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10 Seiten

Götterdämmerung (Kapitel 1)

Romane/Serien · Fantastisches
© darkwitch
Kapitel 1
Der Anfang vom Ende

“Wie alles, das weitreichende und große Folgen hatte, so begann das Ende ganz klein und unscheinbar und zwar bereits zur Jahrtausendwende. Zuerst waren es nur einige seltsame Ereignisse, die zufällig zur gleichen Zeit geschahen, Dinge, die keiner wirklich wahrnahm. Empfindsame Menschen schliefen schlechter und Personen, die zu aggressiven Verhalten neigten, verloren öfter und schneller ihre Fassung. Es gab vermehrte Wetterkapriolen, Terroranschläge erschütterten die ganze Welt, es folgten Tierkrankheiten, die sich auf Menschen übertrugen und doch einige Leben kosteten. Der Schaden war vergleichsweise gering, jedoch verunsicherte und ängstigten diese Ereignisse viele Menschen. Ein Festessen für die Höllenbrut und dunklen Wesenheiten.”

Die etwa sechzig Jahre alte, robuste Frau mit den breiten , stahlgrauen Strähnen in ihrem langen, schwarzen Haar blickte auf und lächelte in die Runde. Um sie herum hatte sich ein Kreis an Kindern und Jugendlichen versammelt und lauschte ihren Worten.

“Und, kennt jemand von euch die zwei bekanntesten dieser Krankheiten?”
Mali, so hieß die Frau musterte ihre Zuhörer aufmerksam und lächelte erneut, als sich ein etwa dreizehn Jahre altes Mädchen zu Wort meldete.
“Ja, Mali, ich weiß es!” rief das Mädchen. Julie war ihr Name. “Das waren die Vogelgrippe und die Schweinepest und danach gab es noch die Blutseuche, aber die war erst viel später.”
Die Frau nickte zustimmend.
“Da hast du Recht, Julie.”
Sie sah sich noch einmal aufmerksam unter den Kindern um, und als keine Fragen oder andere Meldungen kamen, fuhr sie mit der Geschichte fort.

“Es folgten Dürre und großflächige Waldbrände auf der einen Seite der Erde, während anderer Länder im Schnee versanken oder im Regenfluten regelrecht ertranken. Die Erde bebte an verschiedenen Stellen, die Vulkanaktivität stieg messbar an und es gab große Flutwellen. Aber selbst das ließ die Menschheit nicht aufwachen. Erst als massives Tier- und Pflanzensterben einsetze und die Rohstoffe begannen knapp zu werden, wurden Wissenschaftler und Forscher auf die Zusammenhänge aufmerksam. Die Menschen begannen umzudenken aber die großen Veränderungen, jene die wirklich etwas verändert hätten, wurden zu langsam auf den Weg gebracht. Noch bevor eine positive Veränderung stattfinden konnte, erlebte unsere Welt die bis dahin größte Katastrophe, den Meteorit, der im Winter 2012 die Erde traf und zwar bei der Halbinsel Yucatán. Die Beben waren auf der ganzen Welt zu spüren und es wurden Massen an feinstem Staub in die Stratosphäre geschleudert.“

Erneut hielt Mali inne und sah die Kinder fragend an.
„Und, weiß jemand von euch, warum das so schlimm war?“
Diesmal meldete sich Marik, ein elfjähriger, mit dunklen Haaren und einer frechen Stupsnase.
„Weil der Staub nicht mehr runtergekommen ist und die Sonne nicht mehr richtig durchscheinen kann.“
Mali nickte dem Jungen erfreut zu.
„Das stimmt, Marik. Der Staub muss erst wieder so weite herabsinken, dass ihn Luftströmungen erfassen und sich Wolken an ihm bilden können. Dann regnet er ab. Aber er ist so fein und leicht, dass es viele, viele Jahre dauern wird, bis sich der Staubschleier dort oben nennenswert gelichtet hat.
Und, wer weiß warum das so schlimm ist?“
Ein anderes Kind meldete sich.


Shadon, der sich gerade in der Nähe wusch, beobachtete lächelnd die ältere Frau und die Kinder. Mali war die Anführerin der Wanderer, die ihn damals in der Wüste gefunden und sich seiner angenommen hatten. Die Frau war robust und hart im nehmen und außerdem auch sehr klug. Sie brachte den Kindern nicht nur rechnen, lesen und schreiben bei, sondern auch alles andere, was wichtig war. Welche Pflanzen man essen konnte, wo man am besten Stachelschwanzechsen oder Wüstenratten fangen konnte, wie man ein Feuer machte, Wasser fand und wie man seinen Weg in der Wüste fand.
So lehrte sie den Jüngsten der Wanderer auch, wie und warum ihre Welt nun so war, wie sie war.
Der Meteoriteneinschlag damals in Mexiko war tatsächlich der Anfang vom Ende geworden. Der feine Staubschleier, der sich in der Stratosphäre gebildet hatte, ließ nur noch die Hälfte des Sonnenlichtes durchdringen, aber leider immer noch fast die ganze Wärmestrahlung. Der sogenannte Treibhauseffekt verstärkte sich, aber viele Pflanzen kamen mit den veränderten Licht- und Wärmeverhältnissen nicht so ganz zurecht und begannen abzusterben. Mit künstlichem Licht konnte man hierbei zwar etwas Abhilfe schaffen, aber dafür wurden riesige Lichtanlagen, deren Leuchtquellen die richtigen Lichtspektren abgaben, gebraucht. Natürlich verschlang das Unmengen an Energie. Gleichzeitig verloren Solarzellen einen Großteil ihres Nutzens, denn sie produzierten ja auch nur noch die Hälfte.
Shadon schüttelte leicht den Kopf.
Dieser Meteorit war ein Wendepunkt in der Geschichte und er hätte ein guter sein können. Wenn die Menschen zusammengerückt, einander beigestanden und geholfen hätten, dann wäre aus dieser Katastrophe etwas Gutes und Schönes erwachsen. Stattdessen hatten sie sich wieder gegeneinander gewandt. Die Mächtigen erlagen erneut dem Neid, der Missgunst und der Habsucht. Es entbrannte ein heftiger Krieg um die noch verblieben Ressourcen, der schließlich die ganze Erde betraff. Dieser Krieg verschlechterte die Situation noch mehr. Als die Kämpfe immer schlimmer wurden und immer mehr Leben gewaltsam fortgerissen und vernichtet wurde, schien es als wolle die Erde vor Schmerzen laut aufstöhnen. Als dann noch eine der größten Weltmächte auf die Idee kam TX3-Bomben auf die Hauptstadt ihres größten Gegners zu werfen und dabei nicht nur deren Atomkraftwerk, sondern ein geheimes Forschungslabor trafen,hatte das furchtbare Folgen. Heftige Vulkanausbrüche und Erdbeben erschütterten die Welt und die Asche, die in die Luft geschleudert wurde tat das ihre dazu.
Zusammen mit dem schon vorhandenen Staubschleier, dem verstärkten Treibhauseffekt und der damit verbundenen globalen Erwärmung war der Kollaps nur noch ein Frage der Zeit. Schlussendlich kam dieser dann schneller und heftiger als gedacht. Zudem nutze die Hölle die angespannte Lage dazu dem Himmel erneut den Krieg zu erklären. So gab es plötzlich nicht mehr nur Kämpfe zwischen den Fronten der Menschen, sonder an anderer Stelle gingen auch Dämonen und gefallenen Engel auf Himmelsgeschöpfe und lichte Engel los. Das Ergebnis war katastrophal!
Sehr bald nach der Katastrophe mit den TX3-Bomben, zeigte sich die Sonne überhaupt nicht mehr und auch Sterne und Mond blieben hinter dichten Wolkenschleiern verborgen. Der Regen wurde seltener und wenn es doch einmal regnete, dann war das herabfallend Wasser sauer und verschmutzt. Den Pflanzen tat das gar nicht gut und die Meere begannen immer mehr zu versalzen.
Die Welt ging vor die Hunde und die Ressourcen schwanden rapide dahin!
Bald wurden Bäume zur Seltenheit und grüne Felder sah man gar nicht mehr. Nur die zähesten Pfalzen setzen sich durch, darunter eine Abart der Kartoffel, bald nur noch als die Knolle bekannt, wurde sie zur Hauptnahrungsquelle der meisten Menschen. Auch in der Tierwelt setzten sich nur die zähesten, oder nützlichsten Wesen durch. Darunter wegen ihrer Nützlichkeit, Ponys, Esel und Kamele, sowie wegen ihrer Genügsamkeit Ziegen. Außerdem setzen sich hundartige Wesen durch, die Höllenhunde genannt wurden und in Rudeln auftraten. Die schwarzfelligen, struppigen, fast hüfthohen hundeartigen Räuber waren bei den Karawanen und Banden gefürchtet. Einigen Nomaden hingegen war es gelungen diese Hunde zu zähmen und sie zu gleichwertigen Partner zu machen. So wurden die Wesen zu wertvollen Mitgliedern der Gruppe, die “ihre” Menschen vor Gefahren warnten und sie tatsächlich bis in den Tod hinein verteidigten. Auch die Nomaden, die sich um Shadon angenommen hatten, hielten sich einige diese Höllenhunde.
Noch weitere Spezies hatten den Sprung in diese neue feindliche Welt geschafft und behaupteten sich seither. Zum einen waren das die sogenannten Wüstenkatzen, fast löwengroße, sandfarbenen Großkatzen mit kurzem, dichtem Fell und starken Muskeln, die als Einzelgänger lebten und riesengroße Reviere hatten. Zum anderen waren das Ratten! Letztere, fast hauskatzengroß und meist in den Städten, beziehungsweise in der maroden Kanalisation darunter zu finden. Die Großratten, wie man sie nannte, waren zähe, wehrhafte Zeitgenossen und in den Städten stellten sie oft die einzige Nahrungsquelle der Schwächeren dar. Aber auch außerhalb fand man diese Nager, da aber wesentlich scheuer und nicht ganz so gut genährt. Außerdem hatten die Reptilien es geschafft. Es gab sie zahlreich in der Wüste, darunter auch sehr giftige und aggressive Schlangen, aber auch die eher harmlosen Stachelschwanzechsen, die etwa so lang wie ein Unterarm werden konnten und deren Fleisch sehr schmackhaft war.
Und die großen Gewinner waren natürlich die Insekten, von dennen es eine Unzahl verschiedener Arten gab. Einige davon sogar recht schmackhaft und zudem eine gute Proteinquelle, andere hingegen sehr gefährlich und giftig.

In den Städten rissen bald diverse Gangs, Gruppen und Sekten die Herrschaft an sich. Bald gab es keine Polizei mehr und sonst auch keine Gesetzesvertreter. Das Recht wurde auf der Straße geschrieben und wer nicht stark genug war, der ging eben einfach unter und starb. Alle anderen passten sich irgendwie an oder sie suchten ihr Heil in der Flucht. Aus diesen Aussteigern entstanden dann die Nomadengruppen, die stetig unterwegs waren und von Ort zu Ort, von Oase zu Oase zogen. Die meist friedliebenden Wanderer. Aber auch andere kamen auf die Idee, dass es außerhalb der Städte vielleicht besser war. Einige davon ebenso wie die Wanderer friedliebend, manche davon Einzelgänger und manche waren leider nicht so harmlos und zogen wie moderne Raubritter durch die Gegend. Einige dieser Gruppen hielten bestimmte Gebiete besetzt, manche hatten Oasen erobert und verlangten von den Durchziehenden oder auch Ansässigen Schutzabgaben. Nicht allen konnte man da trauen, andere nahmen diesen Handel sehr ernst und beschützten die Leute, die ihre Abgabe entrichtet hatten. Einer davon war Ben Tucker, der von dem meisten nur Tuck genannt wurde und um den sich eine ganze Horde kräftige Jungs versammelt hatten, die auch gerne mal draufhauten. Die Gang nannte sich die “Lions” und hielt eine kleine Oase nahe der HeavenRocks, einer seltsamen , säulenartigen Felsenformation, die sich auf halben Weg zwischen Darkunder, der größten Stadt im Osten am Ozean und CentralCity, die wie der Name schon sagte zentral in der Landesmitte lag. Die HeavenRocks waren auch ein Anlaufpunkt, wenn man nach WhiteHall wollte, die dritte große Stadt, die an der Südküste lag. Noch weiter im Landesinneren nahe der großen Berge lag die vierte große Stadt, HellsGate und wie der Name schon andeutete, war diese Stadt wirklich ein hartes Pflaster.

Es gab noch die sogenannten Kuppeln, große halbrunde Kuppeln aus bruchsichern Glas mit speziellen Lichtanlagen unter denen sich parkähnliche Landschaften mitsamt dem ursprünglichen Wild ausbreiteten. Es gab insgesamt siebzehn dieser Kuppeln und alle waren sie in der Hand der wenigen Reichen und Mächtigen. Der ganz normale Bürger wusste zwar dass es diese Gebiete gab, aber er hatte nichts davon.
Drei Jahrzehnte Krieg hatten der Welt den Rest gegeben und sie zu diesem harten, grausamen Ort werden lassen an dem Schwäche tödlich endete.

Shadon seufzte leise. Er hatte wirklich Glück gehabt, dass ihn Mali und ihre Gruppe in der Wüste gefunden hatte. Andere hätten ihn womöglich einfach zurückgelassen, oder sie hätten in ausgeraubt und getötet. Aber es war Mali gewesen, die ihn gefunden hatte und so hatte er eine Chance bekommen. Die Nomaden hatten ihn gesund gepflegt und sie duldeten ihn immer noch. Irgendwie war er zu einem Freud und geliebten Gast geworden, der das seine zur Gesellschaft beitrug. Aber Teil dieser Gruppe war er niemals wirklich geworden.
Der Mann fand es seltsam, dass er sich zwar nicht mehr an seine Vergangenheit erinnern konnte, aber an alles andere schon. Er sprach mehrere Sprachen, was Mali herausgefunden hatte. Die kluge Frau hatte ihn einfach in verschiedenen Zungen angesprochen und Shadon hatte ohne nachzudenken in der selben geantwortet. Er konnte Lalingual, die allgemeine Himmelssprache, die ein wenig an Latein erinnerte genauso gut verstehen wie Hasarky, die allgemeine Höllensprache. Dazu kamen noch die drei anerkannten menschlichen Allgemeinsprachen, die sich entwickelt hatten und zudem beherrschte er auch noch mehrere der alten Sprachen, drunter Italienisch, Mandarin, Englisch und Griechisch. Die große Überraschung kam aber erst, als er wirklich dazu fähig war, diese Sprachen nicht nur akustisch zu verstehen, sondern sie auch lesen und schreiben konnte.
Das es Mali war, die ihm die Zeichen in den Sand gemalt hatte, zeigte nur, wie klug diese Frau war. Sie brachte auch den Kinder die Allgemeinsprachen bei und zwar nicht nur die menschlichen sondern auch Lalingual und Hasarky.
Der Krieg zwischen Himmel und Hölle tobte unvermindert weiter. Mali fand es daher sinnvoll ihren Leuten auch die Allgemeinsprachen der Engel und Dämonen zu lehren. Man fand immer wieder Tote beider Fraktionen in der Wüste. In den Jahren, die Shadon nun schon mit den Wanderern herumzog, hatte er schon dabei geholfen Gräber für drei tote Engel und zwei gehörnten Wesen, auszuheben. Mali bestand darauf diese Toten nicht anders zu behandeln als tote Menschen, die man auch immer wieder mal fand. auch jene wurden von den Nomaden beerdigt, selbst mit der Gefahr, die die sogenannte Blutseuche noch immer darstellte. Immerhin hätte es sein können, das die Toten ja an dieser schrecklichen Krankheit gestorben waren.
Die Blutseuche, eine im Labor generierte Abart des Ebolavirus, wurde zu Kriegszwecken erschaffen. Der Erreger, der die typischen, meist tödlichen Symptome von Ebola hervorrief, hatte eine höhere Überlebensrate an der Luft, wurde aber nur durch den Kontakt mit kontaminierten Flüssigkeiten übertragen. Die Krankheit war etwa halb so ansteckend wie die gewöhnliche Grippe. Ursprünglich sollte das künstlich erschaffenen Virus nach einer bestimmten Zeit absterben und so zur Waffe taugen. Der Gedanke dahinter war, dass Bomben in den Städten den Erreger freisetzten, der die Menschen dort zum größten Teil töten würde und dann absterben sollte , damit die nachrückenden, eigenen Truppen nicht auch daran erkrankten.
Das ging jedoch kräftig nach hinten los, denn der Virus dachte gar nicht daran zu sterben, sondern mutierte, steckte nun auch Tiere an und wurde zur größten Seuchenkatastrophe nach der Pest. Die Todesopfer gingen in die Millionen und selbst jetzt noch fand man den Erreger in den sogenannten Zonen. Als sich kein wirksames Medikament und auch keine Impfungen möglich waren wurden die Infizierten in große Lager verfrachtet und diese gegen Eindringlinge und gegen Ausbrüche mit Mienen, Sprengfallen und ähnlichen Nettigkeiten gesichert. Das war der Anfang der Zonen, in denen bald nicht nur die an der Blutseuche Erkrankten, sondern auch andere Kranke und später alle unerwünschten Personen verschwanden.
Nach dem Zusammenbruch der Regierungen und deren Armeen wurden zwar die Zonen offiziell wieder geöffnet. Tatsache aber war, dass diese Gegenden so nachhaltig verseucht und kontaminiert waren, dass ein normaler Mensch nicht lange dort überleben konnte. Also beließ man die Warnschilder und die Sicherheitsmaßnahmen.

Shadon blickte wieder in den kleinen Spiegel, fuhr sich durch das müde Gesicht und begann sich dann sorgfältig zu rasieren. Als er damit fertig war und sich das Gesicht gewaschen hatten, blieb er weiterhin vor dem Spiegel stehen und starrte lange hinein.
Der Mann war sich selbst ein Rätsel, denn der Himmel hatte sich vor über dreißig Jahren verschleiert, aber er selbst sah so aus, als wäre er nicht sehr viel Älter. Wie also konnte er sich so genau an die Sonne, den Mond, die Sterne, an Bäume, Wiesen und noch viel mehr erinnern. Wenn er die Sonne überhaupt noch gesehen hatte, dann war er ein kleines Kind gewesen, aber seine Erinnerungen, zumindest diese paar Fetzen, die ihm geblieben waren, waren nicht die eines Kindes. Viel war es nicht, nur kurze Momentaufnahmen und seltsam verschwommen. Aber eines war deutlich, er war glücklich gewesen, hatte gelacht und sich gefreut.

Und dann waren da noch die anderen Erinnerungen. Auch nur Fragmente, nichts wirklich festes und greifbares, nur verschwommene Bilder und vor allem Gefühle.
Er war an einem hellen Ort gewesen. Hatte er ihn bewacht? Vielleicht, denn er hatte dort gekämpft und war verletzt worden. An den Kampf selbst konnte er sich kaum erinnern, auch an den Ort nicht mehr so wirklich, aber an die Verletzung, an die schon. Der heftige Schmerz, mit dem etwas durch seine Schulter schlug und die plötzliche Eiseskälte, die seinen Körper ergriff und ihn in die Knie hatte sinken lassen. Er wurde fortgezerrt und jemand rief nach ihm.
Danach erwachte er an einem dunklen Ort und die Verzweiflung fraß sich in seine Gedanken. Seltsamerweise gab er sich die Schuld an etwas, aber er wusste nun nicht mehr, was das war und er verspürte auch Verlust, wobei ihm verborgen blieb, was er verloren hatte. Shadon hatte das Gefühl, dass er lange an diesem finsteren, unangenehm heißen Ort eingesperrt gewesen war. Als nächstes erinnerte er sich an die Schmerzen, zuerst die heftig reißenden Qualen in Rücken und Brust, später dann Hitze die über seine Haut glitt und scharfe Dinge, die hinein stachen, schnitten und ihm zusetzten. Zur Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung gesellte sich Angst. Schreckliche, alles verschlingende Angst.

Shadons Atmung war schwer geworden. Heiß brannte die wiedererwachte Angst in seiner Brust und versuchte erneut ihn zu verschlingen. Er holte tief Luft, spritzte sich kaltes Wasser ins Gesicht und drängte die Emotion geübt zurück. Nachdem er sich sein Gesicht mit einem Tuch getrocknet hatte, blickter er wieder in den Spiegel und seufzte schwer. Nachdenklich rieb er sich über eine gezackte, lange Narbe auf der Brust. Was genau ihm alles angetan worden war, dass wusste er nicht mehr wirklich, aber es hatte grauenhaft weh getan und es musste lange gedauert haben. Sein Körper erzählte davon in vielen unterschiedlich stark ausgeprägten Narben. Der junge Mann schluckte.
Er war irgendwie von dort entkommen, vermutete er zumindest. Denn in seiner nächsten Erinnerung quetschte er sich durch ein enges, scharfkantig gezacktes Loch und kroch scheinbar eine Ewigkeit durch einen engen, widerwärtig schleimigen, stinkenden und gewundenen Tunnel und er wurde verfolgt. Er träumte noch heute davon und genau da endeten dann auch seine Erinnerungen.
Er wusste weder, wie er in diese Wüste gelangt war, noch was er dort gewollt hatte oder wie viel Zeit vergangen war zwischen seiner letzen Erinnerung und dem Zeitpunkt, an dem ihn Mali halbtot in der Wüste gefunden hatte. Daran jedoch konnte er sich noch sehr gut erinnern. Die ältere Frau mit den grauen Strähnen im dunklem Haar und den Lachfältchen um den Augen herum, die sich über ihn beugte, ihm sanft das Haar aus dem Gesicht strich und ihn anlächelte.
“Du lebst ja noch,” hatte sie gesagt, “keine Angst, alles wird wieder gut. Wir kümmern uns um dich.”
Shadon lächelte leicht bei dieser Erinnerung.

Das Lächeln hielt jedoch nicht lange. Wenn die Wanderer nicht gerade zu dieser Zeit durch diese Gegend gezogen wären, dann wäre er vermutlich dort gestorben. Irgendwann hätte wohl jemand seine Überreste gefunden und vielleicht sogar begraben. Aber es war anders gekommen.
Er war mehrere Wochen sehr, sehr krank gewesen, aber die Frau hatte ihr Wort gehalten und ihn wieder gesundgepflegt. Seinen Körper konnte sie heilen, aber die meisten seiner Erinnerungen blieben fort und das Rätsel, warum er sich so gut an Sonnenschein und anderes erinnern konnte, blieb ebenso bestehen.
Sein bester Freund, Eron, der nur wenig jünger als er war, hatte dazu zwei Theorien.
Zum einen könnte Shadon ja an einem Ort aufgewachsen sein, an dem der Himmel sich nicht so schnell verschleiert hatte. Es gab Orte, an denen verschleierte sich der Himmel erst Jahre später, als in anderen Gebieten. Warum das so war, wusste heute aber keiner mehr.
Die zweite Theorie war ebenso denkbar. Es war bekannt, dass die Regierungen an ihren Soldaten Experimente gemacht hatten, oft auch ohne deren Einwilligungen. Es war durchaus vorstellbar, dass Shadon, nachdem er angeschossen worden war in so einer Versuchseinrichtung gelandet war. Es war ebenso bekannt, dass einige dieser Versuchspersonen in Kälteschlaftanks gelandet waren. Einerseits um herauszufinden wie der menschliche Körper und die Psyche dies verkraftete, andererseits natürlich auch, damit man später noch weitere Versuche an diesen Personen machen konnte. Vielleicht war er ja in so einem ding gelandet und daher ein ganzes Stück älter, als er aussah. Die Schmerzen, an die sich Shadon erinnerte, könnten von den Versuchen rühren und womöglich hatte er diesen auch das Trauma, das ihn seinen Erinnerung gekostet hatte, zu verdanken. Die Tätowierung mit seinem Namen, die sich über die Innenseite seines linken Unterarms zog passte auch dazu.

Shadon zog sein T-Shirt an, holte nochmals tief Luft und schloss die Augen.
Was war nur mit ihm passiert? Wo kam er her und wer war er eigentlich? Hatte er womöglich irgendwo Familie, die sich um ihn sorgte, oder Freunde, die ihn vermissten?
Eine sanfte Hand auf der Schulter riss ihn aus diesem Fragenkarussell und seinen Gedanken. Er öffnete die Augen und erkannte, dass in Mali besorgt musterte.
“Alles in Ordnung, Shadon?”
Shadon lächelte die Frau müde an und schüttelte den Kopf.
“Nicht wirklich, Mali. Ich habe wieder Alpträume."
 
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Kommentare  

Hallo Jingizu,

nun ich weiß ja schon, dass dich dieses erste Kapitel nicht so vom Hocker haut und habe lange darüber nachgedacht, da ich ja selber auch nicht wirklich zufrieden damit bin.

Mir wurde von anderer Seite vorgeschlagen die Teile mit den Beschreibungen herauszunehmen und eine Vorgeschichte daraus zu machen.
Diese Lösung gefällt mir persönlich sehr gut. So behalte ich nicht nur die Beschreibungen, an denen ich teilweise recht lange saß, ich kann auch stellenweise mehr ins Detail gehen. Außerdem bleibe ich so mehr bei meinen Protagonisten und dieses wirklich lange Kapitel verkürzt sich etwas.

Jetz aber lasse ich es erst einmal so stehen.

Herzlichen Dank für eure Kritken hier und auch für die Vorschläge, die mir per Nachricht übermittelt wurden.

Grüße
darky


darkwitch (18.10.2012)

Hallo darky,

dein erstes Kapitel gefällt. Auch wenn es nicht ganz an die Wortgewalt des Prologs heranreicht, gibt es dafür einige sehr amüsante Stellen, die diesen Manko wieder wett machen.

Die erste Hälfte des Kapitels fühlt sich wie ein zweiter Aufguss des Prologs an. Du wirst hier zwar etwas genauer, bleibst mit all deinen Beschreibungen jedoch noch immer sehr allgemein - daher liest sich dieser erste Teil des Kapitels auch etwas schwer und zäh und man hat keine Bilder von den Geschehnissen vor Augen, die zu der Katastrophe führten.
Wenn du dich im zweiten Teil deinem Shadon widmest, wird die Sprache flüssiger und ich als Leser komme in diesem Part auch viel besser in die Geschichte und ihre Atmosphäre hinein.

Nun denn, die Zeit, dass etwas in deiner Geschichte passiert, nähert sich mit großen Schritten. Mal sehen, was die nächsten Kaiptel bringen werden.


Jingizu (16.10.2012)

Hallo Gerlald W.

danke für den Kommentar und das Lob.
Es freut mich, das dir der Text gefällt und dich neugierig werden lässt. Schön, dass dir dabei Bilder entstehen.


darkwitch (16.10.2012)

Jetzt versteht man deine Welt schon viel besser. Schöner bildreicher Anfang. Ich sah das Stück Geschichte richtig vor meinen Augen und bin sehr neugierig wie es weitergeht.

Gerald W. (15.10.2012)

Hallo Anariel,

ja das hast du gut erkannt. Das war der Grundgedanke hinter diesem Kapitel. Ob ich es so belasse, weß ich nocht nicht, aber jetzt lass ich es erst einmal so stehen.


darkwitch (15.10.2012)

Oh, ein langes erstes Kapitel gleich.
Ich habe das Gefühl, dass du uns hier zuerst einmal deine Welt nahebringen und beschreiben willst, damit man sich gleich darin zurechtfindet.
Ich finde, das hast du gut hinbekommen, auch wenn deine Protagonisten fast noch ein wenig zu kurz kommen.
Auf jeden Fall macht es neugierig auf mehr und ich hoffe, du schreibst bald weiter.


Tis-Anariel (14.10.2012)

Hallo Tlonk,
danke für den Hinweise. Ist nichst schlimm, war nur das letzte Wort, dass es nicht ganz geschafft hatte.


darkwitch (14.10.2012)

Hallo darkwitch, leider ist nicht der gesamte Text zu uns gekommen. Würdest du bitte den Rest deines Kapitels noch mal kopieren und hier anhängen? Gehe dazu bitte unter Story bearbeiten.

Tlonk (14.10.2012)

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