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6 Seiten

Ahrok 2.Band - 4. Kapitel

Romane/Serien · Fantastisches · Fan-Fiction/Rollenspiele
© Jingizu
Viertes Kapitel: Das Lied von Hammer und Amboss

„Habt ihr unsere Kinder gefunden? Wo sind sie? Sagt schon?“
Ahrok hörte Stimmen von Frauen, als er langsam wieder zu sich kam. Was war denn passiert? Sein Kiefer tat ihm auf einmal so weh.
„Eure Kinder, ähm… sie sind nicht mehr hier…“
Ahrok erkannte diese andere Stimme. Es war der Valr und plötzlich fiel es ihm auch wieder ein. Der blöde Zwerg hatte ihn schon wieder bewusstlos geschlagen. Ahrok schnellte hoch, um dem kleinen Mistkerl gehörig den Marsch zu blasen.
„Die Banditen haben sie erwischt und…“
„Was? Was haben sie?“
„Oh, nein. Nein!“
„… und haben sie an einen reichen Kaufmann in Bevertal verkauft. Der war kinderlos und suchte ein paar Erben für sein… Geschäft und so…“
„Wie? Was sagt Ihr da?“
„Ja, ja… ihnen geht es wohl ganz gut soweit. Es mangelt ihnen an nichts, wo sie jetzt sind. Da bin ich mir ganz sicher.“
Ahrok stockte in seinem Zorn. Er saß etwas abseits auf der Straße und eine Traube von Menschen hatte sich um den Zwerg versammelt, der ihnen hier wohl ein Märchen nach dem anderen auftischte. Er konnte von seiner Position aus nicht erkennen, ob die Leute Ragnars Lügengeschichte glaubten, aber ihren Gesichtern nach zu urteilen, schienen einige von ihnen zumindest etwas erleichtert. Seine Wut auf den Zwerg verflüchtigte sich, als er sah, wie dieser eher tollpatschig seine Geschichte erzählte.
„Habt ihr die Banditen besiegt?“
„Ja, sagt schon, sind sie alle tot?“
Ragnar räusperte sich betreten: „Nein. Sie leben noch. Alle.“
„Wieso nicht?“
„Ja, wieso nicht? Jetzt geht doch alles weiter wie bisher und wir werden vor Hunger sterben! Wir dachten, ihr...“
„Nun bleibt mal alle ruhig. Ich hab doch einen Plan“, fiel ihnen der Zwerg ins Wort.
Aha, der Valr hatte also einen Plan. Ahrok stand auf und lauschte mindestens ebenso gespannt wie die Dorfbewohner.
„So wie es aussieht, haben wir einige Tage Zeit, bis sie sich für euren Ungehorsam rächen wollen. Das ist gut. Das ist unser Vorteil. Denn diese Tage werden wir dazu nutzen, uns hier zu verbarrikadieren, während ihr alle dieses Dorf verlasst und euch weiter im Norden versteckt. Wenn der unweigerlich kommende Angriff dann abgeschlagen ist und alle Banditen tot sind, kehrt ihr wieder in eure Häuser zurück. Es ist alles ganz einfach.“
„Wir wollen euch helfen beim Kampf! Wir können auch kämpfen!“
Ragnar spuckte verächtlich aus. Es lebten nicht einmal einhundert Menschen in diesem Dorf und kaum ein Drittel sah so aus, als würden sie überhaupt eine Waffe halten können.
„Krieger kämpfen - Bauern nicht“, warf er abwertend, aber bestimmt ein. „Nur für solche Dinge gibt es uns überhaupt.“
„Wir... wir haben Waffen. Sicheln, Sensen, Hammer und Flegel und wir können damit umgehen!“
Der Valr rollte mit den Augen und seine Stimme wurde schärfer: „Hört ihr mir nicht zu? Auf einen Menschen einzuschlagen, der ein Schwert gegen euch schwingt, ist etwas anderes, als auf Körner einzudreschen. Also lasst eure verdammten Stöcke mal stecken. Wir erledigen das hier ohne die Hilfe von euch Laien. Wenn ihr euch nützlich machen wollt, dann helft uns, das Dorf zu befestigen.“
Ahrok trat an die Seite des Zwerges. Wenigstens in diesem Punkt war mit dem kleinen Mann völlig einer Meinung. Die meisten der anwesenden Dörfler waren zwar von Natur aus kräftige Gesellen, aber nach den harten Wochen waren sie ausgemergelt und für einen echten Kampf völlig untauglich. Einen von ihnen in die Schlacht zu schicken, hieße, sie dem sicheren Tod zu überantworten.
Der Zwerg ergriff erneut das Wort: „Wir zwei überprüfen erst mal die Lage im Dorf und arbeiten die Strategie aus. Ihr bereitet in der Zeit ein großes Fest vor. Mit Wein, Bier und fettem Schafsbraten! Eure dunklen Zeiten sind vorbei. Ab heute habt ihr nichts mehr zu befürchten, denn ihr steht unter unserem Schutz.“
Ahrok musste zugeben, dass die Rede des Zwerges ganz schön anspornend gewesen war, aber er selber hatte auch jetzt noch keine Ahnung, wie sie es mit fünfzehn schwer bewaffneten, gut gepanzerten Reitern aufnehmen sollten.
„Ist das wahr?“
Hoffnung schimmerte in den Augen vieler der Bauern.
„So ist es“, bekräftigte Ahrok die Worte des Valr. „Ihr braucht wirklich keine Angst mehr zu haben!“
Ragnar zerrte ihn mit sich fort und sie begannen das Dorf in langsamen Schritten zu umrunden, wobei der Zwerg den Begebenheiten des zukünftigen Schlachtfeldes ungewöhnlich wenig Aufmerksamkeit schenkte.
„Ich hoffe du hast wenigstens ein bisschen Ahnung von solchen Schlachten“, unterbrach der Zwerg ihr Schweigen.
„Meinem Kiefer geht es ganz gut, danke der Nachfrage... Nein. Du?“
„Tja, wenn es hier um Tunnelkampf oder so etwas gehen würde… aber so ein Kampf auf freiem Feld gegen berittene Gegner… Es sieht mächtig finster für uns aus.“
Irgendwie hatte Ahrok so etwas schon befürchtet, deshalb kamen die Worte des Zwerges nicht wirklich überraschend.
„Und… was können wir denn dann tun?“
„Nachdenken“, brummte der Zwerg nur.
Der Satz war ihm gerade keine große Hilfe. Darauf wäre Ahrok auch allein gekommen.
An sich sah es gar nicht so übel aus, wie der Zwerg es eben beschrieben hatte. Das Dorf besaß gerade einmal zwei Zugänge, die breit genug für mehrere berittene Kämpfer waren. Drei, wenn man die Möglichkeit in Betracht zog, dass sie sich durch die Felder nähern würden. Wenn sie diese Stellen ausreichend schützen könnten, dann wäre ihnen schon sehr geholfen. Sie könnten Barrikaden bauen und Fallgruben ausheben oder Seile spannen. Das dürfte ihnen einen gewissen Vorsprung geben, der ihre beträchtliche Unterzahl und die Tatsache, dass ihre Gegner über Armbrüste verfügten, wieder etwas ausgleichen dürfte.
Was jedoch wenn ihre Gegner nicht auf Pferden angeritten kamen?
Ahrok schob diesen Gedanken beiseite. Stattdessen begann er seine Ideen etwas genauer auszuarbeiten und mit dem Valr auszudiskutieren.

Nach einigen heftigen Debatten über ihre Verteidigungsstrategie, in denen mehr als nur einmal die Worte „blöder Zwerg“ und „dummer Mensch“ gefallen waren, hatte sie sich endlich auf einen für beide Seiten akzeptablen Kompromiss geeinigt. Sie würden ihr Hauptaugenmerk auf die Befestigung der Handelsstraße legen, die am breitesten und damit am leichtesten zugänglich war. Zwischen den Häusern würden sie, soweit vorhanden, Seile spannen lassen, um die Reiter am raschen Fortkommen zu hindern und vielleicht sogar den einen oder anderen zu Fall zu bringen.
Ahrok hoffte nur, dass diese Maßnahmen ausreichen würde, doch Ragnar hatte ihm lang und breit erklärt, dass allein diese Vorbereitungen ohnehin schon mehr Zeit in Anspruch nehmen würden, als sie überhaupt zur Verfügung hatten.
Mittlerweile wehte der Duft gebratenen Fleisches zu ihnen hinüber und die gedämpfte, dunkle Stimmung, die schon vor ihrer Ankunft wie ein schwarzes Tuch über dem Dörfchen gelegen hatte, verflüchtigte sich zusehends. Ahrok hörte wie eine kräftige Frauenstimme ein Lied anstimmte und Strophe um Strophe immer weitere Bauern in den immer lauter und fröhlicher werdenden Gesang mit einfielen.
Er lächelte zufrieden. Das waren die schönen Momente des Heldentums, von denen es leider viel zu wenige gab. Heute jubelte man ihm zu, heute feierte man, doch bald schon wieder würden sich die dunklen Seiten zeigen.
Die Leute sangen ein fröhliches Frühlingslied, in dem es um zwei Verliebte ging, die sich heimlich des Nachts unter dem Maibaum treffen. Ahrok kannte es von irgendwoher und während er sich zu den feiernden Dörflern gesellte, stapfte Ragnar noch immer herum und plante in seinem dicken Schädel die nahe Schlacht.
Das Feuer zischte, als einige Tropfen Fett von dem Braten hinab tropften. Kaum hatte er die Schenke betreten, so hießen ihn die Dörfler aufs Herzlichste willkommen und luden ihn auch gleich ein, sich zu ihnen zu setzen.
In den darauffolgenden Stunden musste er ihnen wieder und wieder seine Abenteuer schildern. Ständig wurde er von Ausrufen des Erstaunens unterbrochen und musste den Anwesenden seine vernarbten Wunden als Beweis zeigen.
„He, Heaferth! Komm doch her zu uns und hör dir diese Geschichten an“, rief einer der Bauern den Ahrok als Edwin oder Erwin in Erinnerung hatte.
Ein alter Mann, der bisher etwas abseits gesessen hatte, gesellte sich darauf brummend zu ihnen an den Tisch. Seine dunklen Augen hatten etwas, das Ahrok fesselte. Sie blickte beinahe kindlich drei, doch umrahmt von faltigen Lidern und weißen Brauen schienen sie gleichzeitig alt und weise.
Der Mann besaß wie alle hier eine ledrige, von der Sonne gebräunte Haut, die ihm faltig am Körper hing. Seine Arme waren bei weitem nicht so breit wie die von Ahrok, doch bezweifelte dieser keineswegs, dass enorme Kraft in ihnen wohnen musste.
Das Haupthaar des Mannes war weiß und etwa schulterlang, seinen ebenfalls weißen Vollbart trug er kurz und gepflegt. Allein das breite, vom Alter gebeugte Kreuz zeugte von der Last der Jahre, die auf seinen Schultern lag.
Er setzte sich auf den ihm dargebotenen Stuhl und lauschte von da an eher teilnahmslos Ahroks Geschichten.
„Reich mir mal dein Schwert, Bursche“, unterbrach er Ahrok mitten einer seiner bildlichen Ausführungen, in der er gerade wie ein Wilder auf dem Tisch stand und imaginäre Weiße erschlug.
Etwas irritiert und auch verärgert, dass er so einfach unterbrochen wurde nestelte er seinen Abschlachter vom Rücken und ließ ihn krachend auf den Tisch fallen. Dieser wackelte zwar bedrohlich, hielt aber tapfer dem Gewicht der Waffe stand.
Aufmerksam betrachtete der Alte den kalten Stahl und es lag beinahe ein zärtlicher Ausdruck in seinen Augen, als er mit seinen schwieligen Händen über das Relief der Klinge fuhr und er die schmutzigen Reste des Waldbodens von ihr wischte. Die folgenden Minuten schien er auf seine Art ein stummes Zwiegespräch mit der Waffe zu halten. Er betrachtete sorgsam all die frischen Kratzer und Scharten der langen Klinge und warf Ahrok daraufhin einen beinahe feindseligen Blick zu.
Dann erhob er sich vom Tisch, wuchtete die Waffe hoch und verließ die Schenke.
Ahrok, der sich dadurch schon wieder in einer seiner Geschichten unterbrochen sah, wollte gerade aufs Heftigste zu protestieren, doch die anderen Bauern an seinem Tisch hielten ihn zurück.
„Lass ihn. Der alte Heaferth wird sich gut um dein Schwert kümmern. Er war früher mal ein begehrter Waffenschmied gewesen, doch in den letzten Jahren hat er nur Pflüge geschmiedet und das Handwerk eines Hufschmieds ausgeübt. Wahrscheinlich ist er überglücklich mal wieder auf dem Stahl einer Klinge herumhämmern zu dürfen.“
Diese Worte wurden mit einem allgemeinen Gelächter belohnt.
„Mach dir also keine Sorgen um dein Schwert. Es ist in den besten Händen und nun erzähl weiter!“
Ahrok war beruhigt und setzte seine leicht modifizierte Geschichte fort, in welcher er als strahlender Held Hunderte der übergroßen Echsenviecher erschlug und zuhauf jungfräuliche Prinzessinnen errettete.
Tatsächlich erklang einige Zeit später ein monotones Hämmern aus der Ferne.

Ragnar hatte es mittlerweile aufgegeben, sich heute Abend noch weitere Gedanken zu machen. Zu oft war er in den letzten Minuten verwirrt zwischen bereits verworfenen und geradezu brillanten Ideen hin und her gestolpert und hatte zwischen ihnen nicht mehr unterscheiden können. Anstatt jedoch, wie zunächst geplant, sofort den nächsten Bierausschank anzusteuern, folgte er dem vertrauten Geräusch, das ein Hammer verursacht, der auf heißen Stahl trifft, bis zu einer Hütte, aus welcher der rote Schein eines flackernden Feuers fiel. Die Geräusche und der Geruch heißen Eisens hatten etwas Beruhigendes. Sie trugen einen kleinen Teil fast vergessener Heimat in sich. Lächelnd stellte er sich in die Tür der Schmiede und atmete den betörenden Duft glühenden Metalls und des Feuers in der Esse ein.
Der Schmied stand vor seinem Amboss und ließ einen schweren Hammer rhythmisch, aber kräftig auf die rotglühende Klinge hinabsausen. Dabei hatte er beide Augen beinahe geschlossen und den Mund zu einem leichten Lächeln geformt.
Ragnar sah kleinen Funken fliegen, wenn Hammer und Stahl auf einander trafen. Sie waren wie kleine Glühwürmchen, die nur für einen winzigen Moment lebten, in diesem jedoch heller und schöner strahlten als die Sterne am Nachthimmel.
Der Schmied kühlte das glühende Metall ab. Wie eine erboste Schlange zischte der Wasserdampf und sprang durch die ganze Hütte. Heaferth begann es dann wieder im Feuer zu erhitzen, nur um später wieder auf ihm herumzuhämmern.
Ragnar fühlte sich in diesem stickigen Raum in alte, glücklichere Zeiten zurückversetzt, in denen noch nicht alles so trostlos und kompliziert gewesen war. Der Schein des gleißenden Feuers, welches durch einen unermüdlichen Blasebalg zu immer neueren Leistungen angespornt wurde, tauchte die Umgebung in wohliges Rot und zauberhafte Schatten.
Sicherlich hatte Heaferth den Zwerg mittlerweile bemerkt, doch keiner der beiden sprach ein Wort. Niemand wagte es die harte und dennoch liebliche Melodie zu unterbrechen, die Hammer und Amboss aus der Klinge herauslockten.
Und so standen sie beinahe eine Stunde in der Schmiede, während Heaferth die ungepflegte Klinge ausbesserte und die anderen Dorfbewohner ihr Fest feierten.
„Dein Freund sollte besser auf seine Waffe achten“, brummte der Schmied.
„Aye…“, nickte Ragnar, dann schwiegen sie wieder.
 
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Kommentare  

Dieser Teil gefällt mir sehr. Die Dörfler sind süß beschrieben. Und der knarrige Ragnar zeigt auch mal seine weiche Seite.

Petra (25.04.2012)

Schön dass Ragnars Charakter dieses Mal etwas positiver in Erscheinung tritt. Schließlich wird er in dem Teil der Geschichte etwas deutlicher beleuchtet.

Jingizu (25.04.2012)

Stimmt, Ragnars Charakter tritt immer besser in Erscheinung. Der harte Kerl hat in Wahrheit eine weiche Seele, die tief in seinem Inneren vergraben ist. Die Dorfbewohner gefallen mir, sie haben trotz der Härte ihres Lebens viel Herz und Gemüt.

Jochen (24.04.2012)

Die Atmosphäre in der Schmiede hast du sehr schön beschrieben. Hier malst du einem ein tolles Bild. Überhaupt verleihst du hier Ragnars Charakter mehr Tiefe, das gefällt mir sehr gut.

Tis-Anariel (24.04.2012)

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