich der Tag so genervt, dass du deinen Frust jetzt an mir auslassen willst?“
„Nein, ich mein ja nur… was weiß ich schon.“
„Ja, genau! Was weißt du schon? Ich hab die letzten Wochen damit zugebracht, mich auf diese Expedition vorzubereiten und dir deine Zukünftige zu sichern. Denk da mal drüber nach!“
„Ist es das was ihr Valr jetzt so tut? Verlobungen für Menschen arrangieren? Ist das auch Teil deines Eides?“
Ragnar stockte kurz.
„Ja! Genau so was machen wir, wenn wir grad keine Drachen erschlagen. Genau so was steht in unserem Eid. Von dem du wüsstest, wenn du ein Zwerg wärst oder auch nur die geringste Bildung hättest, aber zu deinem Pech trifft ja nichts davon auf dich zu.“
„Ich bin also ein dummer Mensch. Sind wir jetzt wieder an dem Punkt angelangt?“
„Du legst es also tatsächlich drauf an, dich mit mir zu streiten.“
„Nein, tu ich nicht.“
„Ich tret dir so in die Eier, dass dir die Sackhaare bluten.“
„Ich hab keine Lust auf den Scheiß.“
„Scheiß? Jetzt plötzlich findest du das Gimachti kruchon ist also ein Scheiß?“
„Erinnerst du dich an das letzte Mal? Ich nämlich schon. Du hast mir da fast den Schwanz abgerissen. Ich verzichte.“
Ahrok wandte sich zum Gehen.
„Wenn du gewinnst, bitte ich dich um Verzeihung und komme mit rein, wenn ich gewinne bittest du mich um Entschuldigung und wir gehen was trinken“, rief der Zwerg ihm nach.
„Ich will weder das eine, noch das andere. Ich geh jetzt wieder rein zu den anderen“, antwortete Ahrok, ohne sich umzudrehen.
Auf dem Weg zurück zu der Festgesellschaft lief ihm Ariane in die Arme. Sie sah so bezaubernd aus in dem Kleid, dass er es kaum erwarten konnte, sie heute Nacht aus eben diesem zu befreien.
„Ahrok, was machst du hier? Gleich wird die Süßspeise gereicht und der Graf möchte sich noch ein bisschen mit dir unterhalten.“
„Ich komm ja schon.“ Er ergriff ihre Hand. „Ich hab nur ein paar Worte mit Ragnar gewechselt.“
„Was wollte er denn? Es ist sehr gut, dass er sich heute von uns fernhält. Hast du ihm das gesagt?“
„Ach, er wollte mich nur zu einem kleinen Kampf herausfordern. Dieses Gimachti kruchon von dem ich dir erzählt habe.“
„Und?“
„Ich hab ihm gesagt, dass ich nicht mitmache.“
„Sehr gut.“ Sie schmiegte sich an seinen Arm. „Ich will nämlich nicht, dass du so einen Blödsinn weiterhin machst.“
„Wie bitte?“ Er schob sie ein kleinen Stück von sich fort. „Das klingt jetzt ein bisschen so, als ob du mir verbieten willst mit Ragnar zu kämpfen?“
„Praktisch gesehen - ja, aber ich formuliere es netter. Mit einem kleinen Kuss als Dreingabe, um dich zu überzeugen.“
Ahrok wich ihren Lippen aus.
„Ragnar?!“
„Ahrok, was ist denn in dich gefahren?“
Er ließ sie einfach stehen und lief wieder nach draußen.
„Ragnar? Mir juckt ganz plötzlich der Spannen. Gimachti kruchon. Hier und jetzt!“

Chris Phoenix wartete bereits eine halbe Stunde lang vergebens auf die beiden anderen Männer. Unpünktlichkeit war ein Laster, das er sich selbst nicht verzieh und anderen noch weniger durchgehen ließ. Das würde einen erneuten Vermerk in seinem Bericht geben.
Wenn diese zurückgebliebenen Swanmarker wenigstens ordentliche Tavernenstühle bauen würden, dann wäre die Warterei nicht halb so anstrengend, aber dem war nun einmal nicht so. Die Stühle waren starr, steif und schlecht geschliffen. Ein terranischer Affe könnte mit verbundenen Augen bessere Sitzgelegenheiten zusammenzimmern. Zumindest aber war das Ale erträglich, der Wein ebenfalls, wenn man ihn mit Honig mischte. Swanmarker Weinsorten waren in der Regel viel zu sauer für seinen Geschmack.
Der zweite Becher hatte sich nun auch schon auf zauberhafte Weise geleert und es gab noch immer kein Zeichen von den beiden. Ihre wöchentliche Beisammenkunft im „Gasthaus zum Bären“ fand wie jeden Fraydag um sechzehn Uhr statt. Chris schwenkte den leeren Becher und verlangte Nachschub. Der Wirt, ein terranischer Sympathisant und von Natur aus begeisterter Zwergenhasser, erlaubte ihnen, die Treffen in vollster Abgeschiedenheit inmitten seiner Schenke für genau eine Stunde, dann öffnete er seine Taverne jedoch für andere Gäste.
Eine Stunde und dieses unzuverlässige Pack verspätete sich schon wieder. Was sich heutzutage alles Spion der Republik nennen durfte, war eine Schande.
Trotz seines Ärgers nickte er der hässlichen Schankmaid zu. Die Frauen der Swanmark waren ebenso minderwertig wie die Stühle. Dass sich Männer hinreißen konnten, diese Weiber zu begatten, würde er nie verstehen.
Durch das Fenster sah er, dass der Regen erneut einsetzte.
In diesem verdammten Landstrich regnete es viel zu oft und jedes Mal beim Wetterumschwung schmerzten seine Narben im Gesicht. Verdammte Swanmark. Chris konnte es nicht erwarten, endlich wieder die Heimreise anzutreten.
Die Tür öffnete sich und zwei Gestalten in schwarze Kutten gehüllt betraten, die Kapuzen tief ins Gesicht gezogen, das Gasthaus.
Er schüttelte den Kopf. Wer lief am späten Nachmittag in schwarzen Kutten durch die Stadt und versuchte dabei, sein Gesicht zu verbergen? Einzig ein großer Schriftzug wie „Hallo, liebe Stadtwächter, wir sind Spione auf dem Weg zu einem Geheimtreffen“ fehlte, um das Bild der Unfähigkeit dieser Männer zu vervollständigen. In seinem Jahrgang hätte man diese Dilettanten ohne Möglichkeit auf Rehabilitation in die Minen gejagt.
Jack, der Kleinere von ihnen, warf seine durchnässte Kapuze zurück und orderte für sich und seinen Partner zwei Krüge des einheimischen Ales. Dieser Mann war von geringer Statur und konnte saufen wie ein Loch, deshalb hatte man ihn als Kontaktperson in die Nähe des Königs eingeschleust.
Der Andere namens Riley war ein Bursche kaum dem Knabenalter entwachsen. Es war der einzige Grund, warum er überhaupt an dieser Mission beteiligt war. Man brauchte nun einmal junge Knaben, um die Kirchen zu infiltrieren. Frauen standen zu niedrig im Kurs, alte Männer galten als zu stur und schwer formbar. Die Kirche lechzte nach Blut, jungem Blut, und deshalb war dieser ansonsten unfähige Knabe der Richtige für ihren Auftrag.
„Bericht“, forderte er kurz und knapp, um seinen Unmut zu zeigen.
„Fortschritte am Königshof.“ Jack nahm das Ale entgegen. „Die Ratgeber des kleinen Arschgesichts sind davon überzeugt, dass ihnen der Ausbau der Handelsbeziehungen mit der Republik von Nutzen sein werden. Allerdings übersteigt der von ihnen vorgeschlagene Preis für die Ware unsere Vorstellung um das Zehnfache.“
„Hervorragend. Um die Preisverhandlungen sollen sich andere kümmern. Bleib in der Nähe und sorg dafür, dass sie ihre Meinung nicht ändern, während ich Bericht erstatte.“
„Du willst zurück nach Terra reisen?“
„Ja. Unser Bericht ist überfällig.“
„Was ist mit uns beiden?“
„Ja, was ist mit uns?“, meldete sich nun auch Riley zu Wort.
„Ihr bleibt weiterhin auf euren Posten.“
„Och, komm schon. Wir sind seit acht Monaten in diesem rückständigen Land voller Barbaren mit ihren komischen Göttern und den beschissenen Zwergen und Elfen überall. Man kann nicht spucken, ohne eine dieser Missgeburten zu treffen. Ich will endlich wieder in einem richtigen Bett schlafen, in einer Stadt, die nur von ordentlichen Menschen bewohnt wird.“
Chris hob die Hand, um weiteres Lamentieren über die Swanmark zu beenden. Die Stunde war bald um und sie hatten keine Zeit mehr für solch Belanglosigkeiten.
„Ich werde eure Ablösung vorschlagen. Riley, wie läuft es bei dir?“
„Es sieht noch immer nicht viel besser aus, als im letzten Monat, aber ich denke, ich mache langsam Fortschritte.“
„Also hast du noch nichts erreicht. Bleib weiter am Ball.“
Er erhob sich von dem viel zu harten Stuhl, um zu gehen.
„Wie sieht es denn bei dir aus?“, fragte Jack plötzlich. „Wir erfahren so gut wie nichts über deinen Teil der Mission und jetzt willst du uns hier zurücklassen.“
Chris stieß die Handflächen auf den Tisch. Bierkrüge schwappten und Riley zuckte zusammen.
„Das liegt daran, dass ich der Leiter dieser Operation bin. Ich bin euch keine Rechenschaft schuldig.“ Der andere Spion sah ihn weiter herausfordernd an. „Aber na gut, da ich so blendende Laune habe, werde ich euch kurz einweihen, damit ihr dieses Wissen bei eurem weiteren Aufenthalt hier nutzen könnt. Die Menschen der Swanmark sind reif. Sie wollen sich nicht länger zwergischer Willkür beugen.“
„Das ist alles? Menschen werden nun einmal frei geboren und sind bestimmt über diesen Missgeburten zu stehen. Natürlich wollen sie sich nicht beugen.“
Eine Ohrfeige mit dem Handrücken brachte den Mann zum Schweigen.
„Kenne deinen Platz, Jack, oder ich verweise dich auf ihn. Der Orden der Reinheit hat im Zuge eines längeren Gedankenaustauschs Interesse an terranischem Wissen und unserer Technologie gezeigt.“
„Ihre eigene Inquisition ist auf unserer Seite?“, fragte Riley grinsend.
„So wird es sein, wenn wir noch etwas Überzeugungsarbeit leisten. Bleibt also weiter auf euren Posten, während ich…“
Chris verschlug es die Sprache, als sich die Tür zur Schenke öffnete.

Kurz zuvor.

Ahrok stapfte an der Seite des Zwerges durch die Straßen und rieb sich den immer noch schmerzenden Unterleib. Jetzt wusste er wieder, warum er sich nicht noch einmal mit Ragnar hatte messen wollen. Diese Schmerzen da unten waren nichts für ihn. Aber da er nun einmal verloren hatte, musste er sich gemäß der zwergischen Tradition dem Willen des Valr nach einem gemütlichen Trinkabend beugen. Nicht, dass er nach den Ereignissen des Abends etwas dagegen hatte.
Sie beide liefen jetzt nicht mehr, sondern hatten ihren Schritt verlangsamt, seitdem Ariane ihre Verfolgung aufgegeben hatte. Diese hochnäsige Grafentochter war ihnen tatsächlich eine halbe Meile durch den Nieselregen nachgelaufen, um ihn zur Rückkehr zu überzeugen. Wahrscheinlich wollte sie ihm auch das noch befehlen.
Ihm, Ahrok dem Schlächter.
Glücklicherweise waren weder ihre Schuhe noch ihr Kleid für ein solches Unterfangen geeignet gewesen. Manchmal glaubte er, noch ihre Stimme zu hören, wie sie ihm nachrief, aber das machte ihn nur noch zorniger.
„Ich kann es immer noch nicht fassen. Mir will sie was verbieten. Mir!“
„Ja, ja, das hatten wir doch gerade erst.“
„Kaum findet die Verlobung statt, da kommt die verschrobene Adligensau in ihr durch. Tu dies nicht. Tu das nicht. Ich verbiete dir, dich in die Eier treten zu lassen. Soweit kommt´s wohl noch!“
„Hör mal, ich bin froh, dass wir was trinken gehen, aber kannst du das Thema jetzt nicht mal ruhen lassen? Ich finde du steigerst dich da ´n bisschen zu sehr rein.“
„Reinsteigern? Ich finde nicht, dass ich mich in irgendetwas reinsteigere. Ich mach mich wochenlang krumm für ihren Onkel und jetzt das. Es ist ja jetzt wohl klar, dass sie mich für so einen Bauernjungen hält, den sie einfach rumkommandieren kann wie es ihr gefällt.“
„Du bist ´n Bauernjunge, Ahrok.“
„Halt die Klappe. Was weißt du schon von Frauen und Beziehungen?“
„Ich weiß, dass du auf der Stelle umkehren solltest, wenn du heute nicht sehr einsam auf hartem Boden schlafen willst“, lachte der Zwerg.
„Ach, leck mich.“
Verdammter Kurzer. War heute die ganze Welt gegen ihn? Er hatte sich angestrengt. Wirklich angestrengt, dazuzugehören, aber für sie blieb er dann doch nur der Bauernjunge, dem sie befehligen konnte.
´Na und wenn schon?´, rief eine innere Stimme. ´Was macht das für einen Unterschied, wenn du glücklich bist?´
Kaum hatte die Stimme diesen Gedanken zu Ende gebracht, setzte auch der Regen wieder verstärkt ein. Von einem Augenblick zum Nächsten war sein hübsches Seidenhemd durchweicht und er nass bis auf die Knochen.
Er hielt an, um einen kurzen Fluch an die Götter zu schicken.
Zum Umkehren, selbst wenn er das jetzt gewollt hätte, war das nun ein denkbar schlechtes Wetter. Ariane sollte ruhig einmal in Ruhe darüber nachdenken, was sie an ihm hatte. Dieses herrische Mädchen konnte auch ein paar Stunden warten.
„Wir kehren hier ein“, befahl er und zeigte auf das Schild „Gasthaus zum Bären“. Hinter den Fenstern der Schenke sah Ahrok Leute im Schein des Kaminfeuers sitzen. Genau dorthin wollte er auch, um die kalten, nassen Sachen zu trocknen und seine Ärger zu ertränken.
„Meinetwegen“, brummte der Zwerg, „Eine Schenke ist so gut wie die Nächste.“

Ariane stand allein auf der Straße, als der Regen kam. Sie hatte Ahrok und den Zwerg längst aus den Augen verloren, war aber noch immer eine Zeit lang durch Märkteburg gewandert, in der Hoffnung, doch noch einen von ihnen zu erblicken. Aber diese Hoffnung hatte sich nicht erfüllt. Nun prasselten dicke Tropfen auf ihre Schulter. Das Kleid wurde schwer und der nasse Stoff presste sich eiskalt an ihre Haut.
Etwas war vorhin passiert, aber sie wusste nicht was.
Ein kleiner, kurzer Streit, bei dem Ariane nicht einmal genau begriffen hatte, worum es gegangen war und Ahrok war zusammen mit dem Zwerg in den dunklen Abend hinein verschwunden. Ohne sich umzudrehen, ohne auf ihre verzweifelten Rufe zu reagieren. Kein Mensch hatte sie je so verletzt. Sie wollte doch nur eine Antwort, wollte doch nur verstehen, was gerade passiert war, aber da war niemand, der es ihr erklärte.
Ihre Tränen verschwanden unter der Vielzahl an Regentropfen, als sie hilflos auf dem nassen Straßenpflaster auf die Knie fiel.

Dunkel und unfreundlich lag das von ihm einst so innig geliebte Gebäude inmitten der nassen Straßen Märkteburgs. Die drei Fahnen vor dem Wachhaus hingen traurig und schwer vom Wasser nach unten. Wie er es erwartet hatte, waren nur sehr wenige Fenster erleuchtet, eines davon war jedoch seine alte Wachstube. Möglicherweise erschwerte das die Sache etwas.
Er wog die Chance ab, durch den Hintereingang unbemerkt einzudringen, aber für den Fall, dass er dann drinnen entdeckt wurde, gab es keine gute Ausrede. Das Beste war immer noch, frech durch den Vordereingang zu marschieren und sich unter den Augen der Wächter zu holen, was er ohnehin über all die Jahre redlich verdient hatte.
Bernhard zog die Kapuze über die Lederkappe. Nicht, um dem Regen zu entgehen, sondern um ihren Anblick vor den Wächtern zu verbergen, die vor dem Quartier der Stadtwache Spalier standen. Statt der zwei Trolle, die er üblicherweise für den Dienst eingeteilt hatte, marschierten heute vier Männer vor dem Tor auf und ab. So viel zum Thema effektive Kostenplanung.
Das hatte Märkteburg nun davon, wenn ein anderer als er hier die Befehle gab. Wie dem auch sei, es war nicht mehr sein Bier. Sollte sich von nun an jemand anderes über die Dienstpläne, die Besoldung, den Nachschub und all die anderen Arbeiten Gedanken machen. Er war hier für immer weg, sobald er das Gold in seiner Tasche hatte.
 
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Na, dann werde ich mal auch weitermachen. Chris hat wieder seine schmutzigen Finger im Spiel. Was plant er? Schade, Ahrok und Ariane verstehen sich nicht. Bernhard Schreiber will Märkteburg den Rücken zukehren. Ob das so einfach ablaufen wird? Ein sehr spannendes Kapitel.

Jochen (10.04.2012)

Jetzt bin ich sogar weiter als Jochen mit dem lesen. Liest sich aber auch gut weg. Chris, der alte Halunke, plant Finsteres. Ahrok hat sich sehr mit Ariane zerstritten. Warum ist er weglaufen? Ich glaube das können nur Männer begreifen. Jedenfalls hat sie sich ganz schön in Gefahr gebracht. Und Bernhard ist charakterlich kein bisschen anders geworden, schade! Toll geschrieben wie schon so oft. Sonst würde ich ja auch nicht dein Fan sein.

Petra (05.04.2012)

eine verschwörung ist im gange, dieser chris ist wie ein phoenix wieder aus der asche auferstanden... ;-)
in diesem teil sind jede menge cliffhanger drin, spannend!


Ingrid Alias I (04.04.2012)

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