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Die Reise

Nachdenkliches · Kurzgeschichten · Sommer/Urlaub/Reise
Eines Morgens hatte eine alte Frau das Altersheim verlassen und war gegen Abend noch immer nicht zurückgekehrt. Der Heimleiter veranlasste eine Suchaktion, die jedoch erfolglos blieb. Daraufhin rief er die Verwandten und Bekannten an, doch auch dort war die Frau nicht aufzufinden. Noch am selben Abend gab er bei der Polizei eine Vermisstenanzeige auf. Die Fahndung wurde ausgeschrieben, doch die Suche blieb erfolglos.

Eine Woche später kam eine Karte aus Nizza beim Heimleiter an, auf der geschrieben stand: "Lieber Herr Gabathuler, Sie müssen sich keine Sorgen machen, ich bin gut in Nizza angekommen und geniesse das Mittelmeer. Suchen Sie nicht nach mir, in 2 Monaten werde ich zurückkehren und mich wieder unter den anderen Bewohnern einordnen. Doch im Moment geniesse ich das Leben in vollen Zügen. Wissen Sie, das Wetter hier ist schon einiges besser als die Tage in der regnerischen Schweiz. Mit freundlichem Gruss. Ihre Ruth Schneebeli."

Nachdem der Heimleiter die Karte gelesen hatte, benachrichtigte er die Verwandten und Bekannten und gab die Meldung an die Polizei weiter, die wiederum die französischen Behörden benachrichtigte.

Doch die Suche nach der Frau blieb auch in Nizza erfolglos. Das war auch kein Wunder. Ruth Schneebeli war nur kurz nach Nizza gefahren, um dort eine Karte zu schreiben und diese in die Schweiz zu schicken. Doch bereits am nächsten Tag war sie an die Algarve in Portugal weitergereist und genoss dort das Wetter und den feinen Sandstrand.

Nach 2 Monaten kehrte die alte Frau wieder in die Schweiz und ins Altersheim zurück. Braun gebrannt und mit einem verschmitzten Lächeln marschierte sie am Heimleiter vorbei, der nichts sagte. Frau Schneebeli sagte auch nichts und ging auf ihr Zimmer.

Am nächsten Morgen herrschte an ihrem Frühstückstisch grosse Betriebsamkeit. Die anderen Bewohnerinnen und Bewohner wollten wissen, wo sie gewesen war. Frau Schneebeli schwieg und plante insgeheim bereits die nächste Reise ans Mittelmeer.
 
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Kommentare  

In klaren Worten kurz die Fakten beschrieben und trotzdem Emotionen und subtile Hintergründe in die Geschichte gebracht.

Es ist egal, wohin man im Alter "ausbricht", ob gleich bis zum Mittelmeer oder nur mal so aus dem Heim zum Stadtbummel: Hauptsache man hat - durch Ideen und Eigeninitiative - den Alltagstrott durchbrochen und der gelenkten und vorgeplanten Bürokratie ihre Macht- und Sinnlosigkeit aufgezeigt. Mehr von diesen Alten und mehr von diesen Geschichten!


Michael Kuss (01.11.2013)

Da konnte ich mir ein Schmunzeln nicht verkneifen. Aber ich glaube, in der Wirklichkeit wäre das leider nur für ganz wenige Heimbewohner machbar. Aber du willst wohl damit sagen, dass manche viel zu früh ins Heim gehen.

Evi Apfel (06.08.2013)

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