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12 Seiten

Vergessene Welt

Fantastisches · Kurzgeschichten
In seinen Gedanken versunken ging der durch die Straßen und sein innerer Kompass führte ihn wie immer zu seinem Ziel. Lukas kam gerade von der Schule und hatte sich mal wieder von den anderen getrennt. Er wollte allein sein und ging sowieso viel lieber den Weg durch den Park und den kleinen Wald nach Hause, auch wenn er das eigentlich nicht durfte.
Das verdrängte er einfach, ihm gefiel es hier einfach zu sehr. Er liebte die Natur und fühlte sich wohl hier. Er ging gern über den kleinen, ausgewaschenen Schotterweg, weit weg von den Autos und den ganzen Menschen in der Stadt. Manchmal zog er auch seine Schuhe aus und lief barfuss über die Wiesen. Es ist ein wundervolles Gefühl, das Gras unter seinen nackten Füßen zu spüren, sich selbst zu fühlen, sich frei zu fühlen.

Gelegentlich sah er auf seinem Weg ein Eichhörnchen im Wald oder auf einem Baum verschwinden. Es war atemberaubend, mit welcher Geschwindigkeit diese kleinen Tierchen ihren Weg über die Äste zu ihrem Versteck fanden. Hasen hatte er auch schon gesehen oder den Igel, der sich zusammengerollt hatte, als er ihn berührte. Sein größtes Erlebnis bisher war jedoch die Begegnung mit dem Reh gewesen. Es geschah vor ein paar Wochen. Er schlenderte wie so oft träumend vor sich hin durch den kleinen Wald. Hörte dem leisen Rauschen des Windes zu, wie er die Blätter vor sich her bewegte. Betrachtete die Äste, wie sie sich in einem vom Wind bestimmten Takt bewegten. Er bestaunte die Sonnenstrahlen, wie sie durch die Blätter und Äste schimmernd ihren Weg nach unten bis zu ihm fanden. Der Wald war der einzige Platz, den er kannte, an dem man die Sonnenstrahlen wirklich sehen konnte. Er hörte die Vögel ihre Melodien singen und beobachtete ihren Tanz in der Luft. Fliegen zu können, wäre das nicht wunderschön?
Ja und da stand es auf einmal das Reh. Keine zehn Meter vor ihm, mitten auf dem Weg. Lukas blieb stehen und hielt den Atem an. Es stand vor ihm und sah auch ihn an. Wie lange? Er wusste es nicht. Er war wie gefangen, bewunderte dieses Tier, das da völlig ruhig vor ihm stand. Diese riesigen braunen Augen, in denen man leicht ertrinken konnte. Es war ein seltsames Gefühl. Eine Mischung aus Neugier, ein wenig Angst und vor allem so etwas wie Ehrfurcht. Er hatte den Eindruck, als würde das Reh ihm direkt in seine Seele, sein Innerstes sehen und dort alles lesen können, wie in einem offenen Buch. Und dann war alles vorbei. Es spannte seine kräftigen Muskeln an und mit einem einzigen Satz verschwand es im Wald. Von einer Sekunde auf die andere war es verschwunden. Er hörte es noch ein paar Augenblicke durch den Wald laufen, spürte ein paar Momente die Schwingungen im Boden, die durch diese spielerische und unwiderstehliche Kraft des Tieres hervorgerufen wurden, bis es wie ein Gespenst verschwunden war. Dann sah Lukas den Radfahrer, der es verscheucht hatte. Ein Mann auf einem blauen Mountainbike fuhr an ihm vorüber und lächelte kurz.
An dieses Erlebnis dachte er oft, und wenn seine Gedanken zu dieser Szene zurückkehrten, hatte er immer ein Lächeln im Gesicht und fühlte sich einfach nur wohl.

Doch in letzter Zeit hatte sich etwas verändert. Lukas hatte das Gefühl beobachtet zu werden. Es war ihm schon ein paar Mal aufgefallen. Anfangs dachte er, er würde es sich nur einbilden, aber das Gefühl blieb und wurde mit der Zeit immer stärker. Am ausgeprägtesten war dieses Unbehagen hier mitten im Wald. Und einmal war es, als spürte er Blicke auf seinem Rücken und er hatte das Gefühl jemand würde direkt hinter ihm stehen. Doch als er sich umdrehte, war da nichts. Nur die Blätter auf dem Weg, mit denen der Wind spielte. Das ganze war ihm ein wenig unheimlich und manchmal hatte er das Gefühl, als hätte ihn etwas ganz zart berührt. Ein Hauch von etwas, das er nicht sehen konnte. Es war nicht direkt Angst, die er spürte. Er konnte es nicht beschreiben und manchmal dachte er, es passieren zwei Dinge zeitgleich. Da war einerseits etwas Bedrohliches und Etwas, das sich zwar versteckte, ihm jedoch nichts anhaben wollte.

Und so ging er auch an diesem Tag durch den Wald, wie so oft in letzter Zeit, dachte er bei sich und fragte sich für einen Moment selbst, ob das nur zufällig geschah. Nein es war kein Zufall. Er wollte hier her und etwas tief in ihm zog in auch immer wieder zu diesem Platz. Irgendwie in der Hoffnung und dem Glauben etwas zu finden. Das zu finden, was sich hier vor ihm versteckte. Es war ein warmer Tag und er war froh, dass der Wald ihm Schatten bot und ihn doch nicht von der Sonne trennte, sondern immer wieder ihre Strahlen zu ihm herunterließ und so ein wunderschönes Spiel der Sonnenstrahlen entstand. Schatten und Licht, Hell und Dunkel, glitzernder Glanz und das dumpfe Moos auf den Bäumen.
Aus dem Augenwinkel heraus sah er das Glitzern und blieb stehen. Er sah einfach weiter gerade aus. An seiner linken Seite ahnte er sie mehr, als dass er sie sah. Eine Gestalt, die sich im Schutz dieses Spieles der Sonnenstrahlen mit dem Wald langsam näherte. Er hielt die Luft an, bewegte sich keinen Millimeter. Einen kurzen Augenblick dachte er darüber nach weg zu laufen. Aber warum? Deshalb war er doch gekommen, um etwas zu finden, das er immer nur vermutet hatte. Seine Neugier siegte, auch wenn sein Herz raste und er das Gefühl hatte, einen riesigen Stein im Magen zu haben. Es war jetzt schon ganz nah. Er sah es immer noch nicht direkt, spürte es aber ganz deutlich. Nicht als Bedrohung oder etwas Unheimliches, sondern etwas Schönes, Leuchtendes, das versuchte nicht gesehen zu werden. Kurz bevor es ihn berührte, drehte er sich mit einem Ruck um. Und da stand es vor ihm, mit vor Schreck geweiteten Augen. Augen so groß, wie die des Rehs und sie beide, er und dieses Wesen waren einen Augenblick kurz davor einfach los zu schreien und weg zu rennen, doch ihre Blicke hielten einander fest. Der eine las darin die Neugier und den Wissensdurst des anderen. Und diese stumme Erwartung siegte, verscheuchte auch den letzten Rest Angst, vertrieb die Vorstellung sich etwas nicht vorstellen zu können oder zu dürfen. Kinder haben diese Gabe, diese Macht, die Erwachsene lange verloren haben – ihren unerschütterlichen Glauben. Sein Körper entspannte sich und er konnte seine Augen endlich von denen seines Gegenüber lösen und sich den Rest dieses Wesens betrachten. Sein Gehirn fand keinen Namen, keine Worte, keine Beschreibung für das, was er sah. Es war kein Mensch und auch kein Tier. Es war etwas kleiner als er selbst, mit Armen und Beinen wie er. Mit einem Gesicht und Augen wie er und doch so ganz anders. Etwas, das er noch nie gesehen hatte, es weder erklären noch verstehen konnte. Es war wie der Wald selbst, eine Mischung aus Licht und Schatten, dunkelgrün, hell leuchtend und doch ein festes Gebilde mit Armen und Beinen. Ein Leuchten umgab dieses Wesen und es war als würde dieses Licht aus ihm selbst, seinem Innern heraus kommen und es erstrahlen lassen. Er hatte Angst es zu berühren, weil es so zart und zerbrechlich aussah und er nicht wollte, dass es wieder verschwand. Er sah wieder in diese großen Augen in denen sich seine eigenen Gefühle widerspiegelten. In ihnen las er seine eigenen Gedanken, sah dieselbe Neugier, Verwunderung und Ehrfurcht vor dem anderen. Er lächelte und entspannte sich weiter und eine innere Ruhe überkam ihn. Auch sein Gegenüber lächelte, leuchtete noch etwas heller und strahlte noch mehr Vertrauen und Wärme aus.
„Was bist du?“, fragte Lukas dieses seltsame und doch schöne Wesen vor ihm.
„Ich bin eine Elfe und du bist wohl ein Mensch“.
„Ja das bin ich. Warum weißt du, was ich bin aber ich nicht was du bist? Warum hat mir noch nie jemand von euch erzählt?“ Sie sehen immer noch einander an, immer noch verwundert und sich einander vorwitzig betrachtend.
„Weil ihr nicht mehr an uns glaubt und uns nicht mehr sehen könnt. Außerdem gibt es nur noch wenige von uns und wir verstecken uns vor euch Menschen. Eigentlich dürfte ich gar nicht hier sein und mit dir reden. Ich werde wohl Ärger bekommen zu Hause.“ Wieder ein Blick in die Augen und dann sprach es weiter: “Ich habe dich schon oft beobachtet. Hab dich schon häufig hier im Wald gesehen und musste dich einfach berühren weil du so anders bist.“
Das brachte Lukas wieder zum lachen. „Das ist gut. Ich bin anders? Du bist ganz anders als wir Menschen. Eigentlich anders, als alles was ich kenne. Das ist echt seltsam. Ich habe dich auch die ganze Zeit gespürt und wusste dass hier etwas ist. Was meinst du damit, dass wir euch nicht mehr sehen können?“
„Keine Ahnung. Meine Mutter sagt immer ihr seid dumm geworden. Könntet nicht mehr glauben und wäret so verblendet von eurer Welt und so sehr mit euch selbst beschäftigt, dass ihr für alles andere den Blick verloren habt.“
„Ich verstehe kein Wort“, sagt Lukas und sah diese Elfe fragend an.
„Ich hab es auch nicht richtig verstanden aber meine Mama glaubt, dass ihr Menschen für uns gefährlich seid und deshalb findet sie es gut, dass ihr uns nicht mehr sehen könnt. Ja und deshalb darf ich auch eigentlich gar nicht mit dir reden. Was ist mit deinen Eltern? Haben sie dir wirklich noch nie etwas über uns erzählt?“ Die Elfe schaute ihn staunend und fragend an.
„Nein. Vielleicht hat deine Mutter recht und wir können euch wirklich nicht sehen aber warum dann ich? Das soll mal jemand verstehen. Ich würde dich gern wieder treffen und mit dir reden“, sagte Lukas und dieses Mal sah er sein Gegenüber ein wenig hilflos und auch traurig an.
„Nun vielleicht können wir das, wenn meine Mutter mir das auch verboten hat. Ich muss jetzt weg. Es kommt jemand. Frag doch einfach mal deine Eltern nach uns und sei vorsichtig. Wir sind hier nicht immer allein.“
Und mit einem Mal war die Elfe verschwunden. Ein Luftwirbel, ein paar Blätter die durch die Luft schwebten, Sonnenstrahlen, die wieder glitzern und sonst nichts mehr. Dafür kam wieder der Fahrradfahrer und zog ihn in die Wirklichkeit zurück. Genauso kam es ihm vor, als sei er kurz zu Besuch in einer anderen Welt gewesen, in einem anderen unvorstellbarem Universum und jetzt hatte ihn die Wirklichkeit wieder eingefangen und doch fühlte sich sein Körper immer noch leicht, fast schwerelos an und ein warmes angenehmes Gefühl umgab ihn.
„Frag deine Eltern“ hallten die Worte in seinem Kopf nach. Konnte er das wirklich tun? Sie nach Elfen fragen? Nun er würde es einfach versuchen. Den Fahrradfahrer nahm er fast überhaupt nicht war. Sah nicht die verstohlenen Blicke und spürte auch leider nicht die Gefahr. Er war einfach zu verwirrt, in seinem Kopf schwirrten tausend Dinge auf einmal, es kam ihm vor, als sei ein riesiger Ameisenhaufen zwischen seinen Ohren und er suchte in diesem Chaos nach Antworten auf all seine Fragen.

Er schaffte es irgendwie sich von dem Wald zu lösen und machte sich auf den Weg nach Hause. Seine Mutter war beim Einkaufen, also blieb ihm nur sein Vater. Er fand ihn draußen im Garten. Er lag in seiner Hängematte und las. „Hallo Sohn, wie war die Schule heute?“, fragte er ihn und legte ihm einen Arm um seine Schultern, ohne von seinem Buch aufzusehen. So war er halt. Irgendwie, wie der Sohn selbst. Immer in Gedanken versunken, lesend, vor sich hin brütend und seine Umgebung nur vage wahrnehmend, dachte Lukas und lächelte bevor er einmal tief Luft nahm und zur Sache kam:
„Ich habe eine Frage an dich.“ Endlich ließ er das Buch sinken und schaute seinen Sohn an. Lächelte ihn an, griff ihn unter die Arme und hob ihn zu sich in die Hängematte und für einen Moment kamen sie fast aus dem Gleichgewicht und hatten Glück nicht beide auf dem frisch gemähten Rasen zu landen.
„OK, dann frag. Wenn es auch manchmal so aussieht als hätte ich keine Zeit für dich, das ist nicht so. Du kannst jederzeit zu mir kommen, wenn du Fragen hast oder dich etwas bedrückt. Also was hast du auf dem Herzen Lukas?“
„Na ja, ich weiß nicht so genau wie ich mich ausdrücken soll“, fing er an. „Gibt es Dinge die da sind, obwohl wir sie nicht sehen können?“
„Sicher gibt es die. Sogar jede Menge davon. Lukas, auf was genau willst du hinaus?“
„Ich wollte dich fragen, ob es Elfen gibt und was du über sie weißt.“
„Oh, jetzt wird es doch ein wenig schwerer für mich“, versuchte sein Vater etwas Zeit zu schinden und seine Gedanken zu ordnen. „Elfen. Na ja, sie kommen in Märchen vor, in Sagen und alten Mythen. Es sind halt Märchenwesen. Man beschreibt sie als Lichtgestalten, als etwas gottähnliches, die auf der Erde, in der Luft und im Wasser leben können. Ich will damit nicht sagen, dass sie wie Gott sind. Sie sind einfach etwas Helles, etwas Gutes. Wie eine gute Fee, obwohl sie wahrscheinlich keine Wunder vollbringen oder Wünsche erfüllen können.“ „Woher weist du das alles? Und hat sie schon mal jemand in Wirklichkeit gesehen?“
„Keine Ahnung ob sie schon mal jemand gesehen hat. Vielleicht bilden sich manche Menschen ein sie gesehen zu haben oder manche haben sie vielleicht wirklich gesehen, wollen es aber nicht zu geben, weil sie dann für verrückt gehalten würden. Und woher ich das alles weiß? Nun ja, zu meiner Zeit, als ich noch ein kleiner Junge war, gab es noch diese Märchen. Oma hat mir immer viele Geschichten und Märchen erzählt und ich hatte ein riesiges Märchenbuch mit hunderten von Geschichten. Meine Lieblingsgeschichte war Peter Pan und später als ich älter war der Herr der Ringe.“
„Peter Pan, wer ist das nun wieder?“ Sein Vater lächelte und sah in Gedanken das Bild des fliegenden Pan vor sich und die verlorenen Jungs im Nimmerland und für einen kurzen Moment, sieht er auch Wendy vor sich mit dem Buch in der Hand.
„In dem Buch geht es um einen kleinen Jungen, wie du und wie ich einmal vor langer Zeit. Ein Junge der nicht erwachsen werden wollte, damit er nie seine Fantasie verliert, immer ein Kind sein könnte und immer Spaß haben könnte. Er konnte alles Mögliche, sogar fliegen und er hatte eine Freundin und sie war eine Elfe, glaub ich oder doch eine Fee? Auf jeden Fall hieß sie Glöckchen. Es ist nur eine Geschichte aber sie beschreibt sehr schön das Dilemma in dem wir Erwachsene stecken. Von uns wird erwartet, dass wir ernst sind. Wir müssen Verantwortung übernehmen und in der Welt unseren Mann oder unsere Frau stehen. Wir müssen Geld verdienen. Eine Wohnung oder ein Haus bezahlen und uns um alles Mögliche kümmern. Da bleibt keine Zeit für Märchen oder die Fantasie. Unsere Gesellschaft hat sie fast vergessen. Und so zieht sich das immer weiter. Da wir uns nicht mehr damit beschäftigen, vergessen wir sie, all diese Märchen und Geschichten über gute Taten, Freundschaft, Liebe, Fantasie und Helden. Und so können wir sie auch nicht mehr an unsere Kinder weitergeben. Und euch bleibt leider immer weniger. Ihr erfahrt noch weniger als eure Eltern und so geraten Elfen, Feen und all diese wunderschönen Fantasiewesen immer mehr in Vergessenheit. Euch bleiben oft nur das Fernsehen, Videospiele und eine vorbestimmte Welt der Realität. Das Fernsehen und diese Spiele töten eure Fantasie, ersticken sie. Ihr braucht euch in euren Gedanken nichts mehr auszumalen oder vorzustellen. Ihr kennt ja alles. Es wird euch alles vorgelebt und vorgespielt und das ist ziemlich traurig“, endete sein Vater und das Lächeln war wieder verschwunden.
„Ich würde gern mehr darüber wissen und vor allem, ob das jetzt alles nur Märchen sind oder ob es sie in Wirklichkeit gibt diese Elfen“, fragte er seinen Vater und seine Gedanken kehrten wieder zum Wald zurück.
„Ich kann dir nicht sagen, ob Elfen wirklich existieren. Es gab wohl mal eine Zeit, als ich das glauben konnte oder wollte. Nun, heute kann ich mir das nicht mehr vorstellen. Ich will dir nicht deine Träume zerstören oder dir etwas wegnehmen. Ich finde es gut, dass du dich damit beschäftigst. Dir Gedanken machst und deiner Fantasie freien Lauf lässt. Tu mir nur einen Gefallen, zieh dich nicht ganz in diese Welt zurück. Du darfst nicht den Fehler machen diese Welt, der wirklichen vorzuziehen. Dich nur noch in eine Fantasiewelt zu flüchten. Du bist jung und darfst das. Du kannst dich jederzeit in eine andere Welt versetzen und dafür beneide ich dich, weil wir Erwachsene das lange vergessen und verlernt haben. Aber bleib nicht so lange weg, weil du sonst vielleicht nicht mehr zurück findest. Es tut mir leid, ich muss los zur Arbeit“, sagte seine Vater, schaute auf seine silberne Armbanduhr und hob Lukas wieder aus der Hängematte. „Ich werde mal sehen, ob ich Peter Pan und die ganzen alten Bücher oben auf dem Speicher finde, dann kannst du sie lesen und wir können uns morgen weiter unterhalten. Einverstanden?“
Er nickte und lächelte seinen Vater an.
„Und noch was. Bleib bitte aus dem Wald und dem Park draußen. Die Nachbarn haben erzählt, dass da jemand Kinder belästigt hat. Es ist noch nichts passiert aber man weiß ja nie. Und ich weiß, dass du oft dort hin gehst. Sein Vater legte ihm seine großen Hände auf die Schultern, sah ihn an und sprach weiter: „Wenn deine Mama rausbekommt, dass du dich alleine im Park rumtreibst, ist der Spaß zu Ende mein Freund. Ich will dir nicht den Tag verderben oder dir sinnlose Vorschriften machen. Sei einfach vorsichtig und halt dich fern vom Wald.“
Dann war er weg und ließ ihn allein mit seinen Gedanken und Fragen. Hatte er sich alles nur eingebildet? War da wirklich eine Elfe gewesen? Er war jetzt noch verwirrter als vorher. Hätte er es seinem Vater erzählen müssen und hätte der ihm geglaubt? Und was hatte sein Vater damit gemeint, er könnte vielleicht nicht mehr zurückfinden?

Am nächsten Tag ging er natürlich wieder durch den Park und den Wald. Die Warnung seines Vaters hatte er längst vergessen. Er musste einfach wieder hier her und es wiedersehen, dieses Wesen, damit er sich ganz sicher war, dass er sich das alles nicht einfach nur eingebildet hatte. Er wartete bis niemand mehr auf dem Weg war und ging dann in den Wald. Ganz langsam schlenderte er über die Blätter und Äste und hoffte auf eine Begegnung, ein Leuchten oder ein Glitzern des Lichtes. Und auf einmal war er wieder da. Wieder spürte er ihn mehr, als das er ihn sah. Er wartete, hatte Angst, wenn er sich zu früh umdrehen würde, wäre er wieder verschwunden. Erst als er die Gänsehaut auf seinem Rücken spürte, drehte er sich um.
„Du bist ja schon wieder da“, begrüßte ihn das seltsame und wunderschöne Wesen und lächelte ihn an. Auch Lukas lächelte, fühlte sich wohl und vergaß alles andere um sich herum. Er war wieder in diesem anderen Universum, Ewigkeiten weit weg von der normalen Welt, mit all ihren Zwängen und Vorschriften.
„Ja und du auch, wie ich sehen kann. Ich musste einfach wieder kommen. Ich hatte schon befürchtet, ich hätte mir alles nur eingebildet.“
„Nein hast du nicht. Ich bin hier und es gibt mich wirklich, wenn ich auch selbst nicht weiß, warum du mich sehen kannst und die anderen nicht“. Die Elfe schmunzelte und ihr Leuchten wurde wieder ein Tick heller. „Hast du mit deinen Eltern gesprochen?“, fragt sie Lukas.
„Ja hab ich, mit meinem Vater. Er wusste ein wenig über euch. Aber wirklich helfen konnte er mir auch nicht. Er glaubt wohl, dass es alles nur Fantasie ist. Immerhin findet er es nicht schlecht und war auch ein wenig neidisch, weil er sich so etwas überhaupt nicht mehr vorstellen konnte und ich war froh, dass er mich nicht einfach für verrückt hält. Heute will er wieder mit mir reden und mir ein Buch geben in dem ihr auch vorkommt. Hast du deinen Eltern was erzählt?“
„Nein, ich hab zwar ein paar Fragen gestellt, hatte jedoch Angst das sie was erraten könnten wenn ich zu sehr nachhake. Ganz schön seltsam das mit uns zwei. Du kannst mich sehen obwohl ihr Menschen das eigentlich nicht mehr könnt und ich rede mit dir obwohl es unser oberstes Gesetz ist, uns von den Menschen fern zu halten.“
„Aber warum macht ihr das? Warum geht ihr uns aus dem Weg und versteckt euch vor uns?“ „Weil ihr gefährlich für uns seid. Wir wollen unsere Ruhe und unsere eigene Welt behalten. Sie ist schon klein genug geworden durch euch und es gibt nur noch wenige von uns. Wir müssen oft reisen, weil es überall nur noch Menschen gibt und fast keinen Platz mehr für uns.“
„Das ist ziemlich traurig, sagte Lukas“ um gleich darauf die Antwort zu hören:
„Ja das ist es wohl“ und das Leuchten wurde wieder ein wenig dunkler.
Auf einmal zitterte die Elfe und verblasste fast zur Unkenntlichkeit.
„Was ist los?“, rief Lukas aufgeregt.
„Es kommt ein böser Mensch. Ich muss weg. Und du auch. Versteck dich, schnell!“
Lukas begriff überhaupt nichts. Ein böser Mensch? „Wo bist du?“, rief er in den Wald. Doch da war nichts mehr, nur noch die Bäume, die ihn mitleidig betrachteten. Er bemerkte nicht den Mann hinter ihm. Sah nicht den Totschläger in der Hand des Mannes. Er war jetzt direkt hinter Lukas und es war schon fast zu spät. Als der Mann seinen Arm hob, kam wieder dieses Flimmern und die Elfe erschien neben Lukas und schrie ihn an, er solle endlich weglaufen. Und der Mann blieb für einen Augenblick wie angewurzelt stehen mit dem Totschläger über seinem Kopf. Erst da drehte er sich Lukas um und sah was los war. Er wollte weglaufen, aber seine Beine gehorchten ihm einfach nicht. Er konnte sich nicht bewegen. Sah den Mann und erkannte ihn - der Fahrradfahrer. Der starrte immer noch den Punkt neben Lukas an, dort wo die Elfe erschienen war. Lange würde er nicht mehr abgelenkt sein. Lukas schrie seine Furcht hinaus, konnte sich immer noch nicht bewegen, er war wie fest gefroren. Da blinzelte der Mann, schüttelte ungläubig den Kopf und sah Lukas an. Sah den Totschläger, ließ ihn sinken, um ihn dann wieder hochzuheben und sein schreckliches Werk zu beenden. Endlich konnte Lukas sich bewegen, doch da war es zu spät. Er machte einen Schritt zurück, stolperte und fiel zu Boden und dann wurde alles um ihn herum dunkel.

Als Lukas wieder aufwachte, hielt sein Vater ihn im Arm und in dessen Augen glitzerten Tränen. Alles fiel Lukas wieder ein, der Wald, das Licht, dieser Mann und sein Schädel tat weh und er spürte den Verband, der um seinen Kopf gewickelt war. Er war nur auf einen Stein gefallen und hatte sich eine Platzwunde zugezogen und nun saßen sie in einem Krankenwagen.
Hinter sich hörte er eine Stimme: „Wir beobachten den Park schon seit ein paar Tagen und waren gerade noch rechtzeitig da. Bevor er zuschlagen konnte und schlimmeres passiert wäre. Obwohl das nicht so ganz stimmt.“ Lukas drehte sich um und sah eine junge Polizisten, vielleicht 28 Jahre alt, mit einem Lächeln sah sie ihn mit ihren grünen Augen an. „Na wie geht es dir Lukas?“, fragte sie.
Sein Vater war schneller als er und fragte die Polizistin: „Was meinen sie damit, das es nicht so ganz stimmt?“
„Nun wir waren zwar in der Nähe, aber wir hätten es wahrscheinlich nicht geschafft, wenn da nicht etwas Seltsames passiert wäre.“
„Etwas Seltsames passiert wäre?“
„Ja, ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll. Wie gesagt wir beobachten den Park schon länger und waren auch heute in Reichweite aber als dieser Mann den Totschläger hob und zuschlagen wollte, da stockt er auf einmal mitten in der Bewegung. Wir haben das alles auf Video aufgezeichnet. Ihren Sohn, als er in den Wald geht und dort stehen bleibt. Es sieht aus, als würde er mit jemanden reden. Doch auf dem Video ist nichts zu sehen außer einem Lichtfleck. Und genau so ist es auch in dem Moment als der Mann plötzlich mitten in der Bewegung inne hält. Er sieht zu einem Punkt neben ihrem Sohn, den auch Lukas anstarrt. Aber da ist nichts, nur wieder dieses seltsame Licht, ein Flimmern, dass ihrem Sohn wohl das Leben gerettet hat. Können sie sich vielleicht einen Reim darauf machen?“
Die Polizistin sah ihn fragend an. Der Vater blickte von ihr zu seinem Sohn, schaute ihm tief in die Augen und Lukas sah, wie die Augen seines Vaters sich ein wenig weiteten und er dann lächelte. Er sah er wieder zur Polizistin hinüber und sah ihren verwirrten Blick.
„Ich würde es ihnen wirklich gerne erklären“, er sah sie an und dann wieder seinen Sohn. „Sie würden es nicht glauben und mich für verrückt halten. Sagen wir einfach es war Glück. Vielleicht hat sich irgendwo etwas gespiegelt und der Mann wurde einfach nur geblendet. Ich kann ihnen nicht sagen, was es war und sie wissen dass dort noch etwas anderes war. Doch wer würde das glauben wollen? Ich mach mich jetzt auf den Weg nach Hause mit meinem Jungen. Haben sie Kinder?“
„Ja zwei, etwas jünger als ihr Sohn.“
„Dann sollten sie ihnen mal öfter Märchen vorlesen und ihnen ein paar der guten alten Bücher kaufen.“
Und so ließ er sie stehen. Verwirrt, verdutzt und überhaupt nichts verstehend. Aber das war Lukas Vater egal. Er hatte seinen Sohn und das war das Wichtigste, er war sein Leben. Heute Abend würde er ihm Peter Pan vorlesen und sich in Zukunft mehr mit ihm beschäftigen und für ihn da sein.
Seinen neuen Freund würde sein Sohn wohl nicht mehr wieder sehen. Es wimmelte hier jetzt von Menschen. Polizisten, Reportern, Schaulustigen und allen möglichen Leuten.

Doch nichts ist unmöglich und man darf den Glauben nicht verlieren, dachte sich der Vater. Seinen Sohn auf den Armen tragend, machten sie sich auf den Heimweg.
„Bist du böse mit mir?“, fragte ihn Lukas nach einiger Zeit.
„Nein, ich hatte nur sehr viel Angst um dich. Und du musst mir versprechen in Zukunft besser auf dich aufzupassen. Oh Gott, wenn Mama davon erfährt, lässt sie dich wohl nie wieder in den Park, selbst wenn du 75 oder so bist. Schon gut, ich werde dir helfen und wir beide werden sie schon davon überzeugen, dass wir dich nicht dein ganzes Leben lang einsperren können.“
„Ich hab euch beide lieb“, flüsterte er in Papas Ohren.
„ Es gibt viele Dinge, die wir nicht verstehen, manchmal nicht verstehen wollen. Sachen, die wir uns einfach nicht ausmalen können und wollen und manchmal auch nicht dürfen. Aber von Zeit zu Zeit ist es ganz schön, seine Fantasie wieder zu finden und an all diese Sachen glauben zu können, die einem das Herz erleichtern, einfach etwas wunderbares sind und hoffentlich nie ganz verloren gehen in unserer manchmal traurigen Welt. Also ab nach Hause mit uns und dann erzählst du mir, was genau geschehen ist, wenn ich mir auch einiges zusammenreimen kann.“
 
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Kommentare  

Hallo Francis, danke für deinen Kommentar und es freut mich, dass dir die Geschichte gefallen hat. Ja, wenn ich mal zum Schreiben komme wird es meistens "mehr" als ich vorhatte und in dieser Geschichte sind auch noch ein paar Überbleibsel, weil es eigentlich mal eine längere Geschichte werden sollte...

Daniel Freedom (23.02.2013)

Dir Atmosphäre des Waldes hatte ich beim Lesen bildlich vor Augen. Hier und da wären vielleicht Kürzungen angebracht, trotzdem liest sich deine KG flüssig und du hältst die Spannung bis zur letzten Zeile. Gut gemacht!

Francis Dille (23.02.2013)

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